Nr. 24 April – Juni 2001  AZADI e.V.

AZADI informationen 


Hasan Sevimli erneut in der Türkei untergetaucht


Der Ende Januar 2001 in die Türkei abgeschobene 19-jährige Kurde Hasan Sevimli soll dort erneut untergetaucht sein. Aus dem Umfeld des Helferkreises, der sich für ein Bleiberecht von Hasan eingesetzt hatte, wurde bekannt, dass der Schüler von der türkischen Polizei gesucht wird, weil er in Deutschland den Militärdienst in der Türkei verweigert hat. Der zuletzt in Süddeutschland untergetauchte 19-Jährige war in die Türkei abgeschoben worden, nachdem ihn ein Verwandter denunziert hatte.
(AZADI/DK, 22.5.2001)

Abgeschoben, gefoltert, durch Minen getötet

Laut Mitteilung des Niedersächsischen Flüchtlingsrates ist der aus der Bundesrepublik in die Türkei abgeschobene Kurde Adnan Cevik bei seinem Versuch, erneut nach Deutschland zu fliehen, durch Minen an der griechisch-türkischen Grenze getötet worden. Ende 1999 wurde er nach Ablehnung seines Asylantrags in die Türkei abgeschoben. Nach Angaben seines in der Türkei lebenden Vaters wurde Adnan sofort nach seiner Ankunft mehrere Wochen festgehalten und gefoltert. Wie der Niedersächsische Flüchtlingsrat mitteilte, sind an der Grenze zwischen der Türkei und Griechenland in den vergangenen zehn Jahren etwa 30 Menschen bei Fluchtversuchen umgekommen. (AZADI/FR, 19.4.2001)

Knallhartes Ausländergesetz

Rund 300 Schüler/innen der Gesamtschule und der Bürgermeister der Stadt Löhne/Westfalen setzen sich beim Petitionsausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags für den 17-jährigen Kurden Mehmet Demir ein, der 1995 als 11-Jähriger nach Deutschland kam und nun abgeschoben werden soll. Sein Vater Ömer Demir und der kleinere Bruder dürfen (noch) hier bleiben. “Mein Vater war in der Türkei acht Jahre lang im Gefängnis. Meine Mutter ist tot”, sagt der Jugendliche. Der erste Asylantrag des Vaters wurde zwar abgelehnt, doch wird er weiterhin geduldet: “Weil er sehr krank und körperlich und psychisch nicht reisefähig ist. Mein Vater wurde in türkischen Gefängnissen gefoltert. Davon hat er sich nie erholt”, erläutert Mehmet Demir. Rechtsanwalt Rainer Hoffmann aus Bielefeld: “Normalerweise wäre Ömer Demir nicht einmal verhandlungsfähig gewesen. Dass sein Asylantrag im ersten Verfahren abgelehnt wurde, hätte ich nie für möglich gehalten.” Zur drohenden Trennung von seinen einzigen Verwandten kommt bei Mehmet die massive Angst, vor dem Hintergrund des Schicksals seines Vaters als Kurde in der Türkei starken Repressalien ausgesetzt zu werden. Rechtsanwalt Hoffmann: “Das Ausländergesetz ist knallhart. Das hat der frühere Innenminister Kanther genauso gewollt. Ob jemand aus Schule, Hochschule oder Beruf gerissen wird, ist nach dem Gesetz völlig egal.” Der Petitionsausschuss des Landtags ist nunmehr die letzte Hoffnung. Das Ausländeramt in Herford will auf eine Abschiebung während des laufenden Petitionsverfahrens verzichten. (AZADI/NW, 30.4. 2001)

Akt staatlicher Gewalt

Fünf saarländische Rock-Bands spielten am 23. Mai in der Niedtalhalle Siersburg, um zu zeigen, “dass man nicht zu allem schweigen darf, was im kleinen Saarland passiert”. Das Konzert “Rock für Menschlichkeit” ist für den 20-jährigen Kurden Hüseyin Yalcin, der am 20. März 2001 aus dem Saarland abgeschoben wurde. Der Bassist Tom Rüdell hatte erfahren, dass Hüseyin Yalcin von einem Großaufgebot an Polizeikräften mit Hundestaffel aus dem Landesaufnahmelager Lebach abgeschoben worden ist, obwohl er das einzige volljährige Kind einer fünfköpfigen Familie ist, die ohne Vater lebt und dessen Schwester unheilbar an Leberzirrhose erkrankt ist. Und obwohl der damalige saarländische Innenminister Klaus Meiser zugesagt hatte, dass Hüseyin so lange im Saarland bleiben könne, wie seine todkranke Schwester noch lebt. “Dieses Wort wurde nicht gehalten. Was mit Hüseyin passiert ist, war ein Akt willkürlicher politischer Gewalt - unmenschlich, brutal, kalt. Uns geht es darum, das öffentlich zu sagen,” erklärt Tom Rüdell stellvertretend für seine Band und für die anderen Musikgruppen. Hüseyin muss jetzt seinen Dienst als Soldat beim türkischen Militär ableisten. Der Erlös des Konzertes soll der Familie Yalcin zu Gute kommen. (AZADI/SZ, 21.,28.5.2001)

Behörden arbeiten türkischem Militär zu

Der kurdische Kriegsdienstverweigerer Sedat Baydemir droht die Abschiebung, weil die Behörden seine aktive Teilnahme an Aktionen gegen den Kriegsdienst im Rückkehrfall nicht für einen gefährlichen Umstand halten. Nach Ansicht von Pro Asyl und Connection e.V., einer Organisation für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure, bedeute dies eine krasse Fehleinschätzung. Es drohe dem Betroffenen nicht nur ein großes Risiko von Misshandlungen, sondern auch Strafverfolgung wegen Separatismus. Am 1. Dezember 2000 hatte Sedat Baydemir vor dem türkischen Konsulat in Hannover öffentlich erklärt: “Ich mache vom Recht auf Kriegsdienstverweigerung Gebrauch und lehne den Kriegsdienst und den Krieg ab. Ich möchte nicht, dass das türkische Militär mich als eine Tötungsmaschine benutzt. Ich möchte weder töten noch getötet werden.” Über diese Aktion berichtete auch die türkische Tageszeitung “Hürriyet” und denunzierte die beteiligten Verweigerer als Angehörige der PKK. Vor allem aufgrund dieses Artikels sehen Pro Asyl und Connection eine hohe Gefährdung von Sedat Baydemir: “Anstatt diejenigen zu unterstützen, die sich der Teilnahme am Krieg in der Südosttürkei entziehen, um ihn beenden zu helfen, arbeiten deutsche Behörden durch die Abschiebung von Wehrpflichtigen dem türkischen Militär noch zu.” Beide Organisationen wollen sich dafür einsetzen, dass die zuständigen Behörden die Gefährdung Baydemirs anerkennen. Ein im Februar 2001 gestellter Folgeantrag wurde vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge abgelehnt. Am 30. Mai 2001 demonstrierten kurdische und türkische Kriegsgegner sowie deutsche Unterstützer vor der Justizvollzugsanstalt Hanau, in die Baydemir nach seiner Festnahme gebracht worden war. Am Abend vor der Kundgebung war Sedat Baydemir allerdings aus Furcht vor “Unruhen” in die JVA Weiterstadt verlegt worden. (AZADI/jw, 26., 31.5.2001)

Zur Teilnahme am “Projekt X” gezwungen

Der 28-jährige syrische Kurde Hussein Daoud, der im vergangenen Dezember aus Deutschland abgeschoben wurde, ist bei seiner Ankunft in Damaskus sofort verhaftet worden und offenbar an den Folgen von Misshandlungen im Polizeigewahrsam gestorben. Dies meldeten Flüchtlingsorganisationen aus Niedersachsen Ende April. Hussein Daoud lebte zuvor zwangsweise im so genannten “Projekt X”, einem Sonderbereich der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber in Braunschweig, das seit nunmehr drei Jahren in Braunschweig und Oldenburg als Modell abgelehnte Asylbewerber/innen interniert, die wegen “ungeklärter Identität” nicht abgeschoben werden können. Die Behörden bezweifeln die Angaben der Asylsuchenden. Ähnliche Projekte sind in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz geplant. Wer in dieses Projekt gezwungen wird, darf nicht arbeiten, keine Deutschkurse besuchen und wird regelmäßig verhört: “Wir haben es satt. Jeden Tag rufen sie dich, fragen dich, woher du kommst. Jeden Tag die gleichen Fragen, die gleichen Antworten,” sagt ein Flüchtling. Zimmerdurchsuchungen, bei denen es zu Beschlagnahmungen von Briefen, Dokumenten oder auch Geld kommt, dienen dem Zweck, Hinweise auf das Herkunftsland zu erhalten. Etwa 40 Prozent der Flüchtlinge sind inzwischen untergetaucht. In den letzten drei Jahren konnte nach offiziellen Angaben lediglich bei 22 Prozent der Flüchtlinge die “Identität belegt” werden; die Hälfte von ihnen wurde abgeschoben. (AZADI/jw, 31.5.2001)

Abgeschoben in die Folter

Im vergangenen Jahr sind laut Niedersächsischem Flüchtlingsrat und Pro Asyl in mindestens fünf Fällen abgeschobene kurdische Flüchtlinge nach ihrer Ankunft in der Türkei gefoltert worden. Beide Organisationen gehen von 35 nachweisbaren Misshandlungen in den vergangenen zwei Jahren aus. Pro Asyl fordert die Behörden und Gerichte auf, “endlich großzügig Asyl zu gewähren und die Gefahrenprognose der tatsächlichen Gefährdungslage anzupassen”. (AZADI/FR, 31.5.2001)