Kurden trauerten um vierten Toten
Knapp 1.000 Menschen nahmen friedlich Abschied von dem vierten kurdischen
Todesopfer der versuchten Besetzung des israelischen Konsulats. Nach Darstellung
der Anwälte schossen die Sicherheitsbeamten nicht aus Notwehr
Ohne daß es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kam, nahmen
gestern knapp 1.000 Menschen Abschied von einem weiteren kurdischen Todesopfer.
Der 26jährige Sinan Karakus war kürzlich an den Folgen eines
Schusses gestorben, der ihn bei der kurdischen Demonstration am Aschermittwoch
vor dem israelischen Konsulat in den Hinterkopf getroffen hatte. Zwei Kurden
und eine Kurdin waren von den Schüssen israelischer Sicherheitsbeamter
bereits bei der versuchten Besetzung des Konsulats getötet worden.
Zu den Klängen der kurdischen Nationalhymne trugen Angehörige
den Sarg gestern auf den Blücherplatz in Kreuzberg, wo sie ihn auf
einen Tisch neben die großformatigen Fotos aller Erschossenen stellten.
Fast alle Anwesenden reckten ihre geballten Fäuste gen Himmel oder
zeigten mit gespreizten Fingern das Siegeszeichen. Hunderte Trauernde defilierten
dann an dem mit einer kurdischen Fahne bedeckten Sarg vorbei und überhäuften
ihn mit roten Nelken.
Argwöhnisch beobachteten zahlreiche Zivilpolizisten am Rande des
Trauerzuges, wie DemonstrantInnen mit kurdischen Fahnen, PKK-Symbolen und
Öcalan-Bildern hantierten. Die Polizei, die rund um den Blücherplatz
mit mehreren Hundertschaften präsent war, hielt sich jedoch im wesentlichen
zurück. Nach Polizeiangaben wurde eine Person wegen des Zeigens der
PKK-Fahne und wurden zwei Personen wegen Verstoßes gegen das Ausländergesetz
verhaftet. Zehn weitere Personen nahm die Polizei vorübergehend fest.
Eine Rednerin der PDS protestierte gegen die Verhaftungen von kurdischen
PolitikerInnen in der Türkei. „Die Grünen teilen die Trauer um
die Todesopfer“, sagte Wolfgang Wieland, Innenpolitiker von Bündnis
90/Die Grünen. Er versicherte, daß seine Partei sich weiterhin
für die Aufklärung der Geschehnisse an der israelischen Botschaft
einsetzen werde.
Gestern legten an der versuchten Besetzung beteiligte Kurden ihre Schilderung
der Ereignisse vor, die sich von den Angaben der deutschen Polizei und
denen der israelischen Sicherheitskräfte deutlich unterscheidet. Nach
Angaben ihrer Anwälte waren einige DemonstrantInnen „durch die freie
Pforte auf das Gelände des Generalkonsulats“ gelangt und hatten sich
auf die Außentreppe begeben. Während eine „größere
Anzahl“ Kurden auf dieser Treppe von hinten von deutschen Polizisten bedrängt
worden sei, habe ein israelischer Sicherheitsbeamter die Eingangstür
geöffnet und sei mit der Waffe im Anschlag auf die Treppe getreten.
Daraufhin habe er sofort gezielt in die Menge geschossen. Bei einer zweiten
Schußsalve sei die 18jährige Kurdin Sema Alp, die durch einen
Schuß in den Hinterkopf starb, „im oberen Teil der Außentreppe
stehend getroffen worden“.
Diese Darstellung widerspricht der israelischen. Danach handelten die
Sicherheitsbeamten in Notwehr, weil Kurden versucht hätten, ihnen
die Waffe abzunehmen.
Gestern hat die Kurdische Gemeinde angekündigt, eine Telefonaktion
„Berliner fragen, Kurden antworten“ zum Abbau von Vorurteilen durchzuführen.
Anrufe werden von Montag bis Mittwoch jeweils von 14 bis 18 Uhr unter der
Rufnummer 61401427 entgegengenommen.
Hannes Koch