veröffentlicht in: CEE IEH 85/02
Rassismus und Kapitalismus. Eine Annäherung
Veranstaltung für Jugendliche bis 21 im Tomorrow-café, B12, Braustr. 20 am 01.03.2002, 19:00
Am 1.3.2002 findet im Tomorrow-Café (nur für Jugendliche) um 19:00 eine Veranstaltung der antirassistischen Gruppe Leipzig zum Thema Einwanderungsdebatte und Verwertungsrassismus statt. Wir stellen unsere Einschätzung zu den Bedingungen linksradikaler Politik und zu den aktuellen gesellschaftspolitischen Veränderungen vor. Wir werden insbesondere die Entwicklung in Politik und Gesellschaft in der BRD seit dem Antritt der Rot-Grünen Regierung, die Einwanderungsdebatte und den sogenannten "Leistungsrassismus" als Zusammentreffen des kapitalistischen Verwertungsprinzips mit der rassistischen Ideologie beleuchten. Welche Perspektiven und Ansatzpunkte ergeben sich daraus für eine radikale Linke?
Warum dieser Text?
Wir halten es als antirassistische Gruppe für unbedingt notwendig,
eine Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Rassismus und
Kapitalismus zu führen und zu untersuchen, ob und warum wir innerhalb des
Politikfeldes Antirassismus eine antikapitalistische Politik machen können
und wie ein derartiger antikapitalistischer Antirassismus aussehen kann.
Bei der Untersuchung entsprechender Theorien sind wir auf interessante
Ansätze gestoßen, die sich aber meist nur aus einer Richtung dem
Problem annähern und andere Aspekte außer Acht gelassen haben oder
aus andere Gründen unsere Fragen und Zweifel nicht vollständig aus
dem Weg räumen konnten. Viele Erklärungsversuche schließen sich
nicht aus, sondern ergänzen sich vielmehr.
Wir sind also in der Diskussion und stellen infrage, dass es eine
eindeutige Antwort überhaupt geben kann. Daher und trotzdem finden wir es
wichtig, weiter Politik zu machen und permanent Diskussionen
weiterzuführen, Positionen zu erweitern und zu verändern. Wir wollen
uns nicht lähmen lassen und auf die perfekte Theorie warten.
Natürlich gehört es dazu, die eigene Praxis jederzeit am eigenen
Diskussionsstand zu hinterfragen. Diskussionen mit und Kritik von anderen
Gruppen sind uns wichtig. Wir gehen auch nicht kritiklos und unhinterfragt an
Antirassismus heran, sondern stellen vieles infrage. Daher wollen wir
Diskussionen in Leipzig und bundesweit führen.
Wir sind nicht nur antirassistisch, sondern aus einem linken Verständnis
heraus auch antikapitalistisch. Wir bleiben nicht bei der Aufhebung der
rassistischen Ideologie und dem Herrschaftsverhältnis stehen, sondern
wollen auch die Basis derartiger Ideologien angreifen.
Unabhängig davon, ob Rassismus vorkapitalistisch oder erst durch den
Kapitalismus entstanden ist (wobei für uns außer Frage steht, dass
Rassismus durch Kapitalismus maßgeblich transformiert wurde), so ist doch
die heutige Form entscheidend. Vorkapitalistische Formen von Rassismus
unterscheiden sich von den modernen Formen und sollten begrifflich auch davon
abgegrenzt werden.(1)
Außerdem ist für uns klar, dass Rassismus ein nachkapitalistisches
Phänomen sein kann, da die Ideologie und Mechanismen so
verselbständigt sind, dass sie weiterbestehen würden.
Rassismus hat sich im Lauf der Geschichte auch innerhalb der kapitalistischen
Gesellschaften bis heute ständig modifiziert. Es ist durchaus sinnvoll,
von verschiedenen Rassismen zu sprechen, wie Stuart Hall dies vorschlägt.
Die rassistischen Grundfunktionen, die wir in den folgenden Abschnitten auch
darlegen werden, bleiben jedoch gleich.
Der Ansatz Triple Oppression geht von einer Eigenständigkeit der drei
Herrschaftsverhältnisse Kapitalismus, Rassismus und Patriarchat aus.
Stuart Hall räumt ein, dass Rassismus durch den Kapitalismus transformiert
wird, aber dennoch nicht ursächlich darauf zurückgeführt werden
kann. Michel Foucault kritisiert die moderne politische Rationalität und
den Rassismus als eine darin angelegte Ideologie. Die Wertkritik leitet
Rassismus als eine durch die Wertvergesellschaftung hervorgebrachte Ideologie
der Biologisierung des Sozialen ab, wobei die Kritische Theorie sie um eine
sozialpsychologische Herleitung ergänzt. Wallerstein beleuchtet das
Spannungsverhältnis von kapitalistischem Universalismus und
Ungleichheitsideologien wie Rassismus.
Triple Oppression
Dieser Ansatz wird allgemein wie folgt verstanden: die drei
Herrschaftsverhältnisse Kapitalismus, Rassismus und Patriarchat sind
eigenständig und stehen wechselseitig zueinander in Beziehung. Daraus
folgt, dass es entgegen der alten These vom Hauptwiderspruch Kapitalismus (mit
dessen Abschaffung sich die vermeintlichen Nebenwidersprüche Rassismus und
Kapitalismus quasi von selbst auflösen würden) weitere
Herrschaftsverhältnisse gäbe, die außerhalb der
kapitalistischen Logik funktionieren könnten.
Triple Oppression ist unscharf in der Analyse über die
Wechselverhältnisse zwischen den Herrschaftsverhältnissen(2)
und in der Bestimmung der eigenständigen Herrschaftsverhältnisse
erweiterbar (er kann infolge dessen auch einfach zu Multiple Oppression
erweitert werden, indem z.B. Antisemitismus, biopolitische Unterdrückung
oder die Unterdrückung von Tieren durch den Menschen hinzugenommen werden
können).
Am Rand sei noch angemerkt, dass der Vertreter dieses Ansatzes, Klaus Viehmann,
dessen Aufsatz Klassenwiderspruch, Rassismus und Sexismus die
Debatte um Triple Oppression losgestoßen hat, auch eine dem Haupt- und
Nebenwiderspruchsdenken ähnliche Position vertritt: Rassismus und
Patriarchat würden nur zum Zweck der Ausbeutung durch den Kapitalismus
existieren und das Produkt von Konkurrenzdenken und Deklassierung bilden. Er
fordert nur eine Auseinandersetzung mit den anderen
Herrschaftsverhältnissen ein, um diese innerhalb der Linken nicht zu
reproduzieren, geht aber nicht weiter auf die Wirkungsmächtigkeit von
Ideologien ein. Beide Ideologien haben sich (unabhängig von der Frage
ihrer Entstehung oder tiefgreifenden Veränderung durch den Kapitalismus)
verselbständigt, so dass ihr Weiterbestehen nach Abschaffung und
außerhalb des Kapitalismus möglich und wahrscheinlich ist, wenn an
ihrer Überwindung nicht politisch gearbeitet wird. Jede Einordnung dieser
Ideologien als bloße Erscheinungen des Kapitals ist politisch
fahrlässig.
Stuart Hall
Die Theorie Stuart Halls verfolgt einen ideologietheoretischen Ansatz. Sie
wendet sich gegen die Reduktion des Rassismus auf ökonomische Ursachen,
die ihn rein aus kapitalistischen Verhältnissen heraus erklärbar
machen würden. Die rassistische Ideologie steht für Hall in
Wechselwirkung mit politischen und ökonomischen Verhältnissen: die
einzelnen Faktoren beeinflussen sich gegenseitig, wobei Hall hier in der
Analyse und Gewichtung sehr vage bleibt.
Für Hall ist Rassismus in erster Linie ein ideologischer Diskurs. Da es
keine Verankerung des Rassebegriffes in natürlichen und biologischen
Eigenschaften geben kann, werden diese erst diskursiv produziert.
Klassifikationssysteme, die sich zu allererst auf körperliche
Erscheinungen beziehen, produzieren weitere Bedeutungen und Zuschreibungen.
In rassistischen Diskursen funktionieren körperliche Merkmale als
Bedeutungsträger, als Zeichen innerhalb eines Diskurses der
Differenz.(3) Aufgrund der Verknüpfung dieser
diskursiven Bedeutungsproduktion mit gesellschaftlichen Machtfragen spricht
Hall schließlich von der ideologischen
Instanz(4) des Rassismus, welche als
Ausschließungspraxis auf zweierlei Weisen wirkt.
Hall erwähnt hier den Ausschluß bestimmter stigmatisierter Gruppen
vom Zugang zu kulturellen, materiellen und symbolischen Ressourcen. Diese
soziale Ungleichheit erfährt mit der rassistischen Ideologie eine
Naturalisierung, d.h. Begründung mit dem Verweis auf natürliche
Unterschiede.
Die zweite Ausschliessungspraxis manifestiert sich auf rein symbolischer Ebene
als Ausschluss aus einer bestimmten Gemeinschaft, Nation, etc. Charakteristisch
für diesen ideologischen Diskurs ist die Konstruktion binärer
Gegensätze. Diese ermöglichen die Schaffung einer
Identitätsgemeinschaft durch die Konstruktion der Differenz, der Differenz
zu den Anderen. Mit dem Verweis auf die Psychoanalyse und die
Konstruktion der sexuellen Differenz in den Arbeiten Lacans beschreibt er die
Ambivalenz, die dieser Konstruktion innewohnt: einerseits soll dieses Andere
ferngehalten werden aus Angst, dass das, was wir ausschliessen wollten, auch
Teil unserer selbst ist, andererseits müssen wir es ständig
heranziehen, um uns, als Gegensatz dazu, selbst verstehen und unsere
Identifikation absichern zu können.
Hall weist dem Rassismus eine bestimmende Rolle im gegenwärtigen
kapitalistischen Produktionsprozess zu, sieht ihn aber auch als vor- wie
nachkapitalistisches Phänomen an. Es wird betont, dass der Rassismus
über bestimmte allgemeine Züge hinaus Modifikationen und
Transformationen durch den spezifischen historischen Kontext erhält, so
also auch im Kapitalismus. Dieser gibt sich zwar einerseits gleichgültig
gegenüber Rasse und Geschlecht der ProduzentInnen des Mehrwerts, macht
sich aber andererseits diese Konstruktionen zu Nutze.
Desweiteren konstatiert er eine entscheidende Beeinflussung rassistischer
Diskurse durch ideologische Prozesse des Kapitalismus. In vereinfachter Form
setzt er den Klassen- und den Rassenbegriff zueinander in Beziehung, indem er
den Rassismus als ein Terrain darstellt, auf dem sich die Gruppen, die
von den Reichtümern unserer Wohlstandsgesellschaft ausgeschlossen sind,
die aber gleichwohl zur Nation gehören, sich mit ihr identifizieren
wollen, im Rassismus eine authentische Form der Identitätsgewinnung und
des Selbstbewusstseins finden können.(5) Da sie von
der Wohlstandsgesellschaft ausgeschlossen sind, muss sich die
Identitätsgewinnung also durch die Form eines Ausschlussmechanismus
vollziehen, in der Abgrenzung zu Menschengruppen, welche man als minderwertig
stigmatisiert. Bewusst vollzieht Hall hierbei eine Abgrenzung vom Begriff des
falschen Bewusstseins, wie wir ihn in Theorien mit
ökonomistischen Erklärungsansatz finden können: falsches
Bewusstsein als Projektion unterdrückter Bedürfnisse und des
uneingelösten Glücksversprechens des Kapitalismus auf andere
Personengruppen.
Er begründet seine Ablehnung des Begriffs des falschen sozialen
Bewusstseins mit dem Einwand, dass Rassismus eine authentische Form sein
kann, in der untergeordnete soziale Gruppen ihre Unterordnung leben und
erfahren.(6) Dennoch sieht er Rassismus nicht nur als ein
Phänomen sozial Deklassierter an.
Diese Theorie Stuart Halls stellt zwar vor, wie der ideologische Diskurs
Rassismus funktioniert, beantwortet aber die Frage nach seinen Bedingungen
nicht. Es wird auf die Eigendynamik ideologischer Prozesse hingewiesen, dabei
aber übersehen, dass Ideologien zu ihrer Reproduktion einer breiten
Akzeptanz bedürfen, die schliesslich im Individuum selber, aber auch in
gesellschaftlichen Prozessen, die dieses Individuum prägen zu suchen ist.
Eine genauere Analyse, welche Wechselwirkungen hier der ideologische Diskurs
mit gesellschaftlichen und politischen Bedingungen eingeht, liefert er nur
insofern, dass die Unzufriedenheit einer untergeordneten Klasse auf rassisch
Stigmatisierte projiziert wird.
Michel Foucault
Auch wenn Foucault nicht explizit eine Rassismustheorie formuliert hat, taucht
diese Thematik immer wieder in seinen Gesellschaftsanalysen auf. Objekt seiner
Kritik ist hierbei nicht das Phänomen Rassismus an sich, es wird vielmehr
nur eingebettet in eine umfassende Kritik moderner politischer
Rationalität. Rassismus ist in der von ihm beschriebenen
Gesellschaftskonstitution notwendigerweise angelegt.
Grundlage für die in der heutigen Gesellschaft greifenden Machtmechanismen
ist nach Foucault die Biologisierung und Medizinisierung des Sozialen.
Während bis ins 18. Jahrhundert hinein Macht als offensichtlich repressiv,
wirksam durch Strafandrohung und eng verknüpft mit der Rolle eines
Souveräns ihren Ausdruck fand, sind die Machtmechanismen der modernen
Gesellschaft äusserst subtil. Kann die Machtform in der
vorkapitalistischen Gesellschaft als eine destruktive, eine Macht,
sterben zu machen(7) beschrieben werden, verkehren sich
diese Eigenschaften mit fortschrittlicher Entwicklung der Produktivkräfte
und (Human-)wissenschaften in ihr Gegenteil. Es entsteht ein produktives,
positives Machtprinzip, welches auf eine Verbesserung und die Kontrolle des
körperlichen Lebens des Menschen zielt. Die Bedrohung des Individuums
resultiert folglich nicht mehr aus der direkten Konfrontation mit Strafe,
sondern aus den Normen der Gesundheit und Nützlichkeit, denen jede/r
unterworfen wird. Herrschaftsprozesse erfolgen durch disziplinierende
Institutionen wie Schule oder Armee, besonders aber durch Gefängnis,
Klinik oder Psychiatrie, da der Mensch hier auf Effektivität getrimmt
wird. Eine herausragende Rolle im Prozess der Disziplinierung weist Foucault
der Sexualität und ihrer Diskursivierung zu, wobei er dies als Ausdruck
einer generellen Biologisierung sieht. Auf nationaler und globaler Ebene
funktioniert die Disziplinierung über den demographischen Diskurs.
An diesem Punkt zeigt sich nach Foucault die Parallele zum Rassismus, denn es
sind eben genau diese angeblichen körperlichen, biologischen Merkmale und
die daraus resultierende Effizienz, die dem Rassismus als hierarchisches
Klassifikationssystem dienen und in der Verwertungslogik des Kapitalismus
aufgegriffen werden. Rassistische Ideen fügen sich somit nahtlos in die
übliche Politik moderner rationaler Gesellschaften ein.
Wie der bevölkerungspolitische Diskurs in einem ursächlichen
Verhältnis zum Kapitalismus steht und sich notwendigerweise rassistische
Ausgrenzung daraus ergeben muss, legt Alex Demirovic (Vom Vorurteil zum
Neorassismus, in: Die freundliche Zivilgesellschaft, Berlin 1992) dar. Im
kapitalistischen Produktionsprozess bildet sich demnach eine organische
Produktionsstruktur heraus, in die allerdings nicht alle
Bevölkerungsgruppen integriert werden können. Diese aus der
kapitalistischen Verwertungslogik heraus bezeichneten
überzähligen Bevölkerungsteile, (...), die mit ihrer
blossen Anwesenheit ein eingeschliffenes Arrangement zwischen Herrschenden und
Beherrschten herausfordern, werden ausgegrenzt. Von diesem Mechanismus
sind keineswegs nur ausländische Bevölkerungsgruppen betroffen,
sondern genauso Arbeitslose, oder Menschen, die Niedriglohnsektoren
abgedrängt werden. Bei Nichtdeutschen kommt er allerdings in
verschärfter Form zum Tragen: sie sind per völkischer Definition
nicht gleichwertiger Teil der organischen Produktionsstruktur und
flexibel ausgrenzbar, wenn es einen niedrigen Bedarf an Arbeitskräften
gibt (siehe auch Wallerstein).
Die Grenzen von bevölkerungspolitischen Massnahmen zu rigideren
Definitionen von dem, was aufgrund ökonomischer Definition ausgegrenzt
werden soll, ist fliessend. Und letztere bedient sich schnell einer
völkischen Das-Boot-ist-voll-Rhetorik, auch wenn diese unter
dem neorassistischen Gerede von der Differenz und ihrer Berechtigung zur
Abgrenzung kaschiert wird.
Wertkritik
Martin D. hat in Die halbe Wahrheit ist die ganze Unwahrheit im
letzten Cee Ieh (# 84) den Wertkritik-Ansatz und den Zusammenhang von Rassismus
und der kapitalistischen Vergesellschaftung dargelegt. Im folgenden wollen wir
vor allem auf die These von Rassismus als Ideologie der Biologisierung des
Sozialen eingehen und eine allgemeine Kritik formulieren.
Herleitungsskizze: Ausgangspunkt ist die kapitalistische Gesellschaft als eine
warentauschende und wertvergesellschaftete. Herrschaft im Kapitalismus ist
subjektlos und durch den Menschen in der grundlegenden ökonomischen
Entwicklung nicht beeinflußbar. Als bürgerliches Subjekt versucht
er, sich von seiner Natur abzulösen und ist gespalten in den Bourgeois,
die Privatperson, die um ihr eigenes Wohl bemüht ist, und in den Citoyen,
den Staatsbürger, der um das Allgemeinwohl bemüht ist. Diese
Widersprüchlichkeiten und die unverständliche Herrschaft versucht er
sich mithilfe von Ideologien zu erklären und erträglich zu machen.
Dieselben Ideologien erhalten dadurch unmittelbar eine
herrschaftsstabilisierende Wirkung. Mithilfe der Ideologie der Biologisierung
des Sozialen werden Eigen- und Fremdgruppen mit unveränderlichen
biologischen Eigenschaften konstruiert. Jene Eigenschaften sollen das soziale
Verhalten und die soziale Ungleichheit bestimmen. Rassismus als
bürgerliche Ideologie projiziert alles Natürliche auf die
vermeintlich Fremdrassigen und verfolgt diese dann in
panischer Angst.
Ein Verständnis von modernen Rassismus ohne die Einbeziehung von
Kapitalismus kann es zwar geben, ist aber völlig verkürzt und damit
falsch. Wichtig finden wir die Frage nach der Berechtigung antirassistischer
Politik, wenn Rassismus nur als Produkt von Kapitalismus definiert wird. Und da
stimmen wir vorbehaltlos allen Linken zu, die Kapitalismus abschaffen wollen
und das als Ziel ihrer Politik definieren, und haben sogar dasselbe Ziel. Aber
Rassismus, Sexismus, Antisemitismus haben sich dann nicht wie von Geisterhand
erledigt, und gegen diese Ideologien haben wir auch was und bis zum
großen Showdown würden wir gern schon was dagegen tun.
Den in einer fetischistischen Gesellschaft lebenden Menschen keine
Beeinflussung grundlegender ökonomischer Entwicklungen zuzugestehen,
gräbt eigener Politik das Wasser ab wie könnten wir
Kapitalismus abschaffen, wenn die kapitalistische Gesellschaft uns das gar
nicht ermöglicht? Es gibt die Entscheidungsfreiheit, Strukturen zu
reproduzieren oder nicht. Und die Leute, die Macht und Privilegien innehaben,
können für das, was sie tun, verantwortlich gemacht werden, ohne dass
Herrschaft dadurch bereits personalisiert und verkürzt begriffen wird.
Zur Frage von Rassismus als Folge der Wertvergesellschaftung fügt Peter
Schmitt-Egner noch einen Aspekt hinzu: In der Zirkulationssphäre sind alle
Menschen formal gleich. Es gibt aber die entscheidende Einschränkung, dass
als Subjekt [...] in der wertfetischistischen Sichtweise nur anerkannt
[wird], wer als Tauschender auftritt.(8) Jeder Mensch kann
potentiell wenigstens seine Arbeitskraft verkaufen. Die Menschen, die gezwungen
sind, ihre Arbeitskraft unter dem dafür üblichen Tauschwert zu
verkaufen, treten nicht mehr als Tauschende von gleich zu gleich
auf und werden daher als minderwertig begriffen. Aus der
Ungleichheit in der Zirkulation folgt die formale Ungleichheit. Am historischen
Beispiel des Kolonialismus wird die Bedeutung dieses Gedankens für die
Entstehung von Rassismus verständlich: In den Metropolen wurde der
Mehrwert durch erhöhte Produktivität gesteigert, während er in
den Kolonien durch Senkung der Kosten für Arbeitskraft erhöht wurde.
Die Ware Arbeitskraft wurde also permanent unter ihren Wert gesenkt, sie war
minderwertig im Wortsinn. Die kolonialen ArbeiterInnen stellten
keine gleichwertigen TauschpartnerInnen mehr dar und waren innerhalb der
bürgerlich-kapitalistischen Logik nicht mehr Subjekte, die ihren
Tauschwert selbst bestimmen konnten.
Als alleinige Herleitung für die Entstehung von Rassismus reicht dieser
Gedanke keinesfalls aus, aber beleuchtet einen wichtigen Aspekt.
Kritische Theorie
Die Funktion von Ideologien als Verschleierung sozialer Gegensätze und
damit Stabilisierung von Herrschaftsverhältnissen wurde ja bereits in der
wertkritischen Anayse des Rassismus aufgezeigt. An diesem Punkt setzt auch die
Kritische Theorie mit ihren Studien zum autoritären Charakter
an. Sie nimmt die sozialpsychologische Disposition des Menschen als
Nährboden für Ideologien in den Blick.
Ausgangspunkt für die breit angelegte empirische Untersuchung war der
deutsche Vernichtungsantisemitismus während der NS-Zeit und die Frage nach
seiner möglichen Wiederholbarkeit.
Während sich Adorno und Horkheimer im Kapitel Elemente des
Antisemitismus in der Dialektik der Aufklärung mit dem
Antisemitismus im Rahmen einer umfassenden Kritik der Aufklärung befassen,
wird er in den sozialpsychologischen Studien zum autoritären
Charakter als Teil eines komplexen Einstellungssyndroms analysiert.
Ohne hier eine Gleichsetzung von Antisemitismus und Rassismus vollziehen zu
wollen, denken wir, dass die Studien der Kritischen Theorie auch ein
Schlaglicht auf das Phänomen Rassismus werfen. Denn er kann, wie auch
schon von Martin erläutert, als eine Ideologie gesehen werden, die das
Soziale naturalisiert und somit ein falsches Bewusstsein von den
gesellschaftlichen Verhältnissen produziert. In einer Art
materialistischen Erweiterung der Freudschen Tiefenpsychologie wird die
Modifikation der Triebe durch die sozio-ökonomischen Bedingungen
beschrieben, welche sich in der Charakterstruktur des Menschen (im
Spätkapitalismus ein autoritärer Charakter) niederschlägt. Der
Charakter wird hier als Reaktionspotential vorgestellt, welches in
unserem physisch oder verbalen Verhalten manifest werden kann, jedoch nicht
notwendigerweise muss. Letzteres ist abhängig von der jeweiligen
Rahmensituation.
Faktoren wie Stereotypie, Glaube an eine mystische Bestimmung des eigenen
Schicksals, die Projektion unbewusster Triebimpulse auf die Aussenwelt oder die
Neigung zu autoritärer Aggression sind u. a. massgeblich für eine
Charakterstruktur, die anfällig für faschistische Ideologien ist.
Genauso können sie aber auch als Erklärungsmuster für die
rassistische Ideologie gelten.
Bei der Entstehung der autoritären Charakterstruktur spielen verschiedene
Aspekte eine Rolle. Zu nennen wäre erstens der Wandel in der
Familienstruktur des Spätkapitalismus durch den Autoritätsverlust des
pater familias, konkret ausgelöst durch sich
verschärfende soziale Bedingungen in der Weimarer Republik und die damit
einhergehende Vernachlässigung seiner Versorgerfunktion. Steht die
Auseinandersetzung mit der väterlichen Autorität noch für eine
rationale Vermittlung gesellschaftlicher Anforderungen und die Möglichkeit
eine autonome Ich-Struktur zu entwickeln, wird diese später durch eine
irrationale Anpassung an unmittelbare gesellschaftliche Zwänge und
Autorität ersetzt.(9)
Zusätzlich sind die Herausbildung von Antisemitismus, Vorurteilen und
Stereotypen laut Adorno und Horkheimer in der Produktionsform der
spätkapitalistischen Gesellschaft und der damit einhergehenden
Verdinglichung menschlicher Verhältnisse direkt angelegt. War
zunächst die Etablierung der bürgerlichen Gesellschaft verknüpft
mit dem Ideal der Bildung, wurde letztere mit der Weiterentwicklung des
Kapitalismus zu einer mit Schemata und Stereotypen arbeitenden Halbbildung
degradiert. In der Welt der Serienproduktion ersetzt deren Schema,
Stereotypie, die kategoriale Arbeit. das Urteil beruht nicht mehr auf dem
wirklichen Vollzug der Synthesis, sondern auf blinder Subsumtion. (...) In der
spätindustriellen Gesellschaft wird auf den urteilslosen Vollzug des
Urteils regrediert.(10)
Ein weiteres wichtiges Moment ist die Biologisierung und Naturalisierung von
Menschengruppen, die nichts anderes zeigt als die Ambivalenz des
bürgerlichen Charakters. Nämlich einerseits seine Umwelt zu
beherrschen und das Leben nach rationalen Prinzipien zu ordnen, andererseits
aber sich beherrscht zu fühlen. Die erlebte Entfremdung von der Natur
äussert sich schliesslich im Hass auf diejenigen, welchen diese
Naturverbundenheit noch zugeschrieben wird. Regungen, die vom Subjekt als
dessen eigene nicht zugelassen werden und ihm doch eigen sind, werden dem Opfer
zugeschrieben: dem prospektiven Opfer.(11)
Universalismus vs. Ideologien der Ungleichheit
Etienne Balibar und Immanuel Wallerstein erklären, warum das
Gleichheitsversprechen des Kapitalismus Ungleichheitsideologien wie Rassismus
braucht. Immanuel Wallerstein(12) geht von einer Spannung zwischen der
Ideologie des Universalismus und den Ungleichheitsideologien Rassismus und
Sexismus im Kapitalismus aus. Zum einen ist der Universalismus das Ergebnis
einer älteren geistigen Tradition. Diese beginnt mit dem Glauben an einen
Gott innerhalb der monotheistischen Religionen und der Vorstellung einer
einheitlichen Menschengattung.(13) In der Aufklärung
wurde diese Tradition weitergeführt, indem moralische Gleichheit und
Menschenrechte aus der Natur des Menschen selbst abgeleitet
wurden.(14)Zum anderen ist der Universalismus eine der
kapitalistischen Weltwirtschaft besonders angemessene Ideologie und sogar
zwingend erforderlich zur endlosen Akkumulation von Kapital. Jene benötigt
als Grundlage der kapitalistischen Weltwirtschaft den freien Strom aller Waren
in Form von Gütern, Kapital und Arbeitskraft auf den Weltmarkt. Alles, was
diesen Strom hemmen könnte, muss beseitigt werden. Ein solches Hindernis
ist vor allem eine Wertbestimmung einer Ware zu anderen Kriterien als dem
Marktwert, wodurch diese weniger oder gar nicht vermarktbar wird. Daher
widersprechen alle Partikularitäten (z.B. Religionen) grundsätzlich
der Funktionsweise des kapitalistischen Systems.
Einher mit dem Universalismus geht die Bildung der
Leistungsgesellschaft zur effizienten Arbeitsteilung in der
Weltwirtschaft und zur politischen Stabilität. Soziale Unterschiede sollen
nun nicht mehr aus dem Willen Gottes oder aus Tradition resultieren und
berechtigt sein, sondern wegen unterschiedlicher Effektivität und
Leistung. Eine auf Leistung basierende Gesellschaft ist politisch instabil.
Vorher konnten vererbte Vorrechte und feudale Ordnung den Glauben an eine ewige
Ordnung und sichere Überzeugungen bieten. Privilegien aus Leistung heraus
bieten mehr Sprengstoff, da die Gesellschaft als ungerecht erlebt
wird angesichts der scheinbaren Unterbewertung der eigenen Leistung und der
permanenten Angst, den Anforderungen in der Arbeitswelt nicht mehr gewachsen zu
sein.
An dieser Stelle kommt Rassismus als eine Ideologie der Ungleichheit ins Spiel.
Wallerstein setzt dessen Beginn erst mit dem Beginn des Kapitalismus und als
von ihm hervorgebracht. Vorherige ähnliche Ausschlußideologien
faßt er mit dem Begriff Xenophobie (Fremdenangst). Diese
hätte den Ausschluß des Fremden aus einer Gemeinschaft zum Ziel
gehabt. Dabei ging aber die Arbeitskraft und der potentielle Mehrwert, den
diese Person schöpfen könnte, verloren. In einer Gesellschaft, die
auf endloser Kapitalakkumulation beruht, ist dies ein wirklicher Verlust.
Rassismus hingegen ermöglicht die Nutzung jeder erreichbaren Arbeitskraft,
die Senkung der Produktionskosten (indem die Kosten der Arbeitskraft gesenkt
werden können) und die Minimierung politischer Störungen. Diese
Funktionen können umgesetzt werden über die Ethnisierung
der Arbeiterschaft, also über ein System von hierarchisch abgestuften
Vergütungen, die mit einer angeblich unterschiedlichen Arbeitsleistung
wegen der Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe begründet werden.
Dieses System ist flexibel in der genauen Definition der Grenzen jener
ethnischen Konstruktionen und daher leistungsfähig, indem jederzeit die
Anzahl der niedrigbezahltesten Menschen vergrößert oder verkleinert
werden kann. Gerade wegen seines Anti-Universalismus ist Rassismus also
für den Kapitalismus hilfreich: er schafft für die reale Ungleichheit
eine Legitimation, die nicht auf Leistung beruht. So wird es z.B. möglich,
die Lohnzahlungen in einem Maß abzusenken, wie es innerhalb der
Leistungslogik durch mangelnde Leistung nicht zu rechtfertigen wäre.
Das Herrschaftsverhältnis Kapitalismus legitimiert sich also über
gegensätzliche Ideologien: auf der einen Seite Universalismus und
Leistungsgesellschaft, auf der anderen Rassismus und Sexismus. Diese befinden
sich in einem dynamischen Gleichgewicht, in dem wechselnd die eine oder andere
Seite überbetont wird und das sich ständig neu herstellen
muß.
Wie Kapitalismus in seiner Entstehungsphase vorgefundene Unterschiede und
Ideologien instrumentalisiert und adaptiert, zeigt Wulf D. Hund am Beispiel der
Gruppe Zigeuner.(15) Die Ausbildung der
kapitalistischen Produktionsweise schuf einen Bedarf an disziplinierten
Arbeitskräften. Der neue bürgerliche Arbeitsethos, der gewaltsam
durchgesetzt werden mußte, entstand: Arbeit gilt ab jetzt als ehrenhaft
und jeder Mensch, der nicht arbeiten kann oder will, als verderblich für
die Gesellschaft. Ein Mittel zur Durchsetzung war die Schaffung
ökonomischen und juristischen Zwanges: Durch die Umstrukturierung auf dem
Land wurden viele Menschen erst landlos und zu Vagabunden gemacht und dann
mithilfe von Gesetzen gegen Landstreicherei inhaftiert. Angesichts solcher
Aussichten waren viele bereit, ihre Arbeitskraft freiwillig zu
verkaufen. Ein anderes Mittel war das abschreckende Vorbild der
Zigeuner, die als nichtseßhaft, nicht in abhängiger
Arbeit lebend, kriminell und unmoralisch stigmatisiert waren. Ihr Fremdsein
resultierte weniger aus ihrer ethnischen Fremdheit, sondern aus
ihrer Verweigerung an die Anforderungen, die an die unteren Klassen in der
Neuzeit erhoben werden. Sie galten als mutwillige Vagabunden: Jeder
Mensch, der so leben wollte wie sie, konnte sich ihnen anschließen.
Scheinbar stellten sie also eine greifbare Alternative zum neuen Lebensbild dar
und waren desto gefährlicher. Auch wenn anfänglich nicht biologisch
oder mit einem Begriff der Zigeuner-Rasse argumentiert wurde,
fanden sich schon die wesentlichen Merkmale einer rassistischen
Argumentation.
Bereits vorhandene Vorurteile werden mit neuen ideologischen Vorzeichen
versehen. Mit dem wissenschaftlichen Rassebegriff der Aufklärung wird eine
Hierarchie von Rassen konstruiert, die mit dem Arbeitsethos
verknüpft wird. Arbeit als Motor der Fortentwicklung und Lösung aus
dem rohen Naturzustand und der natürlichen
Faulheit soll unterschiedlich auf die Rassen verteilt
sein.(16) Die rassistische Ethik des Kapitalismus schuf die
Alternative, entweder den Arbeitsethos und abhängige Arbeit anzunehmen
oder unterdrückt zu werden (bis zum Untergang).
Das Zigeuner-Stereotyp erfüllte dabei die Funktionen, die
Höherwertigkeit der unterdrückenden Gruppe zu legitimieren und
gleichzeitig als Drohbild zu verdeutlichen, was bei Nichtannahme der neuen
Werte und bei Scheitern an den Anforderungen der Klassengesellschaft geschehen
kann.
Diese historische Herleitung belegt, wie mithilfe rassistischer Ideologie die
neuen Werte in der Anfangszeit des Kapitalismus durchgesetzt wurden. Der
Arbeitsethos hat sich durchgesetzt und wird nur von Randgruppen hinterfragt.
Also verbleiben die entsprechenden Stereotype (Zigeuner,
fauler Neger) als normales Vorurteil der allgemeinen
Abgrenzung, in dem sich die entgegengesetzten Eigenschaften des eigenen Bildes
tummeln. Trotz derartiger Wandlungen im Einzelnen dienen heute immer noch
rassistische Stereotype zur Konstruktion der eigenen Gruppe und zur
Durchsetzung der eigenen Werte.
Aktuelle Modifizierung des Rassismus in der Leistungsgesellschaft
Aktuelles Beispiel für die Modifizierung von Rassismus bilden die durch
die Einwanderungsdebatte politisch forcierten Veränderungen im
öffentlichen Diskurs weg von gefährlichen und das Sozialsystem
ausnützenden Ausländern hin zu nützlichen
Fachkräften, denen sogar die deutsche Staatsbürgerschaft und
damit die offizielle Zugehörigkeit zum deutschen Volk gewährt werden
kann. Das bislang nahezu unhinterfragte völkische Prinzip wird hier
durchbrochen, und die plötzliche Notwendigkeit dazu müßte erst
durch einen neuen politischen und gesellschaftlichen Diskurs langfristig in der
Bevölkerung durchgesetzt werden.
Dennoch rechtfertigt diese Entwicklung keine Euphorie. Potentiell gilt das
Verwertungsprinzip zwar sowohl für Menschen innerhalb eines
Nationalstaates als auch für Außenstehende. Alle
diejenigen sind im kapitalistischen Sinn nicht mehr brauchbar, die
sich nicht verwerten können oder wollen.
Dennoch werden im Kapitalismus auch weiterhin Differenzierungen mithilfe der
Konstruktionen Geschlecht, Nation und Rasse zur Rechtfertigung des
Konkurrenzprinzips benötigt. Das kapitalistische Glücksversprechen
und die formale Gleichheit widerspricht offensichtlich der realen Ungleichheit
im kapitalistischen System, die sich nicht aus unterschiedlicher Leistung
erklären läßt. Ideologien wie Rassismus und Sexismus liefern
Erklärungen und Rechtfertigungen für diese Realität (Menschen
anderer Rassen oder Kulturgruppen wären
fauler und schlechter, Frauen seien schwächer
usw.) und verschleiern die tatsächlichen Ursachen, die dem
kapitalistischen System immanent sind.(17)
Rassismus wird daher nicht verschwinden, sondern es findet nur ein flexibler
Umgang damit statt. Nationalstaaten und die darauf basierende Einteilung der
Menschen in Nationen und Völker bleiben die Grundlage für die
kapitalistische Ordnung und garantieren das Funktionieren der kapitalistischen
Produktionsweise, deren Voraussetzungen der freie Waren- und Kapitaltransfer
und die freie Verfügbarkeit von Arbeitskräften sind, innerhalb des
Staatsterritoriums. Also wird sich schon aus diesem Grund Rassismus und
völkischer Nationalismus nicht einfach in Luft auflösen. Daraus folgt
aber auch, dass es keine Ausschließlichkeit ökonomischer Ursachen
gibt, sondern andere Ideologien miteinwirken.
Ein Beispiel für den Widerspruch zwischen ökonomischen und
nationalstaatlichen Interessen im Zusammenspiel mit rassistischer Ideologie ist
der Umschwung im gesellschaftspolitischen Diskurs nach dem 11. September:
Rassistische Bilder und Mechanismen dominierten sofort die Debatte, trotz aller
gegenläufigen Töne in der vorherigen Diskussion um Zuwanderung. Und
sofort konnten gesellschaftliche Verschärfungen, die sich zunächst
vor allem gegen Nichtdeutsche als rassistisch stigmatisierte
Randgruppe richten, im Antiterrorgesetz-Paket durchgesetzt werden. Sowohl in
der Politik als auch in der Ökonomie besteht ein instrumentelles
Verhältnis zu Rassismus. Infolge gesellschaftlicher Diskurse kann dieser
zwar aufgeweicht werden, aber sich auch jederzeit
wieder festigen, sobald sich die politischen Umstände ändern. Mit
dieser Einschätzung muß auch der politische Wille hinterfragt
werden, ob Zuwanderung ermöglicht werden soll. Die Absicht der
PolitikerInnen, die dies fordern, ist durchaus ernst gemeint, nur folgt daraus
noch lange nicht die Abschaffung des jahrhundertelang bestehenden Rassismus.
Die Spezifik des deutschen Nationalismus und des deutschen
Staatsbürgerschaftsrechts ist die Koppelung an das völkische Prinzip
und die deutsche Blutsabstammung. Ein Zuwanderungsgesetz würde
tatsächlich einen Bruch mit diesem Prinzip darstellen. Rassismus wird
damit nicht in Frage gestellt, denn wichtigstes Prinzip dieses Gesetzes wird
die Auswahl nach Nutzen für Deutschland sein, den
Nichtdeutsche erst mal nachweisen müßten, und die Abweisung jeder
anderen Form der Migration.
Taskforce Kapitalismus in der Antirassistischen Gruppe
Leipzig
Fußnoten:
(1) Obwohl wir den Begriff Xenophobie bzw. Fremdenangst dafür
nicht geeignet finden, weil er eine quasi natürliche Fremdenangst
impliziert, wie z.B. der Rassismustheoretiker Albert Memmi behauptet.
(2) Klaus Viehmann beschreibt die Wechselbeziehung als ein Netz mit Knoten.
(3) Stuart Hall, Rassismus als ideologischer Diskurs, Vortrag gehalten am 17.5.
in Hamburg, in: Nora Räthzel, Theorien über Rassismus, Hamburg 2000
(4) ebd.
(5) ebd. S.11
(6) ebd.
(7) Stephan Grigat, Rassismuskritik und Wertvergesellschaftung
(8) berechtigterweise entzündete sich an dieser Herleitung Kritik (vgl.
Jessica Benjamin, Die Antinomien des patriarchalischen Denkens: Kritische
Theorie und Psychoanalyse, 1982), da diese die patriarchalische Autorität
als positiven Referenzpunkt für eine autonome Persönlichkeitsstruktur
sah
(9) Th.Adorno/M. Horkheimer, Dialektik der Aufklärung, FaM 1988, S. 211
(10) ebd., S. 196
(11) Immanuel Wallerstein: Ideologische Spannungsverhältnisse im
Kapitalismus: Universalismus vs. Sexismus und Rassismus, in: E. Balibar, I.
Wallerstein: Rasse, Klasse, Nation. Ambivalente Identitäten, Hamburg
1998
(12) Diese Vorstellung ist natürlich nicht widerspruchsfrei: soziale
Unterschiede werden als von Gott gewollt und gegeben erklärt. Dennoch gilt
der Grundansatz, dass vor Gott alle Menschen gleich seien, sobald sie sich zu
ihm bekennen.
(13) Anfänglich ohne Frauen und Nichtweiße einzubeziehen, später
wurde diese Auslassung aber auch explizit überwunden.
(14) Wulf D. Hund: Das Zigeuner-Gen. Rassistische Ethik und der Geist des
Kapitalismus, in: Rassismus. Die soziale Konstruktion natürlicher
Ungleichheit, Münster 1999
(15) Immanuel Kant
(16) Eine detaillierte Untersuchung liefert I. Wallerstein: Universalismus
vs. Ideologien der Ungleichheit
(17) Für MigrantInnen macht es durchaus einen Unterschied, ob sie in einer
Zivilgesellschaft leben und sie in der Debatte um das Zuwanderungsgesetz als
nützlicher Ausländer gesellschaftlich wahrgenommen werden
oder ob im öffentlichen Diskurs Stereotype wie
Asylbetrüger, krimineller Ausländer,
potentieller Terrorist dominieren (mitsamt der damit legitimierten
Maßnahmen im juristischen, politischen und gesellschaftlichen
Bereich).
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