26. Juni 2002
Prozesseröffnung
wegen Identitätskampagne
Soweit AZADI bekannt ist, wird am 28. Juni der erste Prozess im
Zusammenhang mit der im letzten Jahr begonnenen Identitätskampagne
eröffnet. Er findet statt vor der Großen Strafkammer
22 des Landgerichts in Hamburg. Angeklagt ist Hamide S. Sie hat
am 20. Juni 2001 gemeinsam mit kurdischen Frauen einen Ordner
mit mehreren hundert Selbstbezichtigungen "Auch ich bin PKKler/in"
der persönlichen Referentin der Hamburger Bürgerschaftspräsidentin
übergeben. Weil sie dort angeblich als Wortführerin
aufgetreten sei, habe sie nach Auffassung der Staatsanwaltschaft
Hamburg dem PKK-Verbot zuwider gehandelt, indem sie durch diese
Aktion die Ziele der PKK unterstützt, die Vereinstätigkeit
im Inland gefördert und für die PKK eine vorteilhafte
Wirkung hervorgerufen hätte. Folglich habe sie gegen die
§§ 18 und 20 des Vereinsgesetzes verstoßen.
Am
13. Juni 2001 begann in Düsseldorf die europaweite Identitätskampagne
mit der Forderung nach Anerkennung der sozialen, kulturellen und
politischen Rechte für Kurdinnen und Kurden. Die ersten 1.470
Selbsterklärungen wurden dem Oberlandesgericht übergeben,
wo zu diesem Zeitpunkt das Strafverfahren gegen den kurdischen
Politiker Sait Hasso verhandelt wurde. In den folgenden Monaten
haben Zehntausende Kurd(inn)en die Selbstbezichtigungen unterschrieben,
die von Delegationen in zahlreichen Städten der Bundesrepublik
an verschiedene politische Institutionen überreicht wurden.
In
der Erklärung wurde auf die neue friedenspolitische Entwicklung
der PKK hingewiesen, auf die Rolle und Verantwortung Europas im
vergangenen Jahrhundert bei der Festlegung der Grenzen des Mittleren
Ostens und auf das Fehlen einer tatsächlichen Lösungsperspektive.
Die Kurdinnen und Kurden forderten die Einhaltung der Kopenhagener
Kriterien nicht nur von der Türkei, sondern auch von Europa.
Ferner betonten sie die Notwendigkeit der Aufhebung sämtlicher
Verbote, die gegenüber der PKK angewandt werden und die Freilassung
des inhaftierten PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan.
Eine
bundeseinheitliche Haltung der Behörden hinsichtlich einer
strafrechtlichen Verfolgung der Unterzeichner/innen der Erklärung
ist derzeit nicht feststellbar. In Nordrhein-Westfalen wurden
z. B. zahlreiche Ermittlungsverfahren eingestellt, weil - wie
es in einer Einstellungsverfügung lautete - der "Unrechtsgehalt"
bei der bloßen Selbstanzeige "im Vergleich zu einer
Demonstrationsteilnahme" wegen der geringeren Öffentlichkeitswirkung
weniger relevant sei. Deshalb liege eine Anklageerhebung nicht
im öffentlichen Interesse. Die Einstellung erfolge mithin
aus "Opportunitätsgründen". Ein größeres
Interesse haben die Strafverfolgungsbehörden hingegen daran,
Anklage zu erheben gegen die vermeintlich politisch Verantwortlichen
der Kampagne sowie gegen jene Kurd(inn)en, die mit deren Umsetzung
befasst gewesen sind.
Die
Prozesseröffnung gegen Hamide S. findet statt
am
Freitag, 28. Juni 2002, 9.30 Uhr in Hamburg Landgericht, 2. Stock,
Sievekingplatz 3, Strafjustizgebäude