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Was wir am 9.November wollen und was nicht...
Lange haben wir uns aus dem neuen deutschem Szenedrama, dessen Protagonisten sich inflationär als AntisemitInnen, FaschistInnen, RassistInnen, Linksdeutsche, Antideutsche, RenegatInnen usw. beschimpfen und diese "Diskussionen" mitunter auch handgreiflich austragen, rausgehalten. Jetzt müssen wir uns doch ein wenig Luft machen. Wer und welche jetzt einen langen Text erwartet, in dem wir unsere Sicht auf diese Auseinandersetzung darlegen, um uns erstens im Koordinatensystem zwischen "antideutsch" und "linksdeutsch" zu verorten, um danach als zweites FreundIn und FeindIn zu benennen, der und die könnte jetzt enttäuscht sein. Wir sagen es nicht gerne...Das Anliegen dieses Textes ist einfacher und direkter. Wir werden auch dieses Jahr, wir tun dies seit über 10 Jahren, am 9. November, dem Jahrestag des antisemitischen Pogroms vom November 1938, eine Gedenkkundgebung mit anschließender antifaschistischer Demonstration durchführen. Wir hoffen, dass die meisten LeserInnen dieses Textes unsere Veranstaltung besuchen werden, schließlich lebt eine Demonstration auch von der Menge ihrer BesucherInnen. Wir hoffen aber auch, dass andere zu Hause bleiben oder andere Veranstaltungen besuchen werden. Das ist neu und wir sagen es auch nicht gerne, hatten wir doch geglaubt mit unserer Veranstaltung allen, die sich unversöhnlich gegen Faschismus, Rassismus und Antisemitismus stellen wollen und die den von den Nazis ermordeten Juden und Jüdinnen - um die geht es vor allem am 9. November- gedenken wollen, einen angemessenen Rahmen zu bieten. Warum wollen wir am 9.November demonstrieren?Die Historisierung des Nationalsozialismus, als eine Episode deutscher Geschichte unter anderen schreitet immer weiter voran. Der 9. November wird seit 1990 auch als Tag der deutschen Wiedervereinigung begangen, das bloße Gedenken an die Reichspogromnacht als Beweis instrumentalisiert, dass Deutschland ein "normales" Land sei, welches seiner "Verantwortung" als Großmacht gerade wegen Auschwitz bestens nachkommen könne und werde. Schon während des Jugoslawienkriegs hat sich der deutsche Außenminister die Bombardierung Belgrads als ganz praktische Konsequenz aus der Geschichte gut schreiben lassen. Dass in der Folge Opfer und TäterInnen des NS gleichgesetzt wurden, der gefallene deutsche Soldat vor Moskau, das Bombenopfer in Dresden mit dem ermordeten Jüdinnen und Juden in Auschwitz und dem im Rahmen der berüchtigten "Bandenbekämpfung" öffentlich gehängten polnischem Jugendlichen, war dann fast schon nicht mehr verwunderlich. Die Gedenkstätten an die NS-Verbrechen werden in den letzten Jahren immer mehr zu Stätten eines "doppelten Gedenkens" umgebaut. Damit wird den überlebenden Opfern das Gedenken an ihre Toten, ihr Leiden aber auch an ihren Widerstand enteignet. Die Kundgebung am Mahnmal in der LevetzowstraßeUnsere Kundgebung will ihren Teil dazu beitragen, dass diese Historisierung der NS-Verbrechen und die Gleichsetzung von Opfern und Tätern nicht gelingt, dass in Deutschland die Erinnerung an die Einzigartigkeit des Holocaust und die Schuld der Deutschen daran nicht verblasst, das Menschheitsverbrechen nicht als Begründung für Großmachtpolitik und autoritäre Innenpolitik herhalten können. Wichtige Stimmen für dieses Anliegen sind die Überlebenden- solange sie noch leben, solange sie noch reden können. Wir haben sie immer zu unserer Gedenkveranstaltung am Mahnmal in der Levetzowstraße eingeladen, dort zu reden, zu mahnen, mit uns zu demonstrieren. Dass sie unserer Bitte nachgekommen sind, hat uns gefreut und berührt. Ihre Botschaft an die Demonstrierenden und die Öffentlichkeit war und ist: Wir leben und kämpfen noch! Wir müssen noch immer kämpfen, denn die Grundlagen des deutschen Faschismus, aber auch des weltweiten Antisemitismus und Rassismus sind eben nicht beseitigt. Sie nahmen unsere Einladung an, weil sie wussten, dass wir linke AntifaschistInnen sind und manchmal auch, obwohl sie es wussten. Sie nehmen unsere Einladung an, weil es ihnen wichtig ist, zu uns Jüngeren zu reden. Die antifaschistische Demonstration im AnschlussDas ehemals vorgeblich großzügige deutsche Asylrecht, die einzige wirkliche Konsequenz der Verfassung der BRD aus dem Nationalsozialismus wurde seit 25 Jahren immer weiter ausgehöhlt und ist faktisch abgeschafft. Große Teile der deutschen Bevölkerung, viele MigrantInnen eingeschlossen, vertreten rassistische, antisemitische und extrem autoritäre Meinungen. In die Parlamente, die die Nazis einst zerschlugen, ziehen Naziparteien ein. Neonazismus wird von Jugendlichen als Mainstream wahrgenommen und praktiziert. Erst kürzlich bezeichnete in einer Emnid Umfrage ein großer Teil der Befragten ausgerechnet Israel, den Staat der Holocaustüberlebenden und ihrer Nachfahren, als den Staat, der die größte Bedrohung für den Weltfrieden sei. Sich gegen all dieses zu stellen, zum Widerstand dagegen aufzurufen, und auch in Moabit zu demonstrieren, dass es Leute gibt, die mit all dem nicht einverstanden sind, ist das Anliegen unserer Demonstration. Warum wir euch das erzählen...Die Antwort ist einfach. Weil wir in den vergangenen Jahren, und insbesondere letztes Jahr den Eindruck hatten, dass wir unser Anliegen auf der Kundgebung und der Demonstration kaum noch verwirklichen konnten. Und uns das gewaltig stinkt, dass
Die Gedenkkundgebung und die Demonstration wurden so zum Ort von identitärer Selbstdarstellung diverser Gruppen und zum denkbar ungeeignestem Austragungsort politischer Auseinandersetzungen und Rivalitäten. Für uns ist das eine unerträgliche Instrumentalisierung dieses Anlasses, der TeilnehmerInnen und natürlich auch unseres Anliegens. Das ist keine Kritik mehr, sondern sabotiert das Anliegen der Demonstration, wie es auch ein Polizeieinsatz nicht besser könnte. Und wo stehen wir da, fragt ihr?Wir können und wollen das nur negativ beschreiben. Was wir wollen haben wir im ersten Teil beschrieben, und das Wie, Was, Wo und Warum stellen wir auch gern zur solidarischen Diskussion. Was wir nicht wollen sei knapp aufgezählt. Personen- und Gruppennamen bleiben dabei außen vor, denn wir sind keine DenunziantInnen und ZuträgerInnen der Behörden. Und solche wollen wir am 9.November auch nicht sehen, nebenbei bemerkt.
Wir wollen Diskussionen und Auseinandersetzungen nicht übertünchen. Aber wir denken, dass diese Demonstration nicht der geeignete Ort dafür ist. Und wir wollen eine linke, antifaschistische Demonstration. Leute die diese Anliegen nicht teilen, die kapitalistische Vergesellschaftung und Kriegspolitik affimieren, AntirassistInnen als nützliche IdiotInnen beleidigen oder immer noch einem "objektiven Antiimperialismus" anhängen und damit antisemitische Selbstmordattentäter rechtfertigen, sollten da besser zu Hause bleiben. Kein Vergessen! Kein Vergeben! Gemeinsam gegen Antisemitismus, Rassismus und Faschismus! Solidarität mit den von Antisemitismus bedrohten Juden und Jüdinnen, hier, in Israel und weltweit! AIM November 2003 |