Als ginge es um Knöllchen
Wie kam es zum Blutbad am israelischen Konsulat Mitte Februar? Weder die Kurdenprozesse am Berliner Landgericht noch ein Untersuchungsausschuss wollen dies klären Von Philipp Gessler
Der Israeli im hellen Sakko hat genug. In der offenen Tür seines Generalkonsulats stehend, zieht der Wachmann seine Pistole, nimmt sie in beide Hände, hebt die Arme und schießt auf die Kurden vor ihm. Als das erste Magazin leer ist, lässt er es aus der Pistole fallen, ohne den Schussarm zu senken, und lädt, äußerlich ruhig, nach. Die Kurden auf der Treppe zum Konsulat fliehen in Panik, humpeln, stolpern, kriechen die Stufen hinunter. Zwei bleiben tot an der Türschwelle liegen.
So oder ähnlich muss sich das Blutbad in der Berliner Schinkelstraße in Wilmersdorf Mitte Februar dieses Jahres abgespielt haben. Zwei Israelis erschossen vor und in der Vertretung drei Kurden und eine Kurdin - in Notwehr, so die Israelis. Eine Menge aufgebrachter Kurden versuchte einen Tag nach der Verhaftung des PKK-Führers Abdullah Öcalan in die diplomatische Vertretung Israels einzudringen. Seit vier Wochen kann sich jeder die Geschichte dieses dramatischen Aschermittwochs vor der 38. Strafkammer des üppig wilhelminischen Berliner Landgerichts anhören - erzählt von Polizisten, die an diesem Tag zwischen die Fronten gerieten.
Doch nicht die zwei Israelis und ihre Notwehrversion sind angeklagt. Vier Kurden stehen vor Gericht, alle vier sind bei der Schießerei verletzt worden. Unter den rund zwei Dutzend Verfahren, die in Berlin gegen Kurden wegen der Erstürmung des Konsulats geführt werden, gilt dieser der Staatsanwaltschaft als besonders wichtig. Denn bei den vier Angeklagten sei wegen ihrer Verletzungen anzunehmen, dass sie bei der Erstürmung in vorderster Reihe gestanden hätten. Das Verfahren gegen einen der vier wurde gestern vom Gericht abgetrennt, der Beschuldigte bekommt einen eigenen Prozess - wegen Selbstmordgefahr.
Und obwohl es nach der Anklageschrift um die Kurden geht - Brisanz hat das Verfahren vor allem wegen der Zeugenaussagen zu dem Verhalten der Israelis. Ihre Notwehrversion ist kaum noch zu halten. Dennoch findet das Verfahren praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Dass es hier um eine Sache geht, die die Hauptstadt wochenlang in Atem gehalten hat, ist im Gerichtssaal nicht zu spüren. Routine ist eingekehrt - als ginge es um Passvergehen oder Knöllchen.
Dafür sorgt der Vorsitzende Richter Walter Neuhaus, ein weißhaariger Mann mit leichtem Berliner Dialekt. Er versucht dem Verfahren politische Sprengkraft zu nehmen, konzentriert es sklavisch auf die Hauptfrage des Prozesses: Was haben die Kurden getan? Als einmal ein Polizist berichten will, wo er den dritten Toten im Konsulat gesehen hat, würgt der Richter ihn ab: Es gehe hier um die vier Kurden, nicht darum, was anderen in der Vertretung vorzuwerfen sei: "Wir sind kein Untersuchungsausschuss."
Den gibt es schließlich schon seit einigen Monaten in der Stadt, eingesetzt vom Abgeordnetenhaus. Auch hier wird die Schuld der Israelis wohl nie untersucht werden: Das Geschehen in und vor der Vertretung selbst soll erst nach einem Wust anderer Fragen behandelt werden - doch dazu, da sind sich die Ausschussmitglieder sicher, wird es nicht mehr kommen. Denn den Parlamentariern geht es um die politische Dimension der Sache, darum, wer die Verantwortung trägt für das eklatante Versagen der deutschen Behörden beim Schutz der Vertretung.
Nur drei Polizisten schützten das Konsulat. Und das, obwohl jeder schon am Tag des Sturms in der Zeitung lesen konnte, dass Israelis Opfer der Wut aufgebrachter Kurden werden könnten. Israel war in den Verdacht geraten, den Türken bei der Verhaftung Öcalans geholfen zu haben.
Lange schien es so, als trügen die Prozesse das Meiste zur Aufklärung des Blutbades bei, während der Untersuchungsausschuss sich in parteipolitischen Fingerhakeleien verlor. Aber seit einigen Tagen brennt in den hohen Sälen des Berliner Abgeordnetenhauses wieder die Luft. Vor allem durch die hartnäckigen Fragen des Ausschussvorsitzenden Wolfgang Wieland von den Bündnisgrünen kommt Explosives zu Tage. Von Beginn an versuchte Innensenator Eckart Werthebach (CDU) von seinem Versagen bei der Sicherheitsvorsorge für das Konsulat abzulenken. Er habe sich nur an eine Prioritätenliste der zu schützenden Objekte gehalten - eine Rangfolge, die das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) vorgegeben habe. Das israelische Konsulat habe darin ganz unten gestanden, deshalb der geringe Schutz.
Seit Mittwoch aber, nach der Zeugenaussage des BfV-Chefs Peter Frisch, ist klar, dass es eine solche Rangfolge nie gab. Der Skandal mutiert zur "Reißwolf-Affäre", weil ein Mitarbeiter des Senators das Original eines Gesprächsvermerks zerriss, der Werthebachs Version von der Rangliste in Luft auflöste. Immerhin, so der Beamte, von der Aktenvernichtung habe sein Chef nichts gewusst.
Noch vor den Wahlen am 10. Oktober wird es einen Zwischenbericht des Ausschusses geben. Zu einem Misstrauensvotum gegen Werthebach, das ist allen klar, wird es so kurz vor dem Urnengang nicht kommen.
Unwahrscheinlich auch, dass bei den Prozessen mehr als Bewährungsstrafen
verhängt werden: Bis auf jeweils vier Wochen Dauerarrest für
zwei Jugendliche blieb allen Beschuldigten der bisher sechs abgeschlossenen
Prozesse eine Freiheitsstrafe erspart. Außerdem hat die Berliner
Justiz angekündigt, die Ermittlungen gegen die Israelis einzustellen,
da sie wegen ihres diplomatischen Status nicht belangt werden könnten.
Und so werden wohl am Ende Werthebach im Amt, alle Kurden in Freiheit und
die nach Israel ausgeflogenen Todesschützen unbehelligt bleiben. Nur
die Toten werden davon nicht wieder lebendig.