Vogel
friß oder krepier
Laut
Schädler hat die EU ihre Verhandlungsstrategie mit den osteuropäischen
Ländern geändert. Wo seit 1993 eine stufenweise Annäherung
an die EU für alle Anwärterstaaten möglich war, gilt
heute eine Art "Regattaverfahren" nach klassischer kapitalistischer
Verfahrensweise: Wer die geforderten Bedingungen erfüllt, gewinnt
und kriegt was vom Kuchen - wer nicht, verliert und wird abgeschrieben.
Perspektivisch bedeutet dies für die "Verlierer" wahrscheinlich
ein Absinken auf so genanntes "Dritte Welt"-Niveau. Zu den
Anwärtern der Armut gehören momentan zum Beispiel Rumänien,
Bulgarien und Albanien... Tschüs! Sieger werden zu Beispiel Polen,
Ungarn und Tschechien sein... The winner takes it all! ... äheem...
hier mal nicht: Denn vom Preisgeld wird leider einiges abgerechnet
werden müssen, so dass sich die Frage stellt, ob überhaupt
was davon übrig bleibt. IWF-Strukturanpassungsprogramme haben
bei vielen der Länder die Schuldenberge steigen lassen und die
"Programme" der EU kommen ja erst noch.
Strukturell
betrachtet wird es eine EU nur als "Europa der zwei Geschwindigkeiten"
geben. Somit werden die momentanen Sieger der Regatta zwar formale
Mitglieder werden, aber mit einem beidseitigen Ausnahmenkatalog,
der erst nach Jahren eine absolute Gleichstellung vorsieht. Aber
auch diese ist schon in Frage gestellt. Denn wenn es nach Deutschland
und Frankreich geht, wollen diese als "Kerneuropa" die
EU strukturell zu ihren Gunsten hierarchisieren. Damit würde
insbesondere Deutschland mit seiner wirtschaftlichen Führungsrolle
seine Machtstellung auch administrativ festigen.
Um
was gehts in Göteborg?
Der
Anpassungsprozess zwischen den alten EU-Ländern und den Anwärterstaaten
ist sehr weitreichend und durchzieht alle gesellschaftlichen Bereiche.
Doch hat schon allein Polen 500 Ausnahmegenehmigungen beantragt, welche
teilweise noch 18 Jahre nach dem Beitritt gelten sollen.
Der
problematischste Punkt ist hierbei das geforderte Landkaufverbot
für die alten EU-Länder, da zum Beispiel im Vergleich
zu Deutschland die Bodenpreise nur lächerliche ein Zehntel
betragen.
Weiterhin
soll alleine die Bundesregierung 44 Milliarden an Subventionen für
die insgesamt in die Auswahl gekommenen zehn Anwärterkandidaten
zahlen... was sich erst mal ganz uneigennützig anhört.
Das Geld wird jedoch größtenteils auf dem Umweg über
die deutsche Wirtschaft zurückfließen. Deutschland als
ein Exportland profitiert davon also.
Und
nicht nur hier. Schließlich verschiebt sich auch die Festung
Europa mit Polens Außengrenze weiter nach Osten, die bereits
heute schon stärker kontrolliert wird. Somit werden unsere
Grenzer auch ein bißchen von dieser Aufgabe entlastet.
Weiterhin
sollen die Menschen aus Polen für sieben Jahre nicht in Deutschland
arbeiten... was deutsche Gewerkschaften mit ihrer Standortlogik
ebenfalls begrüßen!
Perspektiven
(... losigkeit) am Beispiel Polen
Die
Zustimmung in der Bevölkerung zur EU hat im Gegensatz zum Anfang
der neunziger Jahre abgenommen. Heute haben nur noch 50 Prozent Lust
auf "Go west!" und wünschen einen Beitritt.
Bedroht
ist vor allem der allseits marode Agrarsektor und der auf Grund
sonst drohender Arbeitslosigkeit damit zusammen hängende PendlerInnenverkehr
von Putzkräften und Hilfsbauarbeitern nach Deutschland. Aber
auch das organisierte Zwangsgewerbe der Prostitution findet hier
seine Kundschaft.
Letzteres
soll, wie oben erwähnt, sieben Jahre eingefroren werden, so
dass die PendlerInnen weiterhin dazu gezwungen werden schwarz zu
arbeiten. Die Bedingungen und Anforderungen werden somit durch das
deutsche Kapital formuliert. Was also in den alten EU-Ländern
gilt, soll in Osteuropa anders werden: Die legale Möglichkeit
sich seinen Arbeitsplatz innerhalb der EU-Grenzen frei wählen
zu können.
Der
deutsche Bausektor weiß um diese Situation und weiß
deswegen auch gut sie zu seinen Gunsten zu nutzen. Illegalität
ist fester Kalkulationsfaktor... weswegen die Bauunternehmen davon
profitieren, wenn deutsche Bauarbeiter ihren eigentlich polnischen
Standeskollegen die Fresse einschlagen, weil diese zu billig arbeiten
- so passiert 1997 in Berlin. Doch nicht nur die deutsche Wirtschaft
fördert diese Spaltung, sondern auch die IG Bau mit kongruenten
Argumentationsmustern. Ein wohl klassisches Beispiel für Rassismus
mit eigentlich sozio - ökonomischen Ursachen.
Das
andere Problem ist der Agrarsektor an dem schon die "Realsozialisten"
scheiterten. 52 Prozent der polnischen Bevölkerung leben in
ländlichen Gebieten.
Laut
Schädler kann Polen in drei Bereiche eingeteilt werden: Die
Familienbetriebe, die LohnarbeiterInnen und die Tourismusbranche.
Die Familienbetriebe sind klein und leben hauptsächlich von
Subsistenzwirtschaft, also produzieren für den Eigenbedarf.
Allerhöchstens die Hälfte schafft es nach dem Beitritt
diesen Status zu halten.
Die
LohnarbeiterInnen wurden nach dem Zusammenbruch des "Realsozialismus"
1989 abgebaut und pendeln eben teilweise täglich bis zu drei
Stunden nach Deutschland. Der Rest lebt von der Stütze oder
der Caritas (!). Sie sind diejenigen, vor denen Europa am meisten
Angst hat, da sie zu nichts weiter "taugen" als HilfsarbeiterIn
zu sein.
Ein
anderer Teil lebt von der Tourismusbranche, die der Rettungsanker
sein soll, der er nicht sein kann. 40 Prozent der polnischen Bevölkerung
sollen perspektivisch von TouristInnen leben, die nirgends in Sicht
sind. Hier soll wie so oft im Kapitalismus das Versprechen auf ein
besseres Leben schon die Erfüllung sein.
Die
untereinander währende Konkurrenz der polnischen Gewerkschaften
und Landwirtschaftsverbände tut ihr übriges. Sie bieten
ein konfuses Potpourri an Erklärungsmustern für die desolate
soziale Lage an und tragen diese Meinungsverschiedenheiten teilweise
militant aus. Einmal sind es die Russen, die Schuld haben, dann
wieder doch nur der polnische Staat allein und manchmal, wer hätte
es gedacht, auch die amerikanischen Juden.
Linker
Widerstand in Polen überhaupt ist noch eher müde. Trotzdem
gibt es erste Organisierungsansätze. Zum Beispiel gab es in
Bezug auf die Migrationsproblematik dieses Jahr erste Grenzcamps.
Auch in Bezug auf die Geschlechterfrage hat sich in der Hauptstadt
Warschau die erste Frauengruppe gegründet und es konnte eine
Frauen-, Lesben- und Schwulendemonstration am ersten Mai stattfinden.
Ansonsten jedoch beschränkt sich der Geschlechterdiskurs auf
den akademischen Bereich, der gerade mal zwei feministische Zeitschriften
zu verzeichnen hat.
Insgesamt
betrachtet also: Kleines Frühstück Osteuropa?
Credit
points für Polen
Laut
Schädler ist aber im Agrarsektor vielleicht doch noch nicht alles
verloren. Wenn die alten EU-Staaten nicht noch stärker subventioniert
werden als bisher, könnte Polen eventuell mit konkurrieren. Auch
könnten Teile der EU-Subventionen für infrastrukturelle
Aufbaumaßnahmen wie Straßenbau verwendet werden. Doch
nicht kleines Frühstück?
Auch
juristisch betrachtet wird der Anpassungsprozess durchaus emanzipative
Neuerungen bringen. Zum Beispiel ist zu erwarten, dass Polen von
der geplanten Einführung der Todesstrafe absehen muss. Auch
mit einer Verankerung von Minderheitenrechten kann gerechnet werden,
wo bisher in vielen Ländern Osteuropas jegliche Organisierung
verboten ist.
Ebenfalls
könnten minimale Frauenrechte institutionell verankert werden
und somit endlich grundsätzliche Standards, wie Frauenbeauftragte
oder Klagerechte, bei bevorzugt männlicher Platzvergabe Beachtung
finden.
Und
jetzt?
Wie
Schädler am Beispiel Polen zu zeigen versuchte, kann es eine
eindeutige Positionierung gegen die EU-Osterweiterung so nicht geben.
Auch stellt sich die Frage nicht primär, da eine Linke bei der
Entscheidung momentan keine Handlungsmacht hat und die Osterweiterung
somit beschlossene Sache ist. Und selbst wenn dem so wäre: Eine
andere Alternative als die EU gibt es für Polen innerhalb der
kapitalistischen Globalordnung nicht.
Laut
Schädler sollte somit vielmehr fokussiert werden, dass eine
gleichberechtigte Entwicklung zwischen allen Mitgliedsstaaten gefördert
wird und sich in diesem Zusammenhang die Frage stellt, mit wem eine
radikale Linke in Osteuropa bündnispolitisch zusammenarbeiten
könnte.
Aktueller
Stand November 2001: Polen ist zu Kompromissen beim Landerwerb bereit
und versucht nun in den Verhandlungen, eine Frist von zwölf
Jahren statt den ursprünglich achtzehn Jahren durchzusetzen.
Investitionsprojekte werden jedoch sofort möglich sein. Weiterhin
ist Polen bereit, eine Einschränkung der Freizügigkeit
für ArbeitnehmerInnen für eine begrenzte Zeit hinzunehmen.
Von dieser Einschränkung wollen aber nur Deutschland und Österreich
Gebrauch machen (!). Allgemein ist Polen bei den Verhandlungen mit
der EU gegenüber anderen Bewerbern leicht zurückgefallen,
gehört aber nach den Worten des EU-Kommissars Günther
Verheugen nach wie vor zu den ersten Kandidaten. Im jüngsten
Brüsseler Bericht über die Vorbereitungen der Kandidaten
war Polen besonders für Versäumnisse bei der Justiz und
der Verwaltung "gerügt" worden. Noch weit von einer
Einigung entfernt sind die Verhandlungen im wohl schwierigsten Bereich,
der Landwirtschaft.