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Wintersemester 2003/2004
GEGEN BILDUNGSSTANDORT DEUTSCHLAND
UND SEINE FANS!
Nein, wirklich viel Interpretationsraum lassen die aktuellen Pläne der politischen Führung im Hochschulbereich nicht. Wer sich die Liste der anstehenden Maßnahmen -Verwaltungsgebühren zwischen 50-100 Euro pro Semester, sowie Studienkonten schon ab nächstem Wintersemester- zu Gemüte führt, kann eigentlich keinen Zweifel daran haben, daß Verschärfung der Selektion, genau das ist, worauf es dem Staat ankommt.
Erstaunlicherweise meinen selbst die, welche gegen die obenerwähnten Schweinereien vorgehen wollen, daß der Politik wohl ein Fehler unterlaufe, vor der sie gewarnt werden müsse. So sind jetzt, wie bei allen StudentInnenprotesten seit Jahren, die Sprüche schwer im Kommen, die den PolitikerInnen die grassierenden Folgen ihrer Beschlüsse unter die Nase zu reiben versuchen: "Herr Lembke, Puildung tud Nod!" . Die Eliten von Morgen malen eine Schreckensversion der tumben Herrschaft der legasthenischen Blödis. Andere Fraktionen der MaßnahmengegnerInnen betonen dagegen eher ihre Bedenken gegen den Streik: Das Bild der faulen Studierenden könnte sonst in der Öffentlichkeit bestätigt werden! Was daran falsch sein soll, bessere Lebensbedingungen für sich zu erkämpfen und warum statt dessen das Anschleimen an das Ressentiment der Volksgemeinschaft angesagt ist, darüber bleiben uns die KommilitonInnen Auskunft schuldig. Und natürlich darf der Evergreen "Bildung ist keine Ware!" in den Argumentationssammlungen nicht fehlen, obwohl dies schier kontrafaktisch ist.
BILDUNG IST EINE WARE. ABER DER PREIS WIRD NOCH VERHANDELT.
Die AutorInnen der Streikzeitung Nr. 1 beschweren sich zum Beispiel über das Überlassen des Bildungsbereiches an die privatwirtschaftlichen Akteure. Diese Akteure orientieren sich nicht an gesellschaftlichen Notwendigkeiten und unterliegen keiner demokratischen Regulation, sondern schlicht dem Konkurrenzprinzip. Was die AutorInnen nicht wissen wollen: das Konkurrenzprinzip ist die Notwendigkeit der kapitalistischen Gesellschaft schlechthin. Wie hier schlägt sich in den bisherigen Debatten um den Streik ein falsch verstandenes Verhältnis von staatlicher Politik und Ökonomie nieder. Es wird davon ausgegangen, daß Politik, gesellschaftliche Notwendigkeit, demokratischer Staat und Ökonomie zwei gegeneinander auszuspielende Pole seien, und so wird an die Politik die moralische Forderung herangetragen, das ökonomische Prinzip der Konkurrenz aus dem Bildungsbereich herauszuhalten.
Der kapitalistische Staat ist jedoch kein Wohltätigkeitsverein. Seine Funktion ist paradox: Einerseits muß er im Interesse des nationalen Wachstums und Fortschritts die Profitmaximierung der PrivatproduzentInnen fördern. Die allgemeine Konkurrenz, der gegenseitige Ausschluß von Produktionsmitteln macht das demokratische Managen der entgegengesetzten Interessen erst nötig. Der bürgerliche Staat muß den EigentümerInnen der Produktionsmittel (KapitalistInnen) ermöglichen, ihren Reichtum durch Kaufen und Gebrauchen (Ausbeuten) der Arbeitskräfte der Menschen, die keine Produktionsmittel und Immobilien besitzen (früher nannte mensch das ProletarierInnen), zu vermehren. Das ist die eine Seite seiner widersprüchlichen Funktion. Auf der anderen Seite erfordert die Aufrechterhaltung der Kapitalverwertung, daß der Staat dem Profitstreben des Einzelnen Schranken setzt. Dies allein gewährleistet, daß im ungebremsten Verlauf des kapitalistischen Verwertungsprozesses dieser sich nicht selbst der Grundlage seines Fortbestehens beraubt.
Dazu gehört eben auch, Bildung zu gewährleisten, aus der hochqualifizierte Arbeitskräfte hervorgehen, da diese nicht von selbst aus dem ökonomischen Bewegungsmechanismus hervorgebracht werden.
Offensichtlich besteht die Tendenz, zugunsten der ökonomisch nutzbaren Bildungszweige, nicht unmittelbar für ökonomische Zwecke einspannbare Wissenschaften entweder konform umzustrukturieren (in der Philosophie Wirtschaftsethik statt Kritischer Theorie, in Kulturwissenschaft Kulturmanagement statt Kulturkritik) oder gleich ganz einzusparen. Schon daraus wird ersichtlich, daß Bildungspolitik und Ökonomie nicht zwei Paar Schuhe sind, sondern Bildung im Kapitalismus gesellschaftlich bestimmt ist. Daß die Teile der Wissenschaft, die nur schwer oder gar nicht einem ökonomischen Zweck unterworfen werden können, nun zunehmend der Streichung zum Opfer fallen, ist dem Ganzen der kapitalistischen Gesellschaft geschuldet, und nicht PolitikerInnen, die falsche Politik machen. Ebenso wie die Tendenz, die Studierenden der - der Möglichkeit nach - profitablen Wissenschaftszweige mit Verringerung der Studienzeit und Gebühren noch schneller und besser auf den Arbeitsmarkt zu bringen.
Wer das rücksichtslose Einzelinteresse unter hoffnungsvoller Bezugnahme auf den Staat im Namen der ganzen Gesellschaft geißelt, der hat auch nicht verstanden, daß der bürgerliche Begriff des Allgemeinwohls eben nicht das Wohl jedeR einzelnen meint, sondern das Wohl des Zwangskollektivs der Nation in Konkurrenz zu den anderen Zwangskollektiven. Und dafür werden von jedem einzelnen Gesellschaftsmitglied Opfer verlangt, wobei vor allem diejenigen, die nur über ihre eigene Arbeitskraft, aber sonst über keine Produktionsmittel verfügen (wir erinnern uns noch - die ProletarierInnen) einen ziemlichen Schaden davon tragen. Dem Konkurrenzprinzip unterliegen sie sowieso, weil längst nicht jede Arbeitskraft zur Ausbeutung gebraucht wird und, wer nicht ausgebeutet wird, ist in dieser Gesellschaft, jetzt auch verstärkt durch die Agenda 2010, noch übler dran. Alle mit geringerer Arbeitskraft, wie alte, kranke oder behinderte Menschen sind dabei für den gesellschaftlichen Verwertungsprozeß gänzlich unattraktiv und werden bislang höchstens noch am Rande geduldet.
In der Universität befinden wir uns aber an einer Institution, wo besonderes gut bezahlte, privilegierte Arbeitskräfte von Morgen ausgebildet werden. Und es versteht sich wohl von selbst, daß es von denen nur wenige geben kann. An StudentInnen gibt es aber gerade viel zuviel, sie liegen dem Staat auf der Tasche und immer viel zu oft produziert die Lernfabrik Überschuß. Die KäuferInnen der Ware Arbeitskraft sind mit dem Angebot an dieser Ware notorisch unzufrieden (siehe PISA), und die Investitionen in die Bildung führen nicht zur erhofften Effektivisierung der Kapitalverwertung.
Da weiß der Staat sofort eine Lösung: Ist der Bedarf an spezifisch qualifiziertem Menschenmaterial gedeckt, was entgegen der Floskel von der Bildungsmisere in Deutschland weitgehend der Fall ist, werden Freiräume abgebaut und Studienplätze gestrichen.
Bildung wird aber nicht erst dadurch zur Ware. An den Hochschulen wird die Ware Arbeitskraft - staatlich subventioniert - entsprechend für die Verwertung geschult und qualifiziert. Und dadurch, daß sie die Ware Arbeitskraft (die untrennbar von ihren Trägern ist) schulen, haben Bildung und Wissenschaft einen eigenen Gebrauchswert.
Folgerichtig scheint es das Bestreben eines Teils der Studierenden zu sein, sich als Ware Arbeitskraft in spe zu präsentieren. So ist der 24-Stunden-Lauf des Stugas Sport auf der einen Seite der Versuch, die eigene sportliche Fitneß und Kondition unter Beweis zu stellen und das Windschutzscheibenputzen am Stern auf der anderen Seite die Drohung, was passiert, wenn eigentlich hochqualifizierte Arbeitskräfte nicht ihrer eigentlich Profession gemäß Anstellung finden. Nicht faul zu sein, nicht unangenehm aufzufallen, Kreativität und Individualität zu beweisen ist der agitatorische Tenor dieser Aktionen. Die Form des Streiks selbst ist Ausdruck dieser verkehrten Motivation. In der Bemühung um kopflose Anbiederei, scheint sich folgende Frage gar nicht zu stellen: wieso und vor allem gegen wen soll überhaupt gestreikt werden. Als Antwort bekommt mensch nur, gegen wen nicht gestreikt werden soll: nicht gegen die ProfessorInnen, nicht gegen die Uni, es soll sich nicht gegen Studierende richten, sondern höchstens an die PolitikerInnen. Daß das nicht die richtige Adresse ist, haben wir versucht darzulegen. Die Frage stellt sich immer noch: Wieso Streik? Wieso den Gang zur "Cafete" komplizierter machen, wieso Lieder singen und schöne Lichterketten, wieso bei Eiseskälte einen Lauf durch die Stadt starten oder in die Weser springen, wieso Leute davon abhalten, alle Veranstaltungen zu besuchen, selbst die, in denen es noch möglich ist, die Waffen der Theorie zu schmieden? Es gibt keine Institution, an welche die einzig vernünftige Forderung zu stellen wäre: Wenn schon nicht Abschaffung der Verhältnisse, dann doch wenigstens einen Raum zu erhalten, so lange es noch geht, in dem Schöngeist und Kritik betrieben werden können, der ökonomische Zwang kommt früh genug! Doch die derzeitigen Studierenden bemühen sich doch lieber, sich als Deutschlands Zukunft in Form von selbsttrainierten Arbeitskraftbehältern den PolitikerInnen anzupreisen, ohne zu merken, daß das kein Widerspruch ist zu dem, was die Politik gerade konsequent versucht herzustellen. Solche Proteste sind eine absolut konformistische Revolte, die genau so kritisiert und bekämpft gehören, wie die Pläne der Politik selbst.
Zu fordern bleibt einzig die Abschaffung der gesellschaftlichen Verhältnisse, die diese Misere - zu der die marktorientierte Studierendenschaft dazugehört- hervorbringen. Möchte mensch die Uni als Raum verteidigen, in dem es bisher noch rudimentär möglich war, Sinnvolles über die Kritik an herrschenden Verhältnissen zu lernen, so ist die Anbiederung an politisch-ökonomische Zwänge das Falsche. Anstatt unangenehm zu sein und etwa die Weihnachtsvorfreude kaputtzumachen, sind die Studierenden mit Lichtlein und Liedlein darum bemüht, bloß nicht unangenehm aufzufallen, sondern zu gefallen, um vom Papa Staat zu Weihnachten ein bißchen weniger Gebühren geschenkt zu bekommen.
Studiengebühren haben das Ziel, die frisch geformten Elite-Arbeitskräfte schneller in die Produktion zu schicken. Sie sollen ein Bummelstudium verhindern. Doch genau dieses gilt es zu erhalten. Bislang bestand noch, mehr schlecht als recht, die Möglichkeit, sich im Studium kritisch zu bilden und, meist auf Eigeninitiative, mit Gesellschaftskritik auseinanderzusetzen, und sich die noch vorhandenen schlauen Bücher in der Bibliothek anzuschauen.
Nicht Appelle an die Politik, sondern allein Proteste können solche Räume erhalten und erkämpfen, aber nur, wenn dessen Inhalte darauf ausgerichtet sind. Wenn sich nicht mit einem Recht auf Bildung (und zukünftiger Ausbeutung) zufriedengegeben wird, sondern gerade die Muße verteidigt und Kritik betrieben wird. Ohne die Abschaffung der herrschenden gesellschaftlichen Zwangsordnung, ohne die Forderung nach Glück aber, bleibt jede gut gemeinte Forderung eine Farce.
Hört auf zu studieren, fangt an zu denken!
Kampf dem Standort, statt alternativer Bildungspolitik!
Gegen Deutschland und seine Zukunft!
Antinationale Gruppe Bremen
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