Die Auseinandersetzungen im Gefolge der Verhinderung des Films „Pourquoi Israël“ von Claude Lanzmann im Oktober ´09 im Hamburger Szenekino B-Movie, die nicht mehr zählbaren Papiere und Statements dafür oder dagegen, v.a. natürlich dagegen, die antideutsche Demo mit 350 TeilnehmerInnen und das beinah weltweite Aufsehen, das das aufgebrachte Geschrei um diese törichte Aktion ausgelöst hat, die noch gar nicht absehbaren Folgen für die Hamburger Linke sind Auslöser, das folgende niederzuschreiben.
Vorm B-Movie und in der Folge eskalierte ein seit Jahren schwelender Konflikt, der geprägt ist vom gegenseitigen Versuch zweier Strömungen einander mundtot zu machen. Das verbal und gelegentlich auch physisch mit brachialen Mitteln ausgetragene Gezänk von Antideutschen und Antiimps dominiert mal mehr, mal weniger Diskussionen und Praxis der radikalen Linken - und behindert sie damit enorm. Mal mehr, mal weniger gelingt es einem der Flügel, andere politische Strömungen für sich einzuspannen. Wir könnten uns damit beruhigen, daß hier geistige Not mit intellektuellem Elend eine selbstzerstörerische Symbiose eingehen. Letztendlich denunzieren beide Seiten sich mit ihren durchgeknallten Positionen selbst, könnten uns also egal sein, wenn, ja wenn ihre Auseinandersetzung nicht weit in die Linke hineinwirken würde – wie der breit getragene Aufruf zur antideutschen Demo am 13.12. gezeigt hat.
Es soll an dieser Stelle nicht um die konkrete Auseinandersetzung gehen, sondern wir werden Verhaltensweisen und Denkmuster kritisieren, die in der hiesigen Linken weit verbreitet sind. Hierin sehen wir die wirklichen Ursachen dafür, daß die Denunziation der sachlichen Auseinandersetzung vorgezogen wird, daß man sich bestenfalls ignoriert und schlimmstenfalls die Fäuste fliegen. In einer Zeit, in der es scheint, als könnten wir unsere Ziele niemals erreichen, verlagert sich das Interesse auf Nebenschauplätze, in die sodann alle Kraft gesteckt wird. Nach dem Motto, wenn wir das Schlechte dieser Gesellschaft schon nicht verändern können, wollen wir wenigstens in der eigenen Szene unsere moralischen Vorstellungen durchdrücken. Der andersdenkende Mitstreiter findet sich plötzlich in der Rolle des primären politischen Gegners wieder.
Linker Konservatismus drückt sich in dem Axiom aus, nur der eigene Standpunkt sei der einzig richtige und alle anderen Positionen sind eigentlich nicht mehr links (in der Regel antisemitisch oder proimperialistisch).
Man lese dazu einmal antideutsche Texte. Die dortigen AutorInnen stilisieren sich wortreich zu Alleswissern und intellektuellen Alles-Zermalmern, die den angeblich in der Linken grassierenden Antisemitismus als einzige erkannt und kritisiert haben. Wo eine Kritik an der einseitigen und unsensiblen (weil unter Außerachtlassen des eigenen Standorts, nämlich dem Land der Shoah) Palästina-Solidarität dringend ist, kehren sie deren Argumentationsmuster um und verlangen eine unkritische Solidarität mit Israel als der Zufluchtsstätte für die Opfer des Antisemitismus. Sie blenden dabei aus, daß Israel eben nicht nur Refugium für Juden und Jüdinnen ist, sondern auch ein ganz normaler Nationalstaat und desweiteren ein Staat, der einen Anteil daran hat (aber keineswegs allein dafür verantwortlich zu machen ist), daß er immer noch nicht in Frieden mit seinen Nachbarn lebt. Israel ist eine historische Notwendigkeit, es besteht jedoch keine Ursache Israel zu glorifizieren. Die antideutschen DenunziantInnen eines jeden linken Widerparts gebrauchen den Antisemitismus-Vorwurf derart inflationär, daß er in ihrer Argumentation, ohne daß sie dessen gewahr würden, jede Trennschärfe und analytische Qualität eingebüßt hat. Genau betrachtet verharmlosen Antideutsche auf diese Weise den real existierenden Antisemitismus. Aber auch ihr selbst erwählter Contrepart (selbstgewählt von beiden Seiten), die sog. Antiimps (nach der gegenwärtigen Verwendung dieses Begriffs für AnhängerInnen einer sehr traditionellen und zumeist unkritischen Solidarität mit den verschiedensten antiimperialistischen Bewegungen weltweit), ist wenig mehr als die andere Seite dieser Medaille: Die Analysen, die ihrer trüben Gedankenwelt entspringen, sind ein lauwarmer Aufguß vergleichbarer Ansichten der 1980er Jahre. Sie sind den Antiimps quasi ewig gültige Wahrheiten. Neue Aspekte und Kritiken werden von ihnen nicht lediglich verworfen, vielmehr hat es den Anschein, als würde über sie gar nicht erst nachgedacht. Dem kritischen – wenn auch bestimmt nicht immer richtigen - Diskurs über Sinn und Unsinn von „Volksbefreiung“ oder „Antizionismus“ haben sie sich konsequent verweigert und geben in ihren Publikationen daher einen stets altbackenen, überkommenen Eindruck ab. Kritiken an tradierten Auffassungen in der Linken werden nur zur Kenntnis genommen, um Munition für die eigenen Erklärungen gegen die KritikerInnen zu gewinnen. Deshalb wirken Diskussionspapiere aus diesen Kreisen nicht nur ungeheuer angestaubt, sondern eben auch ahnungslos. Und ein Besuch in der B5 hat etwas von einer Zeitreise in die Vergangenheit. Dieses Spektrum steht moderneren Formen des Antisemitismus hilflos gegenüber: Der hier immer wieder angeführte Vergleich einzelner Facetten der israelischen Besatzungspolitik mit den Verbrechen des deutschen Faschismus bestärkt letzendlich all jene, die die deutschen Verbrechen mit der „Erkenntnis“ verharmlosen möchten, wo anders gehe es doch ebenfalls recht übel zur Sache. Niemals wurde in diesen Kreisen zur Kenntnis genommen, wie sehr die NS-Vergleicherei in der deutschen Bevölkerung einer Schuldabwehr dient.Beide Seiten sind in ihren Äußerungen und ihrem Handeln stark moralisch und weit weniger als sie selber sich gern darstellen von einer kritischen Gesellschaftsanalyse geprägt. Hinter ihrer Parteinahme für jeweils eine Seite des Israel-Palästina-Konflikts verschwinden Auseinandersetzungen in unserer Gesellschaft zwar nicht vollständig, werden aber zur Randerscheinung. Die moralisch fundierte Parteinahme entweder für „die“ PalästinenserInnen oder „die“ Israelis führt zu einem Austrag eines stellvertretenden Nahost-Konflikts in der BRD, wie er absurder nicht sein könnte. Beide Seiten verstecken sich hinter Nationalstaaten resp. Nationalstaatsgründungsorganisationen und sind in derem bürgerlichen Denken gefangen. Auf der einen Seite Verherrlichung der imperialistischen Staaten als „Zivilisation“, auf der anderen Seite ein völlig verlotterter Halbmarxismus, der bestenfalls auf die Unterstützung staatskapitalistischer Elendsverwaltung hinausläuft. Es drängt sich der Eindruck auf, daß sich, je handlungsunfähiger und gesellschaftlich marginalisierter die deutsche Linke ist, umso lauthalser der Antideutschen-Antiimp-Streit in den Mittelpunkt zu drängen vermag.
Die bürgerliche Gesellschaft erzeugt ständig neu Konformität – nur wer mitmacht und Einverständnis bekundet ist ihr akzeptiertes Mitglied – alle anderen setzen sich der Gefahr aus, in eine Außenseiterposition abgedrängt zu werden. Auf der anderen Seite ist ausschließlich „graue Masse“ langweilig (und damit auch geschäftsschädigend), so daß ständig der Ruf nach dem Besonderen, Einzigarten laut wird, das der oder die Einzelne darzustellen habe. So wird die eingeforderte Individualität zur Attitüde, zur Distinktion zum Zwecke gesellschaftlicher Teilhabe. Die Möglichkeiten der Zugehörigkeit zu allerlei Szenen, des Angebots diverser Moden, unter einer Unzahl von Hobbies auszuwählen oder des Anhängens an Traditionen, helfen nach außen eine Persönlichkeit darzustellen (eben auch da, wo gar keine vorhanden ist).
Neben vielen anderen Varianten, sich ein Image als pseudoindividuelles Kennzeichen zu verschaffen, macht – was zunächst widersinnig klingt – auch linke Politik unausgesprochen Angebote einer Identitätsfindung außerhalb des gesellschaftlichen Mainstreams. Welcher links orientierte Jugendliche bewundert nicht den gesetzlosen Militanten, den weder Normen noch deren staatliche VollstreckerInnen zu interessieren scheinen.
Antiimps und Antideutsche haben hier ganz einzigartige Angebote zu machen, um sich einer In-Group zugehörig fühlen zu können und sich von der „Masse“ auch der übrigen Linken abzugrenzen. Diese stete Abgrenzung von „den Anderen“ ist konstitutives Moment beider Strömungen, wie sie sich derzeit präsentieren; womöglich gäbe es beide ohne diese Abgrenzungspolitik gar nicht. Während das theoretische Rüstzeug der einen zu flach, ihre Außendarstellung (in diesen Kreisen noch ganz klassisch als Agitation und Propaganda bezeichnet) zu altmodisch ist, um Anziehungskraft zu entfalten, ist das Gedankengebäude der anderen zu absurd, um ohne identitäre Motivationen des Mitmachens auszukommen.
Beide Strömungen haben ein eigenes, unverwechselbares Erscheinungsbild entwickelt. Während die Antideutschen sich gern sehr modern, der Zeit voraus, gerieren und sich das Image der entschiedensten KritikerInnen anmaßen, geben sich die Antiimps hemdsärmlig als die entschlossensten Fighter gegen den Imperialismus. Beispielhaft mag für die ersten der Name einer dieser Truppen stehen: „sous la plage“ heißt übersetzt „unter dem Strand“ und rekurriert auf die ´70er Parole „unter dem Pflaster liegt der Strand“: Sie schürfen eben noch tiefer und sehen nach, was denn unter dem Strand noch zu finden wäre. Für zweitere ist die gern ´mal – scheinbar nur nebenbei – eingesträute Bemerkung charakteristisch, wenn sie wegen ihre Gewaltbereitschaft innerhalb der Linken kritisiert werden, dies sei doch gar nicht so gravierend, mensch habe schließlich auch ehemalige Guerillakämpfer in den eigenen Reihen (und unausgesprochen: diese echten Kerle sind ganz anderes gewohnt). Aus diesem ganzen Gehabe spricht mehr Eitelkeit als Ernsthaftigkeit in der politischen Auseinandersetzung. Aber: Beide brauchen´s, um ihre Läden zusammenzuhalten, daher ihre Unbedingheit und Kompromißlosigkeit.
Perspektivlosigkeit
Beide Seiten der Medaille sind auch ein Ausfluß der derzeitigen Perspektivlosigkeit linksradikaler Politik. Die Antideutschen haben daraus den Schluß gezogen, daß, wenn es mit der (welt)revolutionären Veränderung schon keinen Zweck mehr habe, mensch wenigstens verhindern solle, daß sich das schlimmste Menschheitsverbrechen der Moderne – der Holocaust – wiederhole. Dieses ehrenwerte Anliegen wurde von einigen AkteurInnen im Laufe der Zeit in eine Lobbyarbeit für die israelische Regierungspolitik überführt und damit der Lächerlichkeit preisgegeben. Eine ernsthafte Analyse und Bekämpfung des real existierenden Antisemitismus hierzulande findet in diesen Kreisen längst nicht mehr statt. Sie haben den schwerwiegenden Vorwurf des Antisemitismus zum Schlagwort in innerlinkem Macht- und Einflußgerangel verkommen lassen. Aber auch die Antiimps haben ihre Kompensation der hiesigen unerfreulichen Zustände durch die Projektion ihres romantisch verklärten bewaffneten Kampfes auf alles, was irgendwo in der Welt knallt und schießt, gefunden. Dabei lassen sie allzugern außer acht, was da für AkteurInnen auf dem Platz stehen. Es sollte doch eigentlich selbstverständlich sein, daß, wenn man sich irgendwie auf Palästina bezieht, mitgedacht werden muß, daß die dortigen Hauptbeteiligten des „Widerstands“ eben die faschistoiden IslamistInnen der Hamas sind. Wer das unterschlägt oder gar mit der Parole verteidigt, diese seien „objektiv antiimperialistisch“, weil sie eben gegen Israel und die USA kämpften, hat das Ziel einer befreiten Gesellschaft aus den Augen verloren.
Ihre Art von Theorie ist beiden Seiten nicht Teil ihres Ringens um eine bessere Welt, sondern ein Haltegriff, um in den komplizierten tatgtäglichen Auseinandersetzungen nicht ins Schlingern zu geraten. Die einen schätzen es, in einer bemüht akademischen Sprache mit ihren Theorieversatzstücken um sich zu schmeißen. Nachwuchsantideutsche sind häufig als Jugendliche in die autonome Szene gegangen und mußten später bei ihren ersten intellektuellen Gehversuchen an der Universität feststellen, daß ihre eigenen Szene theoretisch kaum unterfüttert ist. In dieser Situation bieten sich die Antideutschen mit ihrem Sprachbombast geradezu an zum Erwerb der nun neuen Identität als kritische Intellektuelle. Wer antideutsche Texte liest, wird feststellen, daß zumeist mit einem elaborierten Sprach- und Formulierungsschatz umgegangen wird, daß aber der Inhalt dazu in keinem Verhältnis steht. Sprache wird hier auf Distinktion getrimmt und reduziert.
Ihr Antiimp-Pendant kommt da ganz anders und doch so gleich daher. Auch hier kommt es nicht vornehmlich auf die Richtigkeit dessen, was mensch sagt (oder schreibt), an, sondern darauf, wie es vorgetragen wird. Wo das Image des gestählten, seiner selbst absolut sicheren Kämpfers dargeboten werden soll, muß die Theorie dem entsprechen. Ihr Inhalt hat sich seit bald 100 Jahren nicht verändert, abgesehen von einem Update in den ´70ern, ihre Wahrheiten sind die stets gleichen, immerwährenden. Der dort geliebte Leninismus oder Maoismus wird auf griffige Formeln ´runtergebrochen. Wenn aber ein Theoriegebäude seit mehreren Jahrzehnten nicht verändert wurde, bedeutet dies entweder, die Welt hat sich nicht gewandelt oder die Theorie ist längst überholt. Aber auch sollte letzteres der Fall sein, in Antiimp-Kreisen würd´s eh keinen stören!
Politische Theorie dient beiden Strömungen nur der gegenseitigen Identitätsversicherung und will weit weniger zu einer Auseinandersetzung über die Welt, in der wir leben, und wie sie zu verändern wäre, beitragen. Die moralische Reinheit der eigenen Szene, ihrer Ideen und Veröffentlichungen ist beiden weit wichtiger als der Versuch, zu überzeugen, Menschen für die Vorstellungen einer anderen Welt zu gewinnen. Weder Antideutsche noch Antiimps tragen zur gesellschaftlichen Emanzipation bei. Hier nicht – und auch nicht in Israel und Palästina.
Beiden Seiten ist der Gedanke fremd, daß eine radikale Linke Veränderung nicht nur erfordert, sondern daß sie geradezu ihr Bewegungsprinzip ist. Als EinwohnerInnen eines bürgerlichen Staates, die eine andere, freie Gesellschaft anstreben, frei von Ausbeutung und Unterdrückung, dafür selbstbestimmt und kollektiv organisiert, stehen wir täglich zwischen dem, was uns diese Gesellschaft aufzwingt, zwischen bürgerlichen Verhaltensweisen, die wir jahrzahntelang eingeübt haben, und dem, wohin wir wollen. So gesehen sind Fehler vollkommen unvermeidlich. Sie sind auch überhaupt nichts Schlimmes, solange wir bereit sind, aus ihnen zu lernen. Der Wille zu verändern, auch sich selbst zu verändern, gefaßte Standpunkte zu revidieren, die politische Praxis immer wieder zu überprüfen und eingefahrene Wege zu verlassen ist ein konstitutives Element jeder linksradikalen, revolutionären Bewegung!