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Mit dem PKK-Verbot ist das Kurdistan-Problem nicht zu lösen
Als Folge des
seit 1993 bestehenden Betätigungsverbotes für die PKK,
bekamen auch im vergangenen Jahr wieder zahlreiche kurdische Aktivist(inn)en
die unnachgiebige Haltung der bundesdeutschen Strafverfolgungsbehörden
zu spüren. So konnte AZADI allein im vergangenen Jahr 11 Verhaftungen,
71 Festnahmen und 175 Razzien in Vereinen und Privatwohnungen registrieren.
Weiter wurden Haftstrafen in einem Gesamtumfang von 59 Jahren und
9 Monaten sowie Bewährungsstrafen von insgesamt 10 Jahren und
4 Monaten verhängt. Ende November 2000 befanden sich zudem
immer noch 45 kurdische politische Gefangene in bundesdeutschen
Haftanstalten. Bei allen Angaben muss allerdings berücksichtigt
werden, dass es sich bei diesen Zahlen nur um jene Fälle handelt,
die uns bekannt geworden sind; die Dunkelziffer dürfte bei
weitem höher liegen. Dies gilt auch für die Zahl laufender
Ermittlungsverfahren oder ausgestellter Strafbefehle, über
die wir keine konkreten Angaben machen können.
Prozesseröffnungen
zum Jahresbeginn 2001
Für eine
Reihe kurdischer Politiker und Aktivisten begann das neue Jahr mit
der Eröffnung ihrer Prozesse, auf die wir im Folgenden etwas
näher eingehen möchten. Die Verfahren beziehen sich vorwiegend
auf den Vorwurf der Mitgliedschaft in einer "terroristischen"
oder "kriminellen" Vereinigung (§§ 129, 129
a Strafgesetzbuch), auf Verstöße gegen das Vereinsgesetz
(Sammeln von Spenden u. a.) oder auf Land- und Hausfriedensbruch,
vor allem wegen der Besetzungen von Botschaften und Parteibüros
im Februar 1999 nach der völkerrechtswidrigen Verschleppung
des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan aus Kenia in die Türkei.
Halat K.
Während
einer Diskussionsveranstaltung im Mannheimer "Kulturzentrum
Kurdistans e.V." am 23. März 2000 über die politische
Lage in der Türkei und in Kurdistan, erstürmte ein Großaufgebot
der Polizei die Räume des Vereins und nahm Halat K. sowie zahlreiche
andere Personen fest. Während die meisten Festgenommenen später
wieder frei gelassen wurden, kam Halat K. in Untersuchungshaft in
die JVA Lüneburg. Ihm wird vom Generalbundesanwalt (GBA) vorgeworfen,
"als hochrangiger PKK-Funktionär" Mitglied in einer
"terroristischen beziehungsweise kriminellen Vereinigung"
(§§ 129, 129 a StGB) gewesen zu sein. Er soll in einem
bestimmten Zeitraum in den Jahren 1995, 98 und 99 als Verantwortlicher
verschiedene Regionen der BRD geleitet und ferner "dem europäischen
Führungsgremium der PKK" angehört haben. Weiterhin
sei er für "drei Brandanschläge im März 1995
auf türkische Einrichtungen" verantwortlich gewesen.
Am 9. Januar
wurde das Hauptverfahren gegen Halat K. vor dem Oberlandesgericht
Celle eröffnet. Die Beweisaufnahme bestand vornehmlich in der
Verlesung einer Liste des Bundeskriminalamtes (BKA) über sämtliche
Besetzungsaktionen nach der Verschleppung des PKK-Vorsitzenden im
Februar 1999, ohne jedoch einen direkten Bezug zu dem Angeklagten
herzustellen. Des weiteren ging es um beschlagnahmtes Material aus
verschiedenen Hausdurchsuchungen, mit dem Struktur und Arbeitsweise
der Regionen veranschaulicht werden sollte. Außerdem führten
die Richter 15 Urteile aus den letzten Jahren gegen andere mutmaßliche
PKK-Funktionäre in den Prozess ein, die sich dadurch auszeichnen,
in Urteil und Anklageschrift nahezu identisch zu sein.
Am 31. Januar gab Halat K. eine erste Erklärung ab, in der
er auf die politischen Hintergründe für das PKK-Verbot
und die weitreichenden Folgen für die Kurd(inn)en in der BRD
einging. Weitere Schwerpunkte seiner Ausführungen bildeten
die Rolle der PKK in Kurdistan, die Politik der Türkei und
die neue Phase der Partei. Wann der Prozess beendet sein wird, lässt
sich derzeit nicht prognostizieren.
Abdullah
Ö.
Abdullah Ö.
wurde am 5. Oktober 1999 aufgrund eines internationalen Haftbefehls
in Paris festgenommen und war dort bis zu seiner Auslieferung in
die BRD inhaftiert. Nach Aussagen des Landeskriminalamtes Sachsen
soll der 37-Jährige die Besetzung des griechischen Generalkonsulats
in Leipzig im Februar 1999 angeordnet haben. Der Protest der Kurd(inn)en
nach der Verschleppung des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan
aus Kenia in die Türkei zielte seinerzeit gegen jene Staaten,
die mit Waffen, Worten und Geld den türkischen Staat in seinem
Krieg gegen das kurdische Volk unterstützen. Es waren die NATO-Staaten,
die sich dagegen entschieden hatten, zur Lösung des Kurdistan-Konfliktes
einen internationalen Verhandlungsprozess einzuleiten - wie vom
Vorsitzenden der PKK im November 1998 in Italien vorgeschlagen.
Auch die rot/grüne Bundesregierung verweigerte den von kurdischer
Seite herangetragenen Vorschlägen jegliche Unterstützung.
Die Botschaft an die Kurd(inn)en war, dass die internationale Staatengemeinschaft
weiterhin dem türkischen Generalstab die Lösung des Kurdistanproblems
überlassen will.
Abdullah Ö. wurde ferner vorgeworfen, Regionsverantwortlicher
der PKK für Berlin und Sachsen gewesen zu sein und in dieser
Funktion Aktivitäten der in der BRD verbotenen PKK koordiniert
zu haben.
Das Landgericht Dresden verurteilte den "hochrangigen Funktionär"
in seinem Prozess am 23. Januar 2001 wegen Anstiftung zur Besetzung
des Konsulats und Geiselnahme zu einer Freiheitsstrafe von drei
Jahren. Die Richter werteten es in ihrer Urteilsbegründung
als positiv, dass sich der Angeklagte der neuen friedenspolitischen
Strategie der PKK, ihre Ziele mit diplomatischen Mitteln und dem
Verzicht auf Gewalt zu verfolgen, angeschlossen habe. Da Abdullah
Ö. mehr als die Hälfte des Strafmaßes in Frankreich
in Auslieferungshaft gesessen hatte, wurde die Reststrafe zur Bewährung
ausgesetzt und der Haftbefehl aufgehoben.
Sait
H.
Sait H. wurde
am 30. März 2000 an der niederländisch-deutschen Grenze
aufgrund eines Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs
vom 2. März und kurz nach dem ablehnenden Asylbescheid des
Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge
festgenommen. Er befindet sich seither in Untersuchungshaft in der
JVA Hannover bzw. derzeit in Düsseldorf.
Der Generalbundesanwalt (GBA) wirft Sait H. vor, als "mutmaßlicher
Deutschlandkoordinator der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei
PKK" Mitglied in einer "kriminellen Vereinigung"
(§ 129 StGB) gewesen zu sein und der "Europäischen
Frontzentrale" angehört zu haben. Ferner soll er als "hauptamtlicher
Kader und hochrangiger Funktionär" die "kriminellen
Aktivitäten der PKK in Deutschland" gesteuert haben, "wie
zum Beispiel die Fälschung von Ausweispapieren und Schleusungen".
Sein Hauptverfahren wurde am 29. Januar vor der Staatsschutzkammer
des Oberlandesgerichts in der Düsseldorfer Tannenstraße
eröffnet. Diese "Nebenstelle" des Gerichts, eine
ehemalige Polizeikaserne, wurde 1988 eigens für den größten
Prozess in der Geschichte der deutschen Strafjustiz für 8,5
Millionen DM bombensicher und unterirdisch umgebaut. Angeklagt waren
hier seinerzeit 19 PKK-Anhänger wegen Mitgliedschaft in einer
"terroristischen Vereinigung" innerhalb der PKK. Der Prozess
endete am 7.3.1994 mit der Verurteilung von vier Angeklagten. Auch
in den Folgejahren standen in diesem Gebäude kurdische Politiker/innen
vor Gericht.
Anträge der Verteidigung, das Verfahren einzustellen und Sait
H. aus der Haft zu entlassen, wurden ebenso abgewiesen wie der Antrag,
die Übersetzung für den Angeklagten in kurdischer statt
in der türkischen Sprache zu gewährleisten. Das Gericht
wies die Einstellung des Verfahrens wegen fehlender Verfahrenshindernisse
ab. Der Angeklagte stehe nicht in erster Linie wegen Ausweisfälschungen
vor Gericht, sondern wegen seiner Zugehörigkeit zum "Heimatbüro",
in dessen Rahmen ihm verschiedene Straftaten vorgeworfen würden.
Die Fortdauer der U-Haft sei nach Meinung des Vorsitzenden Richters
Breitling u. a. deshalb verhältnismäßig, weil der
Angeklagte bisher zu keinerlei Aussagen bereit gewesen sei und außerdem
Fluchtgefahr bestünde. Zur Übersetzungsfrage äußerte
er, dass die Haltung des Angeklagten, auf der kurdischen Sprache
zu bestehen, Ausdruck seiner patriotischen Haltung und der Tatsache
sei, sich nicht in der Sprache der Unterdrücker verständigen
zu wollen. Dies werte er als Demonstration; ein Recht auf kurdische
Übersetzung der Verhandlung habe er jedoch nicht.
Bis zum heutigen Tage ist das Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge bzw. das Bundesinnenministerium
nicht bereit, dem Angeklagten politisches Asyl zu gewähren,
obgleich er durch die türkischen Sicherheitskräfte gesucht
wird und er hier wegen seiner politischen Betätigung für
die PKK vor Gericht steht. Eine legale Ausreise aus der Türkei
wäre für ihn nicht möglich gewesen. Nach Auffassung
seines Anwalts verstößt die deutsche Regierung mit ihrer
ablehnenden Haltung gegen Artikel 31 der Genfer Flüchtlingskonvention.
Nach diesem Abkommen hat sich auch die BRD verpflichtet, "wegen
unrechtmäßiger Einreise... keine Strafen gegen Flüchtlinge
zu verhängen, die unmittelbar aus einem Gebiet kommen, in dem
ihr Leben oder ihre Freiheit bedroht waren..." Diese Situation
trifft auf viele kurdische Aktivist(inn)en zu.
Das
Heimatbüro als Kriminalisierungsinstrument
In allen Verfahren
wegen des § 129 StGB wird den Betroffenen vom GBA unterstellt,
Mitglieder einer "kriminellen Vereinigung" unter der Bezeichnung
"Heimatbüro" zu sein. Mit dieser "logistischen
Zentrale der PKK" sollen im Auftrag der Parteiführung
die Strukturen der Organisation aufrecht erhalten werden. Nach Meinung
der deutschen Sicherheitsbehörden zählt hierzu u. a. das
Organisieren der Reisen von Kadern und Kurieren, das Einschleusen
von Personen und Fälschen von Ausweisdokumenten. Das Heimatbüro
ist allerdings nicht ein real existierendes Büro mit Computer
und Schreibtisch, sondern eine lokal nicht gebundene Organisationseinheit
aus wenigen Personen. Die Verfahren des anfangs eng begrenzten Personenkreises
sind abgeschlossen, die meisten zu Haftstrafen Verurteilten inzwischen
aus der Haft entlassen. Allerdings wurde von Seiten der Bundesanwaltschaft
der Kreis der "Heimatbüro"-Verdächtigten ohne
Begründungen ständig vergrößert, so dass einige
kurdischen Politiker - darunter eine Frau - deshalb jetzt entweder
in Straf- oder U-Haft sitzen. Ein Teil der Prozesse wurde nun eröffnet,
weitere werden in den nächsten Monaten beginnen. Die bereits
abgeschlossenen und derzeit laufenden Verfahren belegen den konsequenten
Willen, das PKK-Verbot durchzusetzen und so Struktur und Logistik
der Organisation mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln
zu zerschlagen. Das macht u. a. die umfassende Überwachung
der Betroffenen und den immensen Umfang abgehörter Telefongespräche
deutlich. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Behörden
jeden Schritt von bestimmten Kurd(inn)en, die in die BRD einreisen
und Asyl beantragen, von Anfang an observieren im Hinblick auf ihre
möglichen politischen Aktivitäten. Es ist wahrscheinlich,
dass türkische und deutsche Geheimdienste entsprechende Daten
und Erkenntnisse austauschen, um auf diese Weise die politische
Verfolgung kurdischer Politiker/innen auf deutschem Boden fortzusetzen.
Rechtsanwalt
Roland Meister, Verteidiger von Sait H., erklärte in einem
seiner Anträge, dass sich dieses Verfahren einreiht "in
die durchgehende Militärhilfe durch die deutschen Regierungen
- von Helmut Schmidt (SPD) über Helmut Kohl (CDU) zur jetzigen
SPD/Grünen-Regierung -, das Betätigungsverbot gegen die
PKK, eine umfassende Überwachung und Kriminalisierung der kurdischen
Exilopposition, der Asyl- und Abschiebepraxis und nicht zuletzt
auch in das internationale Komplott vor allem der NATO-Geheimdienste
zur Entführung des PKK-Generalsekretärs Abdullah Öcalan".
AZADI fordert
die sofortige Aufhebung des Betätigungsverbots für die
PKK, das die kurdische Exilbevölkerung, ihre Vereine und Aktivitäten
in diesem Land quasi unter Ausnahmerecht stellt. Das Verbot ist
und bleibt ein Eingriff in die elementaren Grundrechte wie der Meinungs-,
Presse- und Versammlungsfreiheit.
Es
bleiben Fragen an die Linke in der BRD
Bundesregierung
und Strafverfolgungsbehörden können die Kriminalisierung
der kurdischen Bevölkerung in der BRD indes geruhsam und ungestört
fortsetzen. Sie findet quasi unter Ausschluss insbesondere auch
der linken Öffentlichkeit statt. Kurdinnen und Kurden werden
weitestgehend mit ihren immensen Problemen als Folge der umfassenden
Repression allein gelassen. Auf Demonstrationen zeigen sich nur
wenige deutsche Linke mit den Anliegen der Kurd(inn)en solidarisch,
ebenso gering ist das Interesse an politischen Prozessen gegen kurdische
Angeklagte. Der 7. Jahrestag des PKK-Verbots im November 2000 war
keiner linken Zeitung eine Zeile wert, obwohl sich diese eigentlich
als Anwältinnen des (berechtigten) Widerstands gegen die herrschende
Politik verstehen. Liegt es daran, dass die Linke zu sehr auf sich
selbst konzentriert ist? Mensch kann sich des Eindrucks nicht erwehren,
dass, je geringer der Einfluss der Linken in der Gesellschaft wird,
die Tendenz zunimmt, sich voneinander abzugrenzen und Selbstbespiegelungen
ausgiebig gepflegt werden. Oder hat sich die Linke die Beliebigkeit
der "Moderne" angeeignet, in der heute das und morgen
das "in" ist? Findet heute Subcomandante Marcos die ungeteilte
Aufmerksamkeit der Linken, ist es morgen Mumia Abu Jamal, sind es
übermorgen die Aktivitäten der DHKP-C und der Kampf gegen
Nazis. Da bleibt offenbar keine Luft mehr für eine Unterstützung
der h i e r lebenden Kurd(inn)en. Liegt es möglicherweise genau
daran, dass sie zu nahe "dran" sind und eine PKK im Vergleich
zur deutschen Linken stark und in der Bevölkerung verankert
ist? Dass Aktivist(inn)en dieser Organisation für ihre politischen
Ziele auch die Konsequenzen tragen (müssen)? Ist es diese Nähe,
die linke Menschen von einer solidarischen Haltung fernhält?
Für diesen Fall haben viele die "kritische Solidarität"
entdeckt, die aber in weiten Teilen nicht kritisch, sondern entsolidarisierend,
spaltend und letztlich zerstörerisch daherkommt. Um nicht wirklich
von der kurdischen Bevölkerung in die Verantwortung genommen
zu werden für das, was dieser Staat ihr antut, flüchtet
sich die Mehrheit der Linken in eben diese vermeintliche Kritik
an der PKK, um gleichzeitig Angebote zur Auseinandersetzung auszuschlagen.
Sie bewertet und reagiert in dieser Hinsicht vom deutschen Standpunkt:
gründlich, arrogant, rechthaberisch, ausgrenzend.
Der nächste
Bericht des Verfassungsschutzes wird die "kritische" Haltung
eines Großteils der Linken mit Häme kommentieren, die
rot/grüne Bundesregierung kann getrost das PKK-Verbot beibehalten
und die bundesdeutschen Strafverfolgungsbehörden können
ungestört ihrem Geschäft nachgehen. Es darf nicht weiter
sein, dass die Kurd(inn)en in diesem miesen Spiel weiterhin mit
ihren Problemen allein gelassen werden. Wir fordern linke und demokratische
Menschen auf, sich der internationalen Solidarität zu besinnen,
diese mit Inhalt zu füllen und nicht mehr zuzulassen, dass
Menschen nichtdeutscher Herkunft hier diskreditiert und kriminalisiert
werden.
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