veröffentlicht in: Incipito 3 (Oktober 2002)
Der antirassistische Antifa-Sommer
Der deutsche Staat inszenierte im Jahr 2000 den "Antifa-Sommer". Der außenpolitisch, ökonomisch und soziologisch (68er-Generation) motivierte Staatsantifaschismus wurde mit Hilfe von Polizei, Zivilgesellschaft, Stiftungen und Verfassungsschutz durchgesetzt. Geändert hat es an den Einstellungen der deutschen Bevölkerung nicht viel.
Analog wird die Auseinandersetzung zum Nahostkonflikt innerhalb der deutschen Linken geführt. Inzwischen wissen fast alle, die sich öffentlich äußern, dass gewisse Dinge nicht laut gesagt werden dürfen. Die Akteure, die das Image der deutschen Linken in Sachen Anti-Antisemitismus hochhalten, heißen: Bahamas, Antideutsche Gruppen, Antifa-Zeitschriften usw. - wer in 10 Jahren die einschlägigen Publikationen durchsieht, wird zu dem Schluss gelangen müssen, dass im Jahre 2002 Antisemitismus innerhalb der Linken kein akutes Problem gewesen sein kann. Die Wirklichkeit sieht allerdings anders aus, zum Beispiel auf und um die antirassistischen Grenzcamps in Jena und Strasbourg.
Ein Zusammenhang, der sich selbst "Autonome Antifaschistinnen und Antifaschisten aus dem Süden, Westen und Südwesten der BRD" nannte, kündigte für das 5. antirassistische Grenzcamp in Jena eine Veranstaltung unter dem Titel: "Solidarität mit Israel? Solidarität mit Palästina? Warum wir Solidarität mit Nationalstaaten generell ablehnen" und dem Untertitel "Ein Workshop ohne Sprech-, Raum- und Diskussionsverbote" an. Die an der Grenzcampvorbereitung beteiligte Antirassistische Gruppe Leipzig meldete Bedenken gegen die Veranstaltung, über deren Inhalt nur Vermutungen angestellt werden konnten, oder zumindest gegen Titel und Untertitel an. Kritisiert wurde in einer Stellungnahme der Leipziger Gruppe, dass der Titel suggeriert, Israel sei ein x-beliebiger Nationalstaat, dessen Existenzrecht genauso in Frage gestellt werden könnte, wie das von Deutschland. Der Untertitel hingegen bediente sich des klassischen Mythos, dass es gewisse Tabus gäbe, offen seine Meinung über Israel, "die Juden" usw. zu sagen.
In einer Erwiderung der "Autonomen Antifaschistinnen und Antifaschisten..." bezeichneten sie die angebliche Absetzung der Veranstaltung durch "mächtige Organisatoren" als "Super-Gau Jena" und kritisierten eine Mobilisierungspostkarte der Antirassistischen Gruppe Leipzig, die unter dem Motto "Solidarität mit Israel" Stellung gegen Antisemitismus bezog, als absurd: "Die Praxis des Israelischen Staates torpediert die Inhalte des Grenzcamps, die da wären: Bewegungsfreiheit, Freies Fluten, no border, die Auflösung aller Internierungs- und Flüchtlingslager." Der Durban-Diskurs, die Diffamierung Israel als rassistischsten Staat der Welt, ist also da angekommen, wo er auch seine Ursprünge hatte: in Teilen der Linken.
An der daraufhin folgenden Auseinandersetzung, die über die Mailingliste der Grenzcampvorbereitung geführt wurde, beteiligten sich nur wenige Gruppen und Einzelpersonen, was allerdings angesichts der Hektik kurz vor Camp-Beginn nicht weiter verwunderlich war. Die Pro- und die Contra-Veranstaltungs-Fraktion waren ungefähr gleich groß. Es war aber auffällig, dass sich die meisten stillschweigend mit einem gewissen öffentlichen Anti-Antisemitismus-Konsens innerhalb der Linken abgefunden hatten, ohne ihn selbst zu teilen oder ihn nachvollziehen zu können.
Die Postkarte mit der Aufschrift "Solidarität mit Israel" rief z.B. innerhalb der Campvorbereitung keinerlei wahrnehmbare Reaktionen hervor. Erst hinterher war zu erfahren, dass eine Gruppe deswegen nicht mehr zum Camp mobilisiert hat, andere hofften, dass diese "miese Identitätsdebatte" auf dem Camp "keinen Boden gewinnt", oder gingen davon aus, dass viele Leute zum Camp kommen würden, "die aus verschiedenen Gründen für das Existenzrecht Israels nicht viel übrig haben" und man dies zu berücksichtigen habe.
Die geplante Veranstaltung fiel auf dem Camp zum Glück aus. Die "Autonomen Antifaschistinnen und Antifaschisten..." wähnten sich lieber als Opfer einer gegen sie gerichteten Verschwörung, anstatt argumentativ auf die Vorwürfe einzugehen. Eine Veranstaltung zum Thema Antisemitismus fand auf dem Camp allerdings auch nicht statt, was angesichts der Welle antisemitischer Vorfälle, antizionistischer Hetze in antirassistischen Zeitschriften (Vgl. "off limits" Nr. 34/2002) und der zwar falschen, aber weitverbreiteten Subsumierung des Antisemitismus unter den Rassismus verwunderlich ist.
Auf dem im Anschluss stattfindenden internationalen "No Border"-Camp in Strasbourg trat das Verhältnis von falscher Gesinnung innerhalb der Linken und der antinationalen "Gesinnungspolizei" deutlicher zu Tage. Auf den Veranstaltungen letzterer ließen sich erstere nicht blicken. Vorträge von Bernhard Schmid (nicht wirklich ein Antinationaler, aber im Camp-Kontext eher auf dieser Seite anzutreffen) über die Unterschiede der Nahost-Diskussion in Frankreich und der BRD bzw. von einer Freiburger Gruppe gegen Antisemitismus in der Linken waren zwar gut besucht; kontroverse Diskussionen kamen allerdings mangels Gegenposition kaum auf. Die Freiburger Gruppe musste sich vielmehr auf ihrer Veranstaltungen gegen Anwürfe verteidigen, dass sie zu wenig antideutsch argumentiert hätten, weil sie in einem Referat den linken Antiimperialismus nur als verkürztes und nicht als generell falsches Weltbild bezeichnet hatten.
Auf einer Veranstaltung einer pro-palästinensischen Strasbourger Gruppe, die gemeinsam mit dem Antiglobalisierungs-Bauern José Bové "Friedensmissionen" in Israel durchgeführt hatte, dominierten die Verteidiger Israels zwar mit ihren Redebeiträgen und ständigen Interventionen; es herrschte im Publikum allerdings eine antizionistische und antisemitische Grundstimmung vor. Im Laufe der Veranstaltungen kam es sogar zu Handgreiflichkeiten zwischen verschiedenen TeilnehmerInnen. Dies soll hier aber nicht weiter von Interesse sein, da aufgrund der Dynamik auf der Veranstaltung keine eindeutigen Schuldzuschreibungen vorzunehmen sind. Wichtiger ist ein Blick auf die Argumentationen der Antizionisten: Dass Israel ein faschistischer Staat sei, wurde lediglich gedacht, jedoch nicht laut gesagt. Vielmehr nahm man konsequent die palästinensische Perspektive ein, aus der heraus es dann logisch erscheint, Israel Rassismus vorzuwerfen und palästinensischen Terrorismus als Notwehr zu bezeichnen bzw. den Terrorismusbegriff abzulehnen, weil dies einer der "Herrschenden" wäre. Sich in die Lage der Israelis hineinzuversetzen, Mitgefühl mit den Nachfahren der Holocaust-Opfer oder der aktuell vom weltweiten Antisemitismus Betroffenen zu zeigen - auf diese Idee kam niemand von der antizionistischen Mehrheit im Publikum. Die Veranstaltung hat also zweierlei gezeigt: Obwohl Antisemiten eigentlich gegen Argumente resistent sind, lohnt es sich, linken Antisemiten argumentativ zu begegnen, denn bei ihnen ist nicht immer Hopfen und Malz verloren. Immerhin reklamieren sie für sich emanzipatorische Ideale, an denen sie sich dann auch messen lassen müssen. Zweitens hilft es wenig, die Antizionisten als Antisemiten zu beschimpfen oder die Schauermärchen über die israelische Besatzung zu widerlegen, weil das eine an ihnen abprallt und das andere in eine Detaildiskussion führt, bei der nicht viel zu gewinnen ist. Wichtiger ist vielmehr, dem palästinensischen Blickwinkel den israelischen entgegenzustellen.
Natürlich gab es auf dem Strasbourger Grenzcamp neben etlichen Palli-Tüchern, antizionistischen Flugblättern und einem antizionistischen Info-Stand der französisch-arabischen Gruppe MIB (Mouvement de l'Immigration et des Banlieues) - alles Erscheinungen, die auf allseitige Ignoranz stießen, was wahrscheinlich nicht mal der schlechteste Umgang im Rahmen eines solchen Camps ist - den obligatorischen Vertreter der israelischen Friedensbewegung. Was dieser referierte, ist in einem israelischen Kontext eine ehrenwerte Haltung (inwieweit sie politisch schlau ist, ist eine Frage, die der Autor nicht zu beantworten vermag): Als Anarchist argumentiert er gegen israelischen und palästinensischen Nationalismus, gegen die Zweistaatenlösung, weil gegen Staaten schlechthin, und gegen das Warten auf die Weltrevolution, bis er Kritik an Israel üben darf. Interessant ist aber die Rezeption auf dem Camp: Die Antizionisten lauschen begeistert seinen Worten, ignorieren beflissentlich seine Kritik am palästinensischen Terrorismus und der einseitig antizionistischen israelischen Friedensbewegung und fragen penetrant, wie man denn den Palästinensern nun helfen könnte. Was dem israelischen Anarchisten vorzuhalten ist, sind also nicht seine diskussionswürdigen Positionen, sondern seine bewusste Weigerung, die Instrumentalisierung dieser durch die antizionistische Linke kritisch zu reflektieren und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Das gerade dieser instrumentelle Missbrauch im Zusammenspiel mit einer fehlenden Reflexion und dem "Beiseitestellens" einer historischen Spezifik oftmals die antizionistische Steilvorlage schlechthin bietet, kann auch an diesem Fall, wie so oft, wenn die israelische Friedensbewegung heranzitiert wird, als eklatanter Mangel konstatiert werden.
Auf einer der Camp-Demonstrationen in Strasbourg, die an der Synagoge vorbeiführte, kam es zu einem Vorfall, der inzwischen ausgiebig auf Indymedia diskutiert wird. Ahnend, dass der antizionistische linke Mob nicht nur denkt, sondern manchmal auch zur Tat schreitet, stellten sich etliche Demonstrationsteilnehmer schützend vor die Synagoge. Die Notwendigkeit dieses Schutzes ist zwar ein Armutszeugnis für jede linke Demonstration, angesichts der momentanen Situation, erst vor kurzem wurde z.B. ein Brandanschlag auf ebenjenes Gebäude verübt, war dies aber ein gutes Zeichen. Nur einiges "gesinnungsloses Gesindel" versuchte trotzdem Graffitis an der Synagoge zu sprühen, wurden allerdings von der "Gesinnungspolizei" rechtzeitig in seine Schranken verwiesen. Im Nachhinein forderten einige Gruppen und Einzelpersonen eine Stellungnahme vom Camp und kritisierten die fehlende Thematisierung des Vorfalls innerhalb der Camp-Plenas. Dass das Geschehene nicht an die große Glocke gehängt wurde, scheint aber von Vorteil gewesen zu sein. Statt sich mit einigen Verrückten auseinander zusetzen, von denen man nicht einmal weiß, was genau sie vorhatten, wäre es sinnvoller gewesen, die inhaltlichen Veranstaltungen auf dem Camp zu kritisieren. Von einem selbstorganisierten Camp etwas per Indymedia einzufordern bzw. es mit der albernen Parole "Kompostklos sind antisemitisch" zu diffamieren, auf dem Camp selbst aber dazu zu schweigen, zeugt von der eigenen Armseligkeit. Zum Glück gab es genügend Menschen, die auf dem Camp tatkräftig gegen die antizionistische Einstellungen der Mehrheit und antisemitischer Ausfälle Einzelner vorgingen, anstatt nur hinterher aus einer selbstgerechten und distanzierten Haltung zu lamentieren.
Interessanter ist da schon eine Diskussion, die inzwischen auch auf Indymedia geführt wird: Die von der Campvorbereitung postulierte Ablehnung von Handelsbeziehungen auf dem Camp, die am Vorhandensein von festen Preis für die Waren des täglichen Bedarfs festgemacht wurden (deswegen war überall von Spenden in Höhe von so und so viel Euro statt von Preisen die Rede), offenbart sich ein auf die Zirkulationssphäre reduziertes Verständnis von Kapitalismus - was wiederum eine der tieferen Ursachen für (linken) Antisemitismus ist. Ein Manko des Strasbourger Camps, welches sich als antikapitalistisch verstand, war also, dass eine explizite Kapitalismuskritik in Form von Veranstaltungen, Aktionen etc. nicht existierte.
Martin Vogt, Mitglied der Antirassistischen Gruppe Leipzig
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