Oberlandesgericht verurteilt Muzaffer Ayata zu Freiheitsstrafe
TÜrkei beantragte vor Prozessende die Auslieferung des kurdischen Politikers
Festnahme des Politikers im August 2006
auf Druck der USA erfolgt
Das im Mai 2007 eröffnete Verfahren gegen den kurdischen Politiker Muzaffer Ayata vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt/M. endete am 10. April 2008 mit dessen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten, womit das Gericht dem Antrag und der Begründung der Bundesanwaltschaft gefolgt ist.
Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass der kurdische Politiker in der Funktion als Sektorleiter Süd führendes Mitglied und Rädelsführer einer „kriminellen Vereinigung“ (§ 129 Strafgesetzbuch) - PKK bzw. des KONGRA-GEL - gewesen ist. Die Verteidigung hat angekündigt, Revision gegen das Urteil einzulegen.
Weil wir der Auffassung sind, dass aus diesem Verfahren mit der ungewöhnlich hohen Freiheitsstrafe die kurdenfeindliche und die Türkei unterstützende Haltung der deutschen Strafverfolgungsbehörden sehr deutlich zum Ausdruck kommt, dokumentieren wir nachfolgend ausführlichere Auszüge aus dem 70-seitigen „letzten Wort“ des Angeklagten sowie der Plädoyers seiner Verteidiger.
Eine Entscheidung, den kurdischen Politiker auszuliefern, würde bedeuten, dass sich Deutschland in dem Freiheitskampf der Kurden auf die Seite der Unterdrücker stellt und die Vernichtungsstrategie des türkischen Staates unterstützt. Sie wäre ein Teil der psychologischen Kriegsführung, mit der all jene Kurdinnen und Kurden bedroht werden, die sich exilpolitisch betätigt haben oder dies auch heute noch tun.
Muzaffer Ayata:
Bundesanwaltschaft ideologisch und provokativ
Muzaffer Ayata hatte am 3. April „das letzte Wort“. In über 70 Seiten setzte er sich ausführlich nicht nur mit der Geschichte des kurdischen Volkes, seines jahrzehntelangen Kampfes um Freiheit und Gerechtigkeit, der Positionierung der internationalen Gemeinschaft zur kurdischen Frage auseinander, sondern insbesondere auch mit der politischen Haltung Deutschlands gegenüber den Kurden und dem Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden.
So schreibt er u.a.: „Die Bundesanwaltschaft hat ein ziemlich ideologisches und provokatives Plädoyer gehalten, in dem auch meine Person zur Zielscheibe gemacht wurde. Diesen Vortrag werde ich nicht analysieren. Dennoch möchte ich auf einige Punkte eingehen. Die Bundesanwaltschaft sagt nichts Neues. Sie wiederholt alte Vorfälle mit begleitenden negativen Kommentaren. Sie sagt nichts zur Zukunft, zu den Erwartungen den kurdischen Volkes und der Politiker. Sie beruft sich nur auf die Vergangenheit. […]

Wer viel Kummer hat, erzählt viel
Ich hätte nicht erwartet, dass sich manche Institutionen und Zuständige in einem demokratischen und starken Land wie Deutschland den Kurden gegenüber, welche in ihrem Land unterdrückt und/oder einem Exilleben ausgesetzt sind, so uninteressiert und pauschal verhalten würden. Ich hatte in diesem Zusammenhang auch nie gedacht, dass man mich dazu bringen würde, ein Buch zu schreiben. Es ist richtig, dass meine Verteidigung zu lang war. Doch: Wer viel Kummer hat, erzählt viel, sagt man bei uns. […]
Alte Klischees
Insbesondere die Ausführungen und Analysen des als PKK-Experten geladenen Polizeibeamten waren unzureichend und sich seine Quellen als äußerst dürftig erwiesen. Dass sich ein Staat wie Deutschland mit solch dürftigen Informationen zufrieden gibt, hat mich doch sehr verwundert. Ich habe nur klischeehafte Ausführungen gehört, die lediglich einen veralteten Wissensstand wiedergegeben haben. […]
Millionen Euro für Observationen und Verfahren
Um zu einem fundierten Urteil zu kommen, ist es auch für die Justizorgane erforderlich, über die aktuellen Entwicklungen im Bilde zu sein. Ist dies nicht der Fall, wird sich das zu fällende Urteil nicht ausgewogen gestalten, was wiederum Anlass zu Diskussionen bietet, die dem deutschen Recht und seiner Gerichtsbarkeit schaden.
Beschlüsse und Urteile, welche Völker oder politische Bewegungen betreffen, sollten sich nicht ausschließlich auf Informationen stützen, die von wenigen Beamten zusammengetragen werden. Diese Beamten bewegen sich nur im Rahmen ihrer Aufgabe zur Informationsbeschaffung. In Anbetracht der Komplexität der Problematik und dem Schicksal eines unterdrückten Volkes wäre es angebracht, gewisse Konsultationen vor Ort durchzuführen, die periodische Entwicklung zu verfolgen und den Dialog mit den Beteiligten zu suchen. Hierfür sind in der Türkei ausreichend Gesprächspartner vorhanden und auch in Europa gibt es eine einflussreiche Schicht von kurdischen Intellektuellen und Politikern. […]
Unstimmigkeiten könnten im Dialog ausgeräumt werden
Man fragt sich schon, ob es denn zuviel verlangt ist, solche Methoden auch auf die kurdische Problematik anzuwenden. Indessen werden in Deutschland zur Beobachtung der Kurden und für Gerichtsverhandlungen Millionen von Euro verwandt. Telefone werden abgehört und der Briefverkehr überwacht. Alleine mein Verfahren dürfte ein Vermögen kosten: Fünf Richter, zwei Staatsanwälte und zwei Übersetzer verwenden monatelang ihre Zeit für dieses Verfahren. Niemals habe ich den Deutschen einen solchen Schaden zugefügt, der solche Kosten verursacht. Niemals habe ich der deutschen Gesellschaft und seiner Rechtsordnung geschadet. Stattdessen könnten die Staatsanwaltschaft oder andere Verantwortliche mich jederzeit rufen lassen, ich würde mich mit ihnen zusammensetzen und alle Unstimmigkeiten könnten zur Sprache gebracht werden. Ein oder zwei Stunden würden für einen Dialog ausreichen. Weder ist es nötig, derart viel Geld auszugeben noch ist es nötig, soviel Arbeit darauf zu verwenden. […]

Welche PKK ist eigentlich gemeint?
Als jemand, der die PKK und die kurdische Bewegung mehr oder weniger gut kennt, habe ich mich über die Anklageschrift und die in die Anhörung eingeführten Gerichtsurteile doch sehr gewundert. Sämtliche Urteilsbegründungen gleichen sich weitestgehend. Allesamt tragen Züge des gleichen Denkens. Diese Urteile werden wiederum anderen Richtern vorgelegt und deshalb verlaufen die Diskussionen im fest gefügten Rahmen; keines der Urteile geht darüber hinaus. Diese Anklageschriften und Urteile decken sich jedoch nicht mit der Realität der PKK, wie ich sie kenne. So scheint es eine PKK zu geben, die seit Jahren exzellent ohne Probleme arbeitet und in der sich unveränderliche Mechanismen und ein festes Handlungsschema verankert haben. Der türkische Staat greift mit allen ihm zur Verfügung stehenden legalen und illegalen Mitteln an. Dennoch schafft er es nicht, sie zu vernichten. Deutschland hingegen verbietet und bestraft. Wiederum wird ihr damit kein Ende gesetzt. Eine Organisation indes, die auf beschriebene Weise schematisch vorgehen würde und sich nur auf eine kleine Kaderstruktur stützt, könnte den Vernichtungsangriffen kein Jahr lang widerstehen. Sie würde vernichtet werden. […]
Verbotspolitik richtet sich gegen alle Kurden
Selbst offizielle Stellen in der Türkei mussten zugeben, dass sich die PKK auf breite Volksschichten stützen kann. […]
Millionen von Kurden wurden für das Anliegen der PKK gewonnen, indem die Funktionäre der PKK in die Dörfer, Städte oder Häuser gingen, wo sie Propagandaaktivitäten durchführten. Dies ist ein wichtiger Punkt. Dadurch, dass der Staat die Mehrheit der Kurden ins Visier nahm, trieb er sie in die Arme der PKK, obwohl sie überhaupt nicht über den Unterbau verfügte, um derartig viele Menschen zu organisieren. Viele Funktionäre der PKK wurden getötet oder gefangen genommen. Die stark polarisierende Politik des Staates, die nur zwei Alternativen kannte, entweder für den Staat oder gegen ihn zu sein, verschaffte der PKK die Unterstützung von Millionen. Dies ist die PKK, die im realen Leben existiert. Ohne diese Realität zu berücksichtigen, lässt sich die kurdische Bewegung nicht verstehen. […] Niemand, der heute im Namen der Kurden spricht, ist nicht mit dem nationalen und politischen Kampf der PKK in Berührung gekommen. In diesem Sinne richtet sich das Verbot der PKK nicht nur gegen diese, sondern gegen alle Kurden gleichermaßen.
Verzicht auf eigenen Staat war kein taktischer Schritt
Jemand der diese Quellen (die von Abdullah Öcalan nach 1999 veröffentlichten Bücher, Azadî) nicht gelesen hat, wird den Wandel der PKK und der kurdischen Bewegung nicht verstehen oder gar eine Expertise abgeben können. Seine Verteidigungsschriften wurden in einer vierteiligen Bücherreihe publiziert. In diesen analysiert er grundlegend die kurdische Bewegung, die PKK und den Kampf von zwanzig Jahren. Gleichfalls erklärt er im historischen und aktuellen Kontext, warum nunmehr auf die Gründung eines eigenen Staates verzichtet wird. Keineswegs entspricht dies einem taktischen Schritt, mit dem die kritische Zeit nach seiner Gefangennahme überbrückt werden sollte, wie uns dies die Bundesanwaltschaft glauben machen mag. (…)
Irreführende Dokumente berichtigen
Die Diskussionen innerhalb der PKK sind immer noch nicht abgeschlossen. Auf ihrem Kongress beschloss sie, mit demokratischen Methoden eine Lösung der kurdischen Frage innerhalb der Grenzen der Türkei anzustreben. Und mitnichten war dies ein Schritt, um die Hinrichtung Öcalans zu verhindern, wie dies der „Polizeiexperte“ ausführte. Vielmehr brachte er die Bewegung an den Rand ihrer Spaltung und Auflösung. Hunderte verließen in Folge die Reihen der PKK und Guerilla. Öcalan wurde allerorten des Ausverkaufs von Kurdistan bezichtigt. (…)
Außerdem ist es falsch, den Öcalan-Prozess als Auslöser für dessen Wandel und den der PKK zu betrachten. Insofern wäre es notwendig, die irreführen Dokumente zu berichtigen, die den Gerichten in Deutschland vorgelegt wurden. […]

Lektion für BAW und Gerichte:
Geschichte des Paragrafen 125 des türkischen Strafrechts
Hinsichtlich dieser Angelegenheit (der Gründe, warum das Todesurteil an Öcalan nicht vollstreckt wurde, Azadî) gilt es, einen weiteren Irrtum zu berichtigen, der mir sowohl bei der Verlesung des Urteils gegen Riza Erdogan als auch bei der Verlesung anderer Urkunden aufgefallen ist. Dort heißt es, dass Öcalan wegen Vaterlandverrats zum Tode verurteilt worden sei. Sollte diese Begründung nicht vorsätzlich eingeflossen sein, würde dies eine Wissenslücke im Hinblick auf den Paragrafen 125 bedeuten. Öcalan wurde wie ich selbst nach diesem Paragrafen verurteilt.
Mustafa Kemal brachte diesen Paragrafen 1925 ins Parlament ein. Er richtete sich in erster Linie gegen Deserteure im türkischen Heer. Es wurden Untersuchungskommissionen eingerichtet, die man in bestimmte Gebiete entsandte. Man ließ Standgerichte vor Ort einrichten, welche die Urteile sofort vollstrecken ließen. Es gab kein Einspruchsrecht. Die Angehörigen dieser Standgerichte waren vorwiegend keine Juristen. Damals hatte das osmanische Heer eine Niederlage erlitten. Die Armee war mit ihrer Kampfmoral am Ende und die Soldaten desertierten massenhaft. Um die zur Verfügung stehenden Armeeeinheiten beisammen halten zu können, ließen die genannten außerordentlichen Gerichte reihenweise Galgen errichten. Die Kurden lernten den § 125 erst mit dem Aufstand von Scheich Seyit im Jahre 1925 kennen. Die von Ankara ausgesandten kemalistischen politischen Kommissare ließen erneut Unabhängigkeitsgerichte einrichten, um den Aufstand niederzuschlagen. Ab da wurde dieser Paragraf nur noch gegen die Kurden angewandt. Seit dem Militärputsch von 1980 wirkt das fort. […]
Kurden kennen Krieg sehr genau und wollen Frieden
Natürlich hat die PKK und die Guerilla in den letzten 30 Jahren Fehler gemacht. Das kurdische Volk und sie haben dafür einen hohen Preis bezahlt. Dazu möchte ich bemerken, dass, wenn einige Politiker Fehler machen, man deswegen nicht einem ganzen Volk die Rechte verweigern kann. Das ist eine andere Version von Vernichtung und Verleumdung, die nicht zur Lösung der Frage beiträgt, sondern sie erschweren und in eine Sackgasse führt. In der Vergangenheit wurden derartige Bedingungen nicht gestellt. […]
Was im Falle anderer Völker (Ayata skizziert u.a. die Konflikte und deren Lösungsansätze von PLO, Hamas, ANC, IRA, Azadî) keine Probleme verursacht, wird bei den Kurden als Problem dargestellt. Der Grund dafür ist erstens, dass die Kurden immer als ein verlierendes Volk betrachtet werden und zweitens niemand dieses Problem ernsthaft lösen möchte, weshalb es auch niemand auf die Tagesordnung setzt. Es ist einfacher, mit erfahrenen Menschen in Dialog zu treten, mit ihnen Frieden zu schließen. Ich kenne einige Mitarbeiter von KONGRA-GEL. Ich weiß, dass diese Leute mehr als andere den Frieden wollen, dabei ehrlich und auch bereit sind, die Verantwortung zu übernehmen. Sie wissen sehr genau, was Krieg und Vernichtung bedeuten. Sie haben es selbst erlebt und sind Zeugen. […]
Kurden werden zu Kriminellen und Terroristen erklärt
Um die Frage zu lösen, muss vor allem die Existenz der Frage akzeptiert und die Beziehung zwischen Ursachen und Folgen richtig behandelt werden. Wenn man aber – wie es die Bundesanwaltschaft tut – die Existenz eines Volkes, seine kulturellen und nationalen Rechte übersieht, die kurdischen Organisationen einseitig beschuldigt und isoliert, wird sich die Nichtlösung der Konflikte weiter vertiefen. Die Staatsanwaltschaft definiert die PKK als eine Gruppe, die zusammengekommen ist, um Straftaten zu begehen. Sie verleugnet den kulturellen Charakter dieser Bewegung und die gesellschaftlichen Dynamiken, auf die sich diese stützt. […]
Wenn sich ein Volk aufgrund seiner Entrechtung erhebt, dürfen nicht die kurdische Bewegung, Politiker und das Volk von ihrem gerechten Kampf isoliert betrachtet und als eine Sammlung von Straftätern dargestellt werden – wie dies in den gegen uns gerichteten Anklageschriften der Fall ist. Diese Art von Politik und Bewertungen unterstützen nur die Türkei. Sie erschwert nur die Lösung der kurdischen Frage und dient keinem anderen Zweck. Diese Bewertungen und die Sprache der Anklageschriften sind nicht unabhängig von der staatlichen Politik. Hätten die Kurden heute einen eigenen Staat oder würde ein mächtiger Staat die Kurden unterstützen, würden die kurdischen Politiker und Organisationen nicht so behandelt. […] Viele kurdische Opfer dieser Politik sind nach Deutschland geflohen. Doch werden diejenigen, die sich gegen die Vernichtungspolitik zur Wehr setzen, werden wegen einiger Fehler zu Kriminellen und Terroristen erklärt. Doch wird der türkische Staat wird nicht gerügt, weil er seine Stärken als Staat einzusetzen vermag. […]
Jeder weiß, dass sich die türkische Mafia und der Geheimdienst in Deutschland frei bewegen, doch erheben deutsche Staatsanwaltschaften keine Anklagen gegen den türkischen Staat. Ich kann in meinem Fall sagen, dass die deutschen Verantwortlichen nicht objektiv sind. Ich glaube nicht daran, dass in meinem Fall von einer neutralen Institution Informationen und Beweise gesammelt wurden. […]
Heute diskutieren die NATO-Länder über die Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo mit 2 bis 3 Millionen Bürgern. Für die bedrohten Kurden mit mehrfach höherer Bevölkerungszahl möchte niemand etwas unternehmen. Dafür hingegen beschuldigt man die kurdischen Organisationen. (In der Tat: inzwischen ist das Kosovo anerkannt, Azadî)
Wenn es um Krieg geht: den schlimmsten führt die USA in Irak. Man sagt, dass in den letzten vier Jahren mehrere hunderttausend Menschen getötet wurden, die genaue Zahl ist nicht bekannt. Zwei bis drei Millionen Menschen befinden sich auf der Flucht. Bezeichnen die europäischen Staaten die USA als terroristisch und kriminell? Kann ein Staatsanwalt in Deutschland die USA wegen der Folterungen und der Tötung von Zivilisten verantwortlich machen und sie anklagen? Das ist offenkundig nicht der Fall. Weil die USA stark sind, wird nicht nur Verständnis gezeigt, sondern sie werdengar unterstützt. Wo diese Doppelmoral und die Macht den Platz der Gerechtigkeit einnimmt, kann – wie man sieht – weder Frieden noch Ruhe herrschen. […]

Kurden erwarten mehr Sensibilität gegenüber ihren Problemen
Seit eineinhalb Jahren befinde ich mich in Haft. Sämtliche Zusammentreffen mit meinen Besuchern finden unter polizeilicher Beobachtung statt. Während meines Aufenthaltes in Deutschland habe ich bei allen Versammlungen und in allen meinen Artikeln und Verlautbarungen, die in den Medien verbreitet wurden, die Kurden zur Respektierung der Gesetze angehalten und ihre Integration in die Gesellschaft angeregt. Ob in der Türkei, in Deutschland oder anderswo: stets habe ich im Rahmen meiner Möglichkeiten versucht, an der Lösung von Problemen mitzuwirken, bei Streitigkeiten zu vermitteln und zu schlichten. Die kurdische Gesellschaft kennt mich als einen kompromissbereiten und friedlichen Menschen. […]
Ich befinde mich als Gast in Deutschland. Deshalb arbeite ich nicht gegen die Gesellschaft eines Landes, das mich aufgenommen hat. Ich erachte menschliche Tugenden und Gefühle der Loyalität als wichtig. In den kurdischen politischen Organisationen wird sehr wohl die Kurdenpolitik Deutschlands kritisiert, manchmal vielleicht hart. In dieser Kritik lässt sich aber auch eine Erwartungshaltung erkennen. Warum also Kritik an Deutschland und nicht an z.B. Tadschikistan oder Angola? Deutschland könnte wegen seines Einflusses auf die Türkei bei der Lösung der kurdischen Frage eine wichtige Rolle spielen. […] Die Kurden haben kein Problem mit Deutschland. Doch die Erwartungen hinsichtlich eines sensibleren Umgangs der Verantwortlichen mit dem unterdrückten kurdischen Volk und bezüglich verstärkter Bemühungen zur Erreichung eines Friedens sind nach wie vor groß. […]
Wertvolle Freundschaften in 20 Jahren Gefängnis
Nur die Beseitigung von Fluchtgründen verhindert Flucht
Manche können nicht verstehen, dass Menschen wie ich, die lange Zeit im Gefängnis verbracht haben, einen derart weitläufigen Bekanntenkreis haben. In den zwanzig Jahren, die ich im Gefängnis saß, waren durchschnittlich zehntausend kurdische Menschen ständig inhaftiert. Wenn man die Verwandten, Bekannten und anderweitigen Besucher dieser Häftlinge hinzurechnet, waren Zehntausende von dieser Situation betroffen. Zudem sind für die Kurden die Gefängnismauern sehr dünn. Wer gestern auf Besuch war, konnte sich schon morgen auf der anderen Seite der Mauer wieder finden. Unter sehr schweren Bedingungen entwickelten sich solidarisches Verhalten und dauerhafte wertvolle Freundschaften. Heute kenne ich persönlich Tausende von Menschen in der Türkei, in Europa und im Mittleren Osten. Auch nach meiner Entlassung konnten mich alle anrufen oder mit mir zusammentreffen. Ich bin mit meiner Identität und mit meinen Beziehungen immer offen umgegangen. Dies entspricht jedoch nicht dem Bild von Muzaffer Ayata, das vor diesem Gericht gezeichnet wird. So wird versucht, mich als Menschen mit nur begrenztem Bekanntenumfeld darzustellen, der nur Beziehungen zu bestimmten Kreisen unterhält und diese werden dann als illegal bezeichnet, die verdächtig sind und unter Beobachtung stehen. […]
An diesem Punkt will ich nochmals auf den Vorwurf der Schleusungen von als illegal bezeichneten Personen nach Europa eingehen, weil mich die Bundesanwaltschaft als Menschenschmuggler darstellen will. In meiner ersten Erklärung habe ich die Gründe dafür dargelegt, warum ich gegen die Flucht der Kurden nach Europa bin. Wir waren diejenigen, die am meisten für ihr Bleiben kämpften. Wir sagten ihnen, dass sie ihre Heimat nicht aufgeben und sie nicht zu Flüchtlingen werden sollen, da der Staat bewusst die Entwurzelung der Kurden und die Zerstörung ihres Gemeinwesens betrieb. Unsere Bemühungen blieben jedoch erfolglos. […]
Viele Kurden wurden bei dem Versuch, die Grenze zu überqueren, getötet oder blieben aufgrund von Landminen oder Bombardements als Kriegsversehrte zurück. Manche wollen die Lage der Kurden einfach nicht verstehen. Unser Land wird entvölkert und unser Volk in alle Winde verstreut. Deshalb haben wir uns dafür eingesetzt, dass die Menschen trotz aller Widrigkeiten nicht ihre Heimat aufgeben. Nun werde ich des Gegenteils beschuldigt. […]
Dass sich Menschen ohne Ausweg an Leute wie mich wenden und um Hilfe bitten, ist nur natürlich. Als jemand, der schwerer Folter ausgesetzt war, großes Leid ertragen und viele Tragödien erleben musste, fällt mir gegenüber diesen Menschen ein offenes „Nein“ sehr schwer. Ich habe zu keiner Zeit irgend jemandem dazu verholfen, auf illegalem Weg nach Europa einzureisen. Die Flucht aus dem Land bzw. das Flüchtlingsproblem lassen sich letztlich nur mit der Beendigung des bewaffneten Konfliktes und der Schaffung eines friedlichen Umfeldes stoppen bzw. lösen. […]

Ich bin weder PKK- noch KONGRA-GEL-Mitglied
BAW konstruiert und interpretiert nach eigenem Gutdünken
Meine politische Haltung habe ich zu jeder Zeit offen vertreten. […] Ich trat der PKK bei bzw. wurde verhaftet, als sie noch eine kleine Gruppe war. Im tödlichen Würgegriff der faschistischen Militärjunta sollte ich mit unglaublichen Repressalien dazu gebracht werden, die PKK vor Gericht zu leugnen. Jederzeit hätten wir getötet werden können. Die PKK zu verteidigen, bedeutete nicht nur schwere Folter, sondern auch, das eigene Todesurteil zu unterzeichnen. […] Deshalb sollte man es nachvollziehen können, warum ich eine jetzige Mitgliedschaft in der PKK bestreite, obwohl ich meine damalige Mitgliedschaft in den tödlichsten und grausamsten Zeiten verteidigt habe. Es ist nicht notwendig, mich in eine Schablone zu pressen, wie sie seit Jahren von der Bundesanwaltschaft verwendet wird. Wenn ich Mitglied wäre, würde ich das allerorten offen verteidigen. Ich glaube nicht, dass sich die Kurden ihrer Organisationen schämen müssten. Die Bedingungen haben sich geändert. Nunmehr besteht die Möglichkeit, auch außerhalb der PKK Politik zu machen. Auch an der Gründung des KONGRA-GEL habe ich mich nicht beteiligt. Als die PKK erneut gegründet wurde, habe ich weder mit dem Gedanken gespielt, wieder Mitglied zu werden noch habe ich einen Antrag gestellt. […]
Ich sah dazu keine Veranlassung. Es ist deshalb nicht notwendig, eine Mitgliedschaft zu konstruieren, indem man dafür jenes Telefongespräch heranzieht, jene SMS künstlich interpretiert oder die Absender von E-Mail auflistet. Ich bin alt und reif genug, selbst entscheiden zu können, in welche Organisation ich ein- oder austreten will. […]
Warum fragen Sie nicht die Organisationen auf offiziellem Wege, ob ich Mitglied der PKK oder des KONGRA-GEL bin? Deren Verantwortliche sind bekannt. Es gibt keine Zeile, die ich an die PKK geschrieben habe. Auch gibt es kein einziges Dokument, das sie an mich geschickt hätte. Es nützt niemandem, wenn künstlich eine Verbindung meiner Person zur PKK konstruiert wird. Niemand hat das Recht, mich zum Mitglied zu machen und folglich kann ich auch nicht in ihrem Namen sprechen. […]
Hoffnungen und Träume von Frieden und Gerechtigkeit
Niemals habe ich etwas für mich persönlich eingefordert. Ich habe mich stets nur für mein Volk eingesetzt. Meine Hoffnungen und Träume gehören meinem Volk. Vor allem sehne ich mich nach der Beendigung des Krieges und nach der Rückkehr in die Heimat. Ich möchte nicht im Exil sterben oder vor Heimweh vergehen, wie dies im Zuge anderer kurdischer Aufstände das Schicksal von vielen war. Deshalb erkläre ich nochmals, dass ich mich auch in Zukunft für einen würdigen und gerechten Frieden – sowohl für Türken als auch Kurden – und eine demokratische Gesellschaft einsetzen werde.“