veröffentlicht in: Klarofix 9/01, Nachbereitungsreader (gekürzt)
Grenzcamp 2001
Nachbereitungspapier der Grenzcamp-AG Leipzig
Inhalt
- Anspruch und Wirkung nach außen
- Wirkung nach innen
Zusammenarbeit mit MigrantInnen
Die Diskussionen über das Camp hinaus führen!
Vernetzung der Antirabewegung zu anderen Teilbereichsbewegungen
Anlaufstelle
- Aktionen
Abschlussaktion
Leipziger Aktion: Amt für wirklich wichtige Arbeit
Pink&Silver
- Organisierung/Vorbereitung/Technik
Mobilisierung
Webjournal
Camp-Zeitung
- Nächstes Camp
Anspruch und Wirkung nach außen
Die Entscheidung nach FfM zu gehen, war die richtige. Denn entgegen anfänglicher Befürchtungen sind wir im Rhein/Main Gebiet nicht untergegangen, sondern konnten mit mehr als 1000 TeilnehmerInnen und mit Aktionen an sensiblen Punkten wie z.B. dem Flughafen, dem Hauptbahnhof und der Börse Aufmerksamkeit in Medien und der direkten Öffentlichkeit erlangen. Eine Vereinnahmung wie letztes Jahr fand nicht statt, da wir erstens sowohl inhaltlich als auch infrastrukturell besser vorbereitet waren. Herausragend an diesem Punkt war die Pressegruppe. Zweitens gibt es die mediale Inszenierung des zivilgesellschaftlichen Antifaschismus nicht mehr in dem Maße wie im Antifa-Sommer 2000. Und drittens gibt es in der Metropole FfM einfach eine liberalere Presse, die ein größeres Interesse an unseren Themen und an kritischen Stimmen hat.
Die (überregionale) mediale Berichterstattung war gut, es wurde über die meisten größeren Aktionen berichtet und dabei auch Inhalte zitiert. Besonders viel Aufmerksamkeit fanden natürlich Aktionen am Flughafen, hier mit freundlicher Unterstützung der Fraport AG. Besonders weil in der Presse auch teilweise unsere Inhalte transportiert wurden, kann mensch die Berichterstattung als positiver als die Jahre zuvor einschätzen. Ein großes Manko war allerdings, dass wir häufig auf unsere Position gegen Abschiebung und Flughafenverfahren reduziert wurden und nur wenige Aktionen, wie z.B. die Börsenaktion zur Thematisierung der ZwangsarbeiterInnenentschädigung und Genuaaktionen, Eingang in die (überregionalen) Medien fanden. Die Schuld hier liegt allerdings nicht nur an der Nicht-Beachtung seitens der Presse, sondern auch daran, dass wir, entgegen anderslautender Bekundungen im Vorfeld, diese Thematik auch einfach schwerpunktmäßig behandelt haben. Die Diskussion um politische Schwerpunktsetzung vs. thematische Vielfalt wurde u.E. nie zu Ende geführt und somit gab es innerhalb des Vorbereitungskreises keinen Konsens zur Gewichtung der verschiedenen Themen. Und obwohl mehrfach die Wichtigkeit der Themen Multikulti-Rassismus und Einwanderungsdebatte bestätigt wurde, gab es zu beiden Themen zu wenig Aktionen.
(Wir sollten nicht zu einem "alle Themenbereiche abdeckenden" Camp werden. Wir haben uns als antirassistisches Grenzcamp das Herrschaftsverhältnis Rassismus herausgesucht und wollen natürlich darüber eine grundsätzliche Gesellschaftskritik formulieren. Allerdings haben wir uns sozusagen aus taktischen Gründen und weil es anders gar nicht zu bewerkstelligen ist, das Thema Rassismus und dessen Zusammenhang zu anderen Herrschaftsverhältnissen herausgesucht.)
Der Erfolg eines Camps läßt sich jedoch nicht nur an TeilnehmerInnenzahl, der Anzahl der durchgeführten Aktionen und dem Presseecho messen, sondern es stellt sich auch die Frage, inwieweit politische Forderungen erfüllt wurden oder wir ihnen zumindest ein Stück näher gekommen sind. Ganz nüchtern betrachtet sind unsere Forderungen z.B. nach Schließung des Internierungslagers und Abschaffung des Flughafenverfahrens natürlich nicht erfüllt worden. Was wir allerdings erreicht haben, ist an dem Image des sich weltoffenen gebenden Rhein/Main Flughafens zu kratzen und somit auch am Image der Fraport AG und diese in Bedrängnis zu bringen. Und auch wenn es keine direkten Erfolge wie z.B. bei der deportation class Kampagne zu berichten gibt, sind wir nicht total demotiviert und uns im Klaren darüber, dass wir nur in klein(st)en Schritten vorwärts kommen werden.
Wirkug nach innen
Zusammenarbeit mit MigrantInnen
Trotz aller guten Vorsätze: Das 4. Grenzcamp war, wie seine Vorgängerinnen auch, ein überwiegend weißes, deutsches Camp. Die Beteiligung von MigrantInnen war zwar numerisch größer als in früheren Camps, aber prozentual kaum höher und: sie beteiligten sich nur am Rand. Inhaltlich waren Flüchtlingsgruppen dieses Mal aber stärker präsent als in den Vorjahren, so wurde der inhaltliche Schwerpunkt "Residenzplicht" von The Voice gesetzt und im Camp aufgegriffen. The Voice muß sich in diesem Zusammenhang die Kritik gefallen lassen, sich immerfort, also auch im Zusammenhang mit Themen, wo der Schwerpunkt eindeutig anders lag, auf die Residenzpflicht zu beziehen.
Wo sich Flüchtlinge beteiligten, zeigte sich seitens der deutschen Antira jedoch auch Schwierigkeiten, mit ihnen gleichberechtigt umzugehen. Das bezieht sich nicht nur auf inhaltliche Zusammenarbeit, sondern auch auf den politischen Umgang.
Einerseits ist das sicherlich ein Sprachproblem, die Übersetzung von Redebeiträgen klappte mal wieder eher schlecht als recht, Diskussionen kommen so gar nicht erst in Gang. Auch eine Übersetzung grundlegender Papiere und Diskussionsbeiträge in schriftlicher Form gab es nicht, das müsste verbessert werden.
Wir schlagen daher vor: Das Konzept eines Extratreffens zur Koordination für potentielle ÜbersetzerInnen (Farbkennzeichnung, Übersetzung von Diskussionsrunden und -papieren), sollte im Vorfeld und zum Auftakt eines Camps mehr gepusht werden, ruhig mit einer ordentlichen Portion moralischen Drucks, damit diese Aufgabe (der Koordination) nicht von der Vorbereitungsgruppe, sondern von den CampteilnehmerInnen selbst wahrgenommen wird.
Aber das ist nur ein Schritt. Beispielhaft für bestehende Kommunikationsbarrieren ist die Sexismus/Rassismusdebatte, wo seitens der Flüchtlinge eine gemeinsame Veranstaltung über die spezifische nordamerikanische-europäische Sexismusdiskussion eingefordert wird, die sie oft nicht kennen. The Voice äußerte dann auch im Abschlussplenum Verwunderung, dass vehement eine Diskussion über Sexismus auf dem Camp eingefordert wurde, während die deutschen TeilnehmerInnen des Camps bei der von The Voice vorbereiteten Diskussionsveranstaltung zu Rassismus und Gender mit Abwesenheit glänzten. Und die wenigen von uns, die beim Abschlussplenum bis in die frühen Morgenstunden ausharrten und mit Flüchtlingen gemeinsam über Sexismus diskutierten, berichteten, dass für die Flüchtlinge die von uns deutschen AntirassistInnen jeder Diskussion als Grundlage dienende und für uns ganz selbstverständliche Definition des Begriffes Sexismus/bzw. sexistischer Verhaltensweisen ganz und gar nicht klar war. Für uns ein klares Beispiel für mangelnden Austausch ganz grundlegender Definitionen und der daraus entstehenden Missverständnisse, die ein Weiterdiskutieren von vornherein dem Scheitern aussetzen. Der von The Voice geäußerte Vorschlag, vor einem nächsten Camp, ein gemeinsames Diskussionswochenende zu Sexismus und Rassismus zu veranstaltet, sollte von uns unterstützt werden, wenn wir ein glaubwürdiges Interesse an zukünftigen gemeinsamen Diskussionen und Zusammenarbeit haben.
Kritik in anderer Richtung wurde von der Flüchtlingsinitiative Brandenburg geäußert: sie wären nicht eingeladen bzw. nicht vorher einbezogen worden, so dass der für sie ungünstige Termin des Camps nicht verschoben wurde. Ein weiteres Beispiel unserer Ignoranz? Wir sind da allerdings der Meinung, es kann keine besonderen "offiziellen" Einladungen der Campvorbereitung geben, sondern die Einladung zur Vorbereitung und Teilnahme sollte durch lokale Kontakte und Initiative erfolgen. Dabei sollte bei der Einladungspraxis berücksichtigt werden, dass Flüchtlinge ihre Informationen nicht in dem Maße aus den einschlägigen linken Publikationen entnehmen, wie es deutsche Gruppen tun und es daher durchaus des konkreten Ansprechens Nichtdeutscher Gruppen bedarf, damit mehr MigrantInnen mitmachen.
Die Diskussionen über das Camp hinaus führen!
Die großen inhaltlichen Diskussionsveranstaltungen auf dem Camp selbst, dienten eher der Information, der Vermittlung des Diskussionsstandes, sowie dazu, bestimmte Themen oder Kampagnen zu pushen. Eine tiefergreifende Debatte erscheint uns während des Camps aufgrund der begrenzten Zeit auch gar nicht durchführbar - warum sollten zum Beispiel Diskussionen, die sonst (auch in bundesweiten Zusammenhängen) nicht befriedigend geführt werden, nun plötzlich, nur weil der Rahmen "Grenzcamp" heißt, anders laufen? Unabhängig von zeitlichen limits spielen dabei auch Unterschiede im Wissens- und/oder Diskussionsstand eine Rolle, die sich ebenfalls nicht innerhalb einer Woche angleichen lassen. Und niocht zuletzt setzt auch die Anzahl der TeilnehmerInnen der Diskussion von vornherein Grenzen. Umso wichtiger sind die zahlreichen im Vorfeld auf Mailinglisten und den Vorbereitungstreffen und in den Workshops auf dem Camp geführten Debatten und die sie begleitenden Diskussionsmaterialien wie die Zeitung zur Podiumsdiskussion "Jeder Mensch ist ein Experte" , die Diskussionen über das Camp hinaus anschieben und Kampagnen anregen.
Einwanderungsdebatte
"Jeder Mensch ist ein Experte" - viel Kritik gab es an diesem Motto, welches auch auf unseren Plakaten Verwendung fand. Allerdings hat wohl niemand bemerkt, dass wir uns damit nicht in der kritisierten Art auf die ExpertInnen-Diskussion bezogen. Vielmehr wollte der erklärende Text klar machen, dass der ExpertInnen-Diskurs eine sehr zynische Kompenente hat. Nicht nur erst in neuester Zeit hilft der ExpertInnen-Bonus bei der Einreise nach Deutschland, sondern schon immer verlangte das Grenzregime ein ExpertInnentum, um überhaupt hier einzureisen. Auf dem Plakat stand: "Um dieses feinmaschige Netz" der inneren und äußeren Grenzen "zu überwinden, bedarf es eines ganz besonderen Expertenwissens. Viele bleiben dabei auf der Strecke. Sie sterben bei dem Versuch, die deutsche Grenze zu überwinden, in deutschen Abschiebeknästen und bei ihrer Abschiebung." Zugegebenermaßen ziemlich oldstyle, aber deswegen nicht falsch. An genau diesem Punkt knüpften wir auch mit unserer Arbeitsamt-Aktion in Frankfurt während des Camps an (siehe unten). Wir vermittelten u.a. hochqualifizierte Jobs als SchlepperIn. Die ursprüngliche Bedeutung "Jeder Mensch ist ein Experte" ist dabei genauso systemimmanent wie "Kein Mensch ist illegal" - deswegen verstehen wir auch die Aufregung der KMII-Gruppen auch nicht so recht.
Nun war das Camp allerdings auch mit den neueren Diskussionen um ExpertInnen (oder genauer gesagt: der Einwanderungsdebatte) konfrontiert. Im Vorfeld wurde dies als wichtiges Thema postuliert, welches auf dem ganzen Camp eine Rolle spielen sollte. Als Höhepunkt war die "Talkshow" am Sonntag abend geplant. Da wir die Wichtigkeit dieser Debatte teilen, möchten wir gesondert darauf eingehen.
Die Hoffnung, auf der "Talkshow" die Debatte führen zu können, wurde durch die technischen Mängel, die schleppende Übersetzung und den späten Beginn gründlich zerstört. Wir hatten uns zwar mehr von der Veranstaltung erhofft, aber auch nicht viel mehr. Bei einem so großem Thema und einer solchen Vielzahl von Leuten (sowohl im Podium als auch im Publikum) ist an eine Diskussion nicht wirklich zu denken - es hatte allenfalls Proklamationscharakter. Wir denken allerdings, dass durch die Extra-Zeitung für die Veranstaltung (was eine sehr gute Idee war!), die Folgeveranstaltungen und die Diskussionen vor und nach dem Camp eine gute Grundlage für eine weitere Auseinandersetzung mit dem Thema geschaffen wurde. Das Camp hat also nicht viel gebracht, ohne Camp hätten sich aber auch viele Gruppen gar nicht die Mühe gemacht, darüber zu diskutieren.
Da wir uns selber noch in der Diskussion befinden, können wir inhaltlich im Moment nicht viel beisteuern. Nur so viel: Zum einen sprechen wir der aktuellen Entwicklung ab, neu zu sein. Bei unserer Beschäftigung mit der AusländerInnenpolitik der letzten beiden Jahrhunderte (siehe unser Referat auf von einer Veranstaltung in Leipzig: http://www.nadir.org/nadir/initiativ/ci/nf/79/23.html) haben wir mehr überraschende Kontiunitäten als Brüche entdeckt. Natürlich gibt es momentan gerade Diskursverschiebungen, die es aber schon immer mal gab und nichts an den Grundlagen der herrschenden Politik ändern. Zum anderen - und das folgt für uns unmittelbar daraus - teilen wir die momentane Euphorie nicht. Da wird von vielen "eine Chance für die Linke" gewittert, über Legalisierungskampagnen geredet, behauptet, dass wir Diskurse bestimmen könnten, die soziale Frage neu ins Spiel gebracht, eine zu nutzender Interessensgegensatz zwischen Staat und Kapital herbeihalluzioniert, der rassistische Konsens gilt als aufgebrochen, die Abschottungs- müsse der gezielten Einwanderungspolitik weichen. Das modernisierte Migrantionsregime wird auf Erfolge der MigrantInnen zurückgeführt, die mit ihren Kämpfen oder der einfachen Tatsache ihres (vermeintlich ungewollten) Hierseins diese Änderung erzwungen hätten. (All dies sind von vielen Gruppen geteilte Meinungsäußerungen aus den Diskussionsbeiträgen in der Mailingliste bzw. in der Zeitung zur Talkshow.)
Dass die aktuelle Politik nicht ein Ergebnis der Schwäche, sondern vielmehr der Stärke des "Systems" ist, dämmerte einigen, als Schily seinen Gesetzesentwurf präsentierte. Früher wurde noch zu Recht kritisiert, dass die imperialistischen Verhältnisse Menschen zur Flucht zwingen: aus wirtschaftlichen und ökologischen Gründen, aufgrund von Bürgerkriegen etc. Die relative Armut auch der "indischen ComputerexpertInnen" oder der polnischen SaisonarbeiterInnen macht diese Menschen nun heute nicht plötzlich zu selbstbestimmten Wesen, die durch ihre Migration hier die Verhältnisse zum Tanzen bringen. Sie sind Spielball der staatlichen und ökonomischen Interessen wie auch schon in den letzten Jahrhunderten. Natürlich gibt es Kämpfe der MigrantInnen, welche Erfolge und Mißerfolge sie zu verzeichnen hatte, lehrt ein Blick in die Geschichte. Und natürlich muss darauf gesetzt werden, was anderes bleibt ja nicht übrig, allerdings verwundert uns, warum jetzt plötzlich neue Interventionsmöglichkeiten entstehen sollen. Es sieht doch eher danach aus, dass die bestehenden dicht gemacht werden. Die Modernisierung des Migrationsregimes läuft ja gerade darauf hinaus, die Migration den Bedürfnissen der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft anzupassen.
Vernetzung der Antirabewegung zu anderen Teilbereichsbewegungen
Obwohl es eingefahrene Positionen, Konkurrenzen und Eitelkeiten gibt: die politisch-strategische Debatte wurde mehr als in anderen Jahren geführt, nach Möglichkeiten der Zusammenarbeit wurde gesucht.
Zum Beispiel mit der Antifa: Schon immer begreift sich das Grenzcamp als "Experimentierfeld" für eine bessere Zusammenarbeit von Antifa und Antira. Bei den meisten TeilnehmerInnen und OrganisatorInnen wird Antifa immer mitgedacht und als mit antirassistischer Politik verwobener Politikbereich verstanden. Natürlich lag das Thema Antifa in diesem Jahr nicht so sehr auf der Hand wie in den Jahren zuvor, als das Camp im Osten stattfand. Dort standen antifaschistische Themen quasi zwangsläufig auf der Tagesordnung: auf der einen Seite, weil der Begriff "national befreiter Zonen" dort eine ganz andere, nämlich faktische Bedeutung hatte, auf der anderen Seite, weil eher Leute aus dem klassischen Antifaspektrum in die Campvorbereitung involviert waren. Und natürlich gab und gibt es "beiderseits" unterschiedliche Herangehensweisen und Vorurteile. Als Beispiel seien hier in praktischer Hinsicht die vielfältigeren, bunteren, spaß- und kommunikationsguerillaorientierteren Aktionsformen antirassistischer Gruppen genannt. Für die inhaltlichen Unterschiede ist beispielhaft die in Antirakreisen immer noch stark präsente und von Antifagruppen kritisierte sozialarbeiterische Ausrichtung bei der Zusammenarbeit mit Flüchtlingen. Andersherum wird die Antifa von vielen Antiragruppen auf eine reine Anti-Nazi-Bewegung reduziert, auch wenn in diesem Jahr gerade die vom Camp ausgehenden Antifaaktionen einer solch verkürzten Sicht widersprachen, da sie eher gesellschaftliche Zusammenhänge und die rechte Mitte thematisierten.
Das Interesse an der Diskussion um Zusammenarbeit und an antifaschistischen Themen war jedenfalls in Frankfurt ganz klar vorhanden. Zum ersten Mal fand auf dem Camp eine von einer Antifagruppe (dem BGR Leipzig) vorbereitete Veranstaltung statt, die sich nicht mit der Vermittlung klassisch antifaschistischer Hintergrundinfos befasste, sondern die Analyse des BGR zu Perspektiven gemeinsamer Antifa- & Antirapolitik zur Diskussion stellte. Antirassistische Events wie das Grenzcamp zu promoten auf denen sich Schnittpunkte und Diskussionen über eine Zusammenarbeit anbieten, war auch die Intention die zur Antira-Antifa-Veranstaltung auf dem Kongress in Göttingen führte, deren Fortsetzung die BGR-Veranstaltung auf dem Camp war. Zwar wurde auch bei dieser Veranstaltung viel aneinander vorbeigeredet und gegenseitige Vorurteile bedient. Die Anzahl der Teilnehmenden sprach aber für ein breites Interesse an der Diskussion.
Ein praktischer Ansatz einer möglichen Zusammenarbeit könnte zum Beispiel eine von Antira- und Antifazusammenhängen organisierte Demonstration gegen das Ausländerzentralregister in Köln sein.
Auch mögliche Schnittstellen mit der "Antiglobalisierungsbewegung" wurden diskutiert. Genua war ständig präsentes Thema auf dem Camp. Viele der TeilnehmerInnen waren dort, Genua wurde als Teil der internationalen Campkette betrachtet und mit der Inhaftierung der Leute der Volxtheaterkarawane war die Repression für das Camp ganz konkret spürbar: Die Beschäftigung mit der Thematik Genua und darüber mit der "Antiglobalisierungsbewegung" lag erst mal klar auf der Hand.
Wo sich in der Solidarisierung mit den in Italien inhaftierten noch alle einig waren, gingen die Meinungen sonst jedoch weit auseinander. Viele begreifen sich als Teil der Antiglobalisierungsbewegung und stellten das Camp in eine Reihe mit den Protesten von Genua (die von MigrantInnengruppen getragene Auftaktkundgebung in Genua, war über die Nennung bei unseren Aktionen/Redebeiträgen hinaus leider kaum Thema). Andere distanzierten sich von dieser sehr heterogenen Bewegung, aufgrund der nicht zu leugnenden antisemitischen Konnotationen und positiven Bezüge auf den nationalen Wohlfahrtsstaat. Besonders deutlich wurde das an der Diskussion im Abschlussplenum über den offenen Brief an die Antiglobalisierungsbewegung. Wir halten es für sehr wichtig, die Entwicklung kritisch zu begleiten und zwar über die eingeforderte und bisher zu wenig geführte inhaltliche Auseinandersetzung. Ob die Antiglobalisierungsbewegung über den möglichen Wegfall der Gipfeltreffen hinaus überhaupt fortbesteht und inwieweit sie im nächsten Jahr und damit für ein nächstes Camp eine Rolle spielt, wird sich zeigen.
Anlaufstelle
Das mögliche Vorhandensein der Anlaufstelle wurde schon im Vorfeld für ein lustfeindliches Camp verantwortlich gemacht (Kurt und Lotte Rotholz, camp01-Mailingliste, 25.07.01). Die selbsternannten Sexismus-ExpertInnen holen also dass ganz alte Totschlagsargument aus dem Keller der Backslash-Bewegung: Feminismus und Antisexismus ist lustfeindlich und repressiv. Dabei war es einer der ersten Erkenntnisse der Frauenbewegung, dass Sexismus soviel mit Sexualität zu tun hat, wie ein Grenz-Camp mit einem real-sozialistischen Ferienlager. Sexismus ist ein gewalttätiger Ausdruck des patriarchalischen Herrschaftsverhältnis. Antisexismus und Feminismus ist somit die Grundbedingung für eine befreite Sexualität (und nicht ihr Gegenteil!), auch wenn über bestimmte Formen, dies in der Praxis umsetzen, diskutiert werden kann und muss. Eine Form davon sollte die Anlaufstelle sein. Am ersten Konzeptpapier zum ursprünglich so genannten "Konfliktgremium" hatten wir Kritik (Grenzcamp AG Leipzig, camp01-Mailingliste, 13.06.01), wir stimmten mit den grundsätzlichen Überlegungen allerdings überein. Uns ist es wichtig, in diesem Zusammenhang zu betonen, dass solche Sachen wie Definitionsrecht und Sanktionen natürlich nichts emanzipatorisches an sich haben und einer linken Utopie-Vorstellungen zuwider laufen. Allerdings leben wir noch nicht ganz in der Utopie. Und somit müssen wir uns mit den herrschenden Verhältnissen auseinandersetzen. Das quasi militärisch organisierte Schutzkonzept (mit Funkkennungen aus dem NATO-Alphabet!) wird auch von niemanden in Frage gestellt. Ähnlich verhält es sich mit der Anlaufstelle. Wir hielten sie in der abschließenden Konzeption (camp01-Mailingliste, 16.07.01) für ein angemessenes und diskussionswürdiges Instrumentarium, um - so steht es im Konzept - eine "Sensibilisierung alle Teilnehmenden" zu bewirken, "einen Schutzraum für Betroffene zu gewährleisten" , "professionelle ... Hilfe zu organisieren", mit Anbindung an das Delegierten-Plenum und nur eingreifend, "wenn das ... Umfeld nicht mehr weiter weiß oder wenn eine betroffene Person vertrauenswürdigen Schutz sucht." Wir lesen dort also nichts von einem "totalitärem ... Fürsorgeregime" mit "politischen Repressionswillen", "Polizeijargon" und "Gewaltfantasien", die einer "rechten Ideologie" entspringen würden (alle Zitate: Kurt und Lotte Rotholz). Diese Vermischung von zwei Diskussionen, die nicht viel miteinander zu tun haben (nämlich: Umgang mit sexistischem Verhalten in der Praxis einerseits und anderseits eine theoretische Diskussion über eine befreite Gesellschaft mit einer emanzipatorischen Sexualität), sorgt dafür, dass die DiskutantInnen permanent aneinander vorbeireden. Dies ist unserer Meinung nach aber nur selten ein dummer Zufall, sondern der leicht zu durchschauende Versuch, sich der Auseinandersetzung zu entziehen. Denn jene, die immer, wenn es um Sexismus geht, lauthals einfordern, mensch müsse lieber darüber reden, wie mensch sich "ein gutes Leben für sich selbst vorstellt", können dies ja gern tun, nur tun sie dies nicht - dieser Wunsch, sich über linke Sexualität, Beziehungen u.ä. auseinanderzusetzen, funktioniert nämlich nur als antifeministischer Reflex.
Wir finden es schade, dass der Versuch "Anlaufstelle" nicht gewagt wurde. Alle zukünftigen Diskussionen über ein solches Gremium entbehren nun einer praktischen Grundlage. Uns ist nicht ganz klar, warum kurz vor dem Camp ein Rückzieher von den Anlaufstellen-Personen gemacht wurde. Wir können allerdings verstehen, wenn sie sich aufgrund der massiven Kritik und der kontroversen Diskussionen im Vorfeld sowie die mangelnden Beteiligung bei einer kontruktiven Auseinandersetzung verunsichert gefühlt haben. Wir halten es allerdings für unehrlich, so zu tun, als ob die Umsetzung der Anlaufstelle offen sei und am Dienstag auf dem Camp diskutiert werden könnte. Zu Beginn des Camps war uns bei dieser Ausgangslage klar, dass es die Anlaufstelle nicht geben wird. Die Diskussion um die Anlaufstelle hat sich damit für uns natürlich nicht erübrigt.
Symptomatisch ist natürlich auch die geringe Beteiligung an der Diskussion nach dem Camp. Im ersten Beitrag (08.08.01) werden aus einer solidarischen Perspektive berechtigte Einwände gegen die Anlaufstelle eingebracht: "Könnte ich das denn machen". Gefragt wird nach der "Qualifikation" der Anlaufstellen-Menschen. Fazit: "Die Kompetenz des Umgangs mit sexistischen Übergriffen ... stellt sich meiner Meinung nach nur über eine Debatte wie die geführte her, nicht über Anlaufstellen." Doch die Anlaufstelle sollte nicht mehr sein, als genau solche Debatten auf dem Camp anzuschieben und vorzubereiten. Und da wären wir wieder bei organisatorischen Fragen und der Konsumhaltung. Wir sind nicht so weit, eine solche Debatte ins Blaue hinein zu führen. Es war also gut, dass die Diskussion vorbereitet wurde.
Aktionen
Im großen und ganzen meinen wir ein breitgefächertes Spektrum an gut vorbereiteten und in der Konsequenz gelungenen Aktionen gesehen zu haben. Dies bezieht sich sowohl auf die inhaltliche Ausrichtung, als auch auf die konkrete Ausgestaltung. Teilweise hat sich mensch Themenkomplexen von verschiedenen Richtungen genähert. Beispiel hierfür ist das Thema Zwangsarbeit, das durch eine Kombination inhaltlicher Veranstaltungen (sowohl für GrenzcamperInnen, als auch für Leute von außerhalb) und konkreter Aktionen aufgegriffen wurde.
Hinter den eigenen Ansprüchen zurückgeblieben sind wir, was die Schwerpunktsetzung anbelangt: so ist es leider nicht gelungen sämtliche, im Vorfeld formulierten, Schlüsselthemen in ähnlich wirksamer Weise aufzugreifen. Während etwa der Komplex Flughafen-Innere Grenzen-Abschiebung die ihm gebührende Aufmerksamkeit erhielt, sind die Themen Multikultirassismus, Arbeitsmigration und Entwicklungen auf EU-Ebene eher randständig geblieben. Ein wichtiges Kriterium zur Beurteilung von Aktionen ist deren konfrontativer Gehalt bzw. deren Offensivität. Wenn mensch Konfrontation nicht kurzschlußartig mit Militanz gleichsetzt, sondern darunter ein konsequentes, bewußt die inhaltlichen Differenzen (und damit verbundenen unterschiedlichen Legitimitätsauffassungen) betonendes Auftreten versteht, so hatten viele Aktionen einen offensiven Charakter. Als Beispiele könnten die Aktionen auf dem Flughafen oder auch die im Hauptbahnhof genannt werden. Aufgrund des größtenteils eher auf Deeskalation ausgerichteten Verhaltens der "Ordnungshüter" ist es vermehrt möglich gewesen, Inhalte zu vermitteln.
Abschlussaktion
Gesondert von der allgemeinen Einschätzung der Aktionen soll nun konkret auf die Abschlußaktion eingegangen werdem. Zum einen liegt das in der herausgehobenen Stellung dieser Aktion im Ablauf des Camps begründet, zum anderen gab es schon auf dem Camp (erfolglose) Bemühungen, zu einer Bewertung zu gelangen.
Wir können uns einer Sichtweise, die alles schwarz malt und in der Aktion lediglich ihr Scheitern sehen kann, nicht anschließen. Vielmehr war die Demonstration für uns durch eine starke Heterogenität gekennzeichnet. Proklamiertes Ziel war es der Forderung nach Schließung des Internierungslagers im Flughafen Aus- und Nachdruck zu verleihen. Im "Black Block" und bei Pink&Silber war die dafür nötige Offensivität durchaus erlebbar. Positiv hervorzuheben sind unserer Meinung nach der symbolische Versuch die Bullenketten zu durchbrechen, die Angriffe auf Videokameras aus der Demo heraus, sowie die offensive Anreise zum Flughafen. Andere Teile der Demo verhielten sich teilweise lethargisch bzw. konnten sich nicht über Latschdemo-Niveau hinaus steigern.
Insgesamt ist das Potential der Aktion nicht ausgeschöpft worden. So hätte sowohl die Situation "vor" dem Internierungslager als auch der Rückzug besser ausgestaltet werden können.
Auf die Frage warum die Demo so über die Bühne gegangen ist, wie sie es letztendlich tat, gibt es mehrere Antwortmöglichkeiten. Ein Aspekt ist sicherlich die Vorbereitung: Das Demokonzept hätte in einem größeren Rahmen und früher diskutiert werden sollen. Die Form eines ausgelagerten Deli-Plenums war zu konspirativ und im Nachhinein betrachtet daher eventuell kontraproduktiv. Zum einen hätte eine breiter angelegte Diskussion des "was" und des "wie" im Vorfeld in eine ausgefeiltere Aktion münden können, zum anderen sind Teile des Camps (die Uneingeweihten) erst sehr spät mit dem Demoablauf vertraut gemacht und daher (bzgl. verschiedener Eskalationsniveaus, Erwartungen, etc.) überrannt worden.
Abschließend noch ein paar Gedanken zu Pink&Silber bei der Demo: Gut geklappt hat die Einbettung des offensiven Konzeptes in die P&S Konzeption. Die am Vorabend der Demo durchgeführten Einführungsveranstaltungen zu Sinn und Technix von P&S waren hilfreich, allerdings nur für die, die tatsächlich daran teilgenommen haben. Leute, die während der Demo in unterschiedlichen P&S-Bezugsgruppen waren, merkten an, daß es einen sehr starken "Stille Post"-Effekt gab und die Info eines Deli-Treffens auf der Demo gruppenabhängig doch recht unterschiedliche Gestalt angenommen hat, was in der Konsequenz ein offensives Vorgehen verhinderte.
Amt für wirklich wichtige Arbeit
Bevor es um die Aktion an sich geht, wollen wir noch einmal zu betonen, wie wichtig und gut es ist, innerhalb einer Gruppe eine Aktion längerfristig vorzubereiten. In Leipzig ist das dieses Jahr zum erstem Mal geschehen und unsere Erfahrungen sind durchweg positiv: erstens hat mensch mehr Zeit für die Ausgestaltung und damit zusammenhängen wird zweitens eine intensivere thematische Auseinandersetzung befördert und Diskussionen angestoßen.
Die Idee, die dem "Amt" vorausging, war, eine Aktion zum Thema Multikulti-Rassismus, Einwanderungsdebatte und Arbeitswahn im Rahmen des Innenstadtaktionstages zu machen. Besonders wichtig war uns eine Kritik am Multikulti-Rassismus, weil wir fanden, dass trotz mehrmaliger Beteuerungen, dass uns als Camp(vorbereitung) das Thema wichtig ist, es mit Aktionen zum Thema eher dünn aussah. Dafür sind wir in das Arbeitsamt in FfM gegangen und haben das "Amt für wirklich wichtige Arbeit" eröffnet, in dem 4 MitarbeiterInnen versucht haben, 4 verschiedene Stellen zu vermitteln: SchlepperIn, FaulenzerIn, PizzabäckerIn und BankräuberIn. Wir hatten ein Flugblatt für die Aktion, in dem Kritik an der Einwanderungsdebatte, an Arbeitswahn und Multikulti-Rassismus geübt wurde, und für jede der Stellen eine Stellenbeschreibung vorbereitet. Auf der Rückseite haben wir unsere Spaßaktion in Form von Thesen zu Kriminalisierung von Fluchthilfe, Arbeitswahn/Faulenzerdebatte, Multikulti-Rassismus und Kapitalismus(kritik) "aufgelöst". Leider konnte die Aktion aufgrund von Polizeipräsenz und dem "beherzten Eingreifen" diverser Angestellter, die uns unsere Geschichte nicht abnahmen, nur in eingeschränkter Form stattfinden.
Pink&Silver
Gegen "US-amerikanische Kulturmomente" (Uschi) hegen wir keine Abneigung, schliesslich sind und waren sie Garant für wenigstens ein wenig Zivilisierung der deutschen Gesellschaft. Aber darum geht es unseres Erachtens bei pink&silver gar nicht. Was wir daran gut finden, ist vielmehr, dass pink&silver a) für Verunsicherung und Aufmerksamkeit auf Seiten der Polizei, Presse und Bevölkerung sorgt und somit eine interessante Form der Kommunikationsguerilla ist. Dieses Konzept wird sich natürlich irgendwann totlaufen, aber jetzt ist es neu & hip und bringt uns nur Pluspunkte. Es ermöglicht einen kreativen Umgang mit eingestaubten Demo-Ritualen (Parolen rufen, Stimmung machen, Vermummung, Polizei bei ihrer Arbeit behindern etc.). B) pink&silver ist für uns das Gegenteil von individualisierter Mackermilitanz (Stein schmeissen, am besten in die eigene erste Reihe, abhauen, rumprahlen). Die umfangreichen Übungen und die ausgefeilte und effetive Deli-Struktur während der Aktion bietet all jenen die Möglichkeit, sich einzubringen, die keinen Bock drauf haben, sich bei oder wegen besinnungslosen Gewaltaktionen den Kopf hinhalten zu müssen. Es gibt ein kollektives Umgehen mit den Ängsten, die angesicht der Polizeigewalt entstehen, und ein Konfrontationsnivau, dass durch uns bestimmt wird. Klar ist pink&silver kein Patentrezept, welches all unsere zukünftigen Demos retten wird, aber eine sinnvolle Ergänzung zum Black Bloc oder anderen militanten Konzepten (und zu den ganzen lahmen Nicht-Blöcken sowieso)!
Organisierung/Vorbereitung/Technik
In dem Nachbereitungspapier von Uschi (camp01-Mailingliste, 22.08.01) aus Berlin ist die Rede davon, dass das Camp eher den Charakter eines "real-sozialistischen Ferienlagers mit informeller Hierarchie" hatte, als einem "emanzipatorischen, selbstorganisierten Experiment von temporär anderer Gesellschaft" zu gleichen. Die Diffamierung mit dem Ferienlager können wir postwendend dementieren, denn dafür sind wir ExpertInnen. Was es mit einem "emanzipatorischen, selbstorganisierten Experiment" auf sich hat, ist uns dagegen nicht so ganz klar. Wenn es der Traum ist, dass 1.500 Menschen in einer Woche mit weniger als der vorhandenen Vorbereitung und Struktur alles geregelt bekommen, dann würde das unserer Meinung nach eher in einen Albtraum münden. Will heißen: Wir denken, dass alles recht gut gelaufen ist. Die (nicht organisierten oder in die Vorbereitung eingebundenen) Camp-TeilnehmerInnen haben sich insoweit eingebracht, wie es ihnen möglich war (Vokü, Schutz, Diskussionen, Aktionen etc.) - mehr zu erwarten, ist illusionär. Wir denken, dass sich das Camp sehr deutlich von einem "Festival" unterschied - und die wenigen Sachen, die mehr oder weniger wie auf einem Festival funktionierten (Dixi-Klos u.ä.), waren gut, dass sie so funktionierten. Wir hatten nicht den Eindruck, dass die "Konsumhaltung" stärker war als die Jahre zuvor. Wir finden es gut, wenn Leute auch nur ein paar Tage vorbeikommen und halb Urlaub machen. Noch besser finden wir es, wenn "strategische Überlegungen ... von den jeweiligen Aktionsgruppen überlegt" werden und im Deli-Plenum zur Kenntnis genommen (was in oben genannter Mail kritisiert wird). Denn wir denken, das Camp steht und fällt nicht unbedingt mit den TeilnehmerInnen, deren Motivationen und Erfahrungen zu heterogen und deren Anzahl einfach zu gross ist, sondern mit den organisierten Gruppen, jenen Gruppen, die auch in der Vorbereitung eingebunden sind und auf dem Camp mehr oder weniger die Verantwortung für alles tragen. Eventuell entstandener Frust über Vorbereitung und Ablauf des Camps trifft also eher diese Gruppen als die Gesamtheit der CampteilnehmerInnen. Wir denken allerdings, dass auch da alles recht gut geklappt hat, auch wenn die Überlastung der Frankfurter Gruppen einerseits logisch, anderseits milderbar gewesen wäre. Kritik am "Konsumverhalten" darf unserer Meinung nach maximal dazu dienen, mehr Gruppen dazu zu bewegen, sich in die verbindlich Vorbereitung einzuklinken.
Zum Delegierten-Plenum möchten wir noch anmerken, dass das Vorhaben, dort inhaltliche Diskussionen zu führen, sich leider nicht realisieren ließ. Es war eher ein Organisations-Plenum. Wir halten das diesjährige Konzept (nur 3 große Plenas, ansonsten Deli-Plenum mit Rückkopplung an die Städte-Plenas) jedoch für das Beste. Ein großes Plenum ist noch ungeeigneter für Diskussionen als ein Deli-Plenum. Als kleines Manko des Deli-Plenums sehen wir allerdings an, dass wichtige Punkt (wie die Abschluss-Demo) oft relativ spät thematisiert wurden, so dass eine Rückfrage der Delegierten in ihren Städten nicht mehr möglich war - dies sollte nächstes Jahr verbessert werden. Außerdem sollte möglich sein, auf dem Deli-Plenum wenigstens politische Einschätzungen für gelaufene und kommende Aktionen vorzunehmen - eine Arbeit die diesmal weitestgehend an der Pressegruppe hingen blieb.
Wir wissen nichts über die Qualität der anderen Städte-Plenas, können nur sagen, dass wir gut damit gefahren sind. Natürlich war unser tägliches Leipzig-Plenum (mit Bericht von den Delegierten) auch mehr von Infos und organisatorischen Fragen geprägt, inhaltliche Diskussionen wurden hier aber noch besser und mit mehr Beteiligten geführt als das auf dem großen Plenum möglich gewesen wäre. Aus eigener Erfahrung würden wir anderen Städten für das nächte Mal allerdings einen festen Städte-Plenumstermin und eine kleine Stadt-Infotafel für die nicht Anwesenden empfehlen.
Mobilisierung
Wir hatten ja die Mobilisierung für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen übernommen. Dies beinhaltete: Rundbriefe an alle Gruppen in der Region mit Mobilisierungsmaterialien zu verschicken sowie das Angebot zu verbreiten, dass wir Infoveranstaltungen machen würden. Die Resonanz war viel schlechter als die letzten Jahren. Nur auf ausdrückliches Drängen hin, ließen sich einige Städte dazu überreden, unsere Infoveranstaltungen zu akzeptieren. Die Veranstaltung waren dann sowohl in Leipzig als auch in den anderen Städten sehr schlecht besucht: von 0 bis 20 TeilnehmerInnen, von überhaupt nicht interessiert bis mäßig interessiert, war alles drin. Das lag (zumindest in Leipzig) zwar auch an unserer schlechten Werbung für die Veranstaltungen und der Übersättigung nach 3 Jahren Grenzcamp, mehr allerdings an dem Desinteresse an antirassistischen Themen und aktuellen Fragen rund um die "neue" Migrations- und Asylpolitik im Osten - trotz gegenteiliger Bekundungen der aktiven antifaschistischen Gruppen.
Die Beteiligung am Camp von Gruppen aus der Region war dann trotz der schlechten Resonanz auf unsere Veranstaltungen recht gut: aus Leipzig sind z.B. ca. 40 Leute mitgefahren.
Zur bundesweiten Mobilisierung nur kurz ein paar Worte, insoweit sie uns betreffen: Wir ahnten kaum, dass die Vereinbarung "Alle machen mal Plakate und layouten Mobilisierungsmaterialien", so endet, dass wir (fast) die einzigen waren, die Plakate, T-Shirts, Aufkleber und Postkarten zum Camp layouten und drucken. Wäre ein klareres Statement von anderen Städten gekommen ("Wir haben keine Lust dazu", "Wir kriegen das nicht auf die Reihe"), hätten wir uns a) mehr Mühe gegeben (wir finden unsere Plakate, Aufkleber und Postkarten nicht alle schön, sie waren halt nur für die Region gedacht), b) von vorneherein höhere Auflagen drucken lassen (das hätte uns sehr viele Nerven und mehrere tausend Mark gespart!) und c) uns darauf eingestellt, zentrale Verschickungsstelle zu sein (das wir es dann hintenrum wurden, hat uns nicht so gefallen - und einige Pannen lassen sich damit erklären). Mit Erleichterung nahmen wir allerdings zur Kenntnis, dass wir nicht auf den ganzen Kosten sitzen geblieben sind. Die Idee, für das folgende Camp einen Plakatwettbewerb auszurufen, nehmen wir mit Begeisterung auf - wir wollen uns daran beteiligen und verlieren hoffentlich!
Webjournal
War miserabel dieses Jahr. Die wenigsten Texte sind im Webjournal gelandet, selbst wenn sie persönlich abgegeben wurden. Die Links funktionieren trotz mehrmaliger Hinweise nicht. Die automatische Übersetzung zerstört die Seiten. Nach dem Camp sind die Versäumnisse nicht aufgearbeitet worden. Die Anlaufstellen-Diskussion läuft über einen GMX-Account. Die technischen Engpässe (nur selten eine Internetverbindung auf dem Camp) akzeptieren wir leider nicht als Ausrede. Indymedia hat sich angenehm zurückgehalten.
Camp-Zeitung
Diesen Punkt mussten wir aufnehmen, um etwas Selbstkritik üben zu können. Unsere Redaktion war chaotisch und im entscheidenden Moment komplett im Urlaub. Dies hatte zur Folge, dass zwei Texte nicht drin sind (Rassismus und Überwachung, Kritik am Multi-Kulturalismus), was einerseits schlecht ist, da dies (nicht ausschließlich, aber auch) genau die Texte gewesen wären, die unsere Kritik an der ach so schönen Multi-Kulti-Einwanderungswelt à la Frankfurt/Main auf den Punkt gebracht hätten. Anderseits ist es bislang niemand weiter aufgefallen, da die Texte von uns waren. Der Leipziger Redaktion (3 Redakteurinnen und 2 Layouter) ist auch anzulasten, dass ein Text doppelt vorkommt: Nämlich der Einleitungstext in zwei verschiedenen Versionen.
Da trotz der unplanmäßigen Textstreichungen die Zeitung sich nicht auf 4 Seiten komprimieren ließ und 6 Seiten nicht druckbar sind, entschieden wir uns kurzfristig das Plakat mit reinzunehmen, um auf 8 Seiten zu kommen. Um die Campkasse nicht zu ruinieren (vom dem jetzigen Plus in der Kasse war zum damaligen Zeitpunkt noch nichts zu ahnen), haben wir eigenmächtig die Auflage gesenkt - wir glauben aber, dass alle damit leben konnten.
Zum Abschluss noch ein paar Anmerkungen zum Umfang der Arbeit, nicht um Kritik an anderen Gruppen zu üben, sondern um der nächsten Camp-Zeitungs-Redaktion ein realistisches Bild zu vermitteln. Redaktion hieß offiziell: a) Konzept für den Inhalt erarbeiten, b) eingehende Texte koordinieren, c) Layout. Aber nicht: d) Texte schreiben und e) sich um's Drucken kümmern. Letztendlich hatten wir natürlich auch d) und e) zumindest zum Teil am Hals. Fünf Texte kamen von uns, sechs von anderen Gruppen. Die Abmachung, dass die Texte vorher über die Mailingliste verschickt werden und dort auch diskutiert, wurde kaum umgesetzt, so dass wir dann auch noch die Texte nach eigenem Gutdünken überarbeiten kürzen und mussten.
Nächstes Camp
Mögliche Veranstaltungsorte/ regionen für ein nächstes Camp sind ja schon durch das diesjährige Camp gegeistert. Im Gespräch waren u.a. Thüringen, Strasbourg, die bayrische Ostgrenze, die polnische Ostgrenze und Hamburg. Bei dieser Qual der Wahl wird deutlich, daß es möglich ist, das "Großthema" Grenzen in verschiedenen Variationen aufzugreifen. Die Entscheidung für ein (oder mehrere) camp02 ist deshalb eng an eine thematische Richtungsentscheidung geknüpft.
Der (nicht wertenden) Reihe nach ein paar Gedanken dazu:
- Die deutsche Ostgrenze ist unserer Meinung nach thematisch abgefischt und eine Rückkehr dahin würden wir als einen Rückschritt empfinden.
- Die polnische Ostgrenze ist da schon attraktiver, weil Strukturen vor Ort angestoßen würden und ein Austausch (über regionale Spezifika und gesamteuropäische Entwicklungen) mit osteuropäischen Gruppen forciert werden würde. Der Pferdefuß läge hier vor allem in den praktischen Problemen (Entfernung, Sprache) begraben.
- In Thüringen würde es eine intensive Zusammenarbeit mit "The Voice" geben und das zentrale Thema würde in Richtung "Situation von Flüchtlingen in Deutschland" gehen, was gleichzeitig eine gewisse Abkehr vom Grenzcampgedanken wäre (ohne daß dies zwangsläufig schlimm sein müßte).
- Ein internationales camp, das dann wohl in Strasbourg stattfinden würde, hätte positiven Einfluß auf politische Strukturen, die über bundesdeutsche Zusammenhänge hinausgehen. Der inhaltliche Fokus würde wohl Richtung EU-Flüchtlings- und Ausländerpolitik sowohl EU-Osterweiterung gehen. Kritisch könnte die Größe eines solchen Camps werden. Die Stichworte Festivalcharakter und Konsumhaltung könnten häufiger zu hören sein. Andererseits ist es nicht sicher, daß es überhaupt eine Größe erreicht, die bisherige Verhältnisse übersteigt. Die naheliegende Addition aller TeilnehmerInnen aller Camps zur Schätzung der TeilnehmerInnenzahl eines zentralen Camps funktioniert vielleicht auf dem Papier, real kann allerdings mit Verpuffungseffekten gerechnet werden.
- Last but not least: Hamburg als eine Stadt die ähnliche Möglichkeiten wie FfM bietet - mit einigen Abstrichen, da es beispielsweise schwieriger ist den Hafen praktisch aufzugreifen als den Flughafen (weitläufig, mehr Container als Menschen, keine Fraport).
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