Asyl- und Migrationspolitik
Engagement für Illegalisierte legalisieren
„Sie bezahlen die Ärzte selbst, benutzen die Krankenkassen-Karten von Freunden, machen Selbsttherapie. Sie kommen erst, wenn zehn Aspirin am Tag die Schmerzen nicht mehr lindern. Wenn es darum geht, eine ambulante Behandlung zu vermitteln, ist das nicht so problematisch - weil es doch viele Ärzte gibt, die das umsonst oder gegen Spendenbescheinigung machen.“ Dies äußerte Uli Sextro vom Projekt „Illegalität“ der evangelischen Kirche im Rheinland und Westfalen in einem Gespräch mit der taz NRW über die Situation von illegalisierten Asylsuchenden, für die sich durch das Zuwanderungsgesetz „nichts verbessert“ habe. Er befürchte auch, dass eine mögliche Große Koalition „nicht gerade Mut“ mache. Er forderte, dass das rein humanitäre Engagement für Menschen ohne Aufenthaltsstatus straffrei gestellt werden müsse, was auch von Verbänden und Kirchen angemahnt werde.
(Azadî/taz NRW, 1.10.2005)
Willkür gegen Abschiebehäftlinge beenden
Die gesetzliche Grundlage und die brutale Praxis der Abschiebehaft war Thema eines Vortragsabends in der Katholischen Akademie in Berlin. „Wenn in die persönliche Freiheit eingegriffen wird, sind sonst sehr hohe Hürden zu überwinden, bei der Abschiebungshaft ist das nicht so,“ kritisierte Hans-Jürgen van Schewick, Richter am Bundesverwaltungsgericht. Zudem sei problematisch, dass ein Großteil der Abschiebehäftlinge ihre Situation nicht verstünden. „Wenn die Ausländerbehörde willkürlich Menschen eine Nationalität oder Jugendlichen ein Alter zuweist, dann zweifele ich an der Rechtsstaatlichkeit dieses Landes“, so van Schewick. Stefan Keßler vom Jesuitenflüchtlingsdienst (JRS), informierte darüber, dass in der Praxis immer wieder Personen inhaftiert würden, deren Abschiebung aussichtslos erscheint. Diese Menschen wolle man offenbar zur „freiwilligen“ Ausreise bewegen. Gebraucht würden „Pflichtverteidiger, vereidigte Dolmetscher bei Gesprächen zwischen Vertretern der Ausländerbehörde und Asylbewerbern“ und „keine Inhaftierung von Kranken, Schwangeren und Traumatisierten mehr,“ forderte Dieter Müller, JRS-Leiter.
(Azadî/jw, 1.10.2005)
EKD: Mehr Schutz für Flüchtlinge
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschlands, Wolfgang Huber, fordert von der neuen Bundesregierung „mehr Rechts- und Aufenthaltssicherheit“ für Flüchtlinge, bessere Zukunftsperspektiven sowie „großzügige“ Regelungen für lange in Deutschland lebende Flüchtlinge.
(Azadî/ND, 5.10.2005)
September: 21 Menschen asylberechtigt anerkannt
Im Vergleich zum Vormonat ist die Zahl der Asylbewerber im September leicht gestiegen, hat aber im Vergleich zum September 2004 abgenommen. So beantragten laut Bundesinnenministerium 2507 Menschen Asyl, 84 mehr als im August. Die meisten Asylsuchenden kamen aus Serbien, Montenegro, der Türkei und aus Irak. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erkannte im September 21 Menschen als asylberechtigt an.
(Azadî/ND, 7.10.2005)
Kein Kurdenhandel mit deutschem Staat!
Kurdischer Menschenrechtsverein in der Kritik
Laut einer Information von kurdistan aktuell findet am 22. Oktober 2005 eine Informationsveranstaltung der IMK „über freiwillige Rückkehrmöglichkeiten für Flüchtlinge aus dem Irak“ statt. Kritisiert wird, dass hier offenbar „im Namen Schilys ein großes lukratives Rückführungsprojekt von Kurden aus Deutschland“ entsteht, das auf „ein Riesengeschäft für den deutschen Staat“ hinauslaufe, denn die Grundlage der vermeintlich freiwilligen Rückkehr basiere auf „einer Kopfprämie von 1 x 1500,— Euro pro rückgeführtem Kurden“. kurdistan aktuell favorisiere einen „überlegten Weg wissenschaftlicher Kader, fähiger Handwerker und Administratoren nach Kurdistan-Irak“, warne aber „vor jeglichem Kurdenhandel mit deutschen Innenbehörden“. Erforderlich sei vielmehr „die politische Forderung nach umfangreichen Entwicklungsprojekten, Rehabilitation und Entschädigung für die Opfer von Halabja in Millionenhöhe“ und „arbeitsplatzfördernden Investitionen“ sowie nach „Ausbildungsplätzen an hiesigen Universitäten für junge Kurdinnen und Kurden.“ Erst dann sei es „ebenso menschlich wie vernünftig, von einem nachhaltig wirksamen Einsatz rückkehrbereiter Menschen“ zu sprechen.
(Azadî/kurdistan aktuell, 10.10.2005)
Bleiberecht für Familie Erkil!
Kundgebung und Demo in Wesel
Seit über zehn Jahren lebt die sechsköpfige Familie Erkil in Deutschland und soll nach Ablauf ihrer Duldung am 5. November in die Türkei abgeschoben werden. Ein Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wurde abgelehnt. „Gegen eine Abschiebung in die Türkei sprechen jedoch sowohl humanitäre Gründe, die die persönliche Lage der Familie betreffen, als auch die Bedingungen, die in dem Land herrschen, in welches sie gegen ihren Willen abgeschoben werden sollen“, so im Kundgebungsaufruf des Weseler Initiativkreises Bleiberecht für Familie Erkil. Mehmet Erkil sei bereits in seiner Heimat für die Rechte der kurdischen Minderheit aktiv gewesen, wofür er mehrmals von der türkischen Armee verhaftet, gefoltert und mit dem Tode bedroht worden sei. Außerdem habe er als Vorsitzender des „Kurdischen Kulturvereins Wesel“ gearbeitet. Beides werde jedoch von der Ausländerbehörde nicht als Grund für ein Bleiberecht anerkannt. Frau Sabahat „ist aufgrund der schrecklichen Ereignisse in der Türkei und der täglichen Sorge um ihre Familie traumatisiert“. Ihr sei von der Psychologin des Gesundheitsamtes Reiseunfähigkeit bescheinigt und eine erhöhte Suizidgefahr im Falle einer Abschiebung bestätigt worden. Doch wurde das Attest von der Ausländerbehörde nicht anerkannt. Trotz zahlreicher Appelle und Solidaritätserklärungen aus dem gesamten Bundesgebiet, zeige sich – so der Initiativkreis – die Ausländerbehörde „absolut uneinsichtig“. Doch wolle man dieser Ignoranz „gemeinsam unseren unbeugsamen Protest entgegensetzen.“ Aus diesem Grunde fand am 22. Oktober 2005 in Wesel eine Kundgebung und Demonstration statt.
(Azadî/Initiativkreis Bleiberecht für Familie Erkil, 12.10.2005)
Bleiberecht für Familie Kutlu!
Protestaktion in Neuruppin
Die seit neun Jahren in Neuruppin lebende kurdische Familie Kutlu soll nach der am 20.10. ablaufenden Duldung in die Türkei abgeschoben werden, „in ein Land, in dem ihnen immer noch politische Verfolgung und sogar Folter drohen“, wie die AktionsGruppe Kutlu bleibt in ihrem Aufruf zu einer Protestaktion am 20. 10. ausführt. Die Familie sei vollständig integriert, die Kinder „mit Deutsch als ihrer Muttersprache aufgewachsen“ und inzwischen ohne Bezug zur Türkei. Mehmet (15) leide an einer kombinierten Lern-Sozialstörung und befinde sich in therapeutischer Behandlung. Die Mutter Fatma befinde sich „wegen der andauernden Belastungen selbst in psychologischer Behandlung.“ Letztlich aufgrund der öffentlichen Mobilisierung der aus jungen Menschen bestehenden Unterstützungsgruppe sei eine Abschiebung bisher zwar verhindert worden, doch werde „die Lage kritischer.“
(Azadî/AktionsGruppe Kutlu bleibt!, 17.10.2005)
Griechenland: Bittere Bilanz des neuen Ausländergesetzes
Am 18. August 2005 trat in Griechenland das neue Ausländergesetz in Kraft, von der Regierung als „dritte Welle zur Legalisierung von im Lande lebenden Migranten“ angekündigt. Einhellig bedauern Flüchtlinge, Migranten, Anwälte und Menschenrechtler, dass die neue Regelung in keinem Fall der Ankündigung entsprach. Nur ein Bruchteil der „Illegalen“ könnten die Voraussetzungen zur Antragstellung auf Gewährung eines Aufenthaltsrechtes erfüllen. Besonders kritisiert wird der geforderte Nachweis, vor dem 31. Dezember 2004 eingereist zu sein. Das neue Gesetz lässt lediglich den Stempel beim Grenzübertritt im Pass, z.B. bei einer Einreise mit Touristenvisum, oder von der Ausländerbehörde ausgegebene Dokumente gelten. Jeder Antragsteller muss außerdem Beiträge zur Sozialversicherung in Höhe von mindestens 150 Versicherungsmarken (1.026 Euro) bis zum 31. Oktober 2005 aufbringen. Auch für bereits legal in Griechenland lebende Migranten bringt das neue Gesetz Nachteile. So wurden die Regelungen für eine Erneuerung einer Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis derart verschärft, dass vielen ein erneutes Abgleiten in die Illegalität droht. Die Initiative „Rechtsanwälte für die Rechte von Flüchtlingen und Migranten“ dazu: „Angekündigt wurde eine Welle der Legalisierung von Migranten. Statt dessen füllen sich die Abschiebezellen auf den Polizeistationen.“
Nichts Positives für Flüchtlinge zu erwarten
Auf die Frage der jungen welt , was im Hinblick auf die Migrationspolitik von der Großen Koalition aus CDU/CSU/SPD zu erwarten ist, erklärte Frank Gockel, Vorsitzender des Vereins „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V.“ u.a., dass er von einer Verschlechterung ausgehe: „Der Trend, zwischen ‚guten’ und ‚schlechten’ Ausländern zu unterscheiden, wird sich fortsetzen. Flüchtlinge, die sowieso kaum noch nach Deutschland kommen, werden es noch schwieriger haben.“ Statt ihre Versprechen für positive Lösungen einzuhalten, seien durch die rot-grüne Bundesregierung stattdessen „Arbeitsverbote für Flüchtlinge, Abschiebelager und die weitere Kriminalisierung von ‚Illegalen’ flächendeckend eingeführt worden. Er sehe keine Chance – „unabhängig davon, welche Partei in Berlin das Sagen hat“ – für eine von Flüchtlingsinitiativen geforderte Abschaffung der Abschiebehaft, der Aufhebung der Residenzpflicht oder der Legalisierung von Illegalisierten. Auch fürchte er, dass sich „momentan keine Partei im Bundestag engagiert für die Rechte von Flüchtlingen“ einsetzen werde, einschließlich der Linkspartei.PDS, für die seiner Meinung nach die Flüchtlingspolitik „eher“ ein „Randthema“ sei. Mit Blick auf Bündnis 90/Die Grünen meinte Gockel, dass diese sich „zu Recht über die inhumane Praxis von Sammelabschiebungen in die Türkei“ aufregten, dabei aber verdrängen würden, „dass diese Praxis bereits in der Zeit begonnen wurde, als sie selbst noch Teil der Landesregierung (in Nordrhein-Westfalen, Azadî) waren.“
(Azadî/jw, 25.10.2005)
Mehr Verständnis für Migrant(inn)en gefordert
„Flüchtlinge geben ihre traumatischen Erfahrungen nicht an der Grenze ab,“ sagte Knut Rauchfuss von der „Medizinischen Flüchtlingshilfe Bochum“ anlässlich eines Kongresses „Gerechtigkeit heilt“. Eine Heilung der Menschen von Traumata werde durch die entwürdigende Behandlung erschwert. Nicht selten litten Betroffene unter Schuldgefühlen. Deshalb sei eine Anerkennung ihrer Leiden unabdingbar. „Das Erlittene muss entprivatisiert und in den Kontext zurück gestellt werden, in dem das systematische Verbrechen geschah.“
Er forderte mehr Verständnis für Migrantinnen und Migranten in Deutschland.
(Azadî/ND, 25.10.2005)