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Zur Premiere am 14. April 07
Dieses Flugblatt wurde zusammen mit dem Text
"Antiamerikanismus ist kein Antikapitalismus" des AFBL an die BesucherInnen der Premiere von "Amerika" im Güterbahnhof am 14. April 07 verteilt.




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Kafka auf Kresnik:
Amerika tadeln, Deutschland adeln




Das neue Stück „Amerika“ von Johann Kresnik – Schwarm Bremer Kulturfreunde und -freundinnen und Busenfreund des Intendanten und Walserfans Pierwoß – ließ schon vor seiner Premiere am heutigen Abend Dämme brechen: in Folge eines Konstruktionsfehlers fluteten den Güterbahnhof hunderttausende Liter Wasser, die eigentlich zur Darstellung des Nordatlantik bestimmt waren, über den Karl Roßmann – der Protagonist des Kafkaschen Romans „Amerika“ – von Europa nach Amerika schipperte. Mit Kafka hat das Kresnik-Stück unmittelbar nicht mehr zu tun, als Auschwitz mit Guantanamo: beides möchte aber dem Publikum nahe gelegt werden, was nicht schwer ist, denn das Bremer Publikum ist ein deutsches und auch ein bisschen links. Und das mag vor allem bedeuten, dass sich Kresnik – obgleich, so ist zu hoffen, theaterkundige Stimmen die Inszenierung selbst für nicht gelungen befinden werden – der mehrheitlichen Zustimmung in einem Punkt gewiss sein kann: Amerika ist der Untergang der europäischen, ergo deutschen Kultur. Mitnichten geht es Kresnik um eine kritische Auseinandersetzung mit der Politik und Geschichte der USA - sein Stück „Amerika“ steht in schlechter Tradition eines deutschen Antiamerikanismus, der die USA als Repräsentanten eines schrankenlosen Profitstrebens imaginiert, dem Inbegriff eines „zügellosen Kapitalismus“ jenseits aller Moral und Menschlichkeit. Deutschland (und um dieses geht es im Grunde in „Amerika“, nicht um das „good old europe“) erscheint als moralisch integerer Gegenentwurf zum Turbokapitalismus der USA.

Von Burgern und Silikonbusen ebenso wenig haltend wie von Bush, schiebt sich das Publikum auf Blickfang mit dem schlechten Atem des Nachbars im Nacken und den Ellenbogen des anderen im Magen über das Gleis im Güterbahnhof und wird zu dem, was es immer schon sein wollte: einig, deutsch und vor allem gegen Amerika.

Während Felice den Karl Roßmann in wahrer, tiefer und europäischer Weise liebt und im Hochzeitskleid naturverbunden die Wolken und ihren Traum von einem Süßwarengeschäft in der ungerechten und rassistischen Wirklichkeit Amerikas schwinden sieht, verkörpern ihre amerikanischen Geschlechtsgenossinnen ein Bild der Frau, das schon im Nationalsozialismus als Verrat an der Reinheit der deutschen weiblichen Sexualität galt. Während Felice hold und natürlich und ohne böse Absichten ist, sind ihre amerikanischen Schwestern ausgestattet mit einer vor die „wahre Brust“ gespannten Silikonattrappe, und wollen von Karl Sex um des Sexes willen - abseits von wahren, deutschen Gefühlen ganz aus dem Inneren. „Die Wut, dass es nicht die inneren Werte sind, die das Begehren entfachen, sondern der Tand und der Glitter, der käufliche Duft und die unbeständige Mode, speist sich aus und kulminiert in der Wut auf die Ware selber – die Ware, die schließlich das Versprechen in sich trägt, keinem für immer zu gehören, sondern als Geld weiterzuwandern, wohin die Liebe des Besitzers fällt [...]. In der Lust am ungeschmückten Körper begegnet uns die schlechte alte Zivilisationsfeindschaft, die Verachtung der [...] Dekadenz wie der Hass auf Geld und Geist, auf Glück ohne Macht.“[1]

Dieses nationalsozialistische Weltbild kehrt hier in der Inszenierung im antiamerikanistischen Ressentiment wieder: Die Feindschaft gegen weibliche Koketterie und Maskerade verknüpft sich mit der Ablehnung von Amerika, in dem das Geld regiere und die Kultur minderwertig, weil verkäuflich sei. „Auch ‚dem Juden’ wird nachgesagt, er stünde für das bloße Geldverdienen, seine Religion sei ein seelenloser [...] Materialismus; seine Kultur sei ein minderwertiges Nachäffen, das seelenvergiftend [...] die Völker ihrer eigenen Identität entfremden und sie versklaven soll.“[2]

Tauchen in „Amerika“ keine manifest antisemitischen Stereotype auf, so doch explizit ein altbekanntes Motiv des sekundären Antisemitismus, der Abwehr der Schuld der Deutschen an den nationalsozialistischen Verbrechen: auf der Bühne werden VertreterInnen des „good old europe“ (und wie gesagt, in der Inszenierung steht „good old europe“ weniger für Europa als als Chiffre für Deutschland) von Vertretern der USA auf der Bühne schuldig gesprochen: im „Lager“ - man beachte im, nicht für die Errichtung derselben. Roßmann und Felice landen im „Lager“, welches Guantanamo bedeuten soll – assoziativ werden die Deutschen wie islamistische Terroristen gleichsam zu Opfern der USA erklärt. Allen Kriegen der USA wird unter Berufung auf das „Profitstreben“ die moralische Legitimation abgesprochen – damit auch der militärischen Befreiung Deutschlands 1945. „Amerika“ appelliert an das nationale Gefühl, sich - angesichts des „Schurkenstaates USA“ - als (europäische) Deutsche, als Schützer von Frieden, Wahrheit und Recht zu begreifen.

Wer das Stück nicht gut findet, kann so deutsch nicht sein – so fragte Kresnik selbst einen Besucher der Voraufführung am Donnerstag, der akzentfrei seinen Unmut über das Stück äußerte: „Bist Du Amerikaner?“ Und präzisierte die Botschaft seines Spektakels: „Dann raus hier!“ Das auch im Herzen deutsche Publikum hingegen wird von sanften Klängen begleitet hinausgeleitet - vorbei an einer Wand aus Bildschirmen, auf denen ein wildgewordener Donald Duck im Loop die Freiheitsstatue küsst. An der letzten Haltestelle der Volkswanderung erfüllt sich der „anti-american dream“: mit lautem Geklöter kracht die Freiheitsstatue zusammen. Der „Damm der Schuld“ wird gebrochen, die Rache genommen: Im letzten Applaus wird das Publikum bis Ende Juli nicht nur das Ensemble für die Tyrannei eines betrunken pöbelnden Kresnik entschädigen, sondern der symbolischen Vollendung des 11. September Beifall zollen und unter Beweis stellen, wie wenig in Deutschland ein sich als kapitalismuskritisch verstehender Antiamerikanismus mit Kafka und wie viel mit der Bewältigung der nationalsozialistischen Vergangenheit zu tun hat, in der deren Gegner zu Tätern und deren Täter zu Opfern erklärt werden.


Gegen Antiamerikanismus
und deutsche Vergangenheitsbewältigung!

 

 

Antinationale Gruppe Bremen 



[1] C. Dehnert/ L. Quadfasel/ S. Witte: „Wenn Deutsche zu sehr lieben – Sexualität und Geschlechterverhältnis im postfaschistischen Deutschland“ In: initiative not a lovesong (Hg.): „Subjekt (in) der Berliner Republik“. Berlin 2003

[2] F. O. Sobich: „Wallstreet Westbank Weltverschwörung. Über den Zusammenhang von Antisemitismus und Antiamerikanismus“ In: Initiative Antisemitismuskritik (Hg.): „Israel in deutschen Wohnzimmern. Realität und antisemitische Wahrnehmungsmuster des Nahostkonflikts“ Stuttgart 2005


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