Köln,
19.September 2001
Mehmet Tamboga: Bundesanwaltschaft ignoriert Wandel der PKK
In
dem gestern eröffneten Prozess vor dem Oberlandesgericht
Düsseldorf gegen den kurdischen Politiker Mehmet Tamboga,
hat dieser nach der Verlesung der Anklageschrift der Bundesanwaltschaft
(BAW), eine umfangreiche Erklärung abgegeben.
Zu Beginn seiner Ausführungen verurteilte er scharf die Anschläge
in den USA und drückte sein Mitgefühl mit den Opfern
aus. Angesichts von 4 000 zerstörten Dörfern und Tausenden
von Toten und des großen Leids, wisse gerade das kurdische
Volk, welche Schmerzen blinder Terror hinterlässt. Deshalb
könne Terror niemals legitim sein.
Mehmet
Tamboga, der sich seit dem 28.8.2000 in U-Haft befindet und dem
die BAW Mitgliedschaft in einer "kriminellen Vereinigung"
(§ 129 StGB) vorwirft, kritisierte die Haltung dieser Behörde.
Sie würde in klassischer Weise alle Taten auflisten, die
seit dem Verbot 1993 von der PKK verübt worden seien, ohne
den vor drei Jahren eingeleiteten Wandlungsprozess der kurdischen
Bewegung zu würdigen. So sei die vonseiten der PKK erklärte
Beendigung des bewaffneten Kampfes und das auf dem 7. Parteikongress
bestätigte Friedenprojekt in der Anklageschrift mit keinem
Wort erwähnt. Des weiteren kritisierte Mehmet Tamboga die
Formulierung der BAW, die Türkei sei des Herrn Öcalan
habhaft geworden, statt zu realisieren, dass es sich bei der Entführung
des PKK-Vorsitzende um einen widerrechtlichen Akt gehandelt habe,
der erst durch die Zusammenarbeit internationaler Geheimdienste
möglich geworden worden sei. Außerdem habe die Behörde
den Verlauf des Prozesses gegen den PKK-Vorsitzenden, dessen Verurteilung
zum Tode und seine Haftbedingungen auf der Insel Imrali in völliger
Isolation unerwähnt gelassen. Statt dessen dokumentiere die
Anklageschrift eine überholte, auf der Vergangenheit beharrende
anachronistische Haltung. Dies beziehe sich auch auf die Beschlüsse
des 7. Parteikongresses im Hinblick auf die weitreichenden strukturellen
Veränderungen, von denen die BAW behaupte, diese seien lediglich
taktischer Natur. Insgesamt demonstriere die Bundesanwaltschaft
keine juristische, sondern eine politische Herangehensweise.
Für
eine Gesamtbewertung des gegen ihn eingeleiteten Verfahrens müssten
nach Auffassung von Mehmet Tamboga alle Aspekte der "kurdischen
Frage" berücksichtigt und gewürdigt werden. Deshalb
ging er ausführlich auf die Geschichte des kurdischen Volkes
ein, die auch die Geschichte eines langen Kampfes gegen Unterdrückung,
Verleugnung und Vernichtung sei. Hierbei räumte er auch Fehler
ein, doch: "Welches Volk kann von sich behaupten, unzulänglich
zu sein?"
Für die Verhinderung einer politischen Lösung machte
Mehmet Tamboga hauptsächlich die USA und Großbritannien
verantwortlich. Die Bundesrepublik Deutschland habe sich in der
Zeit des Aufenthaltes von Abdullah Öcalan in Italien für
eine internationale
Kurdistan-Konferenz eingesetzt. Die Arbeit einer seinerzeit eingerichteten
Kommission sei allerdings auf Druck der USA und Großbritanniens
nach nur wenigen Tagen wieder eingestellt worden. So habe Deutschland
einen Rückzieher bei der Suche nach einer Lösung des
Problems gemacht. Im Zusammenhang mit der Verschleppung des PKK-
Vorsitzenden im Februar 1999 habe Deutschland zwar keine große
Rolle gespielt, dennoch gebe es eine moralische Verpflichtung.
Beweggründe für die Besetzungsaktionen und Protestdemonstrationen
in der Folgezeit seien nicht unverständlich gewesen. Das
kurdische Volk habe die Entführung als internationales Komplott
und als Fortsetzung der alten Politik gesehen. Die Behauptung
der BAW, die Besetzungen seien zentral von der PKK gesteuert worden,
wies Mehmet Tamboga in seiner Erklärung entschieden zurück.
Hätte die Organisation nicht deeskalierend eingegriffen,
wären die Aktionen zweifellos dramatischer verlaufen.
Mehmet
Tamboga erklärte weiter, dass der Plan vor allem Großbritanniens,
durch die Verschleppung des PKK-Vorsitzenden in die Türkei
das kurdische Volk von der PKK zu trennen, nicht aufgegangen sei.
Deshalb sei dort ausgerechnet nach der Beendigung des bewaffneten
Kampfes vor einigen Monaten ein PKK-Verbot erlassen worden.
Zum
Beitrittsbegehren der Türkei in die EU, meinte Tamboga, dass
es unvorstellbar sei, dieses Land als Mitglied aufzunehmen, das
weit entfernt davon sei, die Kopenhagen-Kriterien zu erfüllen.
Der über 15-jährige Kampf des kurdischen Volkes habe
deutlich gemacht, dass es ein vereintes Europa ohne Kurden nicht
geben werde. Eine weitere Leugnung seiner Existenz werde es nicht
hinnehmen. Der von der PKK eingeleitete Friedensprozess habe der
Türkei die Chance geboten, auf friedlichem und demokratischem
Wege die Probleme zu lösen. Wenn es nicht gelänge, eine
Lösung zu finden, werde dies Konsequenzen für die gesamte
Region haben.
Mehmet
Tamboga fragte, wie es sein könne, dass Deutschland weltweit
die Verletzung von Menschenrechten ächten würde, den
Kurden aber elementare Rechte vorenthalte und seine Verbotspolitik
fortsetze. Dies bedeute ein Verrat am eigenen Wertesystem. Er
forderte von den politisch Verantwortlichen, dem kurdischen Volk
gegenüber sensibel zu sein und dessen Wertevorstellungen
zu respektieren und anzuerkennen. Dazu gehöre auch zu akzeptieren,
dass der PKK-Vorsitzende Abdullah Öcalan eine große
Bedeutung für die kurdischen Menschen habe.
Zum
Schluss erklärte Mehmet Tamboga seine grundsätzliche
Bereitschaft, an den folgenden Verhandlungstagen zu den einzelnen
Vorwürfen Stellung zu beziehen bzw. an ihn gerichtete Fragen
zu beantworten.