AZADI infodienst nr. 65
april 2008


 

gerichtsurteile

 

Verwaltungsgerichte heben Asylwiderrufe gegen Kurden auf
Keine nachhaltigen Veränderungen in der Türkei

Mit Urteil vom März 2008 bewertete das Verwaltungsgericht (VG) Hannover den Asylwiderruf des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge gegen einen Kurden als rechtswidrig und hob diesen wieder auf. Hierbei bezog sich das Gericht auf den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 25. Oktober 2007, wonach sich zwar die Menschenrechtslage in der Türkei verbessert habe, gleichwohl aber nicht davon ausgegangen werden könne, dass der Reformprozess „bereits weit genug fortgeschritten“ sei, „um eine menschenrechtswidrige Behandlung des Klägers durch türkische Sicherheitsorgane mit hinreichender Sicherheit ausschließen zu können.“ Der Mentalitätswandel sei noch nicht von allen Teilen der „Polizei, Verwaltung und Justiz vollständig erfasst.“ Trotz „aller“ (?) Maßnahmen der Regierung gegen Folter und Misshandlungen im Rahmen ihrer Null-Toleranz-Politik (?) und eines weiteren Rückgangs von bekannt gewordenen Fällen“, müsste die Strafverfolgung von Folterern immer noch als „unbefriedigend“ bezeichnet werden. Außerdem würden „derzeit“ die türkischen Gerichte „in politischen Strafverfahren auf der Grundlage von erfolterten Geständnissen verurteilen.“ Es gebe auch „keine zuverlässigen Erkenntnisse“, „in welchem Umfang es zu inoffiziellen Festnahmen durch Sicherheitskräfte in Zivil mit anschließender Misshandlung und Folter komme.“
Deshalb gehe das Gericht „derzeit“ davon aus, „dass von einer verfestigten und nachhaltigen Veränderung der Menschenrechtssituation in der Türkei (…) nicht gesprochen“ werden könne. (Aktenzeichen: 1 A 2918/07).
Außerdem verwiesen die Richter auf ein ähnliches Urteil des VG Oldenburg vom 4. Oktober 2007. Dies verwies insbesondere darauf, „dass die Auseinandersetzungen zwischen der PKK und den türkischen Sicherheitskräften seit Juni 2004 wieder aufgeflammt“ seien und ein „Anstieg von Übergriffen der Sicherheitskräfte erneut zu verzeichnen“ sei. Auch wegen der „Verschärfung des Antiterrorgesetzes vom 29. Juni 2006 als Reaktion auf die Zunahme der Spannungen im Südosten der Türkei“ könne nicht davon ausgegangen werden, „dass der durch eigene (exil-)politische Aktivitäten aufgefallene Kläger bei einer Rückkehr in die Türkei Verfolgungsmaßnahmen nicht mehr ausgesetzt“ sein würde. (Aktenzeichen: 5 A 4386/06).

(Azadî)

Verwaltungsgericht Stuttgart hebt Asylwiderruf auf
Nach wie vor Misshandlungen und Folter in der Türkei

Auch die 11. Kammer des Verwaltungsgerichts (VG) Stuttgart hat in einem Urteil vom 25. März 2008 einen Asyl-Widerrufsbescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge aufgehoben. Der Entscheidung lag die Klage einer Kurdin zugrunde, der in einem Asylfolgeantrag aufgrund ihrer vielfältigen journalistischen wie publizistischen exilpolitischen Aktivitäten die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden war. Der Behauptung des Bundesamtes in seinem Bescheid, die „Sachlage“ und Wahrung der Menschenrechte in der Türkei hätten sich grundlegend geändert, mochte sich das VG nicht anschließen. Die Tatsache, dass die Klägerin u.a. 1998 den damaligen PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan in Rom besucht habe, sei geeignet, sie „aus der Sicht der türkischen Behörden der Unterstützung prokurdischer bzw. separatistischer Aktivitäten zu verdächtigen.“ Man sei „hinreichend davon überzeugt“, dass die Kurdin im Falle einer Rückkehr in die Türkei der Gefahr „sich daran anschließender, asylrelevanter Maßnahmen ausgesetzt“ sei, unabhängig davon, ob dort ein „Ermittlungs- oder Strafverfahren gegen sie anhängig“ ist. Ein „allgemeiner gesellschaftlicher Bewusstseinswandel und eine praktische Umsetzung der Reformen in der Türkei“ sei „noch nicht in einer Weise erfolgt, die es rechtfertigen könnte, von einer nachhaltigen Verbesserung der Menschenrechtslage – auch im Hinblick auf das Verhalten der Sicherheitsorgane – auszugehen.“ Nach wie vor komme es in Polizeihaft „zu Folter und Misshandlungen durch staatliche Kräfte“. Im Jahre 2007 hätte „im Vergleich zum Vorjahr erneut ein Anstieg um 40 Prozent der gemeldeten Fälle von Folter und Misshandlung festgestellt“ werden müssen. Im Zusammenhang mit den „intensivierten militärischen Auseinandersetzungen zwischen den türkischen Streitkräften und Guerillaverbänden der PKK“ sei der „Druck der Straße auf die türkische Regierung, massiv gegen die PKK vorzugehen, immer größer geworden.“ Das Gericht verweist auf eine „besonders starke nationalistische Stimmung“ und auf die „zahlreichen Übergriffe gegen Kurden und mehrere Büros der prokurdischen Partei DTP“. Außerdem drohe durch den „Einmarsch der türkischen Armee in den Nordirak im Februar 2008 eine Destabilisierung der gesamten Region.“ Ferner habe das türkische Parlament am 29.6.2006 das Anti-Terror-Gesetz verschärft, wonach „mehr Taten als bisher als terroristisch eingestuft“ würden und Festgenommene „später als bisher Zugang zu einem Anwalt“ erhielten.
Bei der Klägerin bestehe jedenfalls die Gefahr, bei Einreise „einem intensiven Verhör unterzogen und dabei misshandelt oder gefoltert“ zu werden. Die Gefährdungssituation werde nicht „dadurch in Frage gestellt, dass dem Auswärtigen Amt seit Jahren kein Fall bekannt geworden“ sei, „in dem ein aus der Bundesrepublik in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt wurde.“ (Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 25.10.2007) Diese Feststellung sei „nicht aussagekräftig, da sich unter den abgeschobenen oder zurückgekehrten Personen kein Mensch befand, der der Zugehörigkeit der PKK oder einer anderen illegalen Organisation verdächtigt wurde.“ Es sei nach Auffassung des Gerichts jedenfalls „keine erhebliche und dauerhafte Veränderung der Lage in der Türkei eingetreten, so dass die Voraussetzungen für die seinerzeit erfolgte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht weggefallen sind.“
Aktenzeichen: A 11 K 17/08

(Azadî)

zum Seitenanfang

Streitobjekt Öcalan-Bilder
OVG Berlin: Generelles Verbot ist rechtswidrig

Immer wieder kommt es vor und während kurdischer Demonstrationen zu Auseinandersetzungen mit der Polizei um die Zulässigkeit des Zeigens von Abdullah Öcalan auf Transparenten und Plakaten. So auch am 19. April in Berlin, wo unter dem Motto „Freiheit für Abdullah Öcalan“ eine von kurdischen Jugendlichen organisierte Demonstration stattfand. Trotz mehrerer Kooperationsgespräche über Planung und Verlauf der Demonstration, hatte der Polizeipräsident dann in seinem Bescheid vom 16. April das Zeigen von Öcalan-Bildern untersagt und u.a. damit begründet, dass, „werde die Person Öcalans in die Gesamtschau der kurdischen Problematik in der Türkei gestellt, werde ein unbefangener Dritter dies immer auch mit der politischen Tätigkeit Öcalans in Zusammenhang setzen müssen. In vorangegangenen kurdischen Aufzügen seien immer wieder Personengruppen festgestellt worden, die Öcalan-Bilder benutzt hätten, um Propaganda für die in Deutschland verbotene kurdische Arbeiterpartei (PKK) zu betreiben.“ Somit sei „das Zeigen von Öcalan-Bildern als Sympathiebekundung für die PKK zu verstehen.“ Hiergegen legte der Rechtsbeistand der Anmelderin Beschwerde beim Verwaltungsgericht (VG) Berlin ein. Dieses entschied, dass bei der Kundgebung zwar 50 Bilder gezeigt werden dürften, nicht jedoch das Abbild Öcalans, auf dem er en blaues Hemd vor gelbem Hintergrund trägt. Hiergegen legte die Polizeibehörde am 18. April in einem Eilantrag Widerspruch ein. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg wiederum bestätigte das Urteil des VG und beschloss unanfechtbar zugunsten der Demonstrationsanmelderin; die Beschwerde des Polizeipräsidiums wurde zurück gewiesen.
Dennoch waren die Demonstrierenden immer wieder provozierenden Angriffen der Polizeikräfte ausgesetzt, die zum Teil ohne Vorwarnung unter Einsatz von Schlagstöcken und Hundestaffeln gegen die Demo-Teilnehmer/innen vorgingen ohne Rücksicht darauf, dass sich in der Menge auch Frauen und Kinder befanden. Über 200 Personen wurden verletzt und 86 Personen vorübergehend festgenommen.

Aus der Entscheidung des OVG vom 18. April 2008, Aktenzeichen: OVG 1 S 79.08/VG 1 A 98.08:

[…] Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht im Kern ausgeführt, zwar könne das Zeigen von Bildern Öcalans, je nachdem, wie diese gestaltet seien und in welchem Kontext die Verwendung geschehe, den Tatbestand des Verwendens von Kennzeichen einer verbotenen Organisation im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG – nämlich der PKK – erfüllen. Demgegenüber sei das Zeigen von Bildern Öcalans von der Meinungsfreiheit gedeckt, wenn und soweit es Ausdruck der Sorge um dessen persönliches Wohl sei. Anhand der tenorierten Maßgaben – nicht mehr als 50 Bildnisse und keine Bildnisse auf Fahnen – könne sichergestellt werden, dass die von der Veranstalterin und der Mehrzahl der Teilnehmer beabsichtigte Meinungskundgabe auf die Sorge um Öcalan und dessen von ihnen für menschenrechtswidrig gehaltenen Haftbedingungen beschränkt bleibe und nicht zu einer (…) strafbaren Parteinahme für die PKK umschlage. […]
Zu Recht ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass der der Antragstellerin erteilte Auflagenbescheid rechtswidrig ist, soweit er die Verwendung von Bildern Öcalans insgesamt untersagt. Der erkennende Senat geht – abweichend von der insoweit offenbar übereinstimmenden Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts und des Antragsgegners – nicht davon aus, dass die Begehung von Straftaten im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG zu befürchten ist. Denn die PKK ist nach dem hier vorliegenden Erkenntnisstand weder ein verbotener Verein (…), noch ist ihr die Betätigung im Inland nach § 14 Abs. 3 in Verbindung mit § 15 VereinsG verboten. Vielmehr ist der PKK die Betätigung im Inland allein nach Maßgabe des § 18 Satz 2 VereinsG untersagt. […]
Für die Annahme einer Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch Straftaten im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG ist nach alledem kein Raum. […]
Für die Begehung einer Straftat nach § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG genügt nicht schon das bloße Verwenden eines Kennzeichens einer verbotenen bzw. einem inländischen Betätigungsverbot unterworfenen Vereinigung; es muss ein weitergehendes Handeln hinzukommen, das geeignet ist, eine für die verbotene Vereinstätigkeit vorteilhafte Wirkung hervorzurufen. Dies wäre nach Einschätzung des Senats schon dann – andererseits aber auch erst dann – der Fall, wenn die Art und Weise der Verwendung von Bildnissen Öcalans – ggf. im Zusammenspiel mit Äußerungen aus der Versammlung – geeignet wäre, die Versammlung der Antragstellerin auf einen unbefangenen, aber informierten Betrachter abweichend von deren eigenen, im Verfahren mehrfach dargelegten Intentionen als eine von der PKK getragene Veranstaltung wirken zu lassen. Dieser Gefahr ist durch die Maßgaben im Tenor des Verwaltungsgerichts – zum einen die zahlenmäßige Begrenzung der Bilder, zum anderen das Verbot, Bilder Öcalans auf Fahnen mitzuführen (hinsichtlich der besonderen Symbolwirkung der typischen Gestaltung solcher Fahnen mit einem Bild Öcalans im blauen Hemd vor gelbem Hintergrund), bereits weitgehend begegnet worden.
Der Senat hält es für angezeigt, zusätzlich noch anzuordnen, dass die ggf. zu zeigenden Bildnisse Öcalans nicht mit anderen, möglicherweise der PKK oder ihren Vorfeldorganisationen zurechenbaren Symbolen kombiniert werden dürfen.
Die 1. Kammer des VG Berlin hatte sich bereits in einem Eilbeschluss vom 7. Dezember 2007 mit der Zulässigkeit des Zeigens von Bildern Öcalans eingehend auseinandergesetzt. Aktenzeichen: VG 1 A 325.07

(Azadî)

 

Verboten, verboten, verboten

Es sei in diesem Zusammenhang anzumerken, dass in Bremen für den 12. April eine Kundgebung unter dem Motto „Stoppt die Kriminalisierung der Kurden und kurdischer Vereine“ angemeldet wurde. Das Amt für Veranstaltungen, öffentliche Ordnung und Gesundheitsschutz verfügte daraufhin, dass keine Symbole und Fahnen von PKK/ERNK/ARGK (wobei zumindest ERNK und ARGK überhaupt nicht mehr existieren, Azadî), gezeigt noch PKK-Parolen gerufen werden dürfen. Außerdem dürfe „das Bild Abdullah Öcalans bei dieser Versammlung nicht gezeigt werden.“ Der verantwortliche Versammlungsleiter wurde dazu verpflichtet „Personen, die Kennzeichen, Fahnen und Symbole der verbotenen PKK, von KADEK und KONGRA-GEL zeigen und Parolen der PKK skandieren oder das Bild Abdullah Öcalans verwenden“, von der Versammlung „auszuschließen“.

(Azadî)

 

 

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Zum Seitenanfang   zum Seitenanfang