Reißverschlußverfahren
Nur noch bis zur Wahl im Oktober hat der Kurden-Untersuchungsausschuß
Zeit, die Fragen um die Todesschüsse am israelischen Generalkonsulat
in Berlin zu klären. Doch statt Antworten häufen sich Fragen.
Und die CDU ist an einer Aufklärung nicht interessiert. Eine Bilanz
von Otto Diedrichs Nach gut sechs Wochen herrscht noch immer Hilflosigkeit.
Seit dem 21. Mai soll ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuß
klären, wie es am 17. Februar 1999 vor und im israelischen Generalkonsulat
in Berlin zu den Schüssen kommen konnte, durch die vier KurdInnen,
eine Frau und drei Männer, am Ende ihr Leben verloren. Hatte die Berliner
Polizei versagt und ausgerechnet das israelische Konsulat vergessen, während
andere diplomatische Einrichtungen und selbst die SPD-Zentrale massiv bewacht
wurden? Die Hilflosigkeit jetzt ist sichtbarer Ausdruck des Wissens, daß
man über den ersten Fragenkomplex wohl nicht hinauskommen wird, denn
von allen Knüppeln, die dem Ausschuß zwischen die Beine geworfen
werden, ist Zeitnot der größte: Mit den Wahlen im Oktober endet
der Untersuchungsauftrag. Das weiß die CDU natürlich. Mitten
im Wahlkampf will sie ihren Innensenator nicht in Erklärungsnöte
bringen. Schon deshalb ist sie an einer Aufklärung nicht interessiert.
Bereits um die Frage, ob ein Untersuchungsausschuß denn nötig
wäre, hatte es heftiges politisches Gezerre gegeben. Erst in allerletzter
Minute - kurz vor der Abstimmung im Plenum des Abgeordnetenhauses - kam
es zur Einigung. Rückblick: In einer Kommandoaktion hatte der türkische
Geheimdienst Mitte Februar in Kenia den Führer der Kurdischen Arbeiterpartei
PKK, Abdullah Öcalan, verschleppt. Europaweit waren daraufhin von
protestierenden PKK-Anhängern diplomatische Einrichtungen besetzt
worden. Die Besetzung der griechischen Botschaft in Berlin konnte nach
langen Verhandlungen mit der Polizei friedlich und freiwillig beendet werden.
Die Sicherheitslage in der Hauptstadt war dennoch angespannt. Am Tag nach
dieser Besetzung gingen die Proteste weiter, und am frühen Nachmittag
des 17. Februar war mit drei Toten die Katastrophe da: Sema Alp, Ahmet
Acar und Mustafa Kurt. 16 weitere KurdInnen wurden durch Schüsse zum
Teil schwer verwundet, 24 Polizeibeamte durch Schläge verletzt - Bilanz
des mißglückten Versuches, das israelische Konsulat zu besetzen.
Einige Tage später erlag auch Siman Karakus seinen Schußverletzungen.
Die israelischen Wachleute, Agenten des Inlandgeheimdienstes Schin Beth,
hatten nicht lange gefackelt: Westbank in Berlin. Die Berliner Polizei
beruft sich darauf, erst gegen 13.20 Uhr einen Hinweis auf die geplante
Besetzung des Konsulats um 14.00 Uhr erhalten zu haben. Um 13.26 Uhr habe
man die ersten 30 Polizisten für Sicherungsmaßnahmen losgeschickt.
Um 13.31 Uhr begannen sie damit, Absperrgitter aufzubauen, und seien dann
sofort von 75 bis 100 KurdInnen angegriffen und überrannt worden.
Als schließlich um 13.41 Uhr weitere 180 Beamte eintrafen, war das
bereits zu spät, lagen die ersten Opfer in ihren Blutlachen. In eine
Lagebeurteilung, so Innensenator Eckart Werthebach (CDU), gehe immer auch
die Überlegung ein: "Wie ist das Objekt grundgeschützt." Damit
hatte Berlins Innensenator die Frage, warum an jenem Februartag nur drei
Wachpolizisten vor dem Konsulat standen, bereits in der ersten Sitzung
des Ausschusses erklärt und für sich geklärt. Polizeiführer
bestätigten später diese Aussage. Peter Haeberer, der Chef des
polizeilichen Staatsschutzes, war vom Eigenschutz der Israelis so überzeugt,
daß er die Nachricht eines Besetzungsversuches so kommentierte: "Die
können da ruhig hingehen, die werden sich die Köpfe einrennen."
Bei der personalintensiven Situation dieser Tage ist das verständlich.
Schmeichelhaft ist eine solche Fehleinschätzung dennoch nicht, möglicherweise
sogar fahrlässig. Damit allerdings erschöpft sich die Palette
vorwerfbaren Handelns dann schon. Dies gilt auch für Äußerungen
des Polizeipräsidenten Hagen Saberschinsky, die zu Beginn des Untersuchungsausschusses
lanciert worden waren. In einem Telefongespräch war Saberschinsky
am Tage vor der Besetzung von Innenstaatssekretär Kuno Böse darauf
hingewiesen worden, "daß auch die Israelis unter Umständen die
Hände mit im Spiel haben" und um "Sensibilisierung" gebeten werde.
Seine Antwort: "Ja, ja, ja, ist gut, o. k. Wir schützen die ganze
Welt." In seiner Aussage vor dem Ausschuß machte Saberschinky geltend,
er habe zum damaligen Zeitpunkt unter erheblichem Druck gestanden, da von
der griechischen Botschaft gerade erste BesetzerInnen mit Verbrennungen
gemeldet worden seien, nachdem sie versucht hatten, sich selbst anzuzünden.
Zudem sei ihm die Information seit drei Stunden bekannt gewesen. Zur Ehre
gereicht Saberschinsky auch diese Reaktion nicht, im Kontext der übrigen
bekannten Informationen ist sie jedoch nachvollziehbar. Schuldhafte Verstrikkungen
der Polizeiführung sind in diesem Stadium der Ereignisse nicht zu
erkennen. Eher muß es wundern, mit welcher Geschwindigkeit innerhalb
kürzester Zeit die ersten Beamten vor Ort waren, als am Mittag des
17. Februars der Ernstfall eintrat. Für die Aufklärung der Todesumstände
der vier KurdInnen gibt die Frage, wer wen wann wie informierte und was
daraufhin getan wurde, ohnehin nichts her. Doch verbissen graben die Parlamentarier
in dieser leeren Mine nach Gold. Von Regierungskoalition und Opposition
werden die Fragen nun nacheinander im Reißverschlußverfahren
abgehandelt. Umgehend brach die CDU den nächsten Streit vom Zaun.
Alle Zeugen wollte man nur zu einer Frage hören. Erst nach deren Klärung
dürfe zur nächsten übergegangen werden. Diesem Unfug widersetzten
sich die übrigen Fraktionen. Also übergaben die Christdemokraten
die Frage, wie ein Reißverschluß funktioniere, dem Verfassungsgerichtshof.
Der verwarf die Klage zwar, doch zunächst mußte der Ausschuß
hinter verschlossenen Türen tagen. Mit ihrer Niederlage ist die CDU
daher verständlicherweise hochzufrieden. Geklärt sind die Todesschüsse
allerdings für den israelischen Geheimdienst und die Regierung in
Tel Aviv. Schon zwei Tage nach dem Blutbad hatte Ami Ayalon, der Chef des
Schin Beth, seinen Bericht fertig. Danach fielen innerhalb des Konsulats
17 Schüsse, drei davon gingen in die Luft. Geschossen wurde ausschließlich
in Notwehr. Mit den Obduktionsbefunden stehen diese Ergebnisse nicht in
Einklang. Sie ergaben bei Ahmet Acar einen tödlichen Beckensteckschuß.
Mustafa Kurt wurde in die rechte hintere Brustseite geschossen, Sema Alp
am Hinterkopf und unterhalb des linken Schulterblattes getroffen, Siman
Karakus starb an einem Querschläger, der ihn in den Nacken traf. Nach
einer Notwehrsituation klingt das nicht. Auch mit den ballistischen Untersuchungen,
der Spurensicherung am Tatort, einem Polizeivideo und den Zeugenaussagen
ist Ayalons Bericht nicht kompatibel. Die Israelis ficht das wenig an.
Und auch die Bundesregierung verweigert bislang jede Aufklärungsunterstützung.
Wie wäre es wohl, hätte das Drama vor der irakischen Botschaft
stattgefunden? Von allen Knüppeln, die man dem Untersuchungsausschuß
zwischen die Beine wirft, ist Zeitnot der größte Die CDU will
natürlich vor allem ihren Innensenator Werthebach mitten im Wahlkampf
nicht in Erklärungsnöte bringen