zur sache: tÜrkei
Hoffnung der Kurden auf Demokratie in weite Ferne gerückt
„Jetzt helfen nur noch internationale Proteste“, bewertet Jake Hess, der eineinhalb Jahre als Sprachlehrer in Diyarbakir arbeitete, die aktuelle Situation in den kurdischen Gebieten der Türkei. In einem Gespräch mit der jungen welt schildert der US-Student der Politikwissenschaften, dass die Lage seit dem Verbot der prokurdischen DTP(Partei der Demokratischen Gesellschaft) „sehr angespannt“ sei. Hätte man bereits zu Beginn der Repressionswelle im April 2009 rund 700Verhaftungen registrieren müssen, sei die Zahl inzwischen auf „mindestens 800 bis 1 000“ angestiegen, „darunter sogar Minderjährige.“ Er habe auch die Verhaftung von Muharrem Erbey, des Vorsitzenden des IHD Diyarbakir, am
24. Dezember miterlebt. Einen Durchsuchungsbefehl habe es nicht gegeben; vielmehr sei die Genehmigung „telefonisch vom Staatsanwalt“ eingeholt worden. Die Razzien in Parteibürosund Privatwohnungen hätten sich auch gegen die „Partei für Frieden und Demokratie“ (BDP) gerichtet, die nur wenige Tage zuvor als Nachfolgeorganisation der DTP gegründet worden sei. Auf die Frage, was dem IHD-Vorsitzenden vorgeworfen werde, erklärte Jake Hess, dass man ihnbeschuldige, „Öffentlichkeitsarbeit für die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK gemacht zu haben und Diplomat der PKK gewesen zu sein.“Vermutlich spiele auch eine Rolle, dass er der Rechtsanwalt des Bürgermeisters von Diyarbakir, Osman Baydemir, sei. Die Auswirkungen derRepression, die sich in erster Linie gegen jene richte, die „bisher den Leuten Mut gemacht“ hätten, sei bei den bisherigen Wählern der DTPspürbar: „Das wirkt sehr lähmend.“ Eine Demokratisierung, die sich die Bevölkerung erhofft hätte, sei inzwischen „in weite Ferne gerückt.“ Viele rechnen damit, „dass die Repression in nächster Zeit schlimmer wird.“
(Azadî/jw, 6.2.2010)
11. Jahrestag der Entführung von Abdullah Öcalan: Lösung des türkisch-kurdischen Konflikts nur gemeinsam möglich
15. Februar 1999: Unter maßgeblicher Beteiligung von CIA, MIT, MOSSAD und der Unterstützung Russlands, Griechenlands und anderereuropäischer Staaten, wurde der damalige PKK-Vorsitzende Abdullah Öcalan nach einer wochenlangen Odyssee durch Europa aus Keniain die Türkei verschleppt. „Unter dem Druck der USA schlossen sich die Türen; kein Land erklärte sich bereit, den Kurdenführer aufzunehmen. Wie schon so oft wurden die Kurden den wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen des Westens geopfert,“ erklärt die „Internationale Initiative Freiheit für Öcalan – Frieden in Kurdistan“ in ihrer Pressemitteilung vom 14.Februar. Seit nun 11 Jahren befindet sich Öcalan unter Isolationshaftbedingungen auf der Gefangeneninsel Imrali und hält trotz aller Schwierigkeiten unbeirrbar an seinen Bemühungen für eine gemeinsame Perspektive von Türken und Kurde fest. Das Verbot der DTP, die Verhaftung von Tausenden Mitgliedern undFunktionären der Nachfolgepartei BDP, die erneuten militärischen Operationen gegen die kurdischen Guerillaverbände lassen befürchten, dass der schwelende Konflikt eskaliert. Doch kann die kurdische Frage nur mit den Kurden gelöst werden. „Die Politik des Machbarenbedarf moderater Ansprechpartner. Öcalan istein solcher. Er hat gezeigt, dass er zu weit gehender Flexibilität fähig ist, ohne das Ziel aus den Augen zu verlieren. Ein möglicher Friedensprozess braucht Akteure mit Visionen. Der direkte Dialog mit dem Kurdenführer ist, früher oder später, unausweichlich. Dafür bedarf esMut und Beständigkeit, auch in der Türkei“, so die Initiative. Selbst das Apartheid-Regime in Südafrika habe seinerzeit einsehen müssen, dass Lösungen nur mit legitimen Vertretern der Gegenseite möglich ist. Die Freilassung Mandelas habe diesen Schlusspunkt gesetzt. „Dies wirdim Fall Öcalan nicht anders sein.“ Die Initiative fordert die Aufhebung der Isolationshaftbedingungen und eine Überführung Öcalans in einen „Hausarrest“, in dem ihm die „Korrespondenz mit allen Akteuren im Konflikt gestattet“ sei.
(Azadî/Initiative v. 14.2.2010)
Beginn der Bauarbeiten am Ilisu-Staudammprojekt
Obwohl sich die Investoren aus Deutschland,Österreich und der Schweiz im vergangenen Jahr wegen Nichtbeachtung von Umweltschutz-Auflagen aus dem äußerst umstrittenen Staudammprojekt Ilisu im Südosten der Türkei zurückgezogen hatten, sollen einem Bericht der Tageszeitung Sabah zufolge im April mit denBauarbeiten begonnen werden. Eine erst kürzlich gefällte Gerichtsentscheidung zum Stopp der Vorbereitungen für die Umsiedlung der historischen Stadt Hasankeyf sei nach Aussagen eines Vertreters des türkischen Wasserbauamtes DSI kein Hindernis für den Beginn der Arbeiten.
(Azadî/jw, 17.2.2010)