Der Sprecher des Wuppertaler Wanderkirchenasyls, Mehmet
Kilic, wurde am 24. 10. 2000 in die Türkei abgeschoben, obwohl
der Ausländerbehörde Bergisch Gladbach ein ausführliches
psychologisches Gutachten vorlag. In diesem Gutachten wurde aufgrund
der erlittenen Folter und der erlebten Morde an Bruder und Vater in
der Türkei eine Traumatisierung und Suizidgefährdung bei Mehmet
Kilic festgestellt. Der Bericht kam zu dem Schluss, dass eine Abschiebung
des Kurden in die Türkei auf keinen Fall durchgeführt werden
dürfe. Zusätzlich war Mehmet Kilic durch seinen Hunger- und
Durststreik im Bürener Abschiebeknast erheblich geschwächt.
Sofort nach Ankunft in Istanbul wurde er zur Feststellung seiner Personalien
von der Polizei festgenommen und danach wieder freigelassen. In einem
Telefonat schilderte er Markus Reissen von der evangelischen Gemeinde
Düren, dass er kurz nach seiner Freilassung 500 Meter von der Polizeistation
entfernt von Zivilpersonen festgenommen und während der nachfolgenden
siebentägigen Haft mehrfach geschlagen worden sei. Die Zivilpolizisten
hätten ihm gedroht, dass das noch nicht alles sei. Reissen: “Das
zeigt, dass es unmöglich ist, Menschen, die einmal abgeschoben
sind, wirksam zu schützen”.
(AZADI/Kein Mensch ist illegal Wuppertal/FR/taz, 19.-31.10.2000)
Barbarische Abschiebepraxis in NRW
Trotz zahlreicher Protestaktionen, Solidaritätsbekundungen,
Eilanträgen und psychologischer Gutachten, in denen Hüseyin
Calhan Suizidgefahr und starke Traumatisierung attestiert wurden, wurde
der Aachener Friedenspreisträger und Wanderkirchen-Aktivist am
31.10.2000 nach Istanbul abgeschoben. Begleitet wurde er von Reiner
Priggen, dem stellvertretenden Fraktionssprecher der Grünen im
Landtag von Nordrhein-Westfalen. Seine Anwesenheit und die von drei
Beamten des deutschen Konsulats auf dem Flughafen in Istanbul, konnte
Hüseyin Calhan vorerst davor bewahren, von der türkischen
Polizei festgenommen zu werden. Eine Demonstrantin, die mit über
150 anderen in der Nacht vor der geplanten Abschiebung vor dem Gefängnis
in Büren ausharrten, um diese zu verhindern, erklärte: "Wenn
die Abschiebungsmechanismen einmal anlaufen, ist alles zu spät."
Dennoch werde sie ihre Arbeit in der Gruppe "Gastfreundschaft"
und die Betreuung von Flüchtlingen nicht aufgeben. Viele in ihrem
Bekanntenkreis hätten ihre positive Einstellung zu Deutschland
wegen der Asylpolitik geändert. "Manchmal denke ich, man müsste
den ganzen Laden ... aber das darf ich jetzt nicht weiter denken."
In einem Protestaufruf, den u.a. auch der Schriftsteller Günter
Grass unterschrieb, wurde die "barbarische Abschiebepraxis"
gerade im rot-grün regierten Nordrhein-Westfalen angeprangert.
Am 28. September 2000 war der Kurde Hüseyin Calhan noch als offizieller
Gast der Veranstaltung der Aachener Zeitung "Farbe bekennen - Keine
Chance den Rassisten" eingeladen worden. . Die Veranstaltung in
Aachen, die von der SPD, dem CDU-Oberbürgermeister Jürgen
Linden, dem Polizeipräsidenten und dem Bundesgrenzschutz (BGS)
unterstützt wurde, erreichte er nicht mehr. Beamte des BGS nahmen
Hüseyin Calhan auf Anordnung eines Aachener Amtsrichters in Bahnhofsnähe
fest. Das Ausländeramt der Stadt Aachen beantragte gegen ihn noch
am gleichen Tag die Abschiebehaft. Er kam ins Abschiebegefängnis
nach Büren, wo er zusammen mit zwei anderen Kurden einen Hungerstreik
durchführte. "Die Tinte auf dem Aachener Appell ist noch nicht
richtig getrocknet, da erweist sich die Ausländerbehörde einmal
mehr als Rad in der unmenschlichen Abschiebemaschinerie," sagte
der PDS-Ratsherr Andreas Müller.
1995 floh Hüseyin Calhan aus der Türkei, weil er dort mehrfach
unter dem Vorwurf der PKK-Unterstützung festgenommen und gefoltert
wurde. Sein Versuch, sich dem Militärdienst zu entziehen, schlug
fehl. Er wurde zwangsweise eingezogen und wegen kriegskritischer Kommentare
regelmäßig geschlagen. Später weigerte er sich, als
Dorfschützer gegen die PKK zu arbeiten. Er floh aus seinem Dorf
nach Deutschland. Sein Asylantrag wurde abgelehnt, weil ihm die Behörden
nicht glaubten, dass er in der Türkei als PKK-Sympathisant verfolgt
und misshandelt worden war. Dann fand er Zuflucht im Wanderkirchenasyl.
Auf vielen Demonstrationen war Hüseyin Calhan als Vertreter der
kurdischen Flüchtlinge aufgetreten; türkische und deutsche
Medien berichteten über ihn.
(AZADI/Aachener Nachrichten/JW/Aachener Zeitung/taz Köln, 29.9.-2.11.2000)
Nach Redaktionsschluss: Hüseyin Calhan ist mittlerweile in Istanbul
untergetaucht. Er hat Kontakt mit Mehmet Kilic aufgenommen. Nach Information
des Wuppertaler Wanderkirchenasyls geht es Kilic schlecht. Er habe in
einem Telefonat mit Pastor Ungerathen Angst vor erneuten Misshandlungen
geäußert. Beide hätten jetzt eine Hotline zu Kontaktpersonen,
die im Ernstfall versuchten, Hilfe zu leisten.
(AZADI/Kein Mensch ist illegal/Infoladen Wuppertal, 2.11.2000)
Behördliche Brutalität
Am 22. 9. 2000 wurde der Kurde Halil Arslan, Teilnehmer
des Wanderkirchenasyls in NRW, in Oberhausen verhaftet. Er wurde vom
Polizeigewahrsam in die Abschiebehaftanstalt Moers verlegt. Halil Arslan
ist verheiratet und hat vier Kinder. Das Ehepaar musste 1992 aus seinem
Dorf fliehen, weil das türkische Militär Halil zwingen wollte,
als Dorfschützer gegen die PKK aktiv zu werden. Als er dies verweigerte,
wurde er mehrfach verhaftet und gefoltert. Zwei Monate nach der Flucht
nach Deutschland wurden zwei seiner Brüder ermordet. Eine Schwester
von Frau Arslan ist seit über einem halben Jahr verschwunden. Für
den Fall einer Abschiebung befürchtet das Flüchtlingsplenum
Aachen das Schlimmste; mit Inhaftierung und Folter müsse gerechnet
werden.
(AZADI/Flüchtlingsplenum Aachen, 24.9.2000)
Abschiebung trotz Haft in der Türkei?
Unter dem Schutz der evangelischen Kirche in Ehningen/Kreis
Böblingen befindet sich seit neun Tagen die kurdische Familie Baydar,
die in dem Ort seit acht Jahren wohnt. Pfarrer Heinrich Düllmann
will so den Kurden Zeit verschaffen, um einen Asylfolgeantrag stellen
zu können. Haydar Baydar befürchtet, im Falle einer Abschiebung
in der Türkei verhaftet und gefoltert zu werden, weil er im kurdischen
Widerstand aktiv gewesen ist, Flugblätter verteilt und Jugendliche
zur Wehrdienstverweigerung aufgerufen habe: “Ich bin vier Mal mehrere
Tage lang im Gefängnis festgehalten worden.” Man habe ihn
gefoltert und mit dem Tod bedroht. Eine medizinische Untersuchung stützt
die Aussagen des Kurden und bestätigt Folterspuren. Dennoch glaubten
die Richter nicht an eine Gefährdung der Familie in der Türkei.
Der Rechtsanwalt der Familie versucht, einen dauerhaften Aufenthalt
für sie zu erreichen.
(AZADI/Stuttgarter Zeitung, 26.9.2000)
Praktizierte Solidarität in Ebringen
In einer Liste mit 786 Unterschriften setzen sich Bürger
von Ebringen/Baden-Württemberg für ein Bleiberecht und gegen
die Abschiebung des kurdischen Ehepaares B. und seiner fünf Kinder
ein. Zehn Gemeinderäte, alle Grundschullehrer und der komplette
Pfarrgemeinderat haben sich laut Pfarrer Hermann den Forderungen an
das Regierungspräsidium und die Landesregierung angeschlossen.
Die Unterschriften wurden innerhalb einer Woche gesammelt und als Eingabe
an den Petitionsausschuss des Landtags übergeben, verbunden mit
der Hoffnung, dass die Familie als Härtefall anerkannt wird und
einen gesicherten Aufenthaltsstatus erhält.
(AZADI/Badische Zeitung, 26.9.2000)
Rücksichtslos Druck ausgeübt
1991 kam Savci Gezginci in die Bundesrepublik, seine
Frau folgte ihm später. Die vier Kinder des Ehepaares sind alle
in Deutschland geboren und aufgewachsen. Asylanträge aller Familienmitglieder
wurden abgelehnt. Nun soll die kurdische Familie im November in die
Türkei abgeschoben werden. Gemeindepfarrer Jürgen Schäfer
fragt: “Warum wurde hier bewusst die Nutzung von Spielräumen
verweigert und rücksichtslos Druck ausgeübt?” Und meint
damit die permanent von der Ausländerbehörde ausgestellten
kurzfristigen Aufenthaltsbescheinigungen, mit denen die Familie immer
wieder eingeschüchtert worden sei. “Dabei ist die Ausreise
ohne Pässe, deren Ausstellung Monate dauert, gar nicht möglich,”
so Seyed Sattari vom Diakonischen Flüchtlingswerk. Er befürchtet,
dass dem Vater Verhöre bevorstünden wegen seines langen Aufenthalts
in der Bundesrepublik und weil er sich in der Heimat geweigert hatte,
als Dorfschützer gegen die PKK zu arbeiten.
(AZADI/Westfalenpost, 27.9.2000)
Gefangen im Kirchenasyl
Seit zwei Jahren befindet sich der 35-jährige Ali
Sakiz mit seiner Frau und den drei Töchtern im Don-Bosco-Heim in
Furtwangen, einem kirchlichen Schüler- und Studentenwohnheim. Das
Kirchenasyl der Familie Sakiz ist das erste ökumenische Kirchenasyl
und bisher längste in Baden-Württemberg und ein Ende ist nicht
in Sicht. Psychologen der Freiburger Beratungsstelle für Folteropfer
bestätigten, dass dem Kurden eine erneute Abschiebung nicht zuzumuten
sei, weil er durch seine Erlebnisse schwer traumatisiert sei. Dennoch
lehnte das Verwaltungsgericht Freiburg Mitte September 2000 den Asylfolgeantrag
der Familie ab. “Wir sind total verzweifelt,” sagte der Arzt
Wieland Walther, der sich vor zwei Jahren für das Kirchenasyl eingesetzt
hatte und nun auf eine politische Lösung hofft. Die Kirchenräume
kann die Familie nicht verlassen - sie würde festgenommen und abgeschoben.
Aus Angst vor Verfolgung durch den türkischen Staat, flüchtete
Ali Sakiz aus seinem Dorf in Kurdistan in die Schweiz, wo er nach kurzer
Zeit ausgewiesen wurde. Am Flughafen Istanbul nahm ihn die Polizei sofort
fest. Er berichtete, im Gefängnis brutal zusammengeschlagen worden
zu sein. Mehrmals hätten die Sicherheitskräfte einen Hund
auf ihn gehetzt. Nach der Entlassung aus dem Gefängnis seien er
und seine Familie im Heimatdorf vom türkischen Militär terrorisiert
worden. 1995 gelang die zweite Flucht, diesmal nach Deutschland, wo
sein Asylantrag ebenfalls abgelehnt wurde.
(AZADI/Südkurier/Heilbronner Stimme, 28.9., 31.10.2000)