AZADI RECHTSHILFEFONDS
            für Kurdinnen und Kurden in Deutschland e.V.

Artikel zum 18. März - Aktionstag für die Freiheit der politischen Gefangenen

 

Mit dem PKK-Verbot ist das Kurdistan-Problem nicht zu lösen

Als Folge des seit 1993 bestehenden Betätigungsverbotes für die PKK, bekamen auch im vergangenen Jahr wieder zahlreiche kurdische Aktivist(inn)en die unnachgiebige Haltung der bundesdeutschen Strafverfolgungsbehörden zu spüren. So konnte AZADI allein im vergangenen Jahr 11 Verhaftungen, 71 Festnahmen und 175 Razzien in Vereinen und Privatwohnungen registrieren. Weiter wurden Haftstrafen in einem Gesamtumfang von 59 Jahren und 9 Monaten sowie Bewährungsstrafen von insgesamt 10 Jahren und 4 Monaten verhängt. Ende November 2000 befanden sich zudem immer noch 45 kurdische politische Gefangene in bundesdeutschen Haftanstalten. Bei allen Angaben muss allerdings berücksichtigt werden, dass es sich bei diesen Zahlen nur um jene Fälle handelt, die uns bekannt geworden sind; die Dunkelziffer dürfte bei weitem höher liegen. Dies gilt auch für die Zahl laufender Ermittlungsverfahren oder ausgestellter Strafbefehle, über die wir keine konkreten Angaben machen können.

Prozesseröffnungen zum Jahresbeginn 2001

Für eine Reihe kurdischer Politiker und Aktivisten begann das neue Jahr mit der Eröffnung ihrer Prozesse, auf die wir im Folgenden etwas näher eingehen möchten. Die Verfahren beziehen sich vorwiegend auf den Vorwurf der Mitgliedschaft in einer "terroristischen" oder "kriminellen" Vereinigung (§§ 129, 129 a Strafgesetzbuch), auf Verstöße gegen das Vereinsgesetz (Sammeln von Spenden u. a.) oder auf Land- und Hausfriedensbruch, vor allem wegen der Besetzungen von Botschaften und Parteibüros im Februar 1999 nach der völkerrechtswidrigen Verschleppung des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan aus Kenia in die Türkei.
Halat K.

Während einer Diskussionsveranstaltung im Mannheimer "Kulturzentrum Kurdistans e.V." am 23. März 2000 über die politische Lage in der Türkei und in Kurdistan, erstürmte ein Großaufgebot der Polizei die Räume des Vereins und nahm Halat K. sowie zahlreiche andere Personen fest. Während die meisten Festgenommenen später wieder frei gelassen wurden, kam Halat K. in Untersuchungshaft in die JVA Lüneburg. Ihm wird vom Generalbundesanwalt (GBA) vorgeworfen, "als hochrangiger PKK-Funktionär" Mitglied in einer "terroristischen beziehungsweise kriminellen Vereinigung" (§§ 129, 129 a StGB) gewesen zu sein. Er soll in einem bestimmten Zeitraum in den Jahren 1995, 98 und 99 als Verantwortlicher verschiedene Regionen der BRD geleitet und ferner "dem europäischen Führungsgremium der PKK" angehört haben. Weiterhin sei er für "drei Brandanschläge im März 1995 auf türkische Einrichtungen" verantwortlich gewesen.

Am 9. Januar wurde das Hauptverfahren gegen Halat K. vor dem Oberlandesgericht Celle eröffnet. Die Beweisaufnahme bestand vornehmlich in der Verlesung einer Liste des Bundeskriminalamtes (BKA) über sämtliche Besetzungsaktionen nach der Verschleppung des PKK-Vorsitzenden im Februar 1999, ohne jedoch einen direkten Bezug zu dem Angeklagten herzustellen. Des weiteren ging es um beschlagnahmtes Material aus verschiedenen Hausdurchsuchungen, mit dem Struktur und Arbeitsweise der Regionen veranschaulicht werden sollte. Außerdem führten die Richter 15 Urteile aus den letzten Jahren gegen andere mutmaßliche PKK-Funktionäre in den Prozess ein, die sich dadurch auszeichnen, in Urteil und Anklageschrift nahezu identisch zu sein.
Am 31. Januar gab Halat K. eine erste Erklärung ab, in der er auf die politischen Hintergründe für das PKK-Verbot und die weitreichenden Folgen für die Kurd(inn)en in der BRD einging. Weitere Schwerpunkte seiner Ausführungen bildeten die Rolle der PKK in Kurdistan, die Politik der Türkei und die neue Phase der Partei. Wann der Prozess beendet sein wird, lässt sich derzeit nicht prognostizieren.

Abdullah Ö.

Abdullah Ö. wurde am 5. Oktober 1999 aufgrund eines internationalen Haftbefehls in Paris festgenommen und war dort bis zu seiner Auslieferung in die BRD inhaftiert. Nach Aussagen des Landeskriminalamtes Sachsen soll der 37-Jährige die Besetzung des griechischen Generalkonsulats in Leipzig im Februar 1999 angeordnet haben. Der Protest der Kurd(inn)en nach der Verschleppung des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan aus Kenia in die Türkei zielte seinerzeit gegen jene Staaten, die mit Waffen, Worten und Geld den türkischen Staat in seinem Krieg gegen das kurdische Volk unterstützen. Es waren die NATO-Staaten, die sich dagegen entschieden hatten, zur Lösung des Kurdistan-Konfliktes einen internationalen Verhandlungsprozess einzuleiten - wie vom Vorsitzenden der PKK im November 1998 in Italien vorgeschlagen. Auch die rot/grüne Bundesregierung verweigerte den von kurdischer Seite herangetragenen Vorschlägen jegliche Unterstützung. Die Botschaft an die Kurd(inn)en war, dass die internationale Staatengemeinschaft weiterhin dem türkischen Generalstab die Lösung des Kurdistanproblems überlassen will.
Abdullah Ö. wurde ferner vorgeworfen, Regionsverantwortlicher der PKK für Berlin und Sachsen gewesen zu sein und in dieser Funktion Aktivitäten der in der BRD verbotenen PKK koordiniert zu haben.
Das Landgericht Dresden verurteilte den "hochrangigen Funktionär" in seinem Prozess am 23. Januar 2001 wegen Anstiftung zur Besetzung des Konsulats und Geiselnahme zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren. Die Richter werteten es in ihrer Urteilsbegründung als positiv, dass sich der Angeklagte der neuen friedenspolitischen Strategie der PKK, ihre Ziele mit diplomatischen Mitteln und dem Verzicht auf Gewalt zu verfolgen, angeschlossen habe. Da Abdullah Ö. mehr als die Hälfte des Strafmaßes in Frankreich in Auslieferungshaft gesessen hatte, wurde die Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt und der Haftbefehl aufgehoben.

Sait H.

Sait H. wurde am 30. März 2000 an der niederländisch-deutschen Grenze aufgrund eines Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 2. März und kurz nach dem ablehnenden Asylbescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge festgenommen. Er befindet sich seither in Untersuchungshaft in der JVA Hannover bzw. derzeit in Düsseldorf.
Der Generalbundesanwalt (GBA) wirft Sait H. vor, als "mutmaßlicher Deutschlandkoordinator der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK" Mitglied in einer "kriminellen Vereinigung" (§ 129 StGB) gewesen zu sein und der "Europäischen Frontzentrale" angehört zu haben. Ferner soll er als "hauptamtlicher Kader und hochrangiger Funktionär" die "kriminellen Aktivitäten der PKK in Deutschland" gesteuert haben, "wie zum Beispiel die Fälschung von Ausweispapieren und Schleusungen".
Sein Hauptverfahren wurde am 29. Januar vor der Staatsschutzkammer des Oberlandesgerichts in der Düsseldorfer Tannenstraße eröffnet. Diese "Nebenstelle" des Gerichts, eine ehemalige Polizeikaserne, wurde 1988 eigens für den größten Prozess in der Geschichte der deutschen Strafjustiz für 8,5 Millionen DM bombensicher und unterirdisch umgebaut. Angeklagt waren hier seinerzeit 19 PKK-Anhänger wegen Mitgliedschaft in einer "terroristischen Vereinigung" innerhalb der PKK. Der Prozess endete am 7.3.1994 mit der Verurteilung von vier Angeklagten. Auch in den Folgejahren standen in diesem Gebäude kurdische Politiker/innen vor Gericht.
Anträge der Verteidigung, das Verfahren einzustellen und Sait H. aus der Haft zu entlassen, wurden ebenso abgewiesen wie der Antrag, die Übersetzung für den Angeklagten in kurdischer statt in der türkischen Sprache zu gewährleisten. Das Gericht wies die Einstellung des Verfahrens wegen fehlender Verfahrenshindernisse ab. Der Angeklagte stehe nicht in erster Linie wegen Ausweisfälschungen vor Gericht, sondern wegen seiner Zugehörigkeit zum "Heimatbüro", in dessen Rahmen ihm verschiedene Straftaten vorgeworfen würden. Die Fortdauer der U-Haft sei nach Meinung des Vorsitzenden Richters Breitling u. a. deshalb verhältnismäßig, weil der Angeklagte bisher zu keinerlei Aussagen bereit gewesen sei und außerdem Fluchtgefahr bestünde. Zur Übersetzungsfrage äußerte er, dass die Haltung des Angeklagten, auf der kurdischen Sprache zu bestehen, Ausdruck seiner patriotischen Haltung und der Tatsache sei, sich nicht in der Sprache der Unterdrücker verständigen zu wollen. Dies werte er als Demonstration; ein Recht auf kurdische Übersetzung der Verhandlung habe er jedoch nicht.
Bis zum heutigen Tage ist das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge bzw. das Bundesinnenministerium nicht bereit, dem Angeklagten politisches Asyl zu gewähren, obgleich er durch die türkischen Sicherheitskräfte gesucht wird und er hier wegen seiner politischen Betätigung für die PKK vor Gericht steht. Eine legale Ausreise aus der Türkei wäre für ihn nicht möglich gewesen. Nach Auffassung seines Anwalts verstößt die deutsche Regierung mit ihrer ablehnenden Haltung gegen Artikel 31 der Genfer Flüchtlingskonvention. Nach diesem Abkommen hat sich auch die BRD verpflichtet, "wegen unrechtmäßiger Einreise... keine Strafen gegen Flüchtlinge zu verhängen, die unmittelbar aus einem Gebiet kommen, in dem ihr Leben oder ihre Freiheit bedroht waren..." Diese Situation trifft auf viele kurdische Aktivist(inn)en zu.

Das Heimatbüro als Kriminalisierungsinstrument

In allen Verfahren wegen des § 129 StGB wird den Betroffenen vom GBA unterstellt, Mitglieder einer "kriminellen Vereinigung" unter der Bezeichnung "Heimatbüro" zu sein. Mit dieser "logistischen Zentrale der PKK" sollen im Auftrag der Parteiführung die Strukturen der Organisation aufrecht erhalten werden. Nach Meinung der deutschen Sicherheitsbehörden zählt hierzu u. a. das Organisieren der Reisen von Kadern und Kurieren, das Einschleusen von Personen und Fälschen von Ausweisdokumenten. Das Heimatbüro ist allerdings nicht ein real existierendes Büro mit Computer und Schreibtisch, sondern eine lokal nicht gebundene Organisationseinheit aus wenigen Personen. Die Verfahren des anfangs eng begrenzten Personenkreises sind abgeschlossen, die meisten zu Haftstrafen Verurteilten inzwischen aus der Haft entlassen. Allerdings wurde von Seiten der Bundesanwaltschaft der Kreis der "Heimatbüro"-Verdächtigten ohne Begründungen ständig vergrößert, so dass einige kurdischen Politiker - darunter eine Frau - deshalb jetzt entweder in Straf- oder U-Haft sitzen. Ein Teil der Prozesse wurde nun eröffnet, weitere werden in den nächsten Monaten beginnen. Die bereits abgeschlossenen und derzeit laufenden Verfahren belegen den konsequenten Willen, das PKK-Verbot durchzusetzen und so Struktur und Logistik der Organisation mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu zerschlagen. Das macht u. a. die umfassende Überwachung der Betroffenen und den immensen Umfang abgehörter Telefongespräche deutlich. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Behörden jeden Schritt von bestimmten Kurd(inn)en, die in die BRD einreisen und Asyl beantragen, von Anfang an observieren im Hinblick auf ihre möglichen politischen Aktivitäten. Es ist wahrscheinlich, dass türkische und deutsche Geheimdienste entsprechende Daten und Erkenntnisse austauschen, um auf diese Weise die politische Verfolgung kurdischer Politiker/innen auf deutschem Boden fortzusetzen.

Rechtsanwalt Roland Meister, Verteidiger von Sait H., erklärte in einem seiner Anträge, dass sich dieses Verfahren einreiht "in die durchgehende Militärhilfe durch die deutschen Regierungen - von Helmut Schmidt (SPD) über Helmut Kohl (CDU) zur jetzigen SPD/Grünen-Regierung -, das Betätigungsverbot gegen die PKK, eine umfassende Überwachung und Kriminalisierung der kurdischen Exilopposition, der Asyl- und Abschiebepraxis und nicht zuletzt auch in das internationale Komplott vor allem der NATO-Geheimdienste zur Entführung des PKK-Generalsekretärs Abdullah Öcalan".

AZADI fordert die sofortige Aufhebung des Betätigungsverbots für die PKK, das die kurdische Exilbevölkerung, ihre Vereine und Aktivitäten in diesem Land quasi unter Ausnahmerecht stellt. Das Verbot ist und bleibt ein Eingriff in die elementaren Grundrechte wie der Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit.

Es bleiben Fragen an die Linke in der BRD

Bundesregierung und Strafverfolgungsbehörden können die Kriminalisierung der kurdischen Bevölkerung in der BRD indes geruhsam und ungestört fortsetzen. Sie findet quasi unter Ausschluss insbesondere auch der linken Öffentlichkeit statt. Kurdinnen und Kurden werden weitestgehend mit ihren immensen Problemen als Folge der umfassenden Repression allein gelassen. Auf Demonstrationen zeigen sich nur wenige deutsche Linke mit den Anliegen der Kurd(inn)en solidarisch, ebenso gering ist das Interesse an politischen Prozessen gegen kurdische Angeklagte. Der 7. Jahrestag des PKK-Verbots im November 2000 war keiner linken Zeitung eine Zeile wert, obwohl sich diese eigentlich als Anwältinnen des (berechtigten) Widerstands gegen die herrschende Politik verstehen. Liegt es daran, dass die Linke zu sehr auf sich selbst konzentriert ist? Mensch kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass, je geringer der Einfluss der Linken in der Gesellschaft wird, die Tendenz zunimmt, sich voneinander abzugrenzen und Selbstbespiegelungen ausgiebig gepflegt werden. Oder hat sich die Linke die Beliebigkeit der "Moderne" angeeignet, in der heute das und morgen das "in" ist? Findet heute Subcomandante Marcos die ungeteilte Aufmerksamkeit der Linken, ist es morgen Mumia Abu Jamal, sind es übermorgen die Aktivitäten der DHKP-C und der Kampf gegen Nazis. Da bleibt offenbar keine Luft mehr für eine Unterstützung der h i e r lebenden Kurd(inn)en. Liegt es möglicherweise genau daran, dass sie zu nahe "dran" sind und eine PKK im Vergleich zur deutschen Linken stark und in der Bevölkerung verankert ist? Dass Aktivist(inn)en dieser Organisation für ihre politischen Ziele auch die Konsequenzen tragen (müssen)? Ist es diese Nähe, die linke Menschen von einer solidarischen Haltung fernhält? Für diesen Fall haben viele die "kritische Solidarität" entdeckt, die aber in weiten Teilen nicht kritisch, sondern entsolidarisierend, spaltend und letztlich zerstörerisch daherkommt. Um nicht wirklich von der kurdischen Bevölkerung in die Verantwortung genommen zu werden für das, was dieser Staat ihr antut, flüchtet sich die Mehrheit der Linken in eben diese vermeintliche Kritik an der PKK, um gleichzeitig Angebote zur Auseinandersetzung auszuschlagen. Sie bewertet und reagiert in dieser Hinsicht vom deutschen Standpunkt: gründlich, arrogant, rechthaberisch, ausgrenzend.

Der nächste Bericht des Verfassungsschutzes wird die "kritische" Haltung eines Großteils der Linken mit Häme kommentieren, die rot/grüne Bundesregierung kann getrost das PKK-Verbot beibehalten und die bundesdeutschen Strafverfolgungsbehörden können ungestört ihrem Geschäft nachgehen. Es darf nicht weiter sein, dass die Kurd(inn)en in diesem miesen Spiel weiterhin mit ihren Problemen allein gelassen werden. Wir fordern linke und demokratische Menschen auf, sich der internationalen Solidarität zu besinnen, diese mit Inhalt zu füllen und nicht mehr zuzulassen, dass Menschen nichtdeutscher Herkunft hier diskreditiert und kriminalisiert werden.


 
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