Auch in Zeiten flottierender Signifikanten und Subjektivitäten, in denen das Tragen des Palästinensertuchs nicht mehr notwendig von unmittelbarer Identifikation mit dem ‚antizionistischen Widerstand’, dafür aber umso notwendiger von einem beschränkten geistigen Horizont im allgemeinen zeugt, hat die Mode ihre Funktion als politisches Verkehrszeichen nicht eingebüßt: Für Menschen, die sich spätestens nach dem Abitur von der nächstbesten K-Gruppe haben abholen lassen, um fortan in Wohnprojekten und Politzirkeln sozialisiert zu werden, kann die Frage, ob jemand Bionade oder Cola, Abba oder Hardcore, Strawinsky oder Schönberg bevorzugt, bis in die Intimsphäre hinein einschneidende Wirkungen zeitigen. Wem für jede Erfahrung, bevor er sie überhaupt machen kann, klare Ansagen darüber bereitstehen, was an ihr ‚richtig’ oder ‚falsch’ ist, dem gerinnt jedes politische Urteil zwangsläufig zum Geschmacksurteil, jedes Geschmacksurteil zur Politik. Weit davon entfernt, bloße Sphäre von Luxus und Müßiggang in einer vom Primat des Zwecks regierten Realität zu sein, wird Mode zur universalen Verkehrsordnung, nach deren Maßgabe ein jeder entscheidet, in welcher Reihenfolge er welche Menschen kennenlernt, und verrät in solcher Karikatur von Wahlfreiheit das Glücksversprechen, das einmal in ihr beschlossen lag. Zumindest bei dieser Liquidation des bürgerlichen code zivil im Namen eines pluralistischen Kulturkonformismus hat sich die Linke tatsächlich als Avantgarde erwiesen.
Die Aufwertung von Mode als Distinktionsmittel hat indes gerade in der Geschichte linker Bewegungen vergleichsweise geringe Beachtung gefunden. Mode ist stets nur als ‚Ideologie’, allenfalls als symbolpolitischer Nebenschauplatz gesellschaftlicher Entwicklungen, in den Blick geraten. Wo ‚Kultur’ insgesamt als primäre gesellschaftliche Praxis begriffen wird, wird letztlich die soziale ebenso wie die ästhetische Autonomie zerrüttet: Ästhetik als ‚Lebensstil’ gerinnt zur Verdoppelung schlechter Praxis, Gesellschaft als ‚Inszenierung’ zur leb- und zeitlosen Fassade ihrer selbst.
Kritisches Bewusstsein um den Doppelcharakter der Mode, das nicht nur bei Benjamin, sondern auch in der Kulturindustrie-Kritik der „Dialektik der Aufklärung“ in aller Schärfe präsent ist, wird von der linken Politik der Mode, die in den ‚alternativen Lebensentwürfen’ der 68er-Zeit bereits angelegt ist und in postmodernen Konzepten von Performativität und Bricolage zu sich selbst kommt, ausgeblendet. Postmoderne Rollenspielstrategien der Travestie und performative Identitätssubversion fungieren als freiwillige Einübung einer gesellschaftlich ohnehin notwendigen Flexibilisierung und Individualisierung, die auf nichts anderes zielt als auf die totale Identifikation der Subjekte und ihrer Körper mit dem universalen Wertgesetz: Die postbürgerliche Charaktermaske ist kein versteinertes Antlitz, sondern konturlose ‚Einschreibfläche’ multipler Machttechniken, welche die Narren der Mode sich beim globalen Karneval der kulturellen Differenzen als „feine Unterschiede“ selbstbewusst ans Revers heften. Die Mode scheint gänzlich zur Verdoppelung eines schlechten Alltags geworden zu sein, den sie nicht einmal mehr beschönigt, sondern nur noch wiederholt.
Auf der Abendveranstaltung wird es einführend
u.a. anhand Marx’ Kritik der Lumpenbourgeoisie als revolutionstheoretisch irrelevantem Abhub über den hedonismusfeindlichen Protestantismus der Arbeiterbewegung, Adornos Kritik der Kulturindustrie und die Mode als Vorschein einer sowohl utopischen wie katastrophischen Krisensituation bei Benjamin
um eine Kritik an Apologeten der Mode gehen, die u.a. in Anschluss an Pierre Bourdieus Analyse des „kulturellen Kapitals“, sich als Freiberufler durch Konstruktion von ‚Bastelbiographien’, subversive ‚Alltagspraktiken’ und Demontage binärer Oppositionen als kulturrevolutionäre Feldarbeiter betätigen.
Das Tagesseminar gibt Gelegenheit, sich anhand von Texten z.B. von Bourdieu, Adorno, Marx, Benjamin, Lefebvre, Butler, Baudrillard mit der politischen Kritik der Mode vertieft auseinanderzusetzen.