Bundesinnenminister Schily KANTHERt gegen kurdische Institutionen
Der Feier von Mitarbeiter/innen und Gästen am 28. August zum Start in den 11. Jahrgang der Zeitung „Özgür Politika“ folgte ein böses Erwachen. Denn nur wenige Tage später, am 5. September 2005, ließ Bundesinnenminister Otto Schily neben zwei islamischen Vereinen, mehrere kurdische Institutionen verbieten. Darunter die in Neu-Isenburg bei Frankfurt/M. ansässige E. Xani Presse- und Verlags GmbH, in der seit über 10 Jahren die prokurdische Zeitung „Özgür Politika“ („Freie Politik“) erschien. Neben den Verlags- und Firmenräumen, wurden auch die Wohnungen aller angestellten, der freien und zahlreicher ehemaliger Mitarbeiter/innen durchsucht. Zeitgleich führten die Polizeibeamten eine Razzia in den Räumlichkeiten der Nachrichten-Agentur MHA (Mezopotamia Haber Ajansi) in Neu-Isenburg durch, die Schily ebenfalls verbieten ließ. Alle Computer, sämtliche Arbeitsmittel und -unterlagen wurden beschlagnahmt sowie das Vermögen des E. Xani Presseverlags zugunsten des Bundes eingezogen.
Ferner erschienen Durchsuchungsbeamte in den Firmenräumen des Mezopotamien-Verlags in Köln sowie in den Privatwohnungen zweier Mitarbeiter. Die Polizei beschlagnahmte alle Bücher und Schriften von Abdullah Öcalan, auch jene Bände seiner Verteidigungsschrift, die in deutscher Sprache im Atlantik-Verlag erscheinen, Exemplare des „Kurdistan-Reports“ und des „Kurdistan-Rundbriefs“. Auch der MÎR-Musikverlag in Düsseldorf blieb von der Repressionswelle nicht verschont. Konfisziert wurden hier CDs, Kassetten und Hörbücher mit Texten von Abdullah Öcalan bzw. Liedern über die Guerilla. Im Verlauf der Razzien war es vorübergehend zu einigen Festnahmen gekommen.
Deutsche Staatsinteressen vor Pressefreiheit
Schily rechtfertigte das Verbot der einzigen in Europa erscheinenden kurdischen Tageszeitung „Özgür Politika“ mit deren angeblicher Eingebundenheit „in die Gesamtorganisation der PKK“. Weil seiner Meinung nach „Führungsstrukturen, Ziele und Aktionsmuster des KONGRA-GEL“ mit denen der PKK identisch seien, die Zeitung über die PKK berichte und die „Vorgaben der Führung“ weitergebe, laufe „Zweck und Tätigkeit“ des Verlags dem Vereinsgesetz zuwider, der Rechtsgrundlage des Betätigungsverbots der PKK von 1993.
Dass von Schily’s Verbotsmaßnahme die Pressefreiheit berührt wird, gibt er in einer Presseerklärung seines Ministeriums vom 5. September unumwunden zu. Doch müsse diese „im vorliegenden Fall hinter den Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland und dem Interesse des Staates“ zurücktreten.
Schon einmal, am 12. Januar 2000 – die türkische Regierungskoalition traf an diesem Tag zu einer Sondersitzung über das weitere Schicksal des zum Tode verurteilten PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan zusammen -, waren bei bundesweiten Razzien Büros der Zeitung „Özgür Politika“ durchsucht und ihr vorgeworfen worden, gegen das Vereinsgesetz zu verstoßen und mit der PKK zu sympathisieren.
Deutsch-türkisches Zusammenspiel
Schon Monate vor der Verbotsmaßnahme schürten türkische Medien anti-kurdische Stimmungen, verbunden mit dem Vorwurf, die Bundesregierung gehe nicht konsequent genug gegen nach Ansicht der Türkei „terroristische Organisationen“ vor. Diese Hetze zielte darauf ab, die Bundesregierung zum Handeln zu bewegen, was dieser nicht sonderlich schwergefallen sein dürfte, denn den türkischen Forderungen folgten prompt die Taten.
Folglich wurde die Entscheidung Schilys in der türkischen Tageszeitung „Hürriyet“ vom 7. September begrüßt und Details gleich mitgeliefert. Demnach hat der türkische Außenminister Abdullah Gül in einem Brief vom 2. Juni 2005 an seinen Amtskollegen Joseph Fischer diesen ausführlich über die PKK und deren Verbindungen zu „Özgür Politika“ informiert und eine Schließung der Zeitung gefordert. Dieser Brief sei an Schily weitergeleitet worden, der daraufhin die Verbotsvorbereitungen angeordnet habe. Um Schlagzeilen zu vermeiden, Deutschland verletze die Pressefreiheit, soll er sich mit seinem Mitarbeiterstab darauf geeinigt haben, „Özgür Politika“ nicht direkt zu verbieten, sondern den E. Xani Presseverlag wegen dessen angeblicher Unterstützung der PKK. Dieser Darstellung folgte die Aufforderung der „Hürriyet“, Deutschland müsse gegen weitere „PKK-Einrichtungen“ vorgehen.
Schily ließ in der Pressemitteilung seines Ministeriums vom 5. September u.a. verbreiten: „In Anbetracht der erneuten Eskalation der Anschläge und Kampfhandlungen in der Türkei bin ich (!) nicht gewillt zu tolerieren, dass trotz eines bestandskräftigen Betätigungsverbots gegen die PKK diese Organisation ihre Propaganda in Deutschland offen verbreiten kann.“ Daran ändere auch „die jüngst seitens der PKK verkündete ‘einseitige Waffenruhe’ (am 20. August 2005 erklärte der KONGRA-GEL einen zunächst auf vier Wochen befristeten einseitigen Waffenstillstand, um statt militärischer Auseinandersetzungen den Raum für politische Verhandlungen über den türkisch-kurdischen Konflikt zu öffnen. Vorausgegangen waren Äußerungen von Ministerpräsident Tayyip Erdogan am 12. August in Diyarbakir über die Existenz einer ‘kurdischen Frage’. Azadî ) nichts, da bereits erneute Kampfhandlungen in der Türkei zu verzeichnen sind.“ Kein Wort darüber, dass für die derzeitigen Aggressionen, zunehmenden Kampfhandlungen und Brutalitäten, die an die beklemmende Zeit der 1990er-Jahre erinnern, die türkische Armee die Verantwortung zu tragen hat. Medienberichten zufolge sind im Zeitraum des von KONGRA-GEL ausgerufenen einmonatigen Waffenstillstands 33 Militäroperationen durchgeführt worden, bei denen 20 Guerillakämpfer/innen und 51 Soldaten und Polizisten ihr Leben verloren haben. 50 Sicherheitskräfte wurden verletzt und zwei Guerillas sind festgenommen worden. Nach Berichten des Menschenrechtsvereins IHD wurden allein im vergangenen Jahr 37 Menschen bei sogenannten „Morden unbekannter Täter“, Angriffen und extralegalen Hinrichtungen getötet. In den Monaten Juni, Juli, August 2005 sind laut IHD bei Gefechten in den kurdischen Provinzen 123 Personen getötet und 118 verletzt worden. Insgesamt seien 959 Verletzungen der Menschenrechte begangen worden.
Welches Konzept hinter dieser neuerlichen Eskalation steht, macht eine Erklärung des stellvertretenden türkischen Generalstabsvorsitzenden, Ilker Basbug, vom 19. Juli 2005 deutlich: „Einige Institutionen, Personen und zivilgesellschaftliche Organisationen (gemeint sind hier beispielhaft die DEHAP, türkische Menschenrechtsvereine oder auch die „Bewegung für eine demokratische Gesellschaft“, Azadî) die eine Verbindung zur Organisation unterhalten, die diese unterstützen und Propaganda für sie machen, müssen bekämpft werden. (…) Von der türkischen Presse erwarten wir, keine Nachrichten zu veröffentlichen, die die Ziele der Organisation stärken könnten. Das Hauptziel des Kampfes sollte es sein, die Erfolgshoffnung der Organisation zu brechen und zu vernichten.“
Im Rahmen dieser Vernichtungsstrategie bemüht sich der türkische Staat derzeit intensiv darum, auch die Schließung des kurdischen Fernsehsenders ROJ-TV zu erreichen und auf die Regierung Dänemarks einzuwirken, diesem die Lizenz zu entziehen.
Ferner bedrängt die Türkei einige EU-Länder, bestimmte dort lebende Personen, die sie auf einer Namensliste der „Staatsfeinde“ führt, an die Türkei auszuliefern.
Wahlkampf gegen Kurden
Kaum zwei Wochen nach den Verboten des Bundesinnenministers, wollte auch Bundeskanzler Gerhard Schröder, klarstellen, wer ihm in diesen Wahlkampfzeiten näher stand, im Fokus seines Interesses die etwa 600 000 deutsch-türkischen Stimmen. Also besuchte er am 14. September den Konzern des finanzschweren Verlegers Aydin Dogan, in dessen Frankfurter Verlag unter anderem das nationalistische Massenblatt „Hürriyet“ erscheint. Dies war ihm offensichtlich der richtige Propagandaort, sich als der Förderer der Türkei in die türkischsprachigen Schlagzeilen zu bringen. Was auch gelang, „Hürriyet“ berichtete seitenlang über den prominenten Besuch und schwor ihre Leser/innen darauf ein, die SPD zu wählen. Die BILD-Zeitung fragte am nächsten Tag auf der Titelseite „Entscheiden Türken die Wahl ?“ und zeigte Bundeskanzler Schröder vor den Symbolen der türkischen Flagge, Halbmond und Stern.
Aus der Enttäuschung über den Ausgang der Wahlen zu Ungunsten von Schröder machte dann auch der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan keinen Hehl.
Wer verstößt hier gegen Gedanken der Völkerverständigung?
In der Verfügung des Bundesinnenministers wurde erneut auf den Hintergrund des 1993 erlassenen Betätigungsverbots verwiesen und ausgeführt, dass sich die betroffenen kurdischen Organisationen unter anderem „gegen den Gedanken der Völkerverständigung“ gerichtet hätten. Der Vorwurf sei auch für die aktuelle Verbotsmaßnahme aufrechtzuerhalten. Dies behauptet ausgerechnet eine Bundesregierung, die an dem völkerrechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien beteiligt war, die durch umfangreiche logistische Unterstützungsleistungen dazu beigetragen hat, dass der Krieg gegen den Irak geführt werden konnte und die deutsche Soldaten zu Auslandseinsätzen in alle Welt schickt. Nicht nur am Rande erwähnt werden sollte zudem, dass unter der rot-grünen Regierung die Rüstungslieferungen im Durchschnittswert von 1999 bis zum Jahre 2003 etwa 30 Prozent über jenem der letzten drei Jahre der CDU/CSU-Regierung lagen. Insgesamt betrug das ausgewiesene Genehmigungsvolumen 4,9 Milliarden Euro. Werden die Dual-Use-Güter hinzugezählt, steigt der Gesamtwert gar auf mehr als 13,5 Milliarden Euro. Nach Angaben der PDS-Abgeordneten Gesine Lötzsch hat der Haushaltsausschuss auf Drängen der rot-grünen Regierung gemeinsam mit der CDU noch vor den Wahlen mehrere Rüstungsprojekte im Wert von 50 Millionen Euro beschlossen.
Erinnert sei auch daran, dass Deutschland in den 1990er-Jahren durch die Lieferung von Waffen und Panzern, die gegen das kurdische Volk zum Einsatz kamen, massiv gegen den Gedanken der Völkerverständigung verstoßen hatte.
Schily spekuliert auf Gewalt
Aufschlussreich und entlarvend ist in Schily’s Verbotserlass folgender Passus: „Obwohl derzeit keine konkreten Hinweise auf Anschlagsplanungen des KONGRA-GEL in Deutschland vorliegen, ist nicht auszuschließen, dass zukünftig der Konflikt - auch unter Anwendung von Gewalt - nach Deutschland getragen wird.“ Es drängt sich hier der Eindruck auf, als wollte man genau dies durch die provokanten Maßnahmen bezwecken. Die inzwischen erfolgten Reaktionen auf das Verbot müssen in dieser Hinsicht enttäuschend gewesen sein: Alle Demonstrationen und Kundgebungen verliefen absolut friedlich, zumindest von Seiten der Kurdinnen und Kurden. In Hamburg kam es auf einer Protestaktion am 10. September zu einem brutalen Polizeiübergriff auf eine Kurdin, weil sie ein Schild mit der Aufschrift „Özgür Politika ist meine Stimme“ zeigte. Die Verbotsverfügung sagt hierzu: „Es ist verboten, Kennzeichen der E. Xani Presse- und Verlags-GmbH öffentlich, in einer Versammlung oder in Schriften, Ton- oder Bildträgern, Abbildungen oder Darstellungen, die verbreitet werden können oder zur Verbreitung bestimmt sind, zu verwenden. Dies gilt insbesondere für das Logo der Zeitung ‚ÖZGÜR POLITIKA’ in roten Großbuchstaben.“
Ein anderer Aspekt dieser spekulativen Herangehensweise: Erst im vergangenen Oktober hatte der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Revisionsverfahren zweier kurdischer Politiker das Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Celle in einem Punkt für unzulässig erklärt und das Verfahren zurückverwiesen. In diesen Verfahren ging es exakt um die vom OLG und der Bundesanwaltschaft (BAW) stereotyp behauptete Gewaltoption, mit der unterstellt wird, die kurdischen Organisationen würden in Deutschland zur Anwendung von Gewalt zurückkehren, sollte sich deren Situation oder diese von Abdullah Öcalan ungünstig entwickeln. Ein Totschlagargument, das zur Aufrechterhaltung der Verbotspraxis herhalten muss und der kurdischen Bewegung jegliche positive Perspektive zunichte machen soll. Der BGH hielt in seiner Entscheidung eine solche nicht auf Objektivität beruhende Sichtweise von Gericht und BAW als Grundlage von Urteilen für unhaltbar.
Nichts ohne meinen
Anwalt /meine Anwältin
Alle von den Kriminalisierungsmaßnahmen betroffene Kurdinnen und Kurden werden sich juristisch gegen das Vorgehen des Bundesinnenministers zur Wehr setzen. Abzuwarten bleibt nun, zu welchen Urteilen die Gerichte kommen werden.
Reaktionen
In einer Presseerklärung der Mitarbeiter/innen der Zeitung „Özgür Politika“ wird ausgeführt, dass die Zeitung sowie der herausgebende Verlag „zu keiner Zeit“ ein „Risikofaktor für die innere Sicherheit der Bundesrepublik dargestellt“ habe. Es wird die Vermutung geäußert, dass für das Verbot „kein aktueller Anlass“ vorgelegen habe. Vielmehr hätten „sachfremde Gründe, die mit der kommenden Bundestagswahl in Verbindung stehen“, den Ausschlag gegeben. Für die Mitarbeiter/innen ist das Verbot „im Kern politisch motiviert“ und „aus dem Archiv des Generalbundesanwalts zusammengeschustert“. Mit seiner „gegen den Willen der kurdischen Bevölkerung gerichteten willkürlichen Verfügung“ habe Schily „innenpolitisch agiert und konspirativ gehandelt“. Zu erwarten sei nun eine „Mischung neuer Probleme, Misstrauen, mehr Arbeitslosigkeit, finanzielle Schädigung von Mitarbeitern und Geschäftspartnern des Verlages.“ Mit dem Verbot sei „nicht nur die Zeitung, sondern vor allem das Recht der Kurden auf Presse-, Informations- und Meinungsfreiheit unterbunden worden.“ Für Millionen von „in Europa lebenden Kurden“ gebe es nunmehr „kein nachhaltiges Ausdrucksmittel mehr“. Gegen das Verbot wolle man alle juristischen Wege ausschöpfen und notfalls auch individuell auf europäischer Ebene gegen das Verbot vorgehen.
Scharf wurde Schily von der zur Gewerkschaft ver.di gehörenden Deutschen Journalisten-Union (dju) kritisiert. Angesichts des hohen Rangs der Pressefreiheit sei diese Aktion „völlig überzogen“. Zwar habe die Zeitung politische Grundsatzpositionen der PKK dokumentiert. Doch sei dies „nicht gleichzusetzen mit der Einbindung in eine Befehls- und Kommandostruktur“, so der hessische dju-Geschäftsführer Manfred Moos. Es dränge sich der Verdacht auf, dass Schily zwei Wochen vor der Bundestagswahl mit der Aktion seinen Ruf als „sicherheitspolitischer Hardliner“ habe festigen wollen.
Für die Partei Arbeit & soziale Gerechtigkeit - Die Wahlalternative (WASG) war das Verbot der Tageszeitung „Özgür Politika“ ein „Angriff auf die Presse- und Meinungsfreiheit“ und „Wahlkampf auf dem Rücken der Migrantinnen und Migranten“. Es dränge sich der Verdacht auf, „dass die Bundesregierung gewillt ist, die repressive und undemokratische Politik der türkischen Regierung gegen alle Vernunft zu unterstützen.“ Die WASG sowie der DIDF-Bundesvorsitzende Hüseyin Avgan forderten den Bundesinnenminister auf, „das ausgesprochene Verbot sofort zurückzuziehen und die Kriminalisierung von Kurdinnen und Kurden zu beenden.“
Der Menschrechtsverein Türkei/Deutschland e.V., TÜDAY, erklärte, dass demokratische Länder dazu verpflichtet seien, „dafür Sorge zu tragen, dass jede/r ohne Diskriminierung“ von dem Recht auf „freie Information und Informationssuche“ Gebrauch machen kann. Alle „Parteien, Vereinigungen und Personen, die Demokratie für alle auf ihre Fahnen geschrieben haben,“ sollen sich „umgehend für die Aufhebung dieses ungerechten und ungerechtfertigten Verbots nach Kräften einsetzen.“
Laut der Informationsstelle Kurdistan (ISKU) folgt „der ehemalige RAF-Anwalt und heutige Scharfmacher Schily“ mit seiner Verbotsbegründung der „chauvinistischen Linie des türkischen Staates, der nach wie vor auf Vernichtung der kurdischen Bewegung setzt, anstatt die kurdische Frage auf demokratischem Weg zu lösen.“ Unsinnig sei es, „die PKK als Terrorproblem zu behandeln.“
Die Göttinger Antifaschistische Linke International, A.L.I., betonte in ihrer Erklärung, dass „die BRD dem türkischen Staat seit Jahren bei der Verfolgung von Kurd(inn)en“ helfe und das Verbot der Zeitung zeige, „welche Form der Demokratisierung die kurdische Bevölkerung von Seiten der EU zu erwarten“ habe. Sie forderte die Abschaffung aller „rassistischen Sondergesetze“ sowie der „so genannten Antiterror-Gesetzgebung.“
Als eine „Annäherung in die falsche Richtung“ bezeichnete der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) die Verbote. Die „blinde Gefolgschaft des Bundesinnenministers gegenüber den Wünschen der türkischen Regierung“ erschüttere ebenso „wie die Ignoranz gegenüber der kurdischen Frage und die Schamlosigkeit gegenüber der Pressefreiheit.“ Der RAV forderte von Schily die Rücknahme der Verbotsverfügung und eine Entschädigung der Betroffenen.
Die Kooperation für den Frieden im Netzwerk Friedenskooperative nannte das Vorgehen Schilys „friedensfeindlich“ und bezichtigte ihn, durch das Verbot „Chancen für Dialog und mögliche politische Verständigung im türkisch-kurdischen Konflikt“ zu hintertreiben. Sie warnt, dass, „wer auch in Deutschland die kurdisch-stämmige Bevölkerung ihrer demokratischen Möglichkeiten und Rechte“ beraube, als „verlängerter Arm der reaktionären Kräfte der Türkei“ diene. Verbote würden Deutschland nicht sicherer machen, sondern den Weg zu friedlichen Lösungen versperren.
Der kurdische Schriftsteller Haydar Isik und die Journalisten Haci Erdogan und Erdal Han appellierten in einem Aufruf „An die demokratische Öffentlichkeit“, sich für ein „menschliches und gerechtes Leben für Kurden in der Türkei und in Deutschland einzusetzen.“ Sie machten die Bundesregierung dafür verantwortlich, „wenn ein erneuter bewaffneter Kampf von der Türkei provoziert wird.“
Die Föderation der kurdischen Vereine in Deutschland, YEK-KOM, prognostizierte, dass „Repression, ob in der Türkei oder in Deutschland, aufgrund der Verankerung der Bewegung in der kurdischen Bevölkerung nur in eine Sackgasse führen kann.“ Ein Land wie die Bundesrepublik „sollte kritische Stimmen nicht fürchten, sondern denen, die sich für Menschenrechte und Demokratie einsetzen, Schutz und Unterstützung gewähren.“
AZADÎ verurteilt die Fortsetzung der Kanther’schen Verbotspolitik aufs Schärfste. Die Verletzung des Artikels 5 Grundgesetz sei bewusst in Kauf genommen worden und ein weiterer klarer Beleg für ein autoritäres Staats- statt eines Demokratieverständnisses des Innenministers. Sie zeigt auch, dass es hardlinern wie ihm und anderen der politischen Klasse dieser Republik nicht um ein friedfertiges Nebeneinander geht, sondern um Provokation, Konfrontation und Schüren von Ressentiments und das Herbeischreiben von gewalttätigem Verhalten.
AZADÎ fordert Organisationen, Parteien und Persönlichkeiten auf, Druck zu machen auf die neue Bundesregierung, um dem demokratiefeindlichen Treiben gegen die kurdische Bewegung und deren Institutionen zu einem Ende zu verhelfen.
In einem am 15. September in der „tageszeitung“ veröffentlichten Offenen Brief von YEK-KOM und AZADÎ an Bundesinnenminister Schily, wird diesem vorgeworfen, die Kopenhagener Kriterien „in erschreckender Weise und geradezu paradox (zu) missachten“ und in ihr Gegenteil zu „verkehren“. Er habe „das bedeutendste Medium der kurdischen Bevölkerung in Deutschland“, das über Menschenrechtsverletzungen in der Türkei berichtet, um Verständigung „zwischen den Menschen“ geworben und den „friedlichen Dialog“ proklamiert habe, zum Schweigen gebracht. Es bleibe für den „unsinnigen“ und „nichtswürdigen Akt“ leider „nur jene traurige Interpretation übrig, dass ein Anschlag auf die freie Meinungsäußerung von Kurden billigsten Wahlkampfgründen“ gedient habe und der „spekulativen Erwartung geschuldet“ sei, „einige türkische Stimmen zu gewinnen.“ Die Bürgerinnen und Bürger kurdischer Herkunft würden sich jedoch auch künftig nicht von , „ihren festen, so oft erklärten friedlichen, rechtsstaatlichen und demokratischen Absichten“ abbringen lassen. Der Appell endet mit einem Ausspruch von Bertolt Brecht, dass „man sich nicht dumm machen lassen dürfe von der Dummheit, wenn sie einem begegnet.“
Bruder im Geiste
Der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Koschyk, und der Obmann der Fraktion im Innenausschuss, Strobl, begrüßten in einer Erklärung die Verbote. Ihrer Meinung nach seien sie „lange überfällig“ gewesen. Sie fragen, warum Bundesinnenminister Schily „hierfür so lange gebraucht“ habe und kündigen an, dass CDU und CSU „nach dem Regierungswechsel konsequent gegen weitere extremistische Organisationen alle rechtsstaatlichen Mittel ausschöpfen“ würden.
Begrüßt wurde Schilys Schritt natürlich von seinem „Bruder im Geiste“, Bayerns Innenminister Günther Beckstein.