»Der Innensenator lügt«
Untersuchungsausschuß präsentierte Abschlußbericht
zu »Kurdenkrawallen«
Die Bilanz nach der versuchten Besetzung des israelischen Konsulats in Berlin am 17. Februar war verheerend: Drei Kurden waren auf der Stelle tot, 14 weitere waren zum Teil schwer verletzt, einer von ihnen starb einige Tage später. Die israelischen Sicherheitsbeamten, die auf die unbewaffneten Demonstranten gefeuert hatten, konnten allerdings, bedingt durch ihren Status diplomatischer Immunität, für ihren unverhältnismäßigen Schußwaffengebrauch nicht belangt werden.
Für die »juristische Aufarbeitung« mußten statt dessen die verhafteten kurdischen Demonstranten herhalten: In der kommenden Woche endet ein Prozeß gegen drei der verhafteten Demonstranten, denen die Teilnahme an der Demonstration gegen die Verschleppung Öcalans aus Kenia in die Türkei zwei Tage zuvor und die anschließende »Besetzung« des Konsulats vorgeworfen wird. Wegen schweren Land- und Hausfriedensbruchs hat die Staatsanwaltschaft zweieinhalb Jahre Haft gefordert, wobei strafmildernd bewertet werden soll, daß die drei Angeklagten durch die Schüsse des Wachpersonals verletzt worden waren. Dabei war die Tatsache, verletzt worden zu sein, von den Protagonisten des Moabiter Landrechts als Beweis für die Anwesenheit auf dem Grundstück, somit einer strafbaren Handlung, erachtet worden.
Im Prozeß gegen einen anderen Kurden hatten sich Polizisten zu der Behauptung hinreißen lassen, den Beschuldigten innerhalb weniger Minuten zweimal festgenommen zu haben, um ihm so eine Straftat anhängen zu können, die erst nach dessen (»erster«) Verhaftung begangen worden war. Die Polizisten, Mitglieder einer bundesweit besonders berüchtigten Berliner Polizeieinheit, machten die höchst ungewöhnliche Erfahrung, daß ihnen diesmal nicht geglaubt wurde und sie sich für ihr Märchen demnächst werden strafrechtlich verantworten müssen; der Beschuldigte wurde freigesprochen.
Auch der am Mittwoch vorgelegte Abschlußbericht des Untersuchungsausschusses des Berliner Abgeordnetenhauses brachte allenfalls so etwas wie Halbdunkel in die Angelegenheit. Der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, Wolfgang Wieland (Bündnis 90/Die Grünen), kritisierte in diesem Zusammenhang, daß Senatsjustizverwaltung und Auswärtiges Amt aus diplomatischen Rücksichten keinen direkten Kontakt zu Israel gesucht hätten, um einen Verzicht auf die Immunität der Beamten zu erwirken. Daraufhin hat die Berliner Staatsanwaltschaft die Ermittlungen trotz Zweifel an der Notwehrversion eingestellt, weil die Erfolgsaussichten wegen der Immunität als äußerst gering angesehen worden seien.
Vor diesem Hintergrund, regte Wieland an, sollte darüber nachgedacht werden, die vom Ausschuß zusammengetragenen Unterlagen an die israelische Justiz für weitere Ermittlungen zu übergeben. In einer internen Untersuchung hatte die israelische Seite den Beamten jedoch bereits korrektes Verhalten bescheinigt. Berliner Polizeibeamte haben dagegen ausgesagt, daß vor dem Konsulat keine Notwehrsituation gegeben war, wie Wieland betonte. Vielmehr sei ohne Vorwarnung ungezielt und wahllos umhergeschossen worden. Polizisten hatten auch berichtet, daß die Beamten in großer Ruhe und »schulmäßiger Haltung« ein Magazin nach dem anderen leergeschossen hätten.
Fazit des Berichts des Untersuchungsausschusses ist, daß der Versuch der Besetzung des israelischen Generalkonsulats in Berlin hätte verhindert werden können. Die unzureichende Polizeipräsenz vor Ort habe die Eskalation möglich gemacht, denn nach Zeugenaussagen war das israelische Konsulat von den Kurden für die geplante Besetzung ausgewählt worden, weil alle anderen in Frage kommenden Objekte zu stark bewacht gewesen seien. Folglich bestehe eine Kausalität zwischen schwachem Schutz und der Aktion. Auch hatten Einsatzkräfte vor dem Ausschuß bestätigt, daß bei einem größeren Polizeiaufgebot die Lage relativ schnell zu bereinigen gewesen wäre. Direkt nach den Vorfällen hatte es noch geheißen, daß von den Kurden eine neue Dimension der Gewalt ausgegangen sei, und der Innensenator hatte reflexhaft die weitere Aufrüstung der Berliner Polizei verlangt, um einem derartigen Gewaltpotential zukünftig Herr werden zu können. Die Wirklichkeit sah denn doch etwas anders aus. Obwohl Demonstranten innerstädtische Entfernungen zu Fuß zurücklegen, war es der Berliner Polizei nicht möglich, aus der Richtung der Demonstration über den Kurfürstendamm in Richtung Grunewald zu folgern, daß das israelische Konsulat Zielpunkt der Demonstration der Kurden sein könnte und ad hoc entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Wer die Bürgerkriegsqualitäten der Berliner Polizei kennt, kann das allerdings schwer glauben.
Tatsächlich waren die drei polizeilichen Beschützer des Konsulats, die dort ständig Dienst haben, nur per Zuruf aus einem vorbeifahrenden Polizeiauto über das unmittelbar bevorstehende Eintreffen der Spitze des Demonstrationszuges informiert worden. Zu dritt konnten sie gegen die Besetzer nicht viel ausrichten. Schon Tage vorher hatte es bereits verschiedene Hinweise auf eine mögliche Aktion gegen israelische Einrichtungen gegeben, was auch ganz allgemein aufgrund der damaligen Überlegungen, daß der israelische Geheimdienst in die Entführung Öcalans aus Nairobi wenige Tage zuvor verwickelt gewesen sein könnte, mehr als eine theoretische Möglichkeit war. Der Berliner Polizei lagen eine Reihe konkreter Hinweise vor, die israelische Einrichtungen betrafen. Entsprechender interner Schriftverkehr im Hause des Innensenators Eckart Werthebach (CDU) ist nachweislich vernichtet worden.
Entsprechend scharf geht der Abschlußbericht mit dem Innensenator, der bei den derzeitigen Verhandlungen um die Fortsetzung der großen Koalition in Berlin zur erneuten Nominierung ansteht, ins Gericht. Während der Untersuchungen hatte es der Ausschußvorsitzende in einem Radiointerview auf eine kurze Formel gebracht: »Der Innensenator lügt.« Um in Berlin Innensenator zu bleiben, ist das schon immer eine der wichtigsten Voraussetzungen.
Uwe Soukup