veröffentlicht in: Phase 2.04, Mai 2002
White Men at work
Die Rolle der Arbeit im Verhältnis von Rassismus und Kapitalismus
Vom 12.-19.07.2002 findet in Thüringen bei Jena(1) das fünfte Antirassistische Grenzcamp statt. In den vergangenen Jahren haben sich die Camps als
konstituierendes Ereignis und Diskussionsforum für die antirassistische
Bewegung erwiesen. Neben der Thematisierung von Grenzen für MigrantInnen und
Flüchtlinge wird auch die Einwanderungsdebatte als Verknüpfung rassistischer
Argumentationen mit kapitalistischer Verwertung ein Thema sein. Als eine an der
Vorbereitung und Durchführung beteiligte Gruppe wollen wir sowohl im Vorfeld
als auch auf dem Camp selbst in Form einer Diskussionsveranstaltung das
Verhältnis von Rassismus und Kapitalismus und die Rolle der Arbeit beleuchten.
Ausgangsbasis für uns ist ein Theoriedefizit in der antirassistischen Analyse:
Meist wird das Herrschaftsverhältnis Rassismus weitgehend isoliert betrachtet
und nicht in eine umfassende Gesellschaftsanalyse und -kritik eingebettet.
Rassismus und Kapitalismus sind keine bloß nebeneinander her bestehenden
Herrschaftsverhältnisse, sondern es gibt zahlreiche Verschränkungen und sie
konstituieren und bedingen sich gegenseitig. Doch auch dort, wo die Diskussion
geführt wird, sind die Analysen häufig verkürzt und problematisch: so ist z.B.
die Vorstellung, dass die kapitalistische Ordnung Rassismus als lediglich
vorgefundenes Herrschaftsverhältnis instrumentalisiert und nicht aus sich
heraus notwendig hervorbringt, keine isolierte Position, sondern durchaus
gängig nicht nur in der antirassistischen Diskussion. Unser Ziel ist es,
inhaltliche Diskussionen sowohl innerhalb der antirassistischen Bewegung als
auch als Teil einer radikalen Linken losgelöst von ihrer Aufsplittung in
Teilbereiche voranzubringen. Für einen konsequenten linken Antirassismus ist
eine Auseinandersetzung mit und Analyse von Kapitalismus und Ideologien wie
Rassismus unbedingt notwendig. Wir werden im Folgenden den Stand unserer
Analyse als Beitrag zu dieser von uns eingeforderten Diskussion vorstellen.
Rassismus spielt eine wichtige Rolle bei der Durchsetzung der Werte und
Sekundärtugenden im kapitalistischen Arbeitsprozess und der bürgerlichen
Gesellschaft. Der Mensch muss sich zum bürgerlichen Subjekt, das in der
kapitalistischen Gesellschaft funktioniert, zurichten und seine innere Natur
beherrschen.(2) Das bürgerliche Subjekt lernt in einem schmerzhaften, nie vollständig abgeschlossenen Prozess, seinen Lebensalltag und seine Bedürfnisse
auf eine von außen aufgezwungene Arbeitsdisziplin auszurichten, die aber nicht
als solche begriffen, sondern als prinzipiell notwendig und richtig von innen
heraus bejaht wird. Es verklärt Arbeit als natürlich und dem menschlichen Wesen
zugehörig. Folgerichtig begreift es seine Zurichtung als Verwirklichung des
menschlichen Charakters und benötigt kaum noch äußere Zwänge, sondern
verstümmelt sich vielmehr freiwillig zur kapitalistischen Arbeitsmaschine.
Das bürgerliche Subjekt spaltet die Welt in Gegensätze – Zivilisation/Kultur
vs. Natur, Geist/Verstand vs. Trieb – weist sich den einen Teil zu und
projiziert den zweiten auf "die Anderen". Zwei wesentliche Abspaltungen, auf
die wir im folgenden eingehen werden, sind die Konstruktion der
Zweigeschlechtlichkeit, in der Geschlechter als zwei zusammengehörende und sich
gegenseitig ergänzende Teile innerhalb einer Gemeinschaft begriffen werden, und
die rassistische Spaltung in Angehörige einer eigenen Gemeinschaft, denen die "Fremden" entgegengesetzt werden.
Kultur vs. Natur Part I:sexistische Abspaltung(3)
Eine grundlegende Spaltung ist die Konstruktion zweigeteilter Geschlechter. Dem
"Mann" als Ausgangs- und Bezugspunkt wird dabei Rationalität, Vernunft und
Triebbeherrschung zugewiesen. Die "Frau" hingegen wird in die Nähe der Natur
gedrängt: sie gilt als emotional, sinnlich, ungezügelt und in der
Reproduktionssphäre verhaftet. Der Mensch ist der Mann, die Frau nur "das
Andere". Das Idealbild einer freien, ungebundenen, produktiven Arbeitskraft
wäre ohne das Gegenprinzip der fürsorgenden, erziehenden und emotionalen Frau
nicht überlebensfähig. Bereits daher ist eine vollkommene Lösung von der Natur
nicht möglich. Der scheinbare Gegensatz ist ein Teil des Eigenen und fasziniert
gleichermaßen wie er gehasst werden muss, um sich von ihm abspalten zu können.
Die Geschlechterdichotomie und das patriarchale Geschlechterverhältnis bilden
die Grundlage für das Funktionieren der kapitalistischen Ordnung. Durch die
Abspaltung von der Natur entsteht das bürgerliche Subjekt, welches Ideologien –
wie Rassismus – hervorbringt.
Kultur vs. Natur Part II:rassistische Abspaltung
Die Zurichtung des Menschen zum bürgerlichen Subjekt und die
Widersprüchlichkeit der Interessen als Privat- und Staatsbürger in einer
kapitalistisch-bürgerlichen Gesellschaft, die scheinbar unverständlich und
durch indirekte Herrschaft funktioniert, bilden den Nährboden für Ideologien.
Diese geben einfache Erklärungen für komplexe und unverständliche Zusammenhänge
und stiften darüber hinaus Identität und Gemeinschaft.
Die Figur des "Fremden" verkörpert den verdrängten, abgeschobenen Teil des
eigenen Selbst als Spiegelbild der eigenen Identität. Nur in Abgrenzung zu "den
Anderen" kann sich die eigene Identität festigen und rückversichern und ist
immer auch Zurichtung und Einfügen in Rollenbilder.
Das bürgerliche Subjekt versucht die Abtrennung von seiner inneren Natur durch
die Einbindung in als natürlich konstruierte und empfundene Gemeinschaften zu
kompensieren. Aufbauend auf diese unveränderlich festgeschriebenen Gruppen
werden komplexe soziale Zusammenhänge zu biologischen oder kulturellen(4)
Entwicklungen verklärt oder in das Wesen hineinverlagert.
Die Zurichtung des Menschen zum bürgerlichen Subjekt ist nie abgeschlossen:
anfänglich erfolgte sie gewaltsam durch Zwänge von außen, um den Arbeitsethos
und die Bedürfniszurichtung im Individuum zu internalisieren und
gesellschaftlich durchzusetzen. Heute erfolgt die Zurichtung "von Geburt an"
durch Erziehung und Sozialisation und muss permanent aufrechterhalten werden:
jeder Mensch muss sich lebenslang zurichten. Ideologien verlieren auch nach der
äußerlichen Durchsetzung nicht ihre Bedeutung, sondern erfüllen dauerhaft
Funktionen bei der Zurichtung des Menschen und der inneren Durchsetzung der
Arbeitsdiziplin, der Legitimierung und Aufrechterhaltung der kapitalistisch-
bürgerlichen Ordnung. Wie dies mithilfe der rassistischen Ideologie
durchgesetzt wurde und wird, veranschaulichen die folgenden beiden historischen
Beispiele und ein Blick auf die aktuelle Situation.
Arbeitsethos:Kolonialismus
In den afrikanischen Kolonien wurde die Arbeitsgesellschaft etwa 100 Jahre
später in verdichteter, beschleunigter Form und mit denselben Mechanismen
innerhalb von ein bis zwei Generationen durchgesetzt, was in Westeuropa noch
mehrere Generationen dauerte.(5)
Im Zuge der Durchsetzung des Kapitalismus in Europa im 18. Jahrhundert wurde
der Arbeitsbegriff verändert bis hin zum quasi-religiösen Sinnzentrum des
Lebens. Die von außen erzwungene Arbeitsdisziplin wurde zu einer von innen
heraus bejahten, selbstlaufenden, "automatischen" Arbeitsdisziplin. Arbeit galt
als die notwendige Schule für die "rohe Menschheit", um auf dem Wege zur
Zivilisation der "Segnungen der freien und freiwilligen Arbeit" teilhaftig zu
werden. Nur "despotische, sittlich verdorbene Länder" würden die Arbeit
missachten. Diese Ansicht beinhaltet die Aufforderung zur Missionierung der "Wilden" durch Arbeit.
Mehrere Generationen weißer Kolonialherren unternahmen Versuche, in Afrika das
Arbeitsprinzip durchzusetzen, die verquickt waren mit rassistischen Klischees
vom faulen und naturhaften "Afrikaner". Daraus leiteten sie die Aufgabe der "Weißen" ab, die "Schwarzen" zu zivilisieren, was sich aber innerhalb der rassistischen Logik nur als Sisyphosarbeit herausstellen kann, weil die Grundannahme in einem unveränderlichen und natürlichen Wesen des "faulen
Schwarzen" besteht. Dieses Bild nimmt vorweg, dass bis heute die Durchsetzung
des Arbeitsprinzips nicht gelungen ist. Die Gründe für das Scheitern wurden und
werden aus weißer, kolonialer Sicht mittels der drei folgenden Thesen erklärt:(6)
Die rassistische These: Die AfrikanerInnen sind faul und müssen zur Arbeit
gezwungen werden. Das bedeutet, dass Zivilisation und Arbeitsgesellschaft in
Afrika nur möglich sind, wenn die weiße Herrschaft erhalten bleibt. Diese These
ist bei weißen SiedlerInnen nach wie vor weit verbreitet.
Die kulturelle These: Sie besagt, dass das afrikanische Verwandtschaftssystem
die Entstehung von Karriere- und Leistungswünschen verhindert, wohingegen die
Etablierung der Kleinfamilie mehr Verfügungsrecht über den eigenen Lohn nach
sich ziehen würde.(7)
Die ökonomische These sagt aus, dass es notwendig ist, Anreize zu schaffen.
Diese können zum einen politisch repressiv sein, d.h. die Zerstörung der
sozialen Bindungen und der traditionellen Lebensgrundlagen zum Ziel haben. Zum
anderen können sie liberaler Art sein, in dem Sinne, Lohnanreize zu schaffen.
Zu Beginn der Kolonialzeit beklagten sich die weißen Pioniere immer wieder über
die Bedürfnislosigkeit und die Unzuverlässigkeit der schwarzen Hilfskräfte.
Oftmals blieben die Anwerbungen für Landwirtschaft, Fabriken und vor allem
Bergbau erfolglos, da für die afrikanischen Gesellschaften keine Notwendigkeit
bestand, für die Weißen zu arbeiten. Die Beschaffung von Arbeitskräften
erfolgte letztendlich doch über Zwangsarbeit, Erhebung von Steuern und hohen
Strafen bei Missachtung der Kolonialgesetze. Des weiteren wurden
Erziehungsinstitutionen geschaffen – nämlich compounds (Arbeitslager) und
Schulen – um die Anerziehung von Arbeits- und Zeitdisziplin zu ermöglichen.
Es wurde die materielle Notwendigkeit geschaffen, sich in abhängige Arbeit zu
begeben. Erreicht wurde dies durch die Zerstörung der Subsistenzwirtschaft
mittels der Monopolisierung des Bodens, die Erzwingung von Bargeldbedarf durch
die Einführung von Steuern und später die Erziehung zu disziplinierten
KonsumentInnen durch die shops in den compounds. Parallel dazu wurden regionale
Kulturen zerstört, da die traditionellen Lebensverhältnisse mit den
Erfordernissen der Arbeitsgesellschaft – der disziplinierten Gleichschaltung –
unvereinbar waren. Im afrikanischen Kontext bedeutete dies vor allem die
Bekämpfung der Polygamie, des Polytheismus und der Vielzahl an Festen.
Zur Legitimation all dieser Vorgehensweisen beriefen sich die Kolonialherren
auf das o.g. Stereotyp vom "faulen Afrikaner". Cecil Rhodes – weißer Pionier
der 1. Stunde – begründete die Kolonisierung Afrikas und anderer Regionen in
der Welt mit rassistischen Aussagen wie, "dass wir (die Briten) die erste Rasse
in der Welt sind und dass es um so besser für die menschliche Rasse ist, je
mehr von der Welt wir bewohnen".
Arbeitsethos:Frühkapitalismus
Welche Rolle Rassismus bei der Herausbildung des bürgerlichen Arbeitsethos
spielte, zeigt das historische Beispiel der "Zigeuner".(8) Das "Zigeuner-Volk" wurde nicht als einheitlich festgefügt konstruiert. Vielmehr wurde die
Möglichkeit, durch freie Entscheidung dazu zu stoßen, immer betont und spielte
eine wichtige Rolle. Dennoch wurden gleichzeitig die zugeschriebenen
Eigenschaften einerseits als angeboren charakterisiert, indem ein genetischer
Begriff von Faulheit und Müßiggang, der die Ursachen im Individuum und nicht in
erster Linie in der "Volkszugehörigkeit" sucht, entwickelt wurde. Andererseits
galten sie als unveränderlich: ihre Verfolgung wurde nicht mit konkreten
Delikten begründet, sondern mit ihrem Lebenswandel, zu dem Kriminalität als
unveränderlicher Anteil dazugehören und früher oder später vorbrechen würde. In
der öffentlichen Vorstellung resultiert ihre Fremdheit nicht vorrangig daraus,
dass sie "aus der Ferne" zugewandert sind,(9) sondern aus ihrer Verweigerung an die Anforderung der Neuzeit: an abhängige Arbeit, Sesshaftigkeit, Unterordnung unter die Herrschaftsverhältnisse und Triebkontrolle. Dadurch entfaltete das
Klischee der stigmatisierten ZigeunerInnen ein enormes Drohpotential gegenüber
den potentiellen ArbeiterInnen. Der gewaltsame Umgang mit ihnen verdeutlichte,
was mit denen geschieht, die sich den kapitalistischen Werten und insbesondere
dem neuen Arbeitsethos entziehen und sich in die Nähe der verachteten Gruppen
und "Rassen" rücken.(10) Die Alternative "Abhängige Arbeit oder Unterdrückung und Untergang" gilt sowohl für die als minderwertig definierten "Rassen" als
auch für die unteren Klassen, die zu dieser Zeit "produziert" wurden.
Zwangsweise wurden Menschen zu "Vagabunden und Bettlern" gemacht, dann
beschuldigt, willentlich aus Faulheit diesen Lebensstil gewählt zu haben und
sich dem Arbeitsethos zu entziehen, und schließlich wegen Delikten wie
Landstreicherei und Bettelei, die einen Lebenswandel kriminalisieren, in
Arbeits- und Zuchthäuser gesperrt.
Arbeitsethos:today
Im aktuellen Diskurs greifen mehrere, in sich widersprüchliche rassistische
Vorurteile ineinander. Die klassischen Zuschreibungen von "faulen, naturnahen
Völkern" bestehen zum Beispiel in der Erklärung unterschiedlicher
Entwicklungsstände von Ländern im Weltmaßstab fort. So ist die Wirtschaft
afrikanischer Länder angeblich deswegen unterentwickelt, weil die BewohnerInnen
nicht kapitalistisch durchrationalisiert sind, Vetternwirtschaft statt
ökonomische Betriebsplanung betreiben würden und nicht produktiv arbeiten. Sie
scheinen (noch) keine kapitalistischen "Arbeitstiere", sondern der Natur näher
zu sein, und darin wird eine einfache Erklärung für systemimmanente
Widersprüche gefunden, die im Wesen dieses "Volkes" liegen soll.
Bei hier lebenden MigrantInnen scheint sich dieses Klischee auf den ersten
Blick verkehrt zu haben. Deutsche fürchten sie als KonkurrentInnen auf dem
Arbeitsmarkt, die härtere Bedingungen akzeptieren und für weniger Geld
intensiver arbeiten. Im Heimatland noch unfähig zur Arbeit und schuld an
wirtschaftlicher Misere, scheinen also dieselben Menschen im Zufluchtsland in
der Wahrnehmung zu Musterbildern der kapitalistischen Verwertung zu mutieren.
Aber sie verkaufen sich "unter Wert": sie sind gezwungen, ihre Arbeitskraft
unter dem dafür üblichen Tauschwert zu verkaufen. Sie gelten im Wortsinn als "minder-wertig" und folgerichtig auch als formal ungleich.(11) Auch die
Begründung folgt rassistischen Mustern: Nichtdeutsche Arbeitskräfte gelten als
primitiv und bedürfnislos und bräuchten deswegen gar keinen höheren Lohn.
Die Zuschreibungen bilden keinen Widerspruch, sondern stellen vielmehr eine
konsequente und effektive Ergänzung verschiedener Funktionen dar. Rassismus
legitimiert und rechtfertigt das Konkurrenzprinzip zum einen innerhalb eines
Landes z.B. durch die Präsenz und Drohung der billigeren Alternativen
MigrantInnen und Schwarzarbeit, zum anderen nach außen z.B. durch die Drohung
von Unternehmen, in Länder mit niedrigeren Produktionskosten abzuwandern. Er
stützt die Identifikation mit Deutschland: In dieser Logik scheint es dann
plötzlich im eigenen Interesse der ArbeiterInnen zu sein, dass sie weniger Lohn
erhalten oder entlassen werden, um den Wirtschaftsstandort BRD zu erhalten.
summer:camp action:europaweit
Nicht nur in Thüringen, auch an anderen Orten organisieren antirassistische und
linksradikale Gruppen mit verschiedenen Schwerpunkten Camps, um
gesellschaftliche Widersprüche zu thematisieren, zu analysieren und zu
bekämpfen.
Das vom europaweiten noborder-Netzwerk organisierte Camp in Strasbourg(12) vom
19.-28. Juli thematisiert Entwicklungen im Bereich Innere Sicherheit,
Bewegungsfreiheit versus Grenzen und Grenzregime und eine Migrations- und
Asylpolitik, die sich an kapitalistischer Verwertung orientiert.
Die "Land in Sicht"-Tage(13) in Hamburg unter dem Motto "Schill-Y-out-Days" ab dem 16. August werden kurz vor der Bundestagswahl eine Auseinandersetzung mit dem als Antikriminalitätsdiskurs getarnten Rechtsextremismus, rassistischen
Diskursen und kapitalistischer Verwertung in Gang bringen.
Und schließlich werden anknüpfend an die Crossover-Konferenzen in Berlin und
Bremen Diskussionen über die Verschränkungen von Herrschaftsverhältnissen, die
auf den früheren Grenzcamps meist zu kurz kamen, auf dem Crossover-Camp(14) vom
03.-10. August bei Berlin weitergeführt werden.
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tomorrow:Perspektiven
Der Kapitalismus ist legitimierend und konstituierend für den Rassismus.
Dennoch ist es falsch, diesen rein ökonomistisch aus dem Kapitalverhältnis
abzuleiten: Als eine Ideologie der Ungleichheit verselbständigt er sich und
reproduziert sich ständig. Ebenso ist der Rassismus aber auch konstituierend
für den Kapitalismus. Er spielt eine wichtige Rolle bei dessen
Aufrechterhaltung und verhindert, dass die kapitalismusimmanenten Widersprüche
zu Tage treten. Rassismus zu bekämpfen muss heißen, auch Kapitalismus zu
bekämpfen als eine wesentliche Grundlage.
Herrschaftsverhältnisse wurden in der Vergangenheit meist in einer Hierarchie
von Hauptwiderspruch Kapitalismus und den ihm untergeordneten
Unterdrückungsverhältnissen Rassismus, Sexismus, Nationalismus u.a. gedacht,
oder als gleichwertig, aber voneinander isoliert gedacht. Entscheidend ist
vielmehr, ihren Zusammenhang und ihre Funktionen zu untersuchen. Dieser Text
stellt nur einen Beitrag zu dieser zu führenden Diskussion dar, in der die
Beschränkung der Teilbereiche und der isolierten Politikfelder überwunden
werden und parallel eine Praxis zur Abschaffung jeder Form von Herrschaft
(weiter) entwickelt werden muss.
Klara Woldner (Mitglied der Antirassistischen Gruppe Leipzig)
(1) http://www.contrast.org/borders/kein
(2) Der Begriff der "inneren Natur" meint keine natürliche, vorausgesetzte und
unveränderliche Natur des Menschen, die ihn biologisch determiniert (abgesehen
von wirklichen biologischen Konstanten wie Schmerzempfinden und Hunger),
sondern diese ist bereits gesellschaftlich geformt. Die Zurichtung des Menschen
unter kapitalistischen Verhältnissen ist eine komplizierte und
widersprüchliche: einerseits werden Bedürfnisse nach Geborgenheit, Unterhaltung
und Freizeit produziert, andererseits bürgerlicher Arbeitsethos, Effektivität
und Leistung. Letzteres fordert die Unterdrückung der ersteren Bedürfnisse ein.
(3) Ausführlicher in einem Artikel von Martin D., CEE IEH 84 (Januar 2002),
http://www.nadir.org/nadir/initiativ/ci/nf/84/15.html
(4) Kulturelle Erklärungsmuster funktionieren aber genauso festgefügt und
unveränderlich, also "quasi-biologisch".
(5) Näheres in: Reimer Gronemeyer (HG.) "Der faule Neger. Vom weißen Kreuzzug gegen den schwarzen Müßiggang".
(6) Tatsächlich lagen die Gründe aber u.a. darin, dieselben Mechanismen, die in Europa zur Durchsetzung der Arbeitsgesellschaft und zur Verinnerlichung des Arbeitsethos erfolgreich waren, auf Afrika ohne Anpassung an die spezifischen
Verhältnisse zu übertragen. Wesentliche Voraussetzungen, die in Europa den
Boden für die Entwicklung und Annahme des Arbeitsethos bereiteten, waren nicht
gegeben: z.B. ein abstrakter Arbeitsbegriff und Wert als Arbeit "für Gott", der
nur noch säkularisiert werden musste. Ein weiterer Grund lag in der kolonialen
Situation: Die Unterdrückten verband mit den kolonialen UnterdrückerInnen keine
Gemeinschaft (wie Nation oder Volk), aus der heraus sie die Werte der
UnterdrückerInnen als ihre eigenen annehmen konnten.
(7) Als Merkmal der afrikanischen Großfamilie wird ein starker Zusammenhalt der
Gruppe benannt, aus dem folgt, dass ein Großteil des Lohn automatisch auch nach
festgelegten traditionellen Kriterien auf die gesamte Familie aufgeteilt wird
und nicht der freien Verfügung des Verdienenden liegt.
(8) Ausführlich in: Wulf D. Hund: Das Zigeuner-Gen. Rassistische Ethik und der
Geist des Kapitalismus. In: Rassismus. Die soziale Konstruktion natürlicher
Ungleichheit, 1999
(9) Sinti und Roma wanderten zu Beginn des 15. Jhd. in der Phase des Untergangs des Feudalismus und der Herausbildung frühkapitalistischer Strukturen nach
Mitteleuropa ein.
(10) Die Verwissenschaftlichung des "Zigeuner"-Begriffes als biologische Rasse
im 19. Jhd. machte diesen dann auch weitgehend untauglich für die Durchsetzung
des Arbeitsethos.
(11) Stephan Grigat legt diesen Ansatz von Peter Schmitt-Egner in seinem Aufsatz "Rassismuskritik und Wertvergesellschaftung" dar (Context XXI:
http://contextxxi.mediaweb.at/texte/archiv/wuz990545.html)
(12) http://www.noborder.org
(13) http://www.nadir.org/nadir/kampagnen/landinsicht/
(14) http://www.summercamp.squat.net
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