»Er schoß sofort gezielt in die Menge«
Erklärung der beteiligten Kurden zu den Vorfällen am israelischen
Konsulat in Berlin
Zum Sturm auf das israelische Generalkonsulat in Berlin haben die Anwälte
der beteiligten Kurden am Freitag eine Schilderung der Ereignisse vorgelegt,
die sich von den Angaben der deutschen Polizei und der israelischen Sicherheitskräfte
deutlich unterscheidet. Nach diesen Angaben waren Polizisten vor dem Konsulat
auf Kurden zugestürmt, die dort demonstrieren wollten. Einige von
ihnen seien daraufhin »durch die freie Pforte auf das Gelände
des Generalkonsulats« gegangen und hätten sich auf die Außentreppe
begeben. Während eine »größere Anzahl« Kurden
auf dieser Treppe von hinten von Polizisten bedrängt worden sei, habe
ein israelischer Sicherheitsbeamter die Eingangstür geöffnet
und sei mit der Waffe im Anschlag auf die Treppe getreten: »Er schoß
sofort gezielt in die Menge«, hieß es in der Erklärung.
Bei einer zweiten Schußsalve sei die 18jährige Kurdin Sema Alp,
die unter anderem an einem Schuß in den Hinterkopf starb, »im
oberen Teil der Außentreppe stehend getroffen worden«.
In den Angaben der Kurden werden ausschließlich Ereignisse außerhalb
des Konsulatsgebäudes geschildert. Nach den bisherigen Ermittlungen
wurde aber die Leiche der getöteten Kurdin im Vorraum des Generalkonsulats
gefunden.
Auch die Aussage der Demonstranten, Polizisten hätten nach den
Schüssen einen Abzug vom Konsulatsgelände mit Tränengas
verhindert, deckt sich nicht mit der Schilderung der Staatsanwaltschaft.
Die israelische Botschaft in Bonn versicherte unterdessen ihre Bereitschaft,
bei der Aufklärung des Vorfalls zu helfen. »Die Frage, ob die
Bereitschaft auch eine erneute Vernehmung der beiden Sicherheitsleute durch
deutsche Stellen einschließe, wies ein Sprecher aber als »hypothetisch«
zurück.
(AP/jW)
Frankfurter Rundschau, 06.03.1999
Offizielle Berichte über Schüsse „wenig glaubhaft“
Anwälte angeklagter Kurden fordern Verfahren gegen Todesschützen
vor Israels Konsulat
Von Ullrich Fichtner
Die Anwälte der am Angriff auf das israelische Generalkonsulat
in Berlin beteiligten Kurden hegen Zweifel an den bisher vorgetragenen
offiziellen Berichten über die Ereignisse. Vor allem die Version der
israelischen Behörden über die Schießerei sei „wenig glaubhaft“.
BERLIN, 5. März. Eine Arbeitsgruppe von 15 Berliner Rechtsanwälten
hat Strafverfahren gegen die israelischen Wachleute gefordert, die vor
zwei Wochen vier kurdische Demonstranten tödlich und ein Dutzend weitere
zum Teil schwer verletzt haben. Die beiden Männer müßten
aufgrund ihres „extrem unverhältnismäßigen Handelns zur
Verantwortung gezogen werden“, sagte der Sprecher der Gruppe, Volker Ratzmann,
am Donnerstag abend in Berlin.
„Mit der Aussage: ,Die sind weg und nicht mehr greifbar’ werden wir
uns sicherlich nicht zufrieden geben“, sagte der Anwalt. Ratzmann und die
anderen Rechtsvertreter der des schweren Landfriedensbruchs beschuldigten
Kurden bestritten wesentliche Details des zuvor veröffentlichten Zwischenberichts
der Berliner Justiz. Die darin versammelten Aussagen vor allem der israelischen
Wachleute stünden in krassem Widerspruch zu den Angaben ihrer Mandanten.
Strittig bleiben demnach vor allem die Ereignisse auf der schmalen
Freitreppe unmittelbar am Eingang des Konsulats. Die Israelis beharren
darauf, ihre Wachbeamten hätten Warnschüsse über die Köpfe
der herandrängenden Angreifer abgegeben und erst gezielt auf sie gefeuert,
als sie in das Gebäude eindrangen. Die Kurden indes behaupten ihren
Anwälten zufolge, auf sie seien ohne Warnung „zwei Salven“ aus dem
Gebäude heraus abgegeben worden. Nach den ersten Schüssen hätten
die noch unversehrten Demonstranten die Hände gehoben und die Polizisten
am Ort in Panik um Hilfe gerufen.
Auch Teile des Polizeiberichts stehen durch die Version der Kurden
infrage. So könne keine Rede davon sein, daß die am Generalkonsulat
eintreffenden Demonstranten die zu diesem Zeitpunkt anwesenden 22 Polizisten
„brutal überrannt“ hätten. Vielmehr hätten die Beamten von
sich aus angegriffen und dadurch das Tor des Konsulats preisgegeben, durch
das einige Angreifer schließlich auf das Gelände vordringen
konnten. Als sie am Eingang angelangt gewesen seien, hätten sie sich
plötzlich „in einer Falle“ befunden: Von vorne sei auf sie gefeuert
worden, von hinten habe sie die zuvor düpierte Polizeieinheit bedrängt.
Die Anwälte räumten ein, daß der von ihnen dargestellte
Ablauf keine „genaue und vollständige Rekonstruktion“ der Ereignisse
darstelle. Gleichwohl speise sich ihr Bericht aus den gleichlautenden
Angaben mehrerer beteiligter Kurden. Die Polizei müsse sich deshalb
Fragen nach ihrer Taktik gefallen lassen. Sie habe nach den vorliegenden
kurdischen Angaben den Abzug der Demonstranten offenkundig verhindert und
so entscheidend zur tragischen Eskalation beigetragen.
Zu den Abläufen im Inneren des Konsulatsgebäudes äußerten
sich die Anwälte „mit Rücksicht auf ihre Mandanten“ nicht. Allerdings
bestritten sie die offizielle Schilderung, ein Kurde habe mit einem israelischen
Wachmann um dessen Waffe gerungen. Dies, hieß es, sei „Unsinn“.