gehalten auf der Anti-Nazi-Demonstration am 19.Juli 2003 organisiert von einem Bündnis antifaschistischer Gruppen
Über die bundesdeutsche Asyl- u. Migrationspolitik
Redebeitrag der Antirassistischen Gruppe Leipzig
Wo Nazis marschieren, so wie heute hier geschehen (versucht wurde), wird zu Recht immer auch auf deren rassistische Ideologie verwiesen. Eine Ideologie, die Menschen aufgrund äußerlicher Merkmale unveränderliche Eigenschaften zuschreibt und sie zu minderwertigen Menschen erklärt. Eine Ideologie, die abzulehnen ist. In dieser Variante des völkischen Rassismus wird sie auch von der deutschen Zivilgesellschaft - den ProtagonistInnen des staatlichen Antifaschismus - abgelehnt. Wir wollen schließlich ein weltoffenes und multikulturelles Land sein, oder?
...doch der völkische Rassismus ist nur eine Variante der rassistischen Realität in Deutschland. Zwar weicht das Konzept einer deutschen, biologischen "Abstammungsgemeinschaft" langsam auf. Doch der Übergang zu einer kulturalistischen Form des Rassismus ist fließend. Nachdem biologischer Rassismus durch die NS-Zeit nachhaltig diskreditiert war und seit sich Gastarbeitern in der BRD niederlassen ist die angebliche ethnische Homogenität der BRD in Frage gestellt. Die ethnisch- kulturelle Differenz wurde immer zum Identifikationsmuster der Deutschen. Dieses Muster zeigt sich genauso im Bezug auf eine "deutsche Leitkultur", der mensch sich anzupassen habe, wie im multikulturellen - Motto "Es lebe die Differenz".
Hier werden Menschen nicht weniger unveränderliche - diesmal kulturelle Merkmale zugeschrieben. "Die Südländer" sind etwas hitzig, haben aber den Rhythmus im Blut, und Frauen mit Kopftüchern können per se nicht emanzipiziert sein. Gerade auch im positiven Bezug auf die "fremde, authentische, uns bereichernde Kultur", passiert eine Einteilung in "wir" und die "Anderen". Wobei sich dann auch immer die Frage anschließt, wieviel des "Anderen" Deutschland verträgt.
Auch die staatliche Politik scheint sich mit den rot-grünen Bemühungen um ein Einwanderungsgesetz vom plumpen völkischen Rassismus zu entfernen. Das muffige deutsche Wahngebilde soll einem flexiblen, an kapitalistischen Interessen orientierten Rassismus weichen. Nicht länger undifferenzierte Abschottung, sondern Steuerung und Kontrolle von Migration sind Maximen staatlicher Einwanderungspolitik.
Wer den Standort Deutschland fit machen will, kommt nicht umhin, sich auf dem globalen Arbeitsmarkt zu bedienen. Und so heisst es jetzt höchstoffiziell: "erwünscht, wenn verwertbar". Das ist erstmal nur das Grundprinzip kapitalistischer Verwertungslogik. Rassistisch wird es dadurch, dass sich MigrantInnen erst durch Leistung Rechte erwerben können, die Deutschen schon qua Geburt zustehen.
Und: Die rot-grüne Einsicht, dass die BRD Einwanderung braucht ändert nichts daran, dass es gesellschaftlichen und staatlichen Rassismus gibt. Gemäß der ökonomischen Verwertungslogik werden Flüchtlinge und MigrantInnen aufgespalten: Einerseits in billige, flexible Arbeitskräfte im prekären Niedriglohnsektor, nicht selten ohne Papiere. Und in qualifizierte ExpertInnen mit oft nur befristetem Aufenthaltsstatus.
Andererseits in die Unerwünschten, für die es keine Verwendung gibt und die nach Möglichkeit erst gar nicht einreisen sollen. Schaffen sie es aber trotz eines immer ausgetüftelteren Grenz,- und Kontrollapparates hierher, werden sie mit einer Palette systematischer Repressionen konfrontiert. Eine immer restriktiver werdende Abschiebepraxis, rassistische Sondererfassung und permanente Personenkontrollen.
Noch nicht Eingewanderte sollen abgeschreckt, schon Anwesende kontrolliert werden. Das Grenz,- und Kontrollregime verschiebt sich zu diesem Zweck immer mehr ins Landesinnere:
Die sogenannte Residenzpflicht - die Bindung von Flüchtlingen an einen bestimmten Landkreis - stellt so eine innere Grenze dar, die MigrantInnen in ihrer Bewegungsfreiheit beschneidet und damit gleichzeitig die Rede,-Meinungs,- und Versammlungsfreiheit einschränkt. Das Residenzpflichtgesetz bietet aber auch die Möglichkeit rassistisch motivierter, selektiver Polizeikontrollen. Diese Kontrollen enden oftmals in exzessiver Gewaltanwendung durch Polizei und BGS oder in willkürlichen Verhaftungen.
Der Leipziger Bahnhof ist durch seine BGS-Präsenz nur einer von vielen Orten, an denen sich dieser institutionalisierte Rassismus ausdrückt. Als ein neuer Typus (halb)öffentlichen Raums
sind Raumkontrolle, Profitorientierung und sozialer Ausschluss an jedem Bahnof alltäglich.
Menschen mit anderer Hautfarbe werden u.a. hier zu Verdächtigen per se, egal ob IllegaliserteR oder Geschäftmensch.
Die Reihe von Massnahmen zur gesellschaftlichen Stigmatisierung von Flüchtlingen ist auch in Leipzig lang: Die Unterbringung in Heimen ermöglicht effiziente Kontrolle. Der staatliche Zugriff für die drohende Abschiebung ist jederzeit möglich. Die Versorgung geschieht durch Gutscheine oder mit minimalen Geldleistungen.
In Sachsen wurden in den letzten Jahren durchschnittlich 1600 Menschen abgeschoben, in Leipzig waren es im letzten Jahr mehr als 200 Menschen, die in JVAs als Abschiebehäftlinge inhaftiert waren. Rassistische Kontrollen im öffentlichen Raum und ein repressives AuländerInnengesetz sind alltäglich präsent. Für mehr als die Hälfte der AusländerInnen, die in Sachsen aufgrund von Straftaten inhaftiert waren, lautete die Begründung "Verstoß gegen das Ausländergesetz".
Flüchtlinge werden als unnütz kategorisiert und systematisch von entsprechenden Privilegien und einer zumindest in Maßen selbstbestimmten Lebensführung ausgeschlossen.
Unser Widerstand gilt dem staatlich institutionalisierten Rassismus, aber auch all jenen, die Abschiebungen und rassistische Ausgrenzung gut heißen, wenn auch nicht selbst praktizieren - mag es sich nun um Stiefelnazis, WohlstandschauvinistInnen oder MultikultirassistInnen handeln.
Für globale Bewegungsfreiheit.
Verwertungslogik und rassistische Ausgrenzung angreifen.
Nie wieder Deutschland.
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