Filmaufnahmen stellen Notwehr-Version der Sicherheitsleute in Frage
Von Mechthild Henneke und Michael Helberg
Die tödlichen Schüsse auf vier Kurden bei der Demonstration vor dem israelischen Generalkonsulat am 17. Februar sind möglicherweise nicht ausschließlich in Notwehr erfolgt. Diesen Schluß legt ein Videoband nahe, das der Sender Freies Berlin (SFB) am Donnerstag abend in seiner Magazinsendung "Kontraste" ausgestrahlt hat.
Der Film zeigt etwa 20 kurdische Demonstranten auf der Treppe zum Konsulat in Wilmersdorf. Sie stehen mit dem Rücken zur Eingangstür und warten. Zwei Kurden hantieren mit Ästen. Äxte oder Eisenstangen sind auf dem Bild nicht zu sehen. Plötzlich sind mehrere Schußsalven zu hören, mindestens elf Kugeln werden abgefeuert. Den oder die Schützen zeigt die Kamera nicht. Mehrere Kurden brechen auf der Treppe zusammen, andere flüchten in den Vorgarten. Unmittelbar nach den Schüssen ist zu sehen, wie die Polizei Tränengas wirft. Anschließend tragen Beamte Verletzte weg.
Das Fernsehmagazin "Kontraste" geht davon aus, daß mindestens drei der vier Kurden bei der gezeigten Szene auf der Treppe starben. So auch die 18jährige Sema Alp. Ein Zeuge will gesehen haben, wie sie von Schüssen getroffen wurde. Bisher hieß es, die junge Frau sei im Inneren des Konsulates umgekommen.
Über die Erstürmung des Konsulates gibt es unterschiedliche Versionen. Nach Angaben der israelischen Botschaft sind sämtliche Schüsse aus Notwehr innerhalb des Gebäudes gefallen, ein Wachmann habe lediglich einen Warnschuß nach draußen abgegeben. Die israelische Generalkonsulin Miryam Shomrat bekräftigte am Donnerstag erneut die Notwehrsituation der Wachleute.
Polizeizeugen hatten bereits wenige Tage nach den Vorfällen ausgesagt, daß einer der israelischen Wachleute mehrfach auch außerhalb des Gebäudes in die Menschenmenge geschossen habe. Die Notfallsituation hatten aber auch sie nicht in Abrede gestellt. Die Polizei sprach außerdem immer davon, daß die Kurden mit Äxten und Eisenstangen bewaffnet gewesen seien.
Nach den tödlichen Schüssen war vor allem der Polizeiführung vorgeworfen worden, die Gefahr unterschätzt und das Gebäude nicht genügend gesichert zu haben. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß soll nun die Ereignisse aufklären. Am heutigen Freitag sollen dort Innenstaatssekretär Kuno Böse und Polizeipräsident Hagen Saberschinsky befragt werden. Ob die beiden Todesschützen erneut gehört werden, ist unklar. Sie waren zwei Tage nach dem Ereignis nach Israel ausgeflogen worden. Ihr Status war der eines Konsuls.
Berliner Zeitung, 28.5.99