~~==++ Antirassistische Gruppe Leipzig ++==~~
veröffentlicht in: Klarofix 7/02

Grenzcamp / das Vierte:

Die inneren Grenzen im Visier

In diesem Sommer werden sich zum 4. Mal Menschen aus den unterschiedlichsten Regionen und Zusammenhängen zum antirassistischen Grenzcamp aufmachen. Die Aufrufe zum Camp gibt es schon seit einiger Zeit. Ihr könnt sie in den einschlägigen linken Publikationen (z.B. Klaro #84 und #85) und Projekten lesen. Deshalb an dieser Stelle noch mal ein Rückblick auf die Geschichte des Grenzcamps und ein Vorabblick auf das Programm des diesjährigen Camps bei Frankfurt am Main.

Rückblick: die Camps der letzten Jahre

Den thematischen Schwerpunkt der ersten 3 Camps bildete die Festung Europa und deren Grenzen. Diese Grenzen markieren nicht nur in gewisser Weise das Ende der Politik, also das Ende des Territorium des Nationalstaates, sondern aus den Grenzlinien sind gleichzeitig Zonen geworden: sie verschieben sich ins Landesinnere und in Drittstaaten. Das Prinzip der befestigten Grenze wird zunehmend durch ein System von Überwachung, Kontrollen und Denunziationsappellen abgelöst, eine Verschiebung von der Disziplinargesellschaft hin zur Kontrollgesellschaft ist zu verzeichnen. Aber Grenzen werden genauso dazu genutzt, Arbeitsmärkte ethnisch zu segmentieren. Diese Grenzen zu problematisieren heißt, die herrschende Wirklichkeit in Frage zu stellen.

Die deutsch- polnische bzw. die deutsch- tschechische Grenze gehört zu den in Europa von Polizei/BGS am best bewachtesten. In den letzten Jahren sind bei dem Versuch sie zu überqueren, zahlreiche Menschen gestorben. In diesen Grenzregionen ist der BGS oftmals der größte Arbeitgeber und gehört mit seinen grünen Bussen quasi schon zum Stadtbild. Jährlich wird das Personalkontingent aufgestockt, die Befugnisse werden ständig erweitert, sei es die 30- km- Zone, die Schleierfahndung oder die Präsenz auf den Bahnhöfen. Der hochtechnisierte BGS und die Denunziationsbereitschaft großer Teile der Bevölkerung verbinden sich zu bisweilen tödlichen Menschenjagd; 70- 80% der Festnahmen werden aufgrund von Hinweisen über das Bürgertelefon realisiert. Tausende Aufgegriffene werden nach Verhör und oftmals Bedrohung durch den BGS zurückgeschoben. Der Brief einer Leserin an die Sächsische Zeitung von 05.08.98 spiegelt das Verhältnis großer Teile der Bevölkerung zum BGS gut wieder: "Wir, wie so viele unserer Freunde und Nachbarn sind sehr froh, daß es den BGS gibt und hoffen, daß es auch in Zukunft mit aller Härte und Konsequenz gegen diese Wirtschaftsflüchtlinge vorgeht. Wir werden weiterhin aufpassen und denunzieren."

Das Grenzcamp stellt den Versuch dar, das feinmaschige Netz, was vom Grenzzaun, BGS- Patrouillen und Internierungslager, über rechtliche Diskriminierung, bürokratische Gängelung, populistische Reden, denunzierende BürgerInnen bis hin zur Jagd auf Illegalisierte und tägliche Abschiebung reicht, sichtbar und angreifbar zu machen. Der Kampf gegen die Grenze ist ein Kampf gegen Infrarotkameras, Plastikfesseln, Grenzschleier und gegen die Rassismus, Ressentiments und Borniertheit. Rassismus wird von uns weder als naturgegeben noch als gesellschaftlich unveränderlich hingenommen und es ist uns bewußt, daß die eigene Flucht in diverse gesellschaftliche Nischen kaum Hilfe zum Überleben für die Angegriffenen bringen kann. Im Rahmen des Camps soll die Möglichkeit geschaffen werden, sich mit all erdenklichen Mitteln einzumischen, sei es durch öffentliche Veranstaltungen, Aufklärung, solidarische Unterstützung, störende Aktionen, Kommunikationsguerilla oder Provokation. Die Aktionen an der Grenze hatten symbolischen Charakter, wobei die dt.- polnische bzw. die dt.- tschechische Grenze als Symbol für das Schengener Grenzregime steht. Exemplarisch für solch eine Aktion ist die Eröffnung neuer Grenzübergänge. Doch es wurde auch der Versuch unternommen, das rein Symbolische zu überschreiten wie bei der Blockade beim Schichtwechsel vor der BGS- Kaserne. Ausgehend vom Camp wurde aber auch versucht, auf die Situation von vor Ort aufmerksam zu machen, Kontakt mit der Bevölkerung mittels Verteilung einer Campzeitung aufzunehmen und die Gegenöffentlichkeit zu stärken, wobei in der Frage zum Umgang mit der Bevölkerung keine einheitliche Meinung bestand/besteht.
Doch die Wirkung des Camps verläuft nicht nur nach außen. Das Camp, bestehend aus einer bunten Mischung von Jung-Alt-, Ex-Autonomen, Antifas, KampagneaktivistInnen, MenschenrechtlerInnen und Kulturlinken steht für den Anspruch aber auch gleichzeitig für die Schwierigkeit gemeinsamen politischen Handelns. Für die Zeit des Camps werden linke Freiräume geschaffen, in denen Erfahrungen ausgetauscht werden und sich selbst ausprobiert werden kann, es kommt zu einer praktischen Verbindung zwischen der Anitra- und Anitfaszene.

Angefangen hatte alles 1998 beim 1.Camp in Rothenburg an der deutschen Grenze zu Polen. Schon allein das Stattfinden in dieser Region hatte großen Provokationseffekt, gesteigert durch oftmals polizeilich nicht angemeldete Happenings. Einer der Schwerpunkte neben Grenzen bildeten Aktionen gegen regionale (neo-) faschistische Strukturen. Thema war auch die Kriminalisierung von Taxifahrern, die des Schleusertums bezichtigt wurden, da sie Menschen ohne gültiges Visum transportiert hatten und dafür teilweise ohne Bewährung verurteilt wurden. Der Hotelkette SORAT, die am Betreiben von menschenunwürdigen Flüchtlingslagern und -unterkünften, Obdachlosenheimen und überteuerten Freßpaketen verdiente wurde ein Besuch abgestattet.

Das erste Camp fand noch unter dem Kohl- Kabinett statt, doch auch der Regierungswechsel enttäuschte letzte vereinzelte Hoffnungen auf Veränderungen in Flüchtlings- und Einwanderungspolitik. Gegenüber dem Vorjahr verdreifachte sich die TeilnehmerInnenzahl beim 2. Camp in Zittau. Schwieriger gestaltete sich im Vergleich zum Rothenburg allerdings die Platzfrage. Der Besitzer des zuerst ins Auge gefaßten Geländes trat kurz vor Beginn des Camps vom bereits bestehenden Vertrag aufgrund von Einschüchterungsversuchen (u.a. Morddrohungen) zurück. Trotz der ungeklärten Platzfrage reisten etliche Leute nach Lückendorf, wo das Camp ursprünglich stattfinden sollte. Durch den Druck von etwa 100 CamperInnen wurde eine vorübergehende Nutzung eines NVA- Geländes erreicht; später erfolgte nach zähen Verhandlungen ein Umzug auf das endgültige Gelände, welches sich im Nachhinein als recht vorteilhaft erwies. Wie auch schon bereits beim ersten Camp reichten die Reaktionen der Bevölkerung von Neugier, teilweiser Unterstützung, Irritation bis hin zu Ablehnung und Haßtriaden. Die teilweise vorhandene Angst vor den Nazis und das Wissen um etliche national befreite Zonen in Sachsen wurde durch die Gegenmobilisierung seitens der NPD bei einigen Personen bis zur Paranoia gesteigert. Doch die Anzahl der CamperInnen und die dadurch erwachsene Stärke, was immer ausreichend, um ohne Nazistreß zu leben und auch das Klima in den Orten verbesserte sich, zumindest für die Zeit unserer Anwesenheit.
In- Ruhe- gelassen wurden die Nazis auf keinen Fall, im Gegenteil, einige Nazikader wurden an das Licht der Öffentlichkeit gebracht. So wurden z.B. im Wohnort von Torsten Hiekisch (NPD- Mitglied) Flugblätter verteilt, in denen die BewohnerInnen etwas über den "netten jungen Mann von nebenan" erfuhren. Lieferanten unterschiedlicher Firmen hatten das Problem, die vom ahnungslosen T. Hiekisch "bestellten" Sachen abliefern zu können. Auch Gregor Janik (ehem. NPD- Bundesvorstand) erhielt in seiner Rechtsanwaltskanzlei Besuch, der ein paar Fäkalien hinterließ.
Selbstkritik wurde im Nachhinein hinsichtlich der die fehlende qualitative Verbesserung der Aktionen im Vergleich zum Vorjahr und zur zu kurz gekommenen inhaltlichne Auseinandersetzung geübt. Aus dieser Unzufriedenheit heraus entwickelte sich der Vorschlag, einen zukünftigen Schwerpunkt auch auf die Vernetzung der in- und ausländischen Gruppen und eine breitere Diskussion anitrassistischer Themen zu legen, ReferentInnen einzuladen oder AGs und Foren zu bilden.

Wie sich schon abzeichnete, fand das 3. Camp in Forst in Brandenburg im selben politischen Klima statt wie die beiden vorangegangenen. In Sachen Abschiebung und Internierung wurde die Linie der CDU/CSU fortgeführt. Grundlegende Änderungen des Staatsbürgerschaftsrechts wurden unter dem Druck der rassistischen Unterschriftskampagne ad acta gelegt. Und die Greencard- Debatte kündigte ein Verschieben rassistischer Ausschlussmechanismen hin zum Kriterium "Nützlichkeit für die bundesrepublikanische Wirtschaft an.
Im Land Brandenburg wurde 1998 das Handlungskonzept "Tolerantes Brandenburg" von der Landesregierung ins Leben gerufen. An Hand dieses Konzeptes läßt sich der Strategiewechsel im Umgang mit Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus gut aufzeigen. Wo zuvor noch versucht wurde, Probleme klein zu reden oder gar den Opfern vorzuwerfen, durch ihr Aussehen zu provozieren, wurde nun versucht, eine "Zivilgesellschaft" aufzubauen, geprägt durch Toleranz und Internationalität. Bei diesem Konzept fehlt es allerdings gänzlich an Unterstützung von Flüchtlingen und an inhaltlicher Auseinandersetzung mit den Ursachen der Probleme. Bei der Thematisierung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit darf die staatliche Verantwortung für rassistische Diskurse, autoritäre Sicherheitsphantasien, Internierung und Aufrüstung nicht fehlen.
Auch in Forst war bis zum Schluß die Platzfrage ungeklärt. Durch eine Auftaktsdemonstration und Besetzung eines Platzes in der Innenstadt konnte ein Gelände erzwungen werden. Es wurde gegen den Willen des Bürgermeisters von der Polizei bereigestellt. Neue Aktionsschwerpunkte in Forst bildeten die Residenzpflichtkampagne der am Camp beteiligten Selbstorganisation von Flüchtlingen "The Voice", die Gutscheinvergabe und der Zentrale Abschiebeknast in Eisenhüttenstadt. Etwa zeitgleich mit diesem Camp begann auch der Sommer der StaatsAntifa. Das Verhalten der Polizei zeichnete sich mit Zurückhaltung aus, wobei die Anweisung dazu von höherer Instanz kam. Das Camp wurde von der Presse als Bastion von Leuten entdeckt, die sich aktiv gegen Rassismus einsetzen und schenkte ihm erhöhte Aufmerksamkeit.
Dieser Instrumentalisierung zu entgehen, boten sich zwei Strategien: zum einen die Erhöhung der Militanz/Radikalisierung und zum anderen größere Schwerpunktlegung auf den Inhalt. In der Chronologie der Camps zeichnete auch sich eine Zunahme der Auseinandersetzung mit Sexismus, also mit den möglichen Zusammenhang bzw. dem Ineinandergreifen von Rassismus und Sexismus ab. Diese Diskussionen um mehr inhaltlichen Tiefgang und Struktur und Verhaltensmuster auf dem Camp bildeten einen Schwerpunkt der diesjährigen Campvorbereitung.

Vorschau: das Camp 2001

In diesem Sommer werden sich die CamperInnen zum ersten mal nicht an der deutschen Ostgrenze versammeln. Das Grenzregime verläuft eben nicht nur an der Außengrenze. Grenze bedeutet auch Meldepflicht, Asylbewerberleistungsgesetz, Residenzpflicht und Arbeitsverbot. Grenzen verlaufen auch in der sich als weltoffen gerierender Metropole Frankfurter Flughafen (Main) mit seinen rassistischen Kontrollen, Ausländerbehörde und Arbeitsamt und am Rhein-Mainflughafen als Umschlagsplatz für Konsumgüter aus der Peripherie und ausgestattet mit einem exterritorialem Internierungslager für Flüchtlinge. Jährlich werden 10000 Menschen, oftmals unter Anwendung von Gewalt, vom Flughafen aus abgeschoben. Die Hälfte davon in Maschinen der Lufthansa.

Das 4. Grenzcamp bei Frankfurt/Main bietet also ein weites Feld von Aktions- und Interventionsmöglichkeiten und stellt gleichzeitig ein ganz neue Herausforderung dar. Die Vorbereitungsgruppen haben dem diesjährigen Camp schon einiges an Struktur und Rahmenprogramm verpasst. Wie zu den vorangegangenen Camps wird es wieder eine Campzeitung in 10.000er Auflage geben, mit inem Mix aus Mobilisierungs- und Hintergrundartikeln, dem Programm, Terminen...
Während der ganzen Woche steht eine große Mobile Musikanlage zur Verfügung. Radio und Das Nadir-Webjournal und Indymedia werden vor Ort sein.
Im Camp wird es ein Konfliktgremium als Angebot und Anlaufstelle geben. Die Idee, dieses Gremium zu bilden ist ein praktisches Resultat der Sexismusdiskussion auf und nach dem letzten Camp. Es soll in erster Linie dann agieren, wenn bei einem sexistisch oder rassistisch motivierten Übergriff eingreifende FreundInnen nicht mehr weiter wissen oder ein solches Umfeld gar nicht erst vorhanden ist. dazu wird auf dem Camp ein Papier verteilt und die Personen die angesprochen werden können, stellen sich auf dem Plenum vor.

Soweit der Stand der Dinge. Haltet euch auf dem laufenden, nutzt die Infoveranstaltungen im Vorfeld des Camps und campt mit uns!

Grenzcamp-AG Leipzig


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09.11.2003
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