AZADI infodienst nr. 86
februar 2010


 

verbotspraxis

 

LG München weist Anklage gegen Haydar Isik ab
Verteidigung strebt „vollständige Rehabilitation“ an

„Ich kann die Aktion der Strafverfolger gegen Herrn Isik nicht ganz ernst nehmen – zu abwegig sind manche Vorwürfe,“ äußerte Isiks Verteidiger, Rechtsanwalt Hartmut Wächtler ineinem Interview mit AZADÎ im Juli 2007. Vorausgegangen waren spektakuläre Polizeirazzien am 5. Juli, bei der allein im Großraum München 23 kurdische Objekte durchsucht und mindestens 22 Personen festgenommen wurden, darunter auch der kurdische Schriftsteller und Publizist Haydar Isik. Ihm wurde im wesentlichen vorgeworfen, die PKK unterstützt zu haben. Nach einer Haftbeschwerde seines Verteidigers musste der damals 69-Jährige nach 12 Tagen U-Haft wieder auf freien Fuß gesetzt werden. Monatelang waren Computer, Dokumente, persönliche Aufzeichnungen sowie ein angefangenes Buch beschlagnahmt. Zahlreiche Organisationen wie die GEW Bayern, die DIDF, Libertad, Yek-kom, Azadî, die Linkspartei sowie zahlreiche Einzelpersonen haben gegen die Repressionsmaßnahmen protestiert und sich solidarisch erklärt.

Staatsanwaltschaft München abgewatscht
Jetzt hat die Staatsschutzkammer des Landgerichts (LG) München I am 31. Januar entschieden, die Anklage der Staatsanwaltschaft München gegen den kurdischen Schriftsteller Haydar Isik nicht zur Hauptverhandlung zuzulassen. „Damit hat ein mehr als dreijähriges umfangreiches Ermittlungsverfahren wegen angeblicher Unterstützung der verbotenen kurdischen PKK sein unrühmliches Ende gefunden,“ resümierte Rechtsanwalt Hartmut Wächtler in einer Presseerklärung. Die Strafkammer begründete ihre Abweisung u. a. damit, dass sie – im Gegensatz zur Staatsanwaltschaft – keinen hinreichenden Tatverdacht habe feststellen können. So seien die Äußerungen Isiks „nicht vollständig wiedergegeben“ worden, weshalb ein falscher Eindruck entstanden sei. Auch hätte die Anklage versäumt zu ermitteln, ob die sozialen Projekte des Schriftstellers für Frauen und Jugendliche in der kurdischen Stadt Dersim tatsächlich existieren. Aus den monatelang abgehörten Telefonaten hätte sich ergeben, dass Isik diese Initiativen gefördert hätte und nicht die PKK, wie ihm die Anklage unterstellte. Die Ermittlungen hätten auch keine Hinweise darauf gegeben, dass der Kurde als „graue Eminenz“ für die PKK mobilisiert und Spendengelder eingetrieben habe. Sein Verteidiger hatte schon damals mit Blick auf die Anschuldigung gegen seinen Mandanten von „Spekulationen ohne reale Grundlage“ gesprochen, von Unterstellungen und schlampigen Ermittlungen. „Nach weiteren 30 Monaten aufwendigster Ermittlungstätigkeit hat sich gezeigt, dass diese ursprüngliche Einschätzung so falsch nicht war“, erklärte Wächtler. Es werde die „vollständige Rehabilitation“ Isiks „durch Gewährung einer angemessenen Entschädigung für die erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen“ angestrebt, „sobald der Beschluss der 2. Strafkammer rechtkräftig“ werde.

Auslieferungsantrag auf Bestellung?
Wie eng deutsche und türkische Behörden in der grenzüberschreitenden Verfolgung von politisch aktiven Kurdinnen und Kurden zusammen arbeiten, macht das mit einem „Urgent“-Hinweis versehene Interpol-Haftbegehren aus Ankara gegen Haydar Isik vom 17. Juni 2008 deutlich. Begründet wurde es damit, dass Isik „bis heute als hochrangiges Mitglied der PKK/KONGRA-GEL-Terrororganisationen Aktivitäten“ entwickele. Wie bestellt erschien den deutschen Behörden der Auslieferungsantrag, konnten sie diesen für ihre gegen Haydar Isik gerichteten Tatvorwürfe nutzen. So hatte es seit der Polizeiaktion eineinhalb Jahre gedauert, bis die Anklageschrift am
9. Dezember 2008 vorgelegt wurde.

Haydar Isik: Krieg in Kurdistan hinterlässt Wunden und Schäden
In einer öffentlichen Stellungnahme zum türkischen Auslieferungsbegehren hatte der Schriftsteller u.a. erklärt, dass er ein „Opfer des türkischen Systems“ sei, „das die Menschenrechte nicht einhält und die kurdische Frage nicht gelöst“ habe. Der türkische Staat führe seit mehr als 25 Jahren einen „grauenhaften Krieg in Kurdistan“, der „tiefe Wunden und unheilbare psychische Schäden“ in der Gesellschaft hinterlassen habe. Der Staat versuche, „mit all seinen Institutionen einen Menschen wie mich, der Gewalt ablehne“, als „Terroristen zu deklarieren“. Die „faschistische Junta“ habe ihn „im Jahre 1982 ausgebürgert“ und seine Habe „versteigert“. Selbst Menschen,die „wegen ihrer Herkunft und ihrer Überzeugung ins Exil“ haben flüchten müssen, würden „verfolgt und bedroht“. Er werde dennoch seinen „Widerstand solange friedlich fortführen, bis das kurdische Volk die ihm zuste-henden Rechte“ bekomme und es „einen würdigen Platz unter der Sonne der Menschheit eingenommen“ habe. Entgegen der Behauptung im Interpol-Haftbefehl, ist Haydar Isik nicht türkischer, sondern deutscher Staatsangehöriger, weshalb er nicht in die Türkei ausgeliefert werden kann.

GEW fordert Rehabilitierung Isiks und Anerkennung der Rechte der Kurden
Der GEW-Landesverband Bayern hatte zum Gewerkschaftstag 2009 eine Resolution zur „Rehabilitierung Haydar Isiks und Anerkennung der Rechte der Kurden“ vorgelegt. In dem Dringlichkeitsantrag wurde darauf hingewiesen, dass Isik, seit 1984 deutscher Staatsbürger, seit 30 Jahren aktives Mitglied der GEW Oberbayerns sei und sich „immer für ein friedliches Zusammenleben von Türken und Kurden“ einsetze und „erklärtermaßen gewaltlos für die Demokratisierung der Türkei und die Anerkennung der kurdischen Identität“ arbeite. Die GEW protestiere „scharf gegen seine (Isiks) Beschädigung durch pauschale Verdächtigungen“ und fordere seine „rasche Rehabilitierung durch die bayerische Justiz.“ Der Gewerkschaftstag fordere darüber hinaus die Bundesregierung auf, „sich für die Rücknahme des Interpol-Haftbefehls gegen Kollegen Isik einzusetzen“ und sich „gegenüber der türkischen Regierung nachhaltig gegen die Diskriminierung von Minderheiten und insbesondere für die Rechte der Kurden einzusetzen.“

Was fehlt?
Haydar Isik wartet auf eine Entschuldigung für die jahrelange politische Verfolgung durch deutsche Strafverfolgungsbehörden – bislang erfolglos.

 

Türkei begehrt Auslieferung von Hasan A. Festnahme bei Grenzübertritt in die Niederlande

Am 19. Januar wurde Hasan A. aufgrund eines INTERPOL-Haftbefehls aus der Türkei in den Niederlanden fest- und in Auslieferungshaft genommen. Der in Deutschland lebende kurdische Aktivist hat wegen seiner politischen Aktivitäten für die PKK (nach § 129 StGB) bereits mehrfach langjährige Haftstrafen verbüßen müssen. Im November 2006 wurde er aus der Haft entlassen; gegen ihn wurde eine dreijährige Bewährungszeit mit strengen Auflagen verhängt. Vor dem Hintergrund der Haftstrafen von Hasan
A. haben die Behörden dessen Aufenthaltstitel widerrufen und auf den Duldungsstatus heruntergestuft. Das hatte zur Folge, dass die zuständige Ausländerbehörde ihn mit einer Ausweisungsverfügung konfrontierte, gegen die Klage vor dem Verwaltungsgericht eingereichtwurde. Über die ist bislang nicht entschieden worden. Da Hasan A. einen festen Wohnsitz hat und er mit ziemlicher Sicherheit unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stand, ist es verwunderlich, dass die deutschen Behörden auf eine Festnahme verzichteten und dies den niederländischen Kollegen bei A.’s Grenzübertritt überlassen hat. Eine Möglichkeit hierfür könnte das laufende Verwaltungsgerichtsverfahren sein mit einem denkbaren positiven Ergebnis für den Kurden und einem negativen Ausgang für das Auslieferungsbegehren der Türkei. Wie die niederländischen Justizbehörden im Falle von Hasan A. entscheiden werden, bleibt abzuwarten.

(Azadî)

 

Razzien in Italien und Frankreich

Auf Anordnung der Staatsanwaltschaft von Venedig wurden am 25. Februar in Venedig, Treviso, Pisa, Grosseto, Modena, Udine, Pordenone und Mailand Hausdurchsuchungen durchgeführt, an denen Hunderte Polizisten beteiligt waren. Bei diesen Razzien sind mindestens 76 Personen festgenommen worden; gegen vier wurde ein Haftbefehl erlassen. Ihnen wird Unterstützung und Ausbildung für die PKK vorgeworfen. Auch in Frankreich sind mindestens 12 Mitglieder kurdischer Kulturvereine von Antiterroreinheiten festgenommen worden, wobei mehrere Wohnungen verwüstet und Computer und Bücher beschlagnahmt wurden.

(Azadî/ANF/ISKU, 26.2.2010)

 

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Zum Seitenanfang   zum Seitenanfang

b