AZADI RECHTSHILFEVEREIN
            für Kurdinnen und Kurden in Deutschland


Offener Brief
 
Köln, den 23. November 2000

An den
Bundesminister des Innern
Herrn Otto Schily
Alt Moabit 101 d

11014 Berlin

Sehr geehrter Herr Minister,

am 26.November 2000 erließ Ihr Amtsvorgänger Manfred Kanther das Betätigungsverbot für PKK und ERNK, wovon gleichermaßen eine Reihe kurdischer Organisationen und Medien betroffen war. Dieses Verbot hat tief in das Alltagsleben der Kurdinnen und Kurden eingegriffen. Bis heute machen sie die bittere Erfahrung, dass die politisch Verantwortlichen in der Bundesrepublik weitaus mehr Energie auf Kriminalisierung, Diskriminierung und Strafverfolgung der kurdischen Bevölkerung verwenden, als deren dramatische Realität und die Hintergründe ihrer Flucht ins europäische Exil zu beleuchten und anzuerkennen.
Wenn diese wie auch die vorherige Bundesregierung argumentiert, dass in erster Linie die Fluchtursachen in den Heimatländern der Asylsuchenden bekämpft werden müssen, ist das zweifellos ein richtiger Ansatz. Doch bleibt eine solche Aussage reines Lippenbekenntnis, wenn gleichzeitig - wie im Falle der Türkei - Rüstungsgüter in erheblichem Umfang an dieses NATO-Partnerland geliefert und diese vom türkischen Militär gegen die kurdische Bevölkerung eingesetzt werden. Erst kürzlich wurde bekannt, dass die Bundesregierung im Jahre 1999 Neubewilligungen für Kriegswaffenexporte im Wert von 5,9 Milliarden DM erteilt hat, wovon ein Drittel auf die Türkei entfiel und sie somit wichtigstes Empfängerland war.

Obwohl die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) am 1. September 1999 ihren 15-jährigen bewaffneten Kampf auf türkischem Territorium eingestellt hat, um eine politische demokratische Lösung der Kurdenfrage zu ermöglichen, führt das türkische Militär nach wie vor seinen Krieg gegen die Volksverteidigungskräfte der PKK auf südkurdischem Gebiet (Nordirak) fort. Unvermindert gehen türkische Polizei- und Sicherheitskräfte gegen Politiker/innen der pro-kurdischen Partei HADEP vor. Sie werden massiv an der Ausübung ihrer politischen Mandate gehindert, verhaftet, gefoltert oder zu Haftstrafen verurteilt wie jüngst der HADEP-Vorsitzende Turan Demir. Der Vorwurf ist stets der gleiche: "Separatismus" und Zusammenarbeit mit der "terroristischen" PKK.

Es hat den Anschein, dass starke Kräfte in der Türkei nicht an einer demokratischen Entwicklung und einem friedvollen und gerechten Zusammenleben von türkischen und kurdischen Menschen interessiert sind. Zu viele wollen offenbar als Profiteure des Krieges ihre Pfründe und ihren Einfluss nicht aufgeben und versuchen deshalb, durch permanente Provokationen gegenüber den Kurden den Konflikt zu schüren, um so ihr Handeln legitimieren zu können.

Hatten Ende 1998, als der PKK-Vorsitzende Abdullah Öcalan in Rom weilte, Bundeskanzler Gerhard Schröder, Außenminister Fischer, der italienische Ministerpräsident d'Alema und Außenminister Dini noch zugesagt, sich für eine europäische Initiative zur Lösung der Kurdenfrage stark zu machen, ist bis zum heutigen Tage nichts geschehen.
Anlässlich der jüngsten Reise des Bundeskanzlers nach Israel bzw. in die palästinensischen Gebiete betonte dieser, sich für das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes nach wie vor einsetzen zu wollen. Was aber hindert diese Bundesregierung, in ähnlicher Deutlichkeit den Versprechungen auch Taten in Bezug auf das kurdische Volk folgen zu lassen?

Indem die Bundesregierung das Betätigungsverbot für die PKK aufrecht erhält, stärkt sie letztendlich auch die reaktionären und demokratiefeindlichen Kräfte in der Türkei, die sich jeder leisesten Reform und jedem vorsichtigen Annähern an die kurdische Bevölkerung und ihren Interessen widersetzen. Es sind z.B. auch jene, die erst dann über die Abschaffung der Todesstrafe diskutieren wollen, wenn sie den PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan haben hinrichten lassen.

Dringend erforderlich sind ernsthafte Initiativen und Bemühungen, endlich die betonierten Fronten aufzubrechen. Dazu gehört politischer Wille und die Einsicht in Vernunft und auch Menschlichkeit. Dies gilt für die Türkei ebenso wie für die Bundesrepublik Deutschland. Es darf nicht weiterhin gelten, dass die militärisch-ökonomischen Interessen einen gewichtigeren Stellenwert in dem deutsch-türkischen Verhältnis einnehmen als die Suche nach Lösungswegen in dem letztlich seit über 70 Jahren währenden Kurdistankonflikt, der schon so unendlich viel Leid und Zerstörung gebracht hat.


Wir fordern Sie auf, der Kriminalisierung der kurdischen Bevölkerung in der Bundesrepublik ein Ende zu bereiten und statt dessen den Menschen die politische und kulturelle Entfaltung zu ermöglichen - offen und demokratisch, jenseits von Polizei- und Strafrecht, Erniedrigung und Einschüchterung.


Mit freundlichen Grüßen

Monika Morres
Vorstandsmitglied des Vereins AZADI e.V.


 


 
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