29. Mai 2002
Kurdischer
Politiker in Beugehaft genommen
Der
gestrige dritte Tag der Hauptverhandlung im Prozess gegen den
kurdischen Politiker Halit Yildirim endete für den geladenen
Zeugen Sait Hasso mit der Verhaftung im Saal des Oberlandesgerichtes
(OLG) in Düsseldorf.
Halit
Yildirim, dessen Prozess am 14. Mai eröffnet wurde, wird
von der Bundesanwaltschaft (BAW) beschuldigt, als mutmaßlicher
PKK-Führungsfunktionär Mitglied in einer "kriminellen"
Vereinigung (§ 129 StGB) gewesen zu sein. Um diese Vorwürfe
zu konkretisieren, wurde der kurdische Politiker Sait Hasso als
Zeuge geladen. Dieser war am 20. Juni 2001 vom selben Staatsschutzsenat
des OLG Düsseldorf wegen Rädelsführerschaft in
einer "kriminellen"Vereinigung zu einer Haftstrafe von
zwei Jahren und neun Monaten verurteilt worden. Er wurde am 15.
Februar 2002 unter Auflagen aus der Haft entlassen.
Offenbar
versuchte bzw. versucht das Gericht, Sait Hasso zum Kronzeugen
gegen seinen Landsmann zu machen. Dies verdeutlichte der vom vorsitzenden
Richter angekündigte umfangreiche Fragenkatalog zur Person
des angeklagten Halit Yildirim, dessen mutmaßliche Funktionen
und Aufgaben innerhalb der PKK, über eine weitere Zeugin
und deren vermeintliche Parteitätigkeit sowie über die
Strukturen der seit Anfang April nicht mehr existierenden Arbeiterpartei
Kurdistans (PKK).
Der
den Zeugen begleitende Rechtsanwalt Rainer Ahues (Hannover) erläuterte,
dass sein Mandant bereits in dessen Prozess zum Ausdruck gebracht
hatte, keine anderen Personen belasten oder identifizieren und
keine Angaben zu Organisationsstrukturen machen zu wollen. Laut
Rechtsanwalt Ahues sei das Verfahren seinerzeit zwischen allen
Beteiligten dahingehend einvernehmlich beendet worden, dass Sait
Hasso in späteren Verfahren nicht als Zeuge geladen wird.
Das Vorgehen des Gerichts betrachte er als Abweichung von der
getroffenen Vereinbarung, die sowohl vom Gericht als auch von
der BAW bestritten wurde. Wegen der Gefahr einer möglichen
Strafverfolgung von Sait Hasso und der Befürchtung, dass
mit den Aussagen des Zeugen von Seiten der Anklage ein mosaikartiges
Beweisgebäude errichtet werden könnte, beantragte Rechtsanwalt
Ahues für seinen Mandanten ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht.
Sait
Hasso gab zu seiner Aussageverweigerung folgende Erklärung
ab:
"In
der heutigen Verhandlung soll ich als Zeuge vernommen werden.
Mein Verteidiger hat Anträge gestellt, dass ich nicht als
Zeuge vernommen werden sollte. Aber der Senat ist für diese
Anträge nicht empfänglich und möchte diese nicht
bejahen. Wie Sie wissen, wurde ich in diesem Saal wegen der Angehörigkeit
zu einer Partei angeklagt und gegen mich ein Urteil gesprochen.
Ein Volk, das unterjocht lebt, kann man durch solche Verfahren
nicht verleugnen. Weil ich das schon in meinem Prozess zur Sprache
gebracht habe, möchte ich auf die Ungerechtigkeiten, die
das kurdische Volk erleben muss, nicht erneut eingehen. Ich kann
abgekürzt mit einem Satz sagen: Wir als Kurden verlangen
für uns Gerechtigkeit und Menschenrechte. Darüber hinaus
verlangen wir nichts. In meinem Verfahren habe ich den Prozess
der Demokratisierung und des Friedens, den die PKK vorgenommen
hat, ausführlich erläutert. Diese Entwicklung hat jetzt
seinen Höhepunkt gefunden in der Gründung des KADEK
(Kongress für Demokratie und Frieden in Kurdistan). Die Probleme
des kurdischen Volkes und auch mein eigenes Problem kann nur durch
Demokratie und Frieden gelöst werden. Dieser Fragenkatalog,
den das Gericht vorgelegt hat und die Fragen, die noch zusätzlich
kommen würden, können sowohl für meine Person als
auch für mein Volk Nachteile bringen und dafür möchte
ich keine Verantwortung übernehmen. Ich ziehe es vor, die
Interessen meines Volkes auf der Basis von Gerechtigkeit, Frieden
und Demokratie zu vertreten. Nach der Vereinbarung, die ich damals
mit diesem Gericht getroffen habe, sollte ich nicht mehr über
die Struktur der Organisation und damit zusammenhängende
Vorgänge befragt we rden. Wäre es nicht so gewesen,
hätte ich unter keinen Umständen eine solche Vereinbarung
akzeptiert. Es mag sein, dass es juristisch gesehen für Sie
keine Bedeutung hat, aber für mein Recht ist das grundlegend.
Auf dieser Basis hatten wir gehandelt. Ich denke, den ersten Schritt
in diese Richtung gemacht zu haben, und das war im Interesse aller
Beteiligten das Beste. Daher sehe ich mich im Recht. Weil die
Beantwortung Ihrer Fragen für mich Nachteile bringen können,
werde ich sie nicht beanworten. Ich ziehe mich zurück. Ich
möchte nochmals betonen, dass ich wie jeder Mensch Gerechtigkeit
verlange. Ich bedanke mich. "
Nach
dieser Erklärung beantragte die BAW ein Ordnungsgeld von
200 Euro oder vier Tage Ordnungshaft. Der Senat schloss sich diesem
Antrag an mit der Begründung, dass der Zeuge nicht berechtigt
sei, die Auskunft zu verweigern. Eine Verfolgungsgefahr liege
nicht vor, da Sait Hasso am 20.6.2001 wegen Rädelsführerschaft
für die PKK verurteilt worden sei. Sait Hasso bekräftigte
auf erneute Nachfrage des vorsitzenden Richters seine Entscheidung,
nicht auszusagen, woraufhin die BAW Beugehaft gegen Sait Hasso
beantragte. Danach beschloss der Senat Erzwingungshaft bis zu
6 Monaten bzw. bis zum Ende des Prozesses gegen Halit Yildirim
und ließ Sait Hasso noch im Gerichtssaal abführen.
Rechtsanwalt Ahues beabsichtigt, gegen den Beschluss des Senats
Beschwerde einzulegen.
Der
gestrige Verhandlungstag hat erneut gezeigt, dass die Kurden nicht
als politisch handelnde Personen wahrgenommen und akzeptiert werden.
Nach wie vor ist das Verhältnis zu ihnen geprägt von
Willkür, Arroganz und Ignoranz gegenüber ihren Anliegen
und Bemühungen um Lösungswege und politische Veränderung.
AZADI
protestiert gegen die Maßnahme des Oberlandesgerichts und
fordert die sofortige Freilassung von Sait Hasso
.