Jena, den 18. Juli 2002
Ehrensache
Aktion für eine andere Gedenk-Politik in Jena.
Gegen die Glorifizierung von Rassisten und Eugenikern.
Für das Gedenken an deren Opfer.
Die Stadt Jena ist stolz auf seine Unternehmer und Wissenschaftler. Etliche Gedenktafel, Straßenschilder, Ehrenbürgerschaften und Museen künden davon. In vielen Fällen wird den Falschen gedacht: Rüstungsunternehmer, nationalistische Politiker oder rassistische Wissenschaftler sind nichts ehr-würdiges. Die "Richtigen" hingegen werden aus dem offiziellen Gedenken ausgeschlossen: die Opfer der Waffen aus Jena, der neuen und alten Nazis, der "Euthanasie". Deswegen haben wir heute etliche Straßennamen und Gedenktafeln in Jena umbenannt und umgewidmet.
Zum Beispiel: Ernst Haeckel
Zum Gedenken an Ernst Haeckel gibt es in Jena ein Museum, eine Straße, einen Platz und die Ehrenbürgerschaft der Stadt. Er gilt als großer Wissenschaftler, der der Evolutionstheorie zum Durchbruch verholfen hat. Seine Leistung bestand darin, tausende von Einzellern zu klassifizieren (und sie z.B. nach Otto von Bismarck - auch ein Ehrenbürger der Stadt Jena - zu benennen), "Euthanasie" (d.h. die Ermordung von Kranken, Behinderten, "Taugenichtse") zu propagieren und den wissenschaftlichen Rassismus zu erfinden. Er gilt als einer der wichtigen Wegbereiter der nationalsozialistischen Rasse-Politik. Ein positiver Bezug auf Haeckel verwundert allerdings kaum in einer Stadt, die auch den politischen Wegbereiter der Nationalsozialisten, Paul von Hindenburg, als Ehrenbürger hat.
Im von Haeckel gegründeten Phyletischen Museum wird seine rassistischen Theorie vom Stammbaum des Menschen noch heute als wissenschaftlich richtig präsentiert. Lediglich der Begriff der "Rasse" solle aus historischen Gründen durch das Wort "Ethnie" ersetzt werden. Vorsichtige Kritik an Haeckel wird maximal im universitären Rahmen und immer Eingedenk seiner angeblich großen Verdienste geübt. Eine Verdrängungsleistung, die nicht neu zu sein scheint: Von Hitlers Autobahnen schwärmt auch heute noch so mancher...
Zum Beispiel: Jussuf Ibrahim
Zum Gedenken an Jussuf Ibrahim gibt es in Jena nur noch eine Ehrenbürgerschaft. Die Straße, die Kinderklinik und der Kindergarten mussten nach öffentlicher Kritik im Jahr 2000 umbenannt werden. Er gilt als liebevoller Kinderarzt, der sich für Frieden und Antifaschismus verdient gemacht habe. Er liebte die Kinder so sehr, dass er im Dritten Reich mindestens sieben in den Tod schickte, indem er sie für die "Euthanasie" selektierte. Er war so antifaschistisch, dass er von den Nazis das Kriegsverdienstkreuz der 2. Klasse entgegennahm und nach der Machtübernahme dem Jenaer Oberbürgermeister schrieb: "Die uns oft recht bedrücklichen politischen Zustände des beseitigten Systems sind heute durch das neue Leben des deutschen Volkes ersetzt." Er machte so schnell Frieden mit den neuen Verhältnissen nach 1945, dass ihm 1952 der Nationalpreis der DDR 1. Klasse verliehen wurde.
Spätestens seit 1985 war bekannt, dass Ibrahim in die Euthansie-Morde im Dritten Reich verwickelt war. Erst 1999 beginnt in Jena eine öffentliche Diskussion um die Würdigung von Ibrahim. Den Euthanasie-Vorwürfen halten die Jenaer Bürger entgegen, dass der Mord an Behinderten gerechtfertig gewesen sei - eine Auffassung, die auch der amtierende Präsident der Thüringer Landesärztekammer teilt. Der Oberbürgermeister von Jena ruft dazu auf, sich dem "öffentlichen Druck durch Journalisten und Historiker" aus dem Westen nicht zu beugen.
Zum Beispiel: Die Opfer
Auf die Idee, die Kinderklinik nach einem Opfer der von Ibrahim veranlassten "Euthanasie" zu benennen, kommt niemand. Auch das Haeckel-Museum wird immer noch nicht dazu genutzt, um über die verherrenden Verbrechen, die im Namen des wissenschaftlichen Rassismus angerichtet wurden, aufzuklären. Den im Dritten Reich enteigneten, vertriebenen und ermorderten Juden aus Jena wurde keine der zahlreichen Gedenktafeln in der Innenstadt gewidmet. Und wenn heute die Neonazis in Jena Ausländer verprügeln, ist dies nur eine kurze Schlagzeile wert, wenn es sich dabei um verdienstvolle Wissenschaftler handelt, die an der Jenaer Uni zu Gast sind oder bei Carl Zeiss arbeiten - für die Flüchtlinge, die u.a. hier sind, weil Carl Zeiss mit seiner Rüstungsproduktion Kriege ermöglicht, interessiert sich niemand, wenn sie angegriffen werden.
Mit der heutigen Aktion wollen wir diesem Umgang mit der Geschichte symbolisch etwas entgegensetzen und unserer grundlegenden Kritik daran Audruck verleihen.
Häkeln statt Haeckel!
Schönes Leben statt "schöner Tot"!
Gegen die Verdrängung
der deutschen Geschichte!
Für Friede, Freude, Eierkuchen!
TeilnehmerInnen des 5. Antirassistischen Grenzcamps in Jena
www.nadir.org/camp02
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