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Interview mit den
Rechtsanwälten Roland Meister (Essen) und Rainer Ahues (Hannover).
Sie verteidigen Sait Hasso vor dem Oberlandesgericht in Düsseldorf
gegen den Vorwurf, Mitglied einer "kriminellen Bande"
zu sein. Der Prozess begann am 29. Januar und soll mehrere Monate
dauern.
Das Interview führte Karin Leukefeld für
die Tageszeitung Junge Welt (erschienen in gekürzter Fassung
am 8.2.2001)
Herr Ahues, welche Vorwürfe werden Ihrem Mandanten
Sait Hasso vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf gemacht?
Rainer Ahues: Herr Hasso ist der Mitgliedschaft
in einer kriminellen Vereinigung angeklagt, dem sog. "Heimatbüro".
Er soll Urkunden gefälscht und Ausländer eingeschleust
haben, das war die Ursprungsanklage. Im Eröffnungsbeschluss
wurde das um den Vorwurf des "bandenmäßigen Einschleusens"
angereichert. Dabei ging es um eine bestimmte Person, die in Berlin
im Asylverfahren als politischer Flüchtling nach der Genfer
Konvention anerkannt wurde.
Wie sind die Haftbedingungen Ihres Mandanten?
Rainer Ahues: Herr Hasso ist seit etwa Mitte
Januar in der JVA Düsseldorf, seitdem haben sich seine Haftbedingungen
dramatisch verschlechtert. So etwas habe ich in meiner Verteidigertätigkeit
noch nicht erlebt. Angeblich soll er erklärt haben, er lege
keinen Wert auf seine persönlichen Dinge und die könnten
in seinem ehemaligen Haftort Hannover verbleiben. Wer's glaubt wird
selig. Es ist völlig außer Frage, dass ein Gefangener,
der zum Prozeß 14 Tage vorher verlegt wird, natürlich
alle seine Unterlagen dabei haben möchte, auch haben muß.
Die Haftbedingungen in Düsseldorf sind derzeit schlecht und
wir versuchen, das zu verbessern.
Befindet sich Herr Hasso in Isolationshaft?
Rainer Ahues: Nein.
Herr Rechtsanwalt Meister, Sie haben Herrn Hasso
als Asylanwalt vertreten und haben zu Beginn dieses Verfahrens vor
dem OLG die Einstellung gefordert, warum?
Roland Meister: Sait Hasso ist ein kurdischer Politiker,
der aus der Türkei geflohen ist, weil er dort durch das türkische
Regime gesucht wird. Er hat hier Asylantrag gestellt. Der ist abgelehnt
worden mit der Begründung, dass man ihm die Geschichte nicht
glaubt. Gleichzeitig hat das Bundeskriminalamt gegen ihn als "Deutschlandkoordinator"
der PKK ermittelt. Er sei bereits in der Türkei illegal an
maßgeblicher Stelle für die PKK tätig gewesen. Interessant
ist, dass das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge, eine Behörde des Bundesinnenministeriums
des Inneren, vor der Entscheidung über den Asylantrag, durch
das BKA unterrichtet wurde, dass gegen Sait Hasso wegen PKK-Tätigkeiten
und des Verdachtes der Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt
wird. Das Bundesamt hat in klarem Wissen über diese Tatsache
den Asylantrag abgelehnt und die Abschliebung in die Türkei
angedroht. Wenn eine Behörde doppelgesichtig handelt, ist das
meiner Ansicht nach ein klarer Verstoss gegen das Rechtsstaatsprinzip
eines Verfahrenshindernisses. Außerdem soll Sait Hasso eine
kriminelle Vereinigung gebildet haben, die u.a. Menschen aus der
Türkei zur Flucht verholfen haben soll, bzw. dazu, ihre politische
Tätigkeit fortzusetzen. Eine Tätigkeit, die sowohl in
der Türkei als auch in Deutschland aufgrund des PKK-Betätigungsverbots
illegal ist. Das wird mit krimineller Bandentätigkeit gleichgesetzt.
Im Kern verstehe ich die Anklage als Angriff auf das Asylrecht und
die Rechtssituation politischer Flüchtlinge. Wenn Menschen
in ihren Heimatländern verfolgt werden, können sie jeweils
nur illegal nach Deutschland ausreisen.
Sie haben auch die Haftentlassung Ihres Mandanten
gefordert, welche Entscheidung hat der Senat des OLG Düsseldorf
getroffen?
Roland Meister: Dieser Prozess reiht sich ein
in die Kette von tausenden von Prozessen seit dem PKK-Betätigungsverbot
1993. Früher ging es in der Anklage um eine "terroristische
Vereinigung", inzwischen geht es um die Bildung einer "kriminellen
Vereinigung". Wir haben in den letzten 10 Monaten mehrere Verfahren
vor den Oberlandesgerichten Stuttgart, Berlin, Celle, München
gehabt. Die dort Angeklagten wurden wegen der Bildung und Teilnahme
einer "terroristischen Vereinigung" verurteilt. Das Strafmaß
lag zwischen 2 bzw. 2 Jahren und 8 Monaten. Sait Hasso ist wegen
der Bildung einer "kriminellen Vereinigung" angeklagt.
Allein unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit
- d.h. ein niedrigerer Anklagevorwurf und eine fast einjährige
Untersuchungshaft - ist seine Haftentlassung erforderlich. Das Gericht
hat das heute (5.2.2001) abgelehnt. Offensichtlich soll auf ihn
Druck ausgeübt werden, die letztlich auch seine politische
Identität betrifft.
Rainer Ahues: Der Haftentlassungsantrag war
zudem gerechtfertigt, weil wir es hier mit einem verstaubten Relikt
der politischen Verfolgung zu tun haben, nämlich dem §
129. Dieser Paragraph ist sowohl aus rechtsstaatlichen als auch
aus strafrechtlich-dogmatischen Gesichtspunkten außerordentlich
bedenklich. Hier wird eine bestimmte Zugehörigkeit zu einer
Organisation, die sich meistens über gedankliche Gemeinsamkeiten
ergibt, zum Anlaß genommen, eine "kriminelle Vereinigung"
zu konstruieren, die Urkunden fälschen und Leute einschleusen
soll. Wenn man den Vorwurf der "kriminellen Vereinigung"
wegnehmen würde, bliebe der Vorwurf der Urkundenfälschung.
Wir haben aber keine einzige falsche Urkunde in diesen Akten.
Sie haben heute erneut den Antrag gestellt, dass
Ihrem Mandanten, für den türkisch eine Fremdsprache ist,
die Übersetzung des Verfahrens in kurdischer Sprache genehmigt
wird. Warum sperrt sich das Gericht dagegen?
Roland Meister: Inzwischen steht auch für
das OLG Düsseldorf eindeutig fest, dass türkisch und kurdisch
zwei Sprachen sind. Sait Hasso spricht Kurmanci, das hat er auch
in seinem Asylverfahren deutlich gemacht. Wir haben das Gericht
im Vorfeld des Verfahrens darauf hingewiesen und gingen davon aus
- zumal es dutzende guter kurdischer Dolmetscher gibt - dass selbstverständlich
der Prozess für den Angeklagten in die kurdische Sprache übersetzt
wird. Die Weigerung des Gerichts erfolgte mit der Begründung,
er könne ebenso gut türkisch wie kurdisch. Trotzdem rückt
das Gericht diese Frage immer wieder in den Mittelpunkt. Warum?
Einerseits soll der Angeklagte demoralisiert werden, aber es soll
auch von dem Hauptverlauf der Verhandlung abgelenkt werden. Weder
die Verteidigung noch der Angeklagte werden sich darauf einlassen.
Rainer Ahues: Das Gericht hat sich heute angemaßt,
feststellen zu können, der Angeklagte verstehe soviel türkisch,
dass er der Hauptverhandlung folgen kann. Wie? Es wurden zwei Leute
aus dem Knast geholt, mit denen er irgendwann mal in türkisch
gesprochen hat Das Gericht ist in alten patriaralischen Vorstellungen
preussischer Art gefangen, wenn es z.B. sagt, es mache nichts, wenn
Sait Hasso nur die türkische Umgangssprache, nicht aber die
feine juristische Sprache verstehe. Das sei bei Deutschen ja auch
nicht anders.
Wie sind Ihre Arbeitsbedingungen in diesem Prozeß?
Rainer Ahues: Unsere wesentlichen Verteidigungsunterlagen
sind die Akten. Im Wesentlichen stützt sich dieses Verfahren
auf umfangreiche Telefonüberwachungsprotokolle, die auf verschiedenen
technischen Geräten analog und digital aufgezeichnet wurden.
Es ist enorm wichtig, sich die Originalgespräche mit einem
eigenen Dolmetscher anhören zu können. Nur so können
wir prüfen, was da wirklich gesprochen worden ist. Das Gericht
vertrat allerdings zunächst die Auffassung, die Verteidigung
habe darauf keinen Anspruch und müsse die beglaubigten Übersetzungsurkunden
akzeptierren. Inzwischen wurde das geändert, so dass wir Verteidiger
die Originalmitschnitte anhören können. Allerdings müssen
wir uns in die Räume des Bundeskriminalamtes begeben, was die
Sache sehr erschwert. Je komplizierter und umfassender die Überwachungstechnik
wird, umso komplizierter wird es, diese Originale den Prozeßbeteiligten
zur Verfügung zu stellen. Auch das Gericht hat nicht die Originale,
die hat nur das BKA. Die Ermittlungsbehörde beherrscht also
nicht nur das Ergebnis ihrer Ermittlungen, sondern auch die Anklageschrift
und das Urteil. Und die Ermittlungsbehörde behält die
überprüfbaren Fakten für sich. Mit technischen Argumenten
werden die Verteidigerrechte immer mehr eingeschränkt.
Roland Meister: Das ganze Vorgehen macht deutlich,
dass die Überwachung der Menschen, die Bespitzelung immer massiver
wird. Derartige Verfahren werden auch dafür benutzt, um demokratische
Rechte weiter einzuschränken. Die enorme Zunahme von Telefonüberwachungen
hängt nicht nur mit Rauschgiftkriminalität oder Waffenschieberei
zusammen. Sie hat sehr viel mit politischen Verfahren zu tun, wie
hier gegen mutmaßliche Angehörige der PKK. Das in diesem
Prozeß bekannt gewordene Ausmaß an Telefonüberwachungen,
war vor einigen Jahren noch nicht vorstellbar. Auch nicht, wie eilfertig
Gerichte derartige Maßnahmen genehmigen.
Wie wird es mit dem Prozess gegen Sait Hasso weitergehen?
Roland Meister: In diesem Prozess geht es insbesondere
um das Betätigungsverbot gegenüber der PKK von 1993. Sait
Hasso wird das zum Gegenstand seiner Verteidigung machen. Das Verbot
war tatsächlich eine einschneidende Maßnahme, die in
ihrem Umfang von der demokratischen Öffentlichkeit nicht wahrgenommen
wurde. Unter dem Aspekt demokratischer Rechte und Freiheiten. für
politische Bewegungen in Deutschland, sind die Auswirkungen des
Verbots vielleicht mit dem KPD-Verbot von 1956 zu vergleichen. Das
Verfahren gegen Sait Hasso soll das PKK-Betätigungsverbot bestätigen,
während gleichzeitig das Betätigungsverbot die Grundlage
für so ein Verfahren ist. Ohne solche Prozesse könnten
die Kurden hier in Deutschland ihre Politik machen, sich versammeln,
sie bräuchten keine illegalen konspirativen Strukturen. Das
Konstrukt der "kriminellen Vereinigung" bezieht sich in
diesem Verfahren darauf, dass es eine Organisation gibt, die Paßfälschungen
begeht und illegal hilft, dass Menschen aus anderen Ländern
nach Deutschland fliehen können. Bei den Prozessen im letzten
Jahr konnten wir feststellen, daß der Vorwurf der kriminellen
Vereinigungen immer weiter ausgedehnt worden ist. Wir haben in Deutschland
eine beeindruckende Bewegung gegen den neofaschistischen Terror,
die sich auch gegen Abschiebungen und für ein klares Asylrecht
einsetzt. Es gibt viele Menschen, die bewußt denjenigen helfen,
die illegal hier sind. Man muß verstehen, das dieser Prozeß
sich auch gegen solche Bewegungen richtet und deren Kriminalisierung
befördert.
Rainer Ahues: Lassen Sie mich folgendes hinzufügen:
Das Verrückte in diesem Verfahren ist, dass wir in einem Staatsschutzsenat
sind, der ja den Staat schützen soll, und sei es auch nur vor
irgendwelchen eingebildeten Angriffen. Die PKK will den deutschen
Staat aber gar nicht angreifen. Ihr Ziel ist, in der Türkei
eine politische und demokratische Lösung zu entwickeln. In
der BRD will sie legale politische Aktionen entwickeln. Darum wird
Sait Hasso also in diesem Prozeß das Betätigungsverfahren
gegen die PKK zum Gegenstand machen. Unser Mandant sieht in dem
Verfahren die günstige Gelegenheit, seine Auffassung von der,
von ihm so bezeichneten, Friedensphase der PKK in seinen Stellungnahmen
deutlich zu machen. Insgesamt hoffe ich, dass der Staat, diese Abteilung
des Staates, die ausgestreckte Hand annimmt.
Weitere Informationen zum Prozeß gegen Sait
Hasso und die Kriminalisierung von Kurden und Kurdinnen in Deutschland
bei AZADI e.V.Köln, 0221-9234497 oder www.nadir.org/azadi/
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