Die Welt von heute wird strukturiert durch die
Unterordnung des gesamten Lebens unter das kapitalistische Gewinnstreben.
Das Privateigentum an Produktionsmitteln führt zur
privaten Aneignung gesellschaftlich erarbeiteten Reichtums. Während einige
wenige von ihrem Besitz an Produktionsmitteln leben, arbeiten fast alle anderen
für deren Gewinne. Dieses kapitalistische Ausbeutungs- und
Unterdrückungsverhältnis existiert weltweit. Kriege werden zur Durchsetzung
kapitalistischer Interessen auch in den hintersten Winkeln der Welt geführt.
Kapitalismus ist die Ursache für Armut, Elend und Hunger.
Entbehrungen
und Verzicht sind in weiten Teilen der Erde noch wesentlich verbreiteter als
hierzulande. Aber auch in Deutschland verdient die große Mehrheit der Menschen
ihr Geld mit Arbeiten, die ganz unabhängig vom Nutzen sind, den sie für die
Arbeitenden haben könnten. Sie alle sind auf den Arbeitsmarkt geworfen, ihre
Arbeitskraft ist nichts weiter als eine weitere Ware. So prägt der Kapitalismus
das gesamte Leben: Der Großteil der Menschen ist seinen Regeln unterworfen, in
denen es nie um ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse geht; nicht darum, ob, was
und wie sie arbeiten wollen. Menschen arbeiten für Lohn oder Gehalt, weil sie
dazu gezwungen sind, um Leben zu können. Was gearbeitet wird, bestimmen andere,
der Einzelne wird zu einem Rädchen im Getriebe degradiert, dessen Wünschen und
Wollen in dieser Arbeitswelt keine Rolle spielen.
Die
aus diesen Bedingungen resultierende untergründige oder offen zu Tage tretende
Unzufriedenheit mit dieser Art von Erwerbstätigkeit und ihren Ergebnissen macht
Lohnarbeit – die doch das Leben dominiert - unerträglich. Um sie dennoch
aushalten zu können, um gegen das Abstumpfen durch die Zumutungen des
Arbeitsalltags anzukommen, suchen sich die meisten anderweitige Befriedigungen
innerhalb des Arbeitsprozesses. Zu allererst ist der Austausch mit den KollegInnen zu nennen, die ein wichtiger Bezugspunkt für
den Einzelnen sind und zu seinem sozialen Umfeld gehören. Zugleich aber werden KollegInnen oft auch als KonkurrentInnen
betrachtet, mit denen man sich vergleicht, um die eigene Unentbehrlichkeit
feststellen zu können. Ein weiteres Instrument dieser psychischen Aufbauleistung
ist die Identifikation mit dem Unternehmen, für das man arbeitet. Ein Teil des
betrieblichen Ganzen zu sein, verschafft innere Befriedigung. Desweiteren wäre der Stolz auf die erbrachte Leistung zu
nennen, auf die gemeisterten Schwierigkeiten und die eigene Qualifikation, den
Erwerb und Ausbau bestimmter Fähigkeiten. Die allermeisten Tätigkeiten
erfordern spezialisiertes Wissen und eingeübtes Geschick, sind also in der Tat
nicht unmittelbar und jederzeit zu ersetzen.
Diese
gewissermaßen psychologische Aspekte zur
Eigenmotivation werden von Unternehmensseite ausgenutzt, um die
Leistungsbereitschaft der Belegschaften zu erhöhen. Dazu wurde ein beachtliches
Instrumentarium geschaffen – von Konzepten der „Corporate Identity“
über individuelle und kollektive Zielvereinbarungen oder betriebsöffentliche
Belobigungen bis hin zu einem ausgeklügelten Prämiensystem. Diese Maßnahmen
korrespondieren mit den klassischen Methoden, mehr Einsatz aus den
Beschäftigten zu erzwingen. Zahlreiche Unternehmen sind mit der Androhung von
Versetzungen oder Entlassungen auch bei kleineren „Pflichtverletzungen“ schnell
bei der Hand.
Während
zum einen die Konkurrenz die einzelnen Unternehmen zu immer neuen Innovationen
zwingt – die die Gesellschaft auf einen technischen Höchststand getrieben haben
-, schränkt der ständige Kostendruck, also der Zwang für Unternehmen, möglichst
billig zu produzieren, die Güte der Arbeitsergebnisse ein. Qualität wird nur da
abgefordert, wo sie sich lohnt, d.h. den Profit erhöht. Auch das ist für die
Arbeitenden eine Quelle ihrer Unzufriedenheit. Sie wissen, sie könnten es viel
besser machen als sie dürfen, müssen aber das ständige Drängeln, schneller zu
arbeiten, ertragen.
In
einer von vielfachen Hierarchien durchzogenen Arbeitswelt wird Unterordnung zum
Gesellschaft strukturierenden Prinzip. Ihre Arbeitsverhältnisse prägen Moral,
psychische Dispositionen und Wertvorstellungen der Menschen, denn das Fehlen
jeglicher Selbstbestimmung schüttelt niemand nach Verlassen von Büro, Werkstatt
oder Fabrik einfach ab. Die alltäglich erfahrene Fremdbestimmung dominiert
vielmehr auch die Freizeit und das Verhältnis zu anderen Menschen, auch zu FreundInnen und Familie. Von der Warenförmigkeit des
Kapitalismus sind alle menschlichen Beziehungen durchdrungen.
Das Jeder-gegen-jeden der Konkurrenzgesellschaft wirkt sich
auch in der Linken aus. Wer kennt nicht das Phänomen, daß auch in unseren Zusammenhängen auf einige gehört
wird, während die Beiträge anderer mehr oder weniger ignoriert werden. Oder das
auf unseren Plena, die eigentlich doch auf Gleichheit und Solidarität basieren
sollten, sich viele nicht einmal trauen, überhaupt etwas zu sagen. Auch in
linken Strukturen gibt es (informelle) Hierarchien – sie sind ein Beleg dafür, daß Verhaltensweisen in der hiesigen patriarchalen
Klassengesellschaft auch von ihren GegnerInnen
verinnerlicht wurden. Das sollten wir uns immer wieder klar machen, und wir
sollten versuchen, damit bewußt umzugehen, um diese
Verhaltensmuster nach und nach zu überwinden. Wir sind keine besseren Menschen,
aber wir haben uns aufgemacht, sämtliche Unterdrückungsverhältnisse
abzuschaffen.
Aber,
obwohl das vielen Menschen einleuchtet, obwohl auch die naheliegendste
Konsequenz daraus: Kapitalismus abschaffen! vielen Menschen einsichtig
ist, ist die Zahl derjenigen, die sich tatsächlich für seine Überwindung
einsetzen, entsetzlich gering. Liegt das an der Resignation, weil der
Kapitalismus bislang sämtliche Angriffe auf sich parieren konnte? Liegt´s daran, daß eine
realistische Alternative zu fehlen scheint? Liegt´s
auch daran, daß der Bevölkerung ständig
eingetrichtert wird, der Kapitalismus sei die beste Wirtschafts- und
Gesellschaftsform, alles andere aber entweder nicht zu verwirklichen oder
verbrecherisch? Und daran, daß der antikommunistische
Grundkonsens der BRD von der Bevölkerung verinnerlicht worden ist?
Daß
nach wie vor ein Wille zur Veränderung vorhanden ist, daß
noch längst nicht alle Menschen nur auf das eigene Durchkommen und das ihrer
Familien orientiert sind, zeigt das teils große Engagement, wo es um
Veränderungen vor Ort, im „Kleinen“, in sog. Teilbereichen geht –
beispielsweise gegen die Zuschneidung der Stadt auf Profitinteressen, gegen
Wohnungsnot oder gegen NeofaschistInnen. Da
werden Menschen aktiv. Weil sie nicht den Zusammenhang ihres Anliegens mit dem
Kapitalismus insgesamt durchschauen? Vielleicht auch das. Vor allem aber, weil
hier Erfolge zu erzielen sind und nicht immer wieder das Gefühl vermittelt
wird, es wäre doch irgendwie sinnlos, sich zu wehren. Und Menschen werden aktiv,
wo es gegen die drückendsten Auswüchse, gegen die
Spitze des Eisbergs geht – gegen Krieg, den Atomstaat oder die Folgen der sog.
„Globalisierung“. In diesen Bereichen sind große Mobilisierungen möglich und so
kann für den Augenblick einer Demonstration das Gefühl der eigenen Ohnmacht
überwunden werden.
Und
doch bleibt es dabei: Das Grundübel, der Eisberg, also der Kapitalismus -
bleibt bestehen. Der Resignation, dem Mißmut, der Kleingeisterei und dem Glauben, es gäbe ja doch keine
Alternative, setzen wir entgegen: Eine andere Welt ist möglich! Eine
Welt, in der jede Form von Ausbeutung und Unterdrückung abgeschafft ist. Eine
Welt jenseits von Kapitalismus und Staat.
Schon
immer gab es Linke, die sich mit der Idee, nach einer gelungenen sozialistischen
Revolution einen neuen Staat aufzubauen, nicht anfreunden konnten. AnarchistInnen oder RätekommunistInnen
vermochte einfach nicht einzuleuchten, warum mensch seine Chefs und seine Regierung stürzen solle, nur
um an ihre Stelle neue Chefs und eine neue Regierung zu setzen. Ihre
Alternative zum Staatssozialismus ist, mit Erich Mühsam gesprochen, eine
Räterepublik als „die föderalistische Ordnungsform der Anarchie, d.h. der orbigkeitslosen Selbstbestimmung der gesellschaftlichen
Gesamtheit“. Das geht nicht? Doch, das geht! Wer braucht denn einen
Chef? Wer braucht Vorgesetzte, die ihnen sagen, was sie zu tun und zu lassen
haben? Wer braucht Autoritäten, die ihnen das Leben organisieren? Niemand! Wir
sind doch sowieso diejenigen, die den gesellschaftlichen Reichtum erarbeiten.
Wir können das selbst!
Ausbeutung und
Unterdrückung abschaffen!
Der Mensch ist nicht von
Natur aus egoistisch, grausam oder seinen Mitmenschen gegenüber gleichgültig.
Unser aller Verhalten wird durch die Gesellschaft, in der wir leben, geprägt.
Es ist also veränderbar. Eine andere, freie Gesellschaftsordnung bringt ein
ganz anderes Sozialverhalten hervor als jenes, welches wir von der
gegenwärtigen Gesellschaft kennen.
Wir wollen die Umwälzung der
Produktionsverhältnisse und die Abschaffung aller Hierarchien, um selbstbestimmtes Leben und Arbeiten zu ermöglichen. Die
Produktion muß sich an den Bedürfnissen orientieren
und nicht mehr an Profiterwartungen. Wir streben die Aufhebung der bisherigen
Tauschverhältnisse an: JedeR bekommt, was er oder sie
braucht, jedeR trägt dazu bei, was er oder sie kann.
Niemand arbeitet mehr für Lohn; und Geld wird überflüssig, weil der
individuelle Konsum nicht mehr von der erbrachten Arbeitsleistung und ihrer
Entlohnung abhängt.
Die notwendige Arbeit wird
auf alle Schultern verteilt, und es wird nur noch hergestellt, was sinnvoll ist
und die Umwelt nicht schädigt. Güteraustausch über weite Strecken wird nur noch
da stattfinden, wo er unvermeidlich ist. Auf Werbung kann ganz verzichtet
werden. So können die sog. „Dienstleistungen“ auf der einen Seite reduziert und
dafür an anderer Stelle erheblich mehr Zeit für z.B. Pflege, Gesundheit,
Ausbildung aufgewandt werden. Insgesamt kann die Zeit, die jedeR
mit notwendiger Arbeit verbringen muß, drastisch
reduziert werden. Arbeit verlöre ihre durchdringende Dominanz im Leben.
Das gesellschaftliche Leben
und die unvermeidliche Arbeit werden von unten organisiert, von denen, die es
unmittelbar angeht. Wo wir wohnen, wo wir arbeiten, tun wir uns mit allen
anderen zusammen, bilden Kollektive, die die Aufgabe haben, die Produktion und
Versorgung zu organisieren und im Austausch mit anderen Kollektiven gemeinsame
Wege der gesellschaftlichen Entwicklung zu finden. Somit sind die Kollektive die
Basis für Selbstbestimmung und - organisation, und
sie stellen sicher, daß nicht mehr von „oben“
dirigiert, aufgezwungen, administriert und befohlen wird.
Wir brauchen die
allumfassende Eigenverantwortlichkeit der Einzelnen und ihrer Kollektive, die sich
durch Räte koordinieren werden. Dafür bietet die moderne
Kommunikationstechnologie Möglichkeiten des Austauschs und der Vernetzung, von
denen frühere Generationen nur träumen konnten. Dies ist unsere Alternative
jenseits aller Staatlichkeit: Das Rätesystem ist das Organ der freien
Vereinigung aller Menschen. Mit ihm entfallen sämtliche staatlichen Aufgaben.
Jede Bildung neuer oder die
Wiederbelebung überkommener Institutionen würde das Abtreten, das Wegdelegieren
von Aufgaben bedeuten - weg vom Einzelnen, weg von den Kollektiven. Das nähme
die unverzichtbare Selbstverantwortlichkeit, lähmte die Basisinitiativen und
würde Tür und Tor öffnen für die Etablierung neuer Hierarchien und
Herrschaftsstrukturen.
Alle Menschen hätten mehr
Zeit und Muße, um ihre Fähigkeiten und Interessen allseitig zu entwickeln. Wo
Fremdbestimmung und Zwang wegfallen, kann jedeR die
eigenen Fähigkeiten und Interessen einbringen. Dazu gehört auch die
Möglichkeit, einmal nicht mitzumachen und sich ´rauszuziehen.
Es wird dann möglich sein, „morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends
Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe,
ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden“ (Karl Marx). Die Grenze
zwischen dem, was Spaß bringt, und der notwendigen Arbeit wird immer mehr
verschwimmen.
Zwar werden die
individuellen Interessen im Kollektiv verwirklicht, sind dort aber nicht
widerspruchsfrei aufgehoben. Der Mensch lebt nicht für´s
Kollektiv, sondern er gehört einem an, um sein Leben nach seinen Vorstellungen
gestalten zu können. Das Individuum ist nicht der Handlanger des Kollektivs,
mag dessen Mehrheit sich auch noch so sehr als Allgemeininteresse formulieren.
Es muß immer die Möglichkeit geben, „nein“ zu sagen.
Wir wollen alle
Unterdrückungsverhältnisse beenden. Die Unterdrückung der Frau durch den Mann,
ihre Degradierung zum Sexualobjekt, ihrer beider Einpassung in normierte
Rollenbilder; die Mißachtung alter und das
Nichternstnehmen junger Menschen; die Verachtung Behinderter; die Diskriminierung
aufgrund sexueller Orientierungen; den Rassismus und und
und. Freiheit ist die Aufhebung jeder Unterdrückung,
Freiheit bedeutet Gleichheit. Dies passiert nicht von allein mit der
Abschaffung der kapitalistischen Wirtschaftsweise, sondern bedarf des bewußten Handelns, damit keinerlei Varianten von
Hierarchien, Diskriminierungen oder Bevorteilungen
sich in der neuen Gesellschaft festsetzen können.
Es ist uns nicht möglich,
die einzelnen, konkreten Schritte hin zur befreiten Gesellschaft aufzuschreiben,
denn wir sind keine ProphetInnen. Klar muss uns allen
aber sein, dass eine Revolution, die das Ziel hat, alle bisherigen Verhältnisse
umzukrempeln, kein friedliches Idyll sein wird. Die ProfiteurInnen
des alten Systems werden ihre Entmachtung und Enteignung mit allen Mitteln erst
zu verhindern und dann rückgängig zu machen versuchen. RevolutionärInnen
müssen dem entgegentreten und zugleich das Entstehen und die Verfestigung
hierarchischer und autoritärer Strukturen in den eigenen Reihen verhindern.
Schreiten wir voran!
Um eine freie Gesellschaft
zu erstreiten, ist Organisierung notwendig. Eine
Organisierung, die unsere Utopie einer befreiten Gesellschaft schon enthält.
Uns nützen keine autoritären Strukturen und hierarchischen Organisationen. Wer
eine von Ausbeutung und Unterdrückung freie Gesellschaft aufbauen möchte, kann
sich nicht in Parteien begeben, die selbst hierarchisch strukturiert sind, die
also die Herrschaftsprinzipien der heutigen Klassengesellschaft übernehmen,
statt sie aufzuheben, die von ihrer Basis erwarten, daß
sie die Beschlüsse von „oben“ unhinterfragt umsetzt. „In der Organisation und
Gemeinschaft der Kämpfenden erscheint trotz aller Disziplin, die in der
Notwendigkeit, sich durchzusetzen begründet ist, etwas von der Freiheit und Spontaneität
der Zukunft. Wo die Einheit von Disziplin und Spontaneität verschwunden ist,
verwandelt sich die Bewegung in eine Angelegenheit ihrer eigenen Bürokratie,
ein Schauspiel, das schon zum Repertoire der neueren Geschichte gehört.“ (Max Horkheimer) Eine künftige revolutionäre Organisation muß die Negation des Bestehenden sein - die freie
Vereinigung der RevolutionärInnen wird auf
Kooperation, nicht auf Unterordnung setzen. Sie kann nur als ein Zusammenschluß funktionieren, der Platz läßt
für Widersprüche, der unterschiedliche Meinungen, Einschätzungen und
Vorgehensweisen in seinen Reihen aushält. Der in der Vielfalt revolutionären
Denkens und Handelns die Stärke erkennt und nicht die „Schwächung der Einheit“.
Der revolutionäre Aufbruch muß die Befreiung der Gesellschaft von Ausbeutung und
Unterdrückung schon als Keim in sich tragen.
Weniger geht nicht!
(Anarchistische Gruppe/Rätekommunisten, Frühjahr 2011)
agr@nadir.org