Kurdenkrawalle: Verfassungsschutz veränderte vertrauliche Akten
Neues Schreiben sollte auf Mitschuld des Bundes verweisen
Gilbert Schomaker
Die Berliner Sicherheitsbehörden sind offenbar in einem größeren Maße als bisher angenommen für die falsche Einschätzung der Sicherheitslage vor dem israelischen Generalkonsulat verantwortlich. Grund für diese Vermutung ist ein im Nachhinein veränderter vertraulicher Aktenvermerk des Landesamtes für Verfassungsschutz, der am Donnerstag im Untersuchungsausschuß des Abgeordnetenhauses auftauchte.
Am 17. Februar waren vier Kurden nach der gewaltsamen Erstürmung des Konsulats von israelischen Sicherheitsbeamten erschossen worden. Nach den tödlichen Schüssen hatte Innensenator Eckart Werthebach (CDU) am 22. Februar in der Sitzung des Innenausschusses auf eine Mitverantwortung des Bundes verwiesen. Zitat: "Es gab eine Analyse des Bundesamtes für Verfassungsschutz, die über das Landesamt für Verfassungsschutz auch die Berliner Polizei erreichte, die prioritär sagten, es sei von folgenden Gefährdungssituationen auszugegehen: an erster Stelle Türkei, an zweiter Stelle USA, an dritter Stelle Griechenland, an vierter Stelle Kenia, und dann kamen Israel und die SPD-Zentrale. (…) Also, es war nicht eine gegriffene prioritäre Entscheidung, sondern es war eine Vorgabe einer großen Fachbehörde." Im Klartext: Werthebach machte für die falsche Gefahreneinschätzung die Bundesbehörde verantwortlich. Wegen dieser Rangliste hätten nur drei Wachleute vor dem israelischen Generalkonsulat gestanden, lautete die Argumentation des Innensenators.
Doch eine solche Rangliste hatte es nach einem Aktenvermerk des Berliner Verfassungsschutz-Chefs, Eduard Vermander, vom 6. März nie gegeben. Per Fax berichtete er der Innenbehörde von dem Gespräch mit dem Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz. In dem mit "vertraulich" gekennzeichneten Schreiben stand der Satz: "Eine Rangfolge gefährdeter Staaten wurde in dem Gespräch mit Dr. Frisch (dem Leiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz, d.Red.) und mir nicht festgelegt." Was folgte, war ein Gespräch mit der Innenverwaltung. Daraufhin wanderte der Vermerk vom 6. März in den Reißwolf. In einem neuen Aktenvermerk vom 9. März mit gleichem Aktenzeichen war dann nicht mehr davon die Rede, dass eine Rangfolge nicht festgelegt worden sei. Stattdessen hieß es nun, dass zwischen Bundes- und Landesbehörde Übereinstimmung über den Grad der Gefährdung geherrscht habe – ganz im Sinne des Innensenators.
Im Untersuchungs-Ausschuss wurde dieser Vorgang bekannt, weil eine Kopie
des ursprünglichen Schreibens von Vermander übrig geblieben war.
Sie war in einem Aktenordner eingeheftet. Der Vorsitzende Wolfgang Wieland
(Grüne) sprach von "Manipulation" und "frisierten Akten", mit denen
die Innenverwaltung den Ausschuss "systematisch hinters Licht" führen
wolle. Werthebach sagte hingegen: "Ich habe mit Vermander nicht über
die Vernichtung von Akten geredet und es werden auch keine Akten unterdrückt."
Vermander rechtfertigte sein Vorgehen und sprach von einer "missverständlichen
Formulierung". Im Telefonat mit dem Bundesamt sei nicht über eine
konkrete Rangfolge, wohl aber über "Gefährdungsrelevanz und Wertigkeit"
gesprochen worden. Andreas Gram (CDU) sprach von einem "Popanz, der von
den Grünen nur zu Wahlkampfzwecken aufgebaut" werde.