Köln,
06.10.01
Mehmet Tanboga: Friedensbemühungen nicht
versanden lassen
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Zusammenfassung des 2. und 3. Verhandlungstages -
In
intensiven Befragungen am 1. und 2. Oktober durch den vorsitzenden
Richter des Oberlandesgerichts in Düsseldorf, hat Mehmet
Tanboga, angeklagt wegen des Vorwurfs der "Mitgliedschaft
in einer kriminellen Vereinigung", Rede und Antwort gestanden.
Mehmet Tanboga schilderte, dass er Ende 1978 zur PKK gestoßen
und bis zu seiner Verhaftung im Jahre 1980 damit beauftragt gewesen
sei, in Diyarbakir und den umliegenden Dörfern die Ideen
der Organisation zu verbreiten. Er verstehe die PKK nicht als
eine Partei im herkömmlichen Sinne, sondern als Ort der Bildung
und Ausbildung. Weil die Organisation im kurdischen Gebiet äußerst
erfolgreich gewesen sei, seien die Aktivitäten der PKK ins
Visier des türkischen Staates geraten. Im Rahmen zahlreicher
Operationen gegen Parteimitglieder und Aktivist(inn)en wurde auch
Mehmet Tanboga verhaftet. Mit dem Militärputsch vom 12. September
1980 habe sich der türkische Staat zum Ziel gesetzt, den
Kampf des kurdischen Volkes im Keim zu ersticken und die PKK-Kader
auszulöschen. In dieser Zeit erlitten die zahlreich Inhaftierten
in den Gefängnissen, vor allem in Diyarbakir, unbeschreibliche
Folterqualen, an deren Folgen Dutzende Menschen gestorben seien;
vier Gefangene hätten sich verbrannt. Auch an Mehmet Tanboga
wurden alle Arten der Folter praktiziert: Aufhängen mit dem
Kopf nach unten, Schläge mit Latten, Festbinden mit Ketten,
Wasser- und Essensentzug, stundenlanges Stehenlassen in Eis und
Schnee, Verbot von Anwalts- und Familienbesuchen. Seine Gesundheit
ist aufgrund der Folgen dieser jahrelangen Folterungen auch heute
noch äußerst gefährdet.
Nach
16-jähriger Haft wurde Mehmet Tanboga 1996 freigelassen.
Sein Wunsch sei es gewesen, sich auf legale Weise in seiner Heimatstadt
politisch zu betätigen, doch habe dies der türkische
Staat vereitelt. Bereits zwei Tage nach seiner Entlassung sei
nach ihm gefahndet und seine Wohnung durchsucht worden. Er habe
fliehen müssen. Von Istanbul aus sei er nach Griechenland
gegangen und habe Asyl beantragt. Für eine bestimmte Zeit
habe er sich dann in Syrien aufgehalten und sei dort auch mit
dem PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan zusammengetroffen. Schon
damals - 1996/97 - habe Abdullah Öcalan den Weg bereitet
für eine neue politische Lösung im Rahmen "der
Begegnung und des Friedens". Ausdruck dieser grundsätzlichen
Haltung seien drei Waffenstillstände gewesen. Während
des Italien-Aufenthalt des PKK-Vorsitzenden 1998 sei der friedenspolitische
Grundstein gelegt worden. Insbesondere nach der Verschleppung
von Öcalan und nach seiner Verteidigungsrede auf der Gefangeneninsel
Imrali habe sich der Wandel der PKK vollzogen. Man habe aber nicht
"einfach die Richtung gewechselt", sondern die "Strategie
völlig verändert". Auf dem 7. Parteikongress sei
eine neue Satzung und ein neues Programm beschlossen worden.
Energisch
bestritt Mehmet Tanboga die Vorwürfe der Bundesanwaltschaft
hinsichtlich der Besetzungsaktionen nach der rechtswidrigen Verschleppung
des PKK-Vorsitzenden
Öcalan aus Kenia in die Türkei im Februar 1999. Bei
den Besetzungen habe es sich keineswegs um von der PKK zentral
gesteuerte Aktionen gehandelt. Voraussetzung für eine solche
behauptete Steuerung wären vorherige Informationen über
die Geschehnisse, Beschlussfassungen der Parteigremien und entsprechende
Vorbereitungen gewesen. Doch habe es keine entsprechenden Vorabinformationen
gegeben. Alle seien von den Ereignissen überrascht worden.
Den
Vorwurf der Bundesanwaltschaft, Mehmet Tanboga habe im Zusammenhang
mit den Besetzungsaktionen am 15./16. Februar 1999 als Rädelsführer
fungiert, wies Mehmet Tanboga zurück. Vielmehr habe er sich
intensiv - auch in Verhandlungen mit der Polizei - für die
friedliche Beendigung der Besetzungen eingesetzt. Er habe trotz
der angespannten Atmosphäre alles unternommen, um weitere
Auseinandersetzungen zu verhindern und die Menschen zu beruhigen.
Wiederholt
betonte Mehmet Tanboga, dass er nach Europa gekommen sei, um das
friedenspolitische Projekt der PKK und die grundlegenden strukturellen
Veränderungen der Organisation voranzutreiben und den Menschen
nahezubringen. Sämtliche Beschlüsse vorhergehender Parteitage
seien aufgehoben worden, um einen demokratischen Wandel zu vollziehen.
Die Umsetzung aller Neuerungen könne jedoch nicht von heute
auf morgen erfolgen und benötigten einen bestimmten zeitlichen
Rahmen. Es sei keineswegs - wie von der Bundesanwaltschaft unterstellt
- seine Absicht gewesen, diese Arbeit konspirativ durchzuführen.
Vielmehr habe er seine Identität preisgegeben, als man ihn
von Seiten der Organisation damit beauftragt hatte, eigene Ermittlungen
durchzuführen hinsichtlich der bestialischen Ermordung eines
jungen kurdischen Paares in Bremen im vergangenen Jahr. Deshalb
habe er Kontakt mit der Staatsanwaltschaft in Bremen aufgenommen,
um die Ergebnisse der Ermittlungen zur Verfügung zu stellen.
Hierbei habe er sich als Angehöriger der PKK ausgewiesen
und damit gerechnet, dass fortan seine Aktivitäten unter
Beobachtung stehen würden. Dennoch: Gewisse Verhaltensweisen
seien die Folge des PKK-Verbots. Er wünsche sich dringend
dessen Aufhebung und eine veränderte Haltung gegenüber
den friedenspolitischen Bemühungen der Organisation. Man
solle diese nicht versanden lassen. Aber auch, wenn das Verbot
aufrecht erhalten würde, gelte für ihn: "Die Friedenslinie
und unser Streben nach Demokratie wird bestehen bleiben und dazu
führen, dass das Verbot aufgehoben wird. Sie sollten unsere
Friedenshand nicht ausschlagen."
Die
Befragung von Mehmet Tanboga wird fortgesetzt
am
Montag, den 15. Oktober 2001, 13.00 Uhr, Oberlandesgericht, Tannenstraße
23 in Düsseldorf