veröffentlicht in: CEE IEH 79/01
Was Benetton und Cohn-Bendit eint
Die Entscheidung, das diesjährige antirassistische Grenzcamp in
Frankfurt/Main (FFM) zu organisieren, fiel u.a. wegen des Images von Frankfurt
als moderne, pluralistische und multikulturelle Metropole. Ein idealer Ort, um
Kritik zu üben an scheinbar fortschrittlichen und nicht-rassistischen
Konzepten wie dem Multikulturalismus, sowie an der Modernisierung des
völkischen Rassismus hin zu einer flexiblen Form(1), wie er sich
z.B. in der neuen Einwanderungspolitik zeigt, in deren Mittelpunkt
arbeitsmarktorientierte und nach Nützlichkeitskriterien bestimmte
Zuwanderung stehen.
Multikulturalismus als Feindbild as we know it
Im Diskurs der Neuen Rechten bedeutet Multikulturalismus, daß die
verschiedenen Völker räumlich und kulturell voneinander abgeschlossen
existieren sollen. Eine wechselseitige Beeinflussung der Kulturen führe zu
deren Niedergang.
Die Neue Rechte kann sich mittels dieses Konzeptes von Multikulturalismus als
fortschrittlich und anti-rassistisch darstellen: nicht nur, daß die
überholten biologischen Rassen-Konstruktionen verworfen werden, auch eine
unterschiedliche Wertigkeit zwischen den Kulturen wird scheinbar nicht
vorgenommen. Sie ist unter der Oberfläche dennoch vorhanden: sie entsteht
durch den Bezug auf die eigene Kultur in Abgrenzung zu den Anderen,
die vor der Vermischung reingehalten werden muß und auf die nicht nur
Rechte stolz sind. Der differentialistische Rassismus der Neuen Rechten geht
völlig konform mit dem modernen Alltagsrassismus der Form Ich habe
nichts gegen die Türken. solange sie in der Türkei bleiben
.
Multikulturalismus von links the light-version
Von linksliberaler Seite wurde der Multikulturalismus Anfang der 80er als neues
Konzept von Institutionen entwickelt, die mit der Integration von MigrantInnen
beschäftigt waren (Schul- und Sozialpädagogik, Sozialpolitik). Es
löste den in der Praxis gescheiterten Ansatz der Integration durch
Assimilation(2) ab. Der Diskurs wurde bald aufgenommen von Parteien,
Kirchen und Intellektuellen als scheinbar fortschrittliches und
antirassistisches Konzept getreu dem Motto Assimilation ist
kulturelle Gleichmacherei, es leben die Unterschiede zwischen den
Völkern. Die BefürworterInnen des Multikulturalismus wollen
ethnische Vielfalt bei gegenseitigem Verständnis und Toleranz. Anstatt
kulturelle Eigenheiten der Völker in der Mehrheitsgesellschaft
aufgehen zu lassen, soll sich die deutsche Kultur von genau dem, was vorher
Grund zu Diskriminierung und rassistischer Verfolgung war, inspirieren und
bereichern lassen.
whats bad with multi-kulti?
Multikulturalismus ist eine Form des kulturellen Rassismus, der den
biologischen Rassismus nach seiner Diskreditierung(3) 1945
ablöste: Mittels des Gebildes der Kulturnation ließen sich die alten
Vorstellungen einer Wertigkeit innerhalb der Konstrukte Volk, Nation und Rasse
neu legitimieren und ebenso unveränderlich festschreiben. Anstelle von
biologischen Faktoren wurden nun Merkmalszuschreibungen auf kultureller Ebene
vorgenommen, um Gruppen zu konstruieren und zu homogenisieren. Die
Objekte dieser Zuschreibung sind in ihren täglichen
Interaktionen von ihnen beeinflußt und geprägt. Sie können sich
aus der Einordnung in eine Gruppe aufgrund kultureller Merkmale genauso wenig
befreien, wie es ihnen bei biologistischen Konstruktionen möglich
wäre sie sind gesellschaftlich stigmatisiert.
Der Begriff der Kultur ist in diesem Kontext mit ethnischer und nationaler
Herkunft und den damit als quasi natürlich verbundenen Verhaltensweisen,
Einstellungen und Gewohnheiten verknüpft. Diese Vorstellung einheitlicher
Gruppen mit dauerhaften kulturellen Identitäten ist eine rassistische
Konstruktion.
Bereits in der Gesellschaft vorhandene Vorstellungen des völkischen
Rassismus werden übernommen. Sie werden entweder positiv besetzt oder es
werden entgegengesetzte Eigenschaften konstruiert. Aus unzivilisierten
Schwarzen werden naturverbundene Afrikaner mit Rhythmus im
Blut; es sind anstatt arbeitsscheuen Asylanten nun die
nützlichen ausländischen Arbeitnehmer, ohne die es der
deutschen Wirtschaft viel schlechter gehen würde. Sämtliche Argumente
dienen jedoch dem Zweck, MigrantInnen vor Rassisten zu verteidigen und zu
begründen, warum sie nicht diskriminiert und verfolgt werden dürfen
ein bezeichnendes Anerkennen und Einlassen auf rassistische Logik, wenn
Menschen nur deswegen nicht ermordet werden dürfen, weil sie der deutschen
Gesellschaft, Wirtschaft und Staat nützlich sind
Kulturelle Unterschiede werden hervorgehoben: Wer kennt nicht die
Multi-Kulti-Feste mit den alle Klischees erfüllenden MigrantInnen?
Dieselben Unterschiede werden darüber hinaus als Gründe für
soziale Realitäten benannt: Wenn z.B. das Zusammenleben in
Großfamilien auf beengten Raum hier beibehalten wird, geschieht dies
angeblich nicht aus tatsächlich bestehender Armut, sondern
ausschließlich weil es der Kultur entspricht. Soziale
Probleme werden dadurch kulturalisiert. Das Ziel der Hervorhebung von
kulturellen Unterschieden ist es, eine positive Thematisierung in der
Gesellschaft und die Überwindung rassistischer Vorurteile zu erreichen
Die Folge davon ist die jedoch die Festschreibung dieser Vorstellungen.
BefürworterInnen des Multikulturalismus zementieren die bestehende soziale
Ungleichheit und schließen Gruppen dauerhaft aus, indem sie Unterschiede
fördern:(4) Die multikulturelle Gesellschaft ist mithin immer auch eine ungerechte Gesellschaft. Und ungerecht wird sie auch bleiben
müssen. (Cohn-Bendit)(5) Überhaupt nicht an der Änderung oder gar Abschaffung der bestehenden Verhältnisse
interessiert, plädieren die Multi-Kulti-Propagandisten für ein
Einrichten und Gewöhnen darin, ohne ihre eigene privilegierte und von den
kapitalistischen Verhältnissen profitierende Rolle zu hinterfragen:
Wir müssen lernen, mit der Armut zu leben, ohne gleich in Ohnmacht
zu fallen, wenn wir sie zu Gesicht bekommen.[...] Für viele Deutsche eine
vielversprechende Karriere sie können als Vorarbeiter eine leitende
Funktion übernehmen. (Dan Nitescu)(6).
Eine natürliche Angst vor fremden Kulturen soll es geben, und
durch die Konfrontation mit diesen entstünden zwangsläufig Konflikte
diese Grundprämissen multikultureller Arbeit, die z.B. das Dezernat
für Multikulturelle Angelegenheiten in Frankfurt/Main (ein
Vorreiterprojekt der Grünen) hat, legitimieren Rassismus par excellence.
Diese Annahme von Fremdenangst als biologischer Konstante ist ebenso wie der
als unveränderlich gesetzte und auf ethnischer Herkunft basierende
Kultur-Begriff eine Schnittstelle zum neu-rechten Diskurs. Ist die
Verschiedenartigkeit der Ethnien erst einmal vorausgesetzt, ist der Schritt zur
Aufstellung einer Wertigkeit innerhalb der kulturellen Vielfalt fast
unvermeidlich: Die eigene Kultur konstituiert sich genau in Abgrenzung zu den
anderen Kulturen.
Die multikulturelle Toleranz ist natürlich nicht unbegrenzt, sondern mit
Forderungen an die MigrantInnen verbunden. Sie sollen ökonomisch oder
kulturell in die Erwartungen passen, also entweder Billiglohnarbeiter oder
gesuchte Fachkräfte sein und sich um Integration bemühen. Die
Zuwanderer müssen lernen, sich in die inländischen Strukturen, das
Rechtssystem und die Wertvorstellungen der Deutschen einzufinden. (Amt
für multikulturelle Angelegenheiten FFM). Eine Spaltung der MigrantInnen
anhand egoistischer Verwertungskategorien findet also auch hier statt.
Daß die rassistischen Vorstellungen unter der dünnen Schicht des
Toleranz-Ideals und der Distanzierung von Vorurteilen bloß verdeckt sind,
zeigt sich dann, wenn das Modell des friedlichen und toleranten Zusammenlebens
in der Praxis nicht funktioniert: die multikulturelle Unduldsamkeit entdeckt
keine Ursache bei den toleranten Deutschen, sondern nur Fehler bei
den Anderen, von denen sich in der Folge noch stärker
abgegrenzt wird. MigrantInnen müssen sich in der multikulturellen
Prüfung beweisen, und wehe, sie genügen den Anforderungen nicht.
Integration bleibt auf oberflächlicher Ebene: es gibt für
MigrantInnen weder gleiche Rechte noch eine Teilnahme am gesellschaftlichen und
politischen Leben. Die Kommunale Ausländervertretung(7) hat beispielhaft trotz des Anspruchs, die Mitsprache Nichtdeutscher in
Frankfurt/Main zu ermöglichen, folgerichtig nur beratende Funktion.
Das Multikulturalismus-Konzept bekämpft den Rassismus in der Gesellschaft
nicht, sondern modernisiert diesen zu einem kulturellen
Kosten-Nutzen-Rassismus. Soziale und ökonomische Konflikte werden auf
kulturelle Konflikte heruntergespielt und auf dieser Ebene
befriedet: Nichtgenehmer Widerstand (z.B. die Forderung nach
politischer Machtbeteiligung) wird unterdrückt. Multikulturalisten
hinterfragen weder die herrschenden Verhältnisse noch wollen sie diese
angreifen. Sie tragen die bestehenden Unterteilungen von berechtigter und nicht
berechtigter Migration mit: politische Fluchtgründe sind akzeptabel,
wirtschaftliche und soziale nicht das Recht auf Migration aus Hoffnung
auf bessere Lebensperspektiven findet hier keinen Platz.
Exkurs zum Amt für multikulturelle Angelegenheiten/FFM
Das Amt für Multikulturelle Angelegenheiten(8) (AMKA, auch Antidiskriminierungsstelle) wurde im Sommer 1989 unter einer
rot-grünen Koalition in Frankfurt/Main gegründet und stellt ein
Vorzeigeprojekt der Grünen in der Umsetzung des
Multikulturalismus-Konzeptes dar. Das in Deutschland einzigartige Amt will ein
Modell für die Umsetzung einer neuen Zuwanderungs- und
Integrationspolitik sein. Seine Aufgaben sieht es in der Einnahme einer
Vermittlerposition bei Ämtern und Bevölkerung und der Förderung
einer dynamische Entwicklung einer kulturellen Identität bei
MigrantInnen. Nicht selten vermittelt das Amt in Konflikten zugunsten
friedliebender Deutschen, die von schwer integrierbaren
Ausländern belästigt werden: es erklärt die Ursache des
Konfliktes ausschließlich aus kulturellen Besonderheiten der MigrantInnen
und ethnisiert sie damit.
Einer dieser Nachbarschafts-Konflikte entzündete sich 1992 im Frankfurter
Nordend zwischen Anwohnern und dort lebenden Roma-Familien, denen
Lärmbelästigung, Vermüllung und Wohnungseinbrüche
angedichtet wurden ein normaler Vorgang in Deutschland, wo
es eine lange Tradition des mörderischen Rassismus gegen Sinti und Roma
gibt. Die erste Amtshandlung des AMKA war bezeichnenderweise der Versuch einer
Bestandsaufnahme der in Frankfurt lebenden Sinti und Roma, um sich einen
Überblick über die bei ihnen quasi zwangsläufig
anzutreffende Bettelei, Kriminalität und Prostitution zu verschaffen
das Problem, das zur Analyse ansteht, sind natürlich die
Zigeuner, denen die Schuld an ihrer Diskriminierung damit zugeschoben
wird. Die an Ämter verschickten Fragebögen lösten jedoch
berechtigte Assoziationen an die Sondererfassungen der Sinti und
Roma im Nazi-Staat aus, die ihren massenhaften Deportationen und Ermordungen ab
1937 vorausgingen. Infolge vielfältiger Proteste und Vorwürfe
besonders von Organisationen von Sinti und Roma verzichtete das Amt zwar auf
die Studie mit der Begründung, die hohe Sensibilität der
Betroffenen nicht bedacht zu haben, aber der fade Nachgeschmack bleibt:
die Opfer rassistischer Diskriminierung sind angeblich selbst daran schuld, und
die Arbeit des AMKA ist von rassistischen Klischees geprägt. Cohn-Bendit
schreibt im Rückblick auf dieses Ereignis: Wo Sinti und Roma
auftauchen, werden sie in aller Regel schnell zu trouble-makers, die fast
ausschließlich als Last und Zumutung erscheinen und die in der Tat
insofern asozial oder genauer: nicht-sozial sind, als sie nicht erkennen
lassen, daß sie zu der Gesellschaft, in der sie leben, Zugang finden
wollen.(9) die Klischees haben die Proteste
überdauert. Und für MigrantInnen heißt sozial sein,
sich in die hegemoniale Gesellschaft der Deutschen zu integrieren.
In seinen Argumentationen läßt sich das AMKA häufig auf
rassistische Vorbehalte ein und rechtfertigt die Anwesenheit von MigrantInnen
mit ihren wirtschaftlichen und kulturellen Nutzen. Solange sie die
hochgesteckten Erwartungen nicht enttäuschen, sind sie erwünscht und
sogar Hoffnungsträger für die Weiterentwicklung der deutschen
Gesellschaft: Die meisten Asylbewerber sind Menschen, die eine irrsinnige
Energie haben. Die haben es geschafft, aus ganz kaputten Zusammenhängen zu
fliehen. Und diese Energie würden sie unheimlich produktiv einsetzen hier
in dieser Gesellschaft.(10) Das AMKA spaltet MigrantInnen z.B. entlang der Eingliederung in das Multi-Kulti-Konzept, in alteingesessene,
gute versus neue, kriminelle Ausländer und
unterdrückt eigene migrantische Widerstandsformen.
Grenzcamp-AG Leipzig
Fußnoten
(1) Dennoch bleibt die völkische Variante weiterhin
aktuell, wie es z.B. die Leitkultur-Debatte zeigt
(2) das Aufgehen der MigrantInnen in der Mehrheitsgesellschaft
(3) Infolge der nationalsozialistische Ideologie und der Bilanz
seiner Herrschaft, die Vernichtung von Millionen JüdInnen, Sinti und Roma
und anderer Menschen, war ein positiver Bezug auf biologischen Rassismus
gesellschaftlich geächtet
(4) In den USA bedeutet die Förderung des
Multikulturalismus eine Anerkennung des Grabens zwischen den verschiedenen
Gruppen; Gleichheit als sozialpolitisches Ziel wird stillschweigend
aufgegeben.
(5) ehemaliger grüner Dezernent für multikulturelle
Angelegenheiten seit der Gründung 1989 bis 1997 in: Heimat Babylon. D.
Cohn-Bendit, T. Schmid
(6) Autor im Frankfurter Sponti-Blatt Pflasterstrand
(7) Die Kommunale Ausländer- und
Ausländerinnen-Vertretung (KAV) wird gewählt von allen
AusländerInnen mit Wohnort FFM. Sie wird von Magistrat und
Stadtverordnetenversammlung angehört, hat aber kein Mitspracherecht,
sondern nur beratende Funktion. Ähnliches gibt es heute lt. Gesetz in
allen hessischen Kommunen über 1000 gemeldeten Ausländern (Hessische
Gemeindeordnung von 1993)
(8) Eine ausführliche Untersuchung stellt folgendes Buch
dar: L. Mestre Vives: Wer wie über wen? Eine Untersuchung über das
Amt für Multikulturelle Angelegenheiten, 1998
(9) D. Cohn-Bendit, T. Schmid, Heimat Babylon, 1992
(10) D. Cohn-Bendit, Spiegel 22/1989, S. 103
(11) Pflasterstrand 1990
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