AZADI infodienst nr. 86
februar 2010


 

asyl- und migrationspolitik

 

Republikflucht

Laut Migrationsbericht 2008 haben knapp 740 000 Menschen die Bundesrepublik verlassen –etwa 100 000 mehr als im Vorjahr. Unter den Auswanderern waren 175 000 Deutsche, so viele wie seit den 1950er Jahren nicht mehr. Die Einwanderungszahl lag hingegen mit 682 000 Menschen ungefähr so hoch wie im Jahre 2007. Die größte Gruppe der Zuwanderer stellten Polen, gefolgt von Rumänen, Türken und Ungarn. Gleichzeitig kehrten 108 000 Deutsche, die einst ausgewandert waren, in die Bundesrepublik zurück. Die Bundesintegrationsbeauftragte Maria Böhmer (CDU) forderte, das noch in diesem Jahr das geplante Gesetz zur Anerkennung ausländischer Schul- und Berufsabschlüsse verabschiedet werden müsse. Die migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion,Sevim Dagdelen, sagte, die Bundesregierung müsse soziale Sicherheit und gleiche Rechte für alle in Deutschland lebende Menschen schaffen, wenn tatsächlich eine Integration von Migranten gewollt werde. Auf scharfe Kritik stößt in einer vom Sachverständigenrat deutscher Stiftungenfür Integration und Migration erstellten 100Tage-Bilanz schwarz-gelber Integrationspolitik das vorgesehene Betreuungsgeld von 150 Euro.So bräuchten bildungsferne ausländische Familien „nachdrückliche Kita-Empfehlungen und nicht Belohnungen“ dafür, dass sie ihren Kinderndie Chance auf einen „frühen Einstieg in den Aufstieg durch Bildung“ nehmen würden. Der Anfang 2009 gegründete Sachverständigenratwird u.a. von der Volkswagen- und Bertelsmann-Stiftung sowie der Körber-Stiftung getragen.

(Azadî/FR/ND 4.2.2010)

 

Neue Antidiskriminierungs-Beauftragte
Weniger Vorstellungsgespräche für Bewerber mit türkischem Namen

Christine Lüders heißt die neue Chefin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, die am 9. Februar ihre Arbeit aufnahm. „Frau Lüders zeichnet sich durch fehlende Erfahrung und ihre Nähezur Union aus,“ kritisierte der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck, die Berufung der Pädagogin. „Das ist nur dann eineausreichende Qualifizierung, wenn ihr Kampfauftrag ist, die Stelle klein zu halten.“ Die Behörde soll informieren, beraten und Menschen helfen, die sich aufgrund von Herkunft, Geschlecht, Religion, Behinderung oder Alter diskriminiert fühlen. Grundlage ist das 2006 verabschiedete Antidiskriminierungsgesetz. Laut einer am 8. Februar veröffentlichten Studie sollen Bewerber mit türkischem Namen bei gleicher Befähigung bis zu 24 Prozent weniger Vorstellungsgespräche bekommen.

(Azadî/FR, 10.2.2010)

 

JuristInnen planen Kampagne gegen Ausweisung

Seit 1990 hat es 270 000 Ausweisungen aus Deutschland gegeben. Gegen schleichende Verschärfungen des Ausweisungsrechts, dem zuletzt 2007 drei weitere Ausweisungstatbestände zugefügt wurden,regt sich Widerstand. Zu diesem Thema fand am Wochenende in der Berliner Humboldt-Universität eine Veranstaltung des Republikanischen Anwältinnen- undAnwältevereins (RAV) und des Arbeitskreises kritischer Juristinnen und Juristen (ajk) statt. Die OrganisatorInnen stellten die Frage, ob das„Instrumentarium der Ausweisung in einer europäischen, rechtsstaatlich und demokratisch verfassten Gesellschaft noch einen Platz beanspruchen“ könne. „Wir sind am Beginn einer Kampagne. Wie die genau aussehen soll, werden wir in der nächstenZeit besprechen“, erklärte Rechtsanwältin Andrea Würdinger, Vorsitzende des RAV. In Frankreich habe es bereits erfolgreiche Kampagnen „Gegen die Doppelbestrafung“ gegeben.

(Azadî/ND, 10.2.2010)

 

Regelsätze für Asylsuchende «verfassungswidrig» PRO ASYL setzt auf Musterverfahren für höhere Zahlungen

Die Flüchtlingsorganisation PRO ASYL fordert vordem Hintergrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Hartz IV-Sätzen auch eine Erhöhung der Regelsätze für Asylsuchende. Nach dem 1993 eingeführten Asylbewerberleistungsgesetz erhalten erwachsene Flüchtlinge höchstens 225 Euro, Kinder und Jugendliche zwischen 133 und 215 Euro – mithin 30 bis 40 Prozent weniger als Hartz IV-Bezieher. Seit 17 Jahren blieben jegliche Anpassungen andie Inflationsrate aus. Gleichzeitig gibt es für die Betroffenen ein Arbeitsverbot bzw. die Nachrangigkeit beim Arbeitsmarktzugang. Mindestens vier Jahre sind Asylsuchende, Geduldete und Menschen mit humanitärem Aufenthaltsstatus vom sozialen Existenzminimum ausgeschlossen. „Der Gesetzgeber erzeugt durch das Arbeitsverbot und die viel zu geringen Leistungen für Flüchtlinge eine künstliche Notlage,in der ein menschenwürdiges Leben nicht möglich ist,“ erklärt der Berliner Flüchtlingsrat. Beklagt wird zudem, dass viele Flüchtlinge keinBargeld erhalten, sondern auf Lebensmittelpakete und andere Sachleistungen angewiesen sind. Auf das „größte Problem“, die medizinische Versorgung, müsse ebenfalls aufmerksam gemacht werden, sagt Heiko Habbe vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst. PRO ASYL kritisiert die Regelsätze als verfassungswidrig. Deshalb hofft sie, mit Musterverfahren höhere Zahlungen für 128 000 Asylsuchende und Geduldete durchzusetzen. Die Sätze seien vor 17 Jahren – ähnlich wie bei Hartz IV – willkürlich festgelegt worden und mit der Menschenwürde unvereinbar.

(Azadî/jw/FR, 12.2.2010)

 

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