taz Berlin 7.7.1999

Reißverschlußverfahren

Nur noch bis zur Wahl im Oktober hat der Kurden-Untersuchungsausschuß Zeit, die Fragen um die Todesschüsse am israelischen Generalkonsulat in Berlin zu klären. Doch statt Antworten häufen sich Fragen. Und die CDU ist an einer Aufklärung nicht interessiert. Eine Bilanz von Otto Diedrichs Nach gut sechs Wochen herrscht noch immer Hilflosigkeit. Seit dem 21. Mai soll ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuß klären, wie es am 17. Februar 1999 vor und im israelischen Generalkonsulat in Berlin zu den Schüssen kommen konnte, durch die vier KurdInnen, eine Frau und drei Männer, am Ende ihr Leben verloren. Hatte die Berliner Polizei versagt und ausgerechnet das israelische Konsulat vergessen, während andere diplomatische Einrichtungen und selbst die SPD-Zentrale massiv bewacht wurden? Die Hilflosigkeit jetzt ist sichtbarer Ausdruck des Wissens, daß man über den ersten Fragenkomplex wohl nicht hinauskommen wird, denn von allen Knüppeln, die dem Ausschuß zwischen die Beine geworfen werden, ist Zeitnot der größte: Mit den Wahlen im Oktober endet der Untersuchungsauftrag. Das weiß die CDU natürlich. Mitten im Wahlkampf will sie ihren Innensenator nicht in Erklärungsnöte bringen. Schon deshalb ist sie an einer Aufklärung nicht interessiert. Bereits um die Frage, ob ein Untersuchungsausschuß denn nötig wäre, hatte es heftiges politisches Gezerre gegeben. Erst in allerletzter Minute - kurz vor der Abstimmung im Plenum des Abgeordnetenhauses - kam es zur Einigung. Rückblick: In einer Kommandoaktion hatte der türkische Geheimdienst Mitte Februar in Kenia den Führer der Kurdischen Arbeiterpartei PKK, Abdullah Öcalan, verschleppt. Europaweit waren daraufhin von protestierenden PKK-Anhängern diplomatische Einrichtungen besetzt worden. Die Besetzung der griechischen Botschaft in Berlin konnte nach langen Verhandlungen mit der Polizei friedlich und freiwillig beendet werden. Die Sicherheitslage in der Hauptstadt war dennoch angespannt. Am Tag nach dieser Besetzung gingen die Proteste weiter, und am frühen Nachmittag des 17. Februar war mit drei Toten die Katastrophe da: Sema Alp, Ahmet Acar und Mustafa Kurt. 16 weitere KurdInnen wurden durch Schüsse zum Teil schwer verwundet, 24 Polizeibeamte durch Schläge verletzt - Bilanz des mißglückten Versuches, das israelische Konsulat zu besetzen. Einige Tage später erlag auch Siman Karakus seinen Schußverletzungen. Die israelischen Wachleute, Agenten des Inlandgeheimdienstes Schin Beth, hatten nicht lange gefackelt: Westbank in Berlin. Die Berliner Polizei beruft sich darauf, erst gegen 13.20 Uhr einen Hinweis auf die geplante Besetzung des Konsulats um 14.00 Uhr erhalten zu haben. Um 13.26 Uhr habe man die ersten 30 Polizisten für Sicherungsmaßnahmen losgeschickt. Um 13.31 Uhr begannen sie damit, Absperrgitter aufzubauen, und seien dann sofort von 75 bis 100 KurdInnen angegriffen und überrannt worden. Als schließlich um 13.41 Uhr weitere 180 Beamte eintrafen, war das bereits zu spät, lagen die ersten Opfer in ihren Blutlachen. In eine Lagebeurteilung, so Innensenator Eckart Werthebach (CDU), gehe immer auch die Überlegung ein: "Wie ist das Objekt grundgeschützt." Damit hatte Berlins Innensenator die Frage, warum an jenem Februartag nur drei Wachpolizisten vor dem Konsulat standen, bereits in der ersten Sitzung des Ausschusses erklärt und für sich geklärt. Polizeiführer bestätigten später diese Aussage. Peter Haeberer, der Chef des polizeilichen Staatsschutzes, war vom Eigenschutz der Israelis so überzeugt, daß er die Nachricht eines Besetzungsversuches so kommentierte: "Die können da ruhig hingehen, die werden sich die Köpfe einrennen." Bei der personalintensiven Situation dieser Tage ist das verständlich. Schmeichelhaft ist eine solche Fehleinschätzung dennoch nicht, möglicherweise sogar fahrlässig. Damit allerdings erschöpft sich die Palette vorwerfbaren Handelns dann schon. Dies gilt auch für Äußerungen des Polizeipräsidenten Hagen Saberschinsky, die zu Beginn des Untersuchungsausschusses lanciert worden waren. In einem Telefongespräch war Saberschinsky am Tage vor der Besetzung von Innenstaatssekretär Kuno Böse darauf hingewiesen worden, "daß auch die Israelis unter Umständen die Hände mit im Spiel haben" und um "Sensibilisierung" gebeten werde. Seine Antwort: "Ja, ja, ja, ist gut, o. k. Wir schützen die ganze Welt." In seiner Aussage vor dem Ausschuß machte Saberschinky geltend, er habe zum damaligen Zeitpunkt unter erheblichem Druck gestanden, da von der griechischen Botschaft gerade erste BesetzerInnen mit Verbrennungen gemeldet worden seien, nachdem sie versucht hatten, sich selbst anzuzünden. Zudem sei ihm die Information seit drei Stunden bekannt gewesen. Zur Ehre gereicht Saberschinsky auch diese Reaktion nicht, im Kontext der übrigen bekannten Informationen ist sie jedoch nachvollziehbar. Schuldhafte Verstrikkungen der Polizeiführung sind in diesem Stadium der Ereignisse nicht zu erkennen. Eher muß es wundern, mit welcher Geschwindigkeit innerhalb kürzester Zeit die ersten Beamten vor Ort waren, als am Mittag des 17. Februars der Ernstfall eintrat. Für die Aufklärung der Todesumstände der vier KurdInnen gibt die Frage, wer wen wann wie informierte und was daraufhin getan wurde, ohnehin nichts her. Doch verbissen graben die Parlamentarier in dieser leeren Mine nach Gold. Von Regierungskoalition und Opposition werden die Fragen nun nacheinander im Reißverschlußverfahren abgehandelt. Umgehend brach die CDU den nächsten Streit vom Zaun. Alle Zeugen wollte man nur zu einer Frage hören. Erst nach deren Klärung dürfe zur nächsten übergegangen werden. Diesem Unfug widersetzten sich die übrigen Fraktionen. Also übergaben die Christdemokraten die Frage, wie ein Reißverschluß funktioniere, dem Verfassungsgerichtshof. Der verwarf die Klage zwar, doch zunächst mußte der Ausschuß hinter verschlossenen Türen tagen. Mit ihrer Niederlage ist die CDU daher verständlicherweise hochzufrieden. Geklärt sind die Todesschüsse allerdings für den israelischen Geheimdienst und die Regierung in Tel Aviv. Schon zwei Tage nach dem Blutbad hatte Ami Ayalon, der Chef des Schin Beth, seinen Bericht fertig. Danach fielen innerhalb des Konsulats 17 Schüsse, drei davon gingen in die Luft. Geschossen wurde ausschließlich in Notwehr. Mit den Obduktionsbefunden stehen diese Ergebnisse nicht in Einklang. Sie ergaben bei Ahmet Acar einen tödlichen Beckensteckschuß. Mustafa Kurt wurde in die rechte hintere Brustseite geschossen, Sema Alp am Hinterkopf und unterhalb des linken Schulterblattes getroffen, Siman Karakus starb an einem Querschläger, der ihn in den Nacken traf. Nach einer Notwehrsituation klingt das nicht. Auch mit den ballistischen Untersuchungen, der Spurensicherung am Tatort, einem Polizeivideo und den Zeugenaussagen ist Ayalons Bericht nicht kompatibel. Die Israelis ficht das wenig an. Und auch die Bundesregierung verweigert bislang jede Aufklärungsunterstützung. Wie wäre es wohl, hätte das Drama vor der irakischen Botschaft stattgefunden? Von allen Knüppeln, die man dem Untersuchungsausschuß zwischen die Beine wirft, ist Zeitnot der größte Die CDU will natürlich vor allem ihren Innensenator Werthebach mitten im Wahlkampf nicht in Erklärungsnöte bringen