gehalten auf der Demonstration "Kein Frieden mit Deutschland" am 01. September 2003 organisiert vom BgR Leipzig (www.nadir.org/bgr) u. dokumentiert im CEE IEH 104
Über die EU-Asyl- u. Migrationspolitik
Redebeitrag der Antirassistischen Gruppe Leipzig
Eine Woche ist es her, da traf sich Bundesinnenminister Otto Schily mit seinem italienischen Kollegen Giuseppe Pisanu. Einmal mehr erörterten sie Maßnahmen gegen illegale Einwanderung.
Man wurde sich schnell einig: Multinationale Einheiten mit Polizisten aus Italien, Spanien, Frankreich, Deutschland und Großbritannien sollen bald auf Vorwarnposten das Mittelmeer bewachen und Schleuserbanden bekämpfen. Deutschland wird die Federführung bei der Überwachung der Landgrenzen übernehmen. Spanien und Griechenland sollen die Kontrollen auf dem Mittelmeer organisieren. Italien übernimmt die Führung bei den Kontrollen auf europäischen Flughäfen. Asylsuchende sollen künftig auch auf dem Landweg aus dem Gebiet der EU abgeschoben werden. Und: Die Einführung biometrischer Identifikationsmethoden wie digitale Abdrücke von Fingern und Iris ist so gut wie beschlossene Sache.
Eine europäische Grenzpolizei, wie sie Schily anstrebt, stößt zwar bisher auf Widerstand im EU-Ministerrat, doch auch das scheint nur noch eine Frage der Zeit: Wenn es um die Bekämpfung von Schleppern oder internationaler Kriminalität geht, ziehen alle an einem Strang. Kurzum: auf keinem Gebiet wurde in den letzten Jahren so viel, so schnell und so unbürokratisch vergemeinschaftlicht wie in der europäischen Asyl- und Einwanderungspolitik.
Doch auch außerhalb der EU-struktur wird fleißig harmonisiert. Wie bereits mit Tschechien, Polen und der Ukraine, leistet Deutschland jetzt im Rahmen des Stabilitätspaktes Südosteuropa grenzpolizeiliche Aufbauhilfe in Bosnien-Herzegowina. Denn "Die Hilfe bei der Bekämpfung illegaler Migration vermindert den Druck auf die Schengen-Außengrenzen und unterstützt damit nachhaltig auch die deutschen Sicherheitsbehörden bei ihren Anstrengungen" so ein Vertreter des Innenministeriums letzte Woche in Sarajevo.
Aber es ist längst nicht mehr nur Deutschland, dass auf Harmonisierung drängt. Ob französische, griechische oder italienische EU-Präsidentschaft: Die Eindämmung der illegalen Einwanderung steht auf der Agenda ganz oben.
Gegen Tony Blairs Vorschlag, Flüchtlinge in UN-verwalteten Lagern nahe der jeweiligen Kriegs- und Krisenregionen unterzubringen und Asylanträge gleich dort zu bescheiden, klingen die Vorschläge des Hardliners Otto Schily vergleichsweise "moderat". Dabei ist die Zielrichtung dieselbe: Im Zuge der Verlagerung der Asylpolitik von nationalstaatlicher in europäische Zuständigkeit soll das individuell einklagbare Recht auf Asyl aufgehoben werden. Abgelöst werden soll es durch das Konzept der sogenannten "heimatnahen Versorgung". Im Klartext: Flüchtlinge sollen sich erst gar nicht nach Westeuropa aufmachen. Die europäische Kommission prüft bereits, welche Möglichkeiten es für AsylbewerberInnen gibt, ihre Anträge in den Herkunftsländern zu stellen. Entsprechend gibt es in der BRD schon seit längerem das Bestreben, Flüchtlinge während des gesamten Asylverfahrens in Lagern unterzubringen, um ihre Abschiebung zu erleichtern. Ein erster Schritt in diese Richtung sind die sogenannten Ausreisezentren. Das sind Sammellager, in denen die untergebrachten Menschen die Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit ihrer Situation tagtäglich erfahren sollen, und jeglichen Widerstand gegen ihre Abschiebung aufgeben. All dies sind Bausteine im Abschreckungsprogramm für Flüchtlinge, Bausteine der Festung Europa.
Doch trotz des steten Ausbaus der Festung, sie ist nicht dicht! Migration findet weiter statt: tagtäglich und massenhaft. Der kapitalistische Weltmarkt produziert Kriege, Armut und Umweltzerstörung in den Herkunftsländern. Und er schafft einen globalen Arbeitsmarkt und damit Bedarf an billigen, flexiblen und gewerkschaftlich unorganisierten Arbeitskräften in den kapitalistischen Zentren. Entsprechend vielfältig sind auch die Motive für Flucht bzw. Migration: Menschen migrieren, weil Sie ihrer Existenzgrundlagen beraubt sind, um das materielle Überleben zu Hause gebliebener Angehöriger sicherzustellen, auf der Suche nach neuen Einkommensquellen oder einfach nur neuen Horizonten. Und: indem sie unerlaubt die hochgerüsteten Grenzen überschreiten, vollziehen diese Menschen, trotz aller Zurichtung und Entrechtung, auch einen Akt der Selbstermächtigung: Sie nehmen sich faktisch ein Stück Bewegungsfreiheit, die ihnen staatlicherseits verwehrt wird.
Dieser als unberechenbar und zügellos wahrgenommenen Migration, ist mit Abschottung allein nicht beizukommen. Das Bemühen der reichen Industrienationen geht vielmehr dahin, Migration zu managen, zu kontrollieren und damit zu begrenzen Der Begriff der "Festung Europa" ist daher zu kurz gefasst. Und: dieses Bemühen ist kein rein europäisches: es ist international.
Wir haben es also mit einem internationalen Migrationsregime zu tun. Einem Regime, dass sich genauso an den hochgerüsteten EU-Aussengrenzen materialisiert, wie auf spanischen Erdbeerfeldern, in deutschen Computerklitschen oder Haushalten, wo Hochqualifizierte genauso wie Illegalisierte ihre Haut zu Markte tragen.
Ein Beispiel für modernes internationales Migrationsmanagment ist die International Organisation of Migration: Sie unterhält weltweit Büros zur Ausspähung von Flucht- und Migrationsbewegungen. Sie betreibt, zum Beispiel in Australien, gefängnisartige Flüchtlingsabfanglager. Sie unterstützt, z.B. in Afganistan, Regierungen bei der Aufrüstung ihrer Grenzregime. Und sie ist, z.B. in Deutschland, an der sogenannten freiwilligen "Rückführung" von MigrantInnen und Flüchtlingen beteiligt. Umgekehrt ist die IOM aber auch in die Rekrutierung von Arbeitskräften involviert, so z.B. aus Ecuador für den spanischen Arbeitsmarkt.
Mittels einer gesteuerten Migrationspolitik wird also versucht MigrantInnen und Flüchtlinge gemäß ökonomischer Verwertungslogik aufzuspalten. "Humankapital" aus aller Welt ist ein wichtiger und erwünschter Rohstoff. Für die Unerwünschten, die den Nützlichkeitskriterien nicht entsprechen, soll Europa eine Festung bleiben. Dafür sorgen transnational organisierte Kontroll- und Überwachungstechniken, genauso wie Abschiebe- und Lagerpolitik.
Statt einer Politik, die Menschen nach vermeintlicher völkischer Zugehörigkeit, nach ökonomischer Verwertbarkeit, nach Staatsangehörigkeit unterteilt und selektiert, fordern wir das uneingeschränkte Recht auf globale Bewegungsfreiheit.
Kapitalistische Verwertungslogik und rassistische Ausgrenzung angreifen!
For Freedom of Movement!
Nie wieder Deutschland!
So, und jetzt noch ein paar Worte zum 6. antirassistischen Grenzcamp in Köln.
Die Inhalte und Aktionen des Camps richteten sich vor allem gegen nationale und internationale Kontroll- und Überwachungstechniken, Abschiebung - und Lagerpolitik, einen rassistisch strukturierten Arbeitsmarkt und den rassistischen Konsens einer Mehrheitsbevölkerung, die all dies zustimmend akzeptiert. Am 9.August 2003 wurde das Grenzcamp in Köln durch einen 17-stündigen brutalen Polizeieinsatz vorzeitig beendet. Von ca. 500 TeilnehmerInnen wurden die Personalien erfaßt, die Menschen wurden abgefilmt und fotografiert und ein Großteil in die Gefangenensammelstelle nach Brühl transportiert.
Im Vorgehen der Polizei gegen das Grenzcamp zeigt sich der Wille der Regierung, dass es Camps dieser Art zukünftig nicht mehr geben soll. Uns wird das nicht davon abhalten, weiter zu machen und uns diese Möglichkeit des regen Austauschs über staatlichen und gesellschaftlichen Rassismus, der Entwicklung von gemeinsamem Widerstand und der Herstellung von Öffentlichkeit zu erhalten.
Deshalb: Für ein, zwei, hunderte Camps !!!! Schluss mit der Kriminalisierung antirassistischer Praxis !!! Kommt ALLE zur Demo am 6. September 2003 in Köln.
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