Die Folgen eines Blutbads in Wilmersdorf
Heute sind viele Kurden verurteilt, die Diplomaten ganz unschuldig, der Innensenator ist belastet und die Polizei sprachlos Genau 365 Tage nach der versuchten Besetzung des israelischen Generalkonsulats durch aufgebrachte Kurden (siehe Kasten) hat die Stadt die Folgen des Blutbads noch nicht verwunden: Die Justiz müht sich um Aufarbeitung der Affäre. Politik und Diplomatie wollen die Sache versickern lassen. Und die Polizei möchte sich nicht mehr dazu äußern.
Auf Seiten der Justiz sind die Ermittlungen gegen die Beschuldigten an der israelischen Vertretung überwiegend beendet. In vielen Fällen kam es zur Anklage. In zehn Prozessen wegen Aktionen am israelischen und im griechischen Generalkonsulat am Vortag wurden 13 Kurden verurteilt.
Die Urteile waren meist milde. In zwei Fällen wurde ein Dauerarrest von vier Wochen verhängt. Ein Urteil lautete auf zwei Jahre auf Bewährung, in drei Fällen sprachen die Richter neunmonatige Bewährungsstrafen aus. Immerhin sechs Kurden wurden freigesprochen. Derzeit sind noch zwei Prozesse am Landesgericht anhängig. Viele Kurden saßen monatelang in Untersuchungshaft. Ende November waren der Innenverwaltung zu Folge 15 Kurden ausgewiesen worden.
Nach der Besetzung des griechischen Generalkonsulats hatte die FDP gegen Innensenator Eckart Werthebach (CDU) und Polizeipräsident Hagen Saberschinsky Strafanzeige gestellt: Die Liberalen machten sie dafür verantwortlich, dass viele Kurden nach der Besetzung dieser Vertretung nicht in Gewahrsam genommen wurden. Die Ermittlungen stehen vor dem Abschluss.
Politisch hat das Blutbad am Generalkonsulat bisher keine großen Folgen gehabt. Zwar wurde ein Untersuchungsausschuss eingesetzt, der Werthebach schwer belastete: Im Landesamt für Verfassungsschutz, das ihm unterstellt ist, wurde eine Akte vernichtet, die sein Versagen bei der Sicherheitsvorsorge belegt hätte. Das war die "Reißwolfaffäre".
Zum anderen zeigte der Ausschuss, dass die Sicherheitsbehörden der Stadt schon frühzeitig und immer deutlicher vor einer möglichen Besetzung der israelischen Vertretung gewarnt worden waren: Trotzdem wurde das Konsulat nicht stärker geschützt - im Gegensatz etwa zu Synagogen in der Stadt. Ermittelt werden konnte zudem, dass die Kurden gerade dieses Objekt stürmten, weil es so wenig geschützt war.
Auf diplomatischer Ebene hat die Schießerei nur anfangs für Irritationen gesorgt. Es ist so gut wie ausgeschlossen, dass die Wachleute jemals in dieser Sache vor Gericht stehen werden - und das, obwohl der Ausschuss festgestellt hatte: Bei den Todesschüssen auf drei Kurden vor dem Konsulat lag mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit keine akute Notwehrsituation vor. Das aber hatte die israelische Seite immer behauptet.
Die Berliner Staatsanwaltschaft will und kann die Schützen nach ihren Ermittlungen und den Zeugenaussagen von Polizisten nur noch als Beschuldigte und nicht mehr nur als Zeugen hören. Dazu müsste jedoch ihre Immunität aufgehoben werden. Das Auswärtige Amt verwies gestern gegenüber der taz noch einmal darauf, dass sich die Berliner Behörden per Rechtshilfeersuchen direkt um eine weitere Vernehmung der israelischen Schützen bemühen könnten. Dazu sei es nicht nötig, den diplomatischen Weg zu gehen.
Das Auswärtige Amt hatte jedoch schon vor Monaten geschrieben: Einer Bitte nach Aufhebung der Immunität sei die israelische Seite in ähnlichen, früheren Fällen noch nie nachgekommen. Wegen dieses "Verfahrenshindernisses" stellte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen die Israelis ein. Die israelische Botschaft sah sich gestern nicht in der Lage, zu der Möglichkeit einer erneuten Befragung der Schützen Stellung zu nehmen. Der derzeitige Besuch von Bundespräsident Johannes Rau in Israel binde alle Kräfte.
Die Berliner Polizei verbietet es einem ihrer Beamten, der bei der Schießerei zwischen die Fronten geriet, sich gegenüber der taz zu den persönlichen Folgen des Blutbads zu äußern - obwohl er dazu bereit wäre. Zum Jahrestag der Schießerei hat die Polizei lediglich mehr Beamte vor Konsulaten und Botschaften postiert. Die Gewerkschaft der Polizei wirft Werthebach vor, immer noch keine Konsequenzen aus dem Blutbad gezogen zu haben. Es fehlten 684 Angestellte im Objektschutz.
Philipp Gessler