Köln , 18 .März 2000
Beitrag Rechtshilfeverein für Kurdinnen und Kurden AZADI
Veranstaltung am 18. März 2000 in Duisburg
"Freiheit für alle politischen Gefangenen"
"Ich muss klarstellen, dass mich mein Protest, der sich gegen
die Politik der Bundesrepublik Deutschland richtet, vorerst an jeder
Visite hindert. Die Regierung Deutschlands vermag es nämlich
vorzüglich, die emanzipatorische Bewegung der Kurdinnen und
Kurden als'Terror' zu brandmarken, während sie synchron dazu
den Staatsterrorismus der Türkei maßlos unterstützt,
der Kurdistan so bitter getroffen und so schwer verwundet hat.
Alle diese Bundesregierungen, mit den Christdemokraten, den Sozialdemokraten,
den Grünen und Liberalen haben fast ausnahmslos gegenüber
diesem wirklichen Terror Beihilfe geleistet."
Mit diesen Zeilen sagte der türkische Soziologe Ismail Besikci
Ende Oktober 99 eine Einladung von an medico international in die
BRD ab.
Seit über sechs Jahren existiert das Verbot der politischen
Betätigung für die PKK. Gar nicht zufällig haben
pünktlich zum 6. Jahrestag haben im November letzten Jahres
rund 400 Polizeikräfte bundesweit 90 Wohnungen durchsucht mit
dem Vorwand, gegen Personen wegen PKK-Unterstützung ermitteln
zu müssen.
Im Februar letzten Jahres haben internationale Geheimdienstorganisationen
den PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan aus Kenia in die Türkei
verschleppt.
Alle Hoffnungen und Erwartungen der Kurdinnen und Kurden auf einen
internationalen Verhandlungsprozess zur politischen Lösung
wurden - wie schon so oft zuvor - zunichte gemacht. Die Bilder des
gedemütigten PKK-Vorsitzenden gingen um die Welt. Der türkische
Staat triumphierte. So will er die Kurden: gefesselt, erniedrigt,
in Geiselhaft genommen. Das einzige, was der Bundesregierung dazu
einfiel, war, die Türkei aufzufordern, Öcalan einen fairen
Prozess zu gewährleisten.
Mit der Verhaftung des PKK-Vorsitzenden kam es weltweit zu Demonstrationen
und Aktionen. In den Gefängnissen traten Gefangene in den Hungerstreik.
In über 50 Städten der BRD richtete sich der Protest
gegen die diplomatischen Vertretungen der Staaten, die mit ihren
Geheimdiensten an der Entführung beteiligt waren: USA, Kenia,
Griechenland und Israel. Deshalb demonstrierten Kurdinnen und Kurden
auch vor dem israelischen Generalkonsulat in Berlin. Es mag unterschiedliche
Meinungen über die Zulässigkeit einer Kritik am Staat
Israel geben - möglicherweise auch hier im Publikum. Doch sollte
nicht vergessen werden, dass seit vielen Jahren vertraglich vereinbart
eine enge militärische und geheimdienstliche Kooperation zwischen
der Türkei und Israel existiert. Opfer dieser Zusammenarbeit,
die im übrigen auch in Israel von fortschrittlichen Menschen
kritisiert wird, ist allerdings die Bevölkerung in den kurdischen
Gebieten.
Blutige Bilanz dieses Protestes: Sema Alp, Ahmet Acar, Mustafa
Kurt und Sinan Karakus wurden vom Wachpersonal des Konsulats erschossen,
mehr als 20 Personen durch Schüsse von hinten zum Teil schwer
verletzt. Eine behauptete Notwehrsituation hat es nicht gegeben.
Videofilme und Zeugenaussagen belegen, dass die Wachleute ohne Vorwarnung
ungezielt und wahllos auf die KurdInnen geschossen haben.
Die Täter wurden bis heute dank ihrer diplomatischen Immunität
nicht zur Rechenschaft gezogen, die überlebenden Verletzten
hingegen in Haft genommen.
Der Großteil der Medien präsentierte daraufhin wieder
den Gewalt- und Terrorkurden. Das Kölner Boulevardblatt EXPRESS
beispielsweise titelte "Terror-Kurden - die ersten Toten"
und machte so kurzerhand die Opfer zu Tätern. Andere Zeitungen
fragten ungeduldig: Wann schieben Sie die Terroristen ab, Herr Schröder?
Zwei Wochen nach den Aktionen wurden unter rot/grüner Verantwortung
6 an den Aktionen beteiligte Kurden abgeschoben und in der Türkei
festgenommen.
Die Folgen der bundesweiten Proteste waren Tausende von Festnahmen,
Verurteilungen durch Schnellgerichte z.B. in Baden-Württemberg,
massenhafte Ermittlungsverfahren, Demoverbote und Vereinsschließungen.
Nach den Besetzungen in Leipzig kamen 73 KurdInnen in U-Haft . Es
hat Wochen gedauert, bis die Namen der Festgenommenen und ihre Aufenthaltsorte
bekannt waren. Selbst den AnwältInnen verweigerte die Staatsanwaltschaft
Leipzig Auskünfte. So blieben die meisten der inhaftierten
KurdInnen längere Zeit ohne anwaltliche Vertretung - eine Art
Incommunicado-Haft, wie sie in der Türkei üblich ist.
Ein Großteil der Prozesse ist inzwischen abgeschlossen, die
Mehrheit der KurdInnen nach monatelanger U-Haft entlassen. Sie wurden
zumeist zu hohen Bewährungsstrafen verurteilt. In Leipzig sind
immer noch 7 Personen in Haft, deren Prozesse Anfang Dezember begonnen
haben. An einer schnellen Beendigung scheinen Staatsanwaltschaft
und Richter nicht interessiert und alles deutet darauf hin, dass
die Justiz die Angeklagten, die seit über einem Jahr in Haft
sind, zu hohen Strafen verurteilen will. Außerdem gibt es
Hinweise darauf, dass in diesem Prozess der Generalbundesanwalt
im Hintergrund Regie führt. Einige Gefangene wurden noch im
Gefängnis mit einem politischen Betätigungsverbot belegt,
und zwar für die Zeit n a c h einer Haftentlassung.
Anfang Februar warf der Strafverteidiger der Kurden, die vor dem
israelischen Konsulat in Berlin demonstriert hatten, der Polizei
schlampige Ermittlungen vor. Er kritisierte, dass ein Jahr nach
den Todesschüssen immer noch Augenzeugen auftauchen, die aber
weder ermittelt noch vernommen wurden. Z.B. hätte ein Mitarbeiter
des Bundesumweltamtes die Aktion fotografiert und ein anderer das
Geschehen längere Zeit beobachtet; weitere Angestellte des
Amtes zur Entlastung der Kurden beigetragen.
Im letzten Monat wurde bekannt, dass eine Polizeibeamtin auf Anweisung
ihres Vorgesetzten Videoaufzeichnungen einer kurdischen Demonstration
vom Februar letzten Jahres in Gießen manipuliert hat und Polizisten
Falschaussagen gemacht haben, um einen Kurden vor Gericht bringen
zu können.
Zur Zeit befinden sich 64 politische kurdische Gefangene in deutschen
Knästen, die AZADI bekannt sind und betreut. Es muss allerdings
davon ausgegangen werden, dass die Zahl der Inhaftierten höher
ist. Fast alle sind konfrontiert mit Rassismus und Diskriminierung.
Sie werden als Terroristen beschimpft, beleidigt und von anderen
Gefangenen isoliert. Wenn sie sich gegen diese Misshandlungen wehren,
droht man ihnen mit bevorstehenden Abschiebungen. AZADI sind auch
Fälle bekannt geworden, in denen Gefangenen verboten wird,
sich mit ihren Angehörigen in kurdisch zu unterhalten.
Häufig stehen Mitarbeiter des türkischen Geheimdienstes
als Dolmetscher in Diensten der deutschen Justiz oder es werden
türkische Gefangene in die Knäste geschleust, um so an
Informationen über inhaftierte Kurden zu kommen. Oder die Zeitung
Özgür Politika wird den Gefangenen nicht ausgehändigt,
weil sich türkische Konsulate an die Knastleitungen wenden
und behaupten, diese oder jene Ausgabe sei verboten.
Wie reibungslos die deutsch-türkische Kooperation funktioniert,
zeigt sich auch am Beispiel kurdischer Medien. Am 12. Januar, dem
Tag, an dem die Regierungskoalition in der Türkei über
das weitere Schicksal von Abdullah Öcalan verhandelte, wurden
in mehreren Städten die Büroräume und Privatwohnungen
von Mitarbeitern der Zeitung Özgür Politika durchsucht
und Arbeitsmaterialien beschlagnahmt. Ihr wird vorgeworfen, die
"Aktivitäten der PKK und ihres Vorsitzenden Abdullah Öcalan
zu unterstützen".
Vor einem Jahr hatte der türkische Botschafter Innenminister
Schily aufgesucht und ihm Artikel aus der ÖP mitgebracht und
behauptet, in ihnen würde zu Gewaltaktionen aufgehetzt. Er
verlangte die Einleitung eines Verfahrens und Schily erledigte das
prompt.
Nur wenige Wochen später wurden der deutsche und britische
Botschafter ins türkische Außenministerium zitiert. Man
forderte die jeweiligen Regierungen auf, sich für die Schließung
des kurdischen Fernsehsenders MED-TV, der Zeitung Özgür
Politika und der kurdischen Nachrichtenagentur DEM einzusetzen.
Am 23. April 99 wurde dem kurdischen Fernsehsender die Lizenz entzogen.
Damit sollte jede Berichterstattung über den Prozess gegen
den PKK-Vorsitzenden verhindert werden.
Zugenommen haben die Anwerbeversuche des Verfassungsschutzes. Dabei
wird bei Weigerung, Spitzeldienste zu leisten, nicht vor massiven
Bedrohungen zurückgeschreckt. Vornehmlich werden Asylbewerber,
Jugendliche oder Kurden, gegen die Ermittlungsverfahren laufen,
angesprochen. Der Staatsschutz entwickelt hier äußerste
Hartnäckigkeit. Häufig werden KurdInnen auch zweifach
bedrängt und bedroht: vom deutschen u n d türkischen Geheimdienst.
Viele erleiden dadurch schwerste physische und psychische Erkrankungen.
Und für manche ist nur noch der Tod ein Ausweg - wie das jüngste
Beispiel zeigt:
Am 8. März zündete sich der Kurde Hamza Polat vor dem
Berliner Reichstag an. Er erlag wenige Minuten später den schweren
Verletzungen. Hamza Polat konnte den Druck jahrelanger Bedrängungen
von deutscher Polizei und türkischem Geheimdienst nicht länger
ertragen. Mit seiner Selbstverbrennung wollte er aber auch die menschenverachtende
Politik Deutschlands anklagen und das geringe Interesse, das dem
von der PKK entwickelten Friedensprojekt entgegengebracht wird.
Einen weiteren Keil versucht der deutsche Staat zwischen die Kurden
zu treiben. Die Polizei verteilt in Asylbewerberheimen oder Geschäften
Flugblätter, in denen "unsere lieben kurdischen Mitbürger"
aufgerufen werden, Landsleute zu bespitzeln und preiszugeben.
Die BRD zeigt wenig Bereitschaft, ihre Politik gegenüber den
Kurden zu verändern. Im letzten Jahr kündigte Schily an,
"die Logistik der PKK zerschlagen" zu wollen. Die PKK
wird zwar inzwischen nicht mehr als "terroristisch", sondern
"nur" noch als "kriminelll" eingestuft. Das
bedeutet in der Praxis allerdings, dass die Möglichkeiten der
Strafverfolgung dadurch erheblich erweitert wurden. Es kann jede
Kurdin und jeden Kurden treffen, die oder der in irgendeiner Form
politisch aktiv ist. Wohnungsdurchsuchungen, Festnahmen, ED-Misshandlungen,
Ermittlungsverfahren, Anklagen, Verurteilungen zu Gefängnisstrafen
oder zu teilweise immensen Geldstrafen - ist bittere Alltagserfahrung
der kurdischen Bevölkerung in diesem Land. Für ein "Ich
bin PKK" wurde ein kurdischer Jugendliche beispielsweise zu
einer Strafe von 2.100 DM verurteilt.
Oder: Eine Kurdin musste über 9.000 DM zahlen, weil sie zum
Internationalen Frauentag Flugblätter verteilt hatte, in denen
die Frauen der Befreiungsbewegung gegrüßt wurden.
Nach wie vor werden mutmaßliche PKK-FunktionärInnen
auch über die Grenzen Deutschlands verfolgt, weil sie 1996
an Autobahnblockaden beteiligt oder dafür verantwortlich gewesen
sein sollen. In den letzten Monaten gab es auf Veranlassung des
Generalbundesanwalts eine Reihe von Verhaftungen. Den KurdInnen
wird vorgeworfen, "illegale Strukturen" der PKK aufrecht
erhalten zu haben durch ein sogenanntes "Heimatbüro"
- laut Bundesanwaltschaft die Logistikzentrale der PKK.
Vor dem Hintergrund der rechtswidrigen Verschleppung des PKK-Vorsitzenden
in die Türkei, eines von der PKK vorgelegten umfangreichen
Friedensprojektes und der Beendigung des bewaffneten Kampfes, ist
die starre Haltung Deutschlands anachronistisch.
Bundesinnenminister Schily zeigt sich von der neuen Entwicklung
recht unbeeindruckt. Ende Januar erklärt er: "Die Bundesregierung
hält unverändert am Verbot der PKK fest. Erkenntnisse,
die eine andere Beurteilung rechtfertigen, liegen der Bundesregierung
nicht vor."
Es bleibt also dabei: Das sogenannte PKK-Verbot wird es weiterhin
in nur zwei Staaten geben: Der Türkei und der BRD. Damit dokumentieren
sie ihr Desinteresse an einer friedlichen Entwicklung und einer
politischen Lösung des Kurdistan-Konflikts. Es ist Heuchelei,
wenn die Bundesregierung die Türkei auffordert, die Rechte
der Kurden zu respektieren, ihnen aber im eigenen Land das Recht
auf Versammlungs-, Meinungs- und Demonstrationsfreiheit vorenthält.
Einen Teil der deutschen Linken scheint das alles herzlich wenig
zu interessieren. Sie ist derweil mehr damit beschäftigt, vom
sicheren und wohligen Standort Schreibtisch aus die Dinge zu bewerten.
Besserwisserisch und arrogant wird angegriffen, selektiert in gute
und schlechte Befreiungsbewegungen. Statt Verbindendes zu suchen,
wird Abgrenzung propagiert. Das Ganze nennt sich "kritische
Auseinandersetzung" mit der PKK. Wir bezeichnen das als Entsolidarisierung
und den Versuch, die kurdische Bewegung zu diskreditieren und zu
denunzieren.
Die Folge davon ist, dass es vorwiegend den KurdInnen überlassen
bleibt, Widerstand zu leisten gegen Kriminalisierung und Repression
Unter diesen idealen Bedingungen kann der Staat unbehelligt und
in großer Ruhe handeln.
Seien wir aufmerksam: Ein Entwurf zur Verschärfung und Ausweitung
der §§ 129 und 129 a liegt in den Regierungsschubladen.
Der politische Verfolgungsparagraf soll danach künftig auch
für "Vereinigungen in einem Mitgliedsstaat der EU"
gelten und europaweit angewandt werden können. Das können
und dürfen wir nicht zulassen.
Wir fordern Euch alle auf, sich einzumischen und einzusetzen für
· die Aufhebung des PKK-Verbots
· die Freilassung aller politischen Gefangenen
· die Einstellung der politischen Verfahren und
· ein Ende der menschenverachtenden Abschiebepolitik
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