31. Juli 2003
              Kronzeuge 
                widerruft Aussage im Prozess gegen den Kurdischen Roten Halbmond
                (Heyva Sor a Kurdistanê)
              Am 
                11. Juli 2003 begann vor dem Landgericht Koblenz der Prozess gegen 
                die als gemeinnützig anerkannte Hilfsorganisation Heyva Sor. 
                Ihr wird vorgeworfen, gegen das Vereinsgesetz im Rahmen des PKK-Verbotes 
                verstoßen zu haben. Aufgrund von Aussagen des von der Anklage 
                präsentierten Kronzeugen Engin Sönmez soll die Organisation 
                in die PKK-Strukturen eingebunden sein und Millionenbeträge 
                an die PKK weitergeleitet haben. Die Anklage beruht auf den Aussagen 
                von Engin Sönmez, der sich als Kronzeuge über einen 
                längeren Zeitraum im Zeugenschutzprogramm des Bundeskriminalamtes 
                (BKA) befunden hatte.
              Die 
                gestrige Verhandlung brachte jedoch eine überraschende Wendung: 
                Engin Sönmez widerrief seine in der letzten Woche vor Gericht 
                gemachten Aussagen. Zu Beginn der Verhandlung erläuterte 
                er die Gründe für sein Verhalten. Nach dem Prozesstag 
                habe er sich gegenüber seiner Familie als „Schuldiger“ 
                empfunden und ein „schlechtes Gewissen“ gehabt. Er 
                befinde sich seither in einem äußerst „schlechten 
                psychischen Zustand“.
              Des 
                weiteren erklärte Sönmez, dass er aus Furcht vor Folter 
                und der brutalen Unterdrückungs- und Verleugnungspolitik 
                des türkischen Staates 1996 nach Deutschland geflüchtet 
                sei, auch, weil er dachte, seine „nationale Zugehörigkeit 
                hier besser deutlich machen zu können“. Er sei damals 
                der Meinung gewesen, „in Deutschland gebe es Demokratie 
                und Freiheit“. Deshalb habe er Asyl beantragt und sich 1997 
                der PKK angeschlossen, weil ihm schon in der Türkei deren 
                „Ideen gefallen habe“. Seine Absicht sei gewesen, 
                „die Stimme des kurdischen Volkes in die Öffentlichkeit 
                zu bringen“, weil er in seiner Heimat täglich habe 
                erleben müssen, dass Menschen gefoltert worden seien. Seit 
                dem 16. Februar 1998 ist Sönmez anerkannter Asylbewerber.
              In 
                Deutschland habe er jedoch von zahlreichen Abschiebungen in die 
                Türkei erfahren. Aus Angst, selbst angeschoben und als PKK-Kader 
                dort verhaftet und gefoltert zu werden, sei er 1998 zur Polizei 
                in Mainz gegangen und habe Angaben über die Organisation 
                gemacht. Aufgrund des polizeilichen Meldedienstes hat das Bundeskriminalamt 
                (BKA) nach Aussage des BKA-Zeugen René Becker hiervon erfahren 
                und den heute 24-Jährigen ausfindig gemacht. Er sei Anfang 
                März 1998 ins Zeugenschutzprogramm genommen und mehrere Wochen 
                lang im Gästehaus der Behörde täglich vernommen 
                worden. Das Vernehmungsprotokoll umfasst Becker zufolge 170 Seiten. 
                Sönmez erklärte, alle Fragen zur PKK, ihrer Struktur, 
                zu verantwortlichen Personen und auch zu Heyva Sor im Sinne der 
                Polizei bzw. des BKA beantwortet zu haben, um nicht abgeschoben 
                zu werden. Dabei habe er „die Sachen übertrieben und 
                Fragen falsch beantwortet“. Das wolle er heute „korrigieren 
                “.
              Auch 
                die Bundesanwaltschaft (BAW) hatte Interesse an Engin Sönmez 
                und 1998 ein Ermittlungsverfahren gegen ihn wegen Unterstützung 
                einer kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB) eingeleitet, das 
                jedoch im Mai 1998 wohl aufgrund der umfangreichen Aussagen des 
                Kurden wegen „geringer Schuld“ eingestellt worden 
                ist.
              Wie 
                im Falle von Heyva Sor, war Sönmez offenbar auch für 
                weitere Prozessen gegen mutmaßliche PKK-Funktionäre 
                als „Kronzeuge“ eingeplant. Das dürfte sich nach 
                dem gestrigen Verhandlungstag erledigt haben.
              Die 
                Rechtsanwälte Kronauer und Diesing werfen den Strafverfolgungsbehörden 
                vor, dass sie seit langem versuchten nachzuweisen, bei Heyva Sor 
                handele es sich um eine verbotene Organisation: „Das zieht 
                sich nun schon seit über 5 Jahren hin mit eher magerem Ergebnis. 
                Es zeigt, wie schwach die Anklage ist. “ Jedenfalls sei 
                „die Hauptstütze der Anklageseite“ erst einmal 
                zusammengebrochen. Fraglich sei auch, ob die ursprüngliche 
                Anklage aufrechterhalten werden kann.
              Am 
                1. September 2003 wird das Verfahren fortgesetzt. Auch Engin Sönmez 
                wird dann weiter vernommen werden. Der Prozess ist vorerst bis 
                zum 5. Oktober terminiert.