Um die Verantwortung reißt sich keiner
Was kann der Untersuchungsausschuß zu den tödlichen Schüssen
vor dem israelischen Konsulat klären?
Von Constanze v. Bullion
Wer ist verantwortlich für die Ereignisse vom 17. Februar
1999, als etwa 100 PKK-Sympathisanten versuchten, das israelische Generalkonsulat
in Berlin zu besetzen? Vier junge Kurden wurden von israelischen Sicherheitskräften
erschossen. Bis heute konnte der Vorfall nicht eindeutig geklärt werden.
Die Berichte von Polizei, Staatsanwaltschaft und Zeugen weisen so viele
Widersprüche auf, daß die Fraktionen von Bündnis 90/Die
Grünen und PDS im Abgeordnetenhaus einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß
beantragten. Am heutigen Montag versucht der innenpolitische Ausschuß
festzulegen, was diese Untersuchung klären soll. Ein einfaches
Unternehmen ist das nicht, schließlich hat in der Stadt der Wahlkampf
begonnen.
Wo war die Polizei? Wann erfuhr Innensenator Eckart Werthebach (CDU),
daß das israelische Konsulat gefährdet war? Tat er alles, um
es zu schützen? Das sind die wichtigsten Fragen, die die Bündnisgrünen
beantwortet haben wollen.
Obwohl das Konsulat als gefährdetes Objekt galt, war die Bewachung
völlig unzureichend“, meint Wolfgang Wieland, innenpolitischer Sprecher
der Partei. Man hatte genug Zeit, sich auf die Besetzung vorzubereiten.“
Daß die Polizei nicht gerade geglänzt hat, belegen die Berichte
der Staatsanwaltschaft, aber auch Polizeiprotokolle. Am 16. Februar, einen
Tag nach der Entführung des PKK-Chefs Abdullah Öcalan aus Nairobi,
schickt das Bundeskriminalamt ein Telex an den Berliner Innensenat. Von
Seiten der PKK sei „auch mit Aktionen gegen israelische und amerikanische
Einrichtungen zu rechnen“. Am 17. Februar bewachen 32 Einsatzkräfte
das türkische Generalkonsulat, vor dem Willy-Brand-Haus, der SPD-Zentrale,
stehen 66 Beamte. Vor dem israelischen Konsulat hingegen läuft, wie
üblich, ein Wachmann Streife, einer überwacht die Videomonitore,
ein dritter sitzt im Wachhäuschen. Lediglich ein Funkwagen ist
gehalten, ab und zu vorbeizufahren.
Um 13.20 Uhr am 17. Februar warnt das BKA die Berliner Sicherheitsbehörden
vor einer Besetzung des israelischen Konsulats. 22 Beamte fahren los und
versuchen, vor dem Gebäude Sperrgitter zu erichten. Zu spät.
Um 13.40 Uhr werden sie von Kurden mit Holzknüppeln überrannt.
Es kommt zum Schlagstockeinsatz, die ersten Kurden klettern über das
Gitter. Aus dem Eingangsbereich des Konsulats sollen daraufhin israelische
Sicherheitkräfte um die 30 Schüsse abgefeuert haben, gaben verschiedene
Polizisten später an. Vor dem Haus hätten auch sie sich unter
den Kugeln der Israelis wegducken müssen.
Von einer „groben Fehleinschätzung des Innensenators“ spricht
seither die SPD. Werthebach hätte die BKA-Warnungen nicht ignorieren
dürfen. Die CDU sieht das anders.
Dringender als mögliche Fehler der Polize möchte sie PKK-Strukturen
und die Sicherheitslage der Hauptstadt erörtern. „Sind die Berliner
Sicherheitsbehörden in der Lage, langanhaltende polizeiliche Großlagen
zu bewältigen?“ fragt sie in einem Antrag, der ebenfalls einen Untersuchungsausschuß
fordert. Daß die Christdemokraten nun mitmischen wollen bei der Initiative
von Grünen und PDS, hat viele überrascht. Schließlich hatte
die Partei es bisher
abgelehnt, den eigenen Innensenator zum Gegenstand einer Untersuchung
zu machen. Wir wollen Fragen stellen“, begründet Roland Gewalt,
innenpolitischer Sprecher der CDU, den Sinneswandel. „Auch wenn die ganze
Situation etwas mißlich ist.“
Posse im Wahlkampf
Mißlich ist in der Tat, daß kaum genung Zeit bleiben wird,
den Polizeieinsatz zu klären. Selbst wenn der Untersuchungsausschuß
sofort eingesetzt würde, müßte er Ende Juni schon wieder
unterbrechen, dann nämlich beginnen in Berlin die Parlamentsferien.
„Es macht doch keinen Sinn, drei Monate vor der Wahl den Innensenator abwählen
zu wollen“, wettert deshalb Hans-Georg Lorenz, der die SPD im Ausschuß
vertreten wird. Die CDU versuche lediglich von der Verantwortung Werthebachs
abzulenken und ihren Wahlkampfthemen Ausländerkriminalität und
Innere Sicherheit ein Forum zu verschaffen.
Verkommt der Vorfall vor dem Konsulat zu einer Wahlkampfposse? Vier
Kurden sind erschossen wurden, unter den Toten war eine 18jährige
Frau, in deren Kopf ein Projektil laut Obduktionsbericht halbschräg
von hinten“ eingedrungen war. Die israelischen Schützen wurden ausgeflogen,
sie haben Diplomatenstatus. Und es gibt keine Partei im Abgeordnetenhaus,
die sich darum reißt, ihre Verantwortung genauer zu untersuchen.
Was bleibt, ist die Staatsanwaltschaft. Sie ermittelt gegen acht Kurden,
denen schwerer Landfriedensbruch und gefährliche Körperverletzung
vorgeworfen werden. Fragt man Frank Ebel, der für die SPD im Rechtsausschuß
sitzt, dann ist die Justiz die einzige Instanz, die Licht in die Angelegenheit
bringen könnte – anders als das Abgeordnetenhaus. Ein parlamentarischer
Untersuchungsausschuß hat die Aufgabe, Tatbestände aufzuklären
und politische Konsequenzen daraus zu ziehen. Aber er ist nicht dazu da,
der Staatsanwaltschaft die Arbeit abzunehmen – oder weitgefaßte Fragestellungen
wie die allgemeine Sicherheitslage zu bearbeiten.“
Von all der Kritik läßt sich der grüne Initiator des
Unternehmens nicht beirren. Uns geht es um Aufklärung“, sagt Wolfgang
Wieland, „auch die kurdische Bevölkerung der Stadt soll sehen, daß
wir die Sache ernst nehmen.“ Wenn er heute im Innenausschuß mit der
CDU einen gemeinsamen Antrag aushandelt, dann werden die Christdemokraten
wohl ihre Fragen zur allgemeinen „Sicherheitslage“fallenlassen müssen.
Aber auch die Bündnisgrünen haben eingesehen, daß die Diskussion
der „Hauptstadtfähigkeit“ der Polizei nichts in einem Untersuchungsausschuß
verloren hat.