22.
November 2003
Rede
von AZADI in Berlin am 22. November 2003 aus Anlass des 10. Jahrestages
des PKK-Verbotes
Zuerst
einmal möchte ich Sie und euch sehr herzlich auf dieser Kundgebung
begrüßen.
Wir haben uns heute hier versammelt, um an ein Ereignis zu erinnern,
das aus dem öffentlichen Interesse fast verschwunden ist.
Das aber einem Teil der Bevölkerung immer noch den Alltag
bestimmt.
Es geht um das Betätigungsverbot der Arbeiterpartei Kurdistans,
PKK, das auf den Tag genau vor 10 Jahren vom damaligen Innenminister
Kanther erlassen wurde.
Ausgerechnet zu einer Zeit, als der Krieg des türkischen
Staates gegen das kurdische Volk einen blutigen Höhepunkt
erreicht hatte. Gegen diesen staatlichen Terror leisteten die
Menschen in Kurdistan erbitterten Widerstand.
In Deutschland machten die Kurdinnen und Kurden mit zum Teil spektakulären
Aktionen auf die Situation in ihrer Heimat aufmerksam. Sie brachten
den türkisch-kurdischen Konflikt auf die internationale Tagesordnung.
Das und die breite Unterstützung der PKK durch die kurdische
Bevölkerung beunruhigte den türkischen Staat.
So
drängte das Regime die Bundesregierung, die PKK auch in Deutschland
zu verbieten. Dieser Wunsch wurde schnell erfüllt. Der Gesinnungsparagraf
129a StGB und das Vereinsgesetz waren die Instrumente zur flächendeckenden
Kriminalisierung. Die türkische Zeitung Hürriyet titelte
damals: Danke, Herr Kohl.
10
Jahre PKK-Verbot in Deutschland: Das bedeutete für den Großteil
der Kurdinnen und Kurden, faktisch von Grundrechten wie denen
auf freie Meinungsäußerung, Pressefreiheit, Vereins-
und Versammlungsfreiheit ausgeschlossen zu werden.
Kurdinnen
und Kurden wurden fortan – wie in der Türkei –
auch hier als Terroristen stigmatisiert und für vogelfrei
erklärt.
Zehntausende
waren von Strafverfolgung betroffen: weil sie Parolen riefen,
weil sie auf Demonstrationen Fähnchen mit verbotenen Symbolen
schwenkten, weil sie für die PKK Geld spendeten oder sammelten.
Kurdische
Vereine wurden geschlossen, Vereinsvermögen und tonnenweise
kurdische Literatur beschlagnahmt, Veranstaltungen und Demonstrationen
verboten. Selbst Hochzeiten mit der Behauptung, diese seien PKK-gesteuert.
Auch deutsche Freundinnen und Freunde bekamen die Auswirkungen
zu spüren. Auch ihnen verboten Polizei und Justiz, öffentlich
ihre Solidarität mit den kriminalisierten Kurden zu zeigen.
Dutzende
kurdischer Aktivistinnen und Aktivisten wurden nach dem berüchtigten
Gesinnungsparagrafen 129a zu Haftstrafen verurteilt und viele
Familien durch hohe Geldstrafen finanziell ruiniert.
Es
entstand ein Klima des Rassismus und der Hetze, an dem sich auch
der größte Teil der deutschen Presse beteiligte. Das
gipfelte gar in der Behauptung des damaligen Außenministers
Kinkel, dass er sich durch die PKK bedroht fühle. Ähnlich
Irrationales behauptete auch der Rennfahrer Schumacher. Kurdische
Proteste gegen diese Stimmungsmache verhallten ungehört.
Sie wurden erstickt im Taumel des Hasses und die Kurden blieben
letzten Endes allein mit ihren Problemen.
In
der Verbotsverfügung des Innenministers wurde der PKK unter
anderem vorgeworfen, gegen den Gedanken der Völkerverständigung
zu verstoßen.
Deutschland hat in großem Umfang Panzer, Waffen und Munition
an die Türkei geliefert, die dieses Tötungsarsenal nachweislich
gegen die kurdische Bevölkerung einsetzte. Wie ist das mit
dem Gedanken der Völkerverständigung zu vereinbaren?
Die
damalige Bundesregierung begründete das Verbot auch damit,
dass die Tätigkeit der PKK erhebliche Belange der Bundesrepublik
Deutschland gefährden und und die bilateralen Beziehungen
zur Türkei schädigen würden.
Das
trifft allerdings den Kern des Verbots. Die “erheblichen
Belange” waren die guten wirtschaftlichen, polizeilichen,
geheimdienstlichen und militärischen Beziehungen zum Nato-Partner
Türkei. Und weil das bis heute so ist, zeigt auch diese Bundesregierung
der kurdischen Bevölkerung die kalte Schulter. Obwohl sich
so viel Entscheidendes verändert hat.
Seit
fünf Jahren schweigen die Waffen im türkisch-kurdischen
Konflikt. Ohne Gegenleistung beendete die PKK einseitig den Kriegszustand,
um eine demokratische Lösung der kurdischen Frage zu ermöglichen.
Die
PKK hat ihre historische Aufgabe erfüllt und sich im April
2002 selbst aufgelöst. Es wurde der KADEK gegründet,
der Freiheits- und Demokratiekongress Kurdistans, der die friedliche
Konfliktlösung zum zentralen Programm erhob und umfangreiche
Friedensprojekte zur Diskussion stellte.
Auch
Kurdinnen und Kurden in Deutschland wollen sich aktiv in einen
demokratischen Umwandlungsprozess einbringen und ihre politische
Arbeit darauf ausrichten.
Daran
dürfen sie nicht länger gehindert werden.
Vor
wenigen Tagen hat sich nun auch der KADEK aufgelöst.
Seit dem 16. November soll mit dem neu gegründeten Kurdischen
Volkskongress – KGK – der begonnene Weg der Demokratisierung
fortgeführt und weiter entwickelt werden.
Die
Verbotsgründe von 1993 sind also längst beseitigt.
Und die Bundesregierung?
Sie
verweigert sich jedem Dialog.
Sie
ignoriert den strategischen Wandel in der kurdischen Bewegung.
Sie setzt weiterhin auf Verbote.
Das zeigen auch die letzten Wochen:
In
zahlreichen Städten demonstrieren Kurdinnen und Kurden für
Demokratie, eine friedliche Konfliktlösung, für die
Freiheit von Abdullah Öcalan und gegen das PKK-Verbot.
Weil
viele die Parole “Biji Serok Apo” - es lebe der Vorsitzende
Apo Abdullah Öcalan – rufen oder ein Stirnband mit
der Aufschrift KADEK tragen, hagelt es jetzt Strafbefehle. Die
Behörden behaupten, der KADEK sei eine Nachfolgeorganisation
der PKK und falle so ebenfalls unter das Verbot.
Über
40 000 Kurdinnen und Kurden beteiligten sich im Jahre 2001 mit
ihrer Unterschrift an der Identitätskampagne “Auch
ich bin PKKler”, mit der sie auf die Verleugnungspolitik
des türkischen Staates aufmerksam machen wollten. Und auf
die Unterdrückung in Deutschland durch das PKK-Verbot. Sie
erklärten, dies nicht weiterhin anerkennen zu wollen.
Bis zum heutigen Tage werden die Teilnehmer an dieser Kampagne
mit Strafbefehlen überzogen, vor Gericht gestellt und
zu teilweise hohen Geldstrafen verurteilt, weil die Aktion von
der PKK organisiert worden und deshalb verboten sei.
Das
Verbot führt auch dazu, dass immer noch kurdische Politiker
wegen ihrer ehemaligen Zugehörigkeit zur PKK vor Gericht
gestellt und zu Haftstrafen verurteilt werden. Das wichtigste
Unterdrückungsmittel ist hier das Konstrukt der “kriminellen
Vereinigung” (§ 129 StGB). Diese Vorschrift ermöglicht
Repressalien ohne einen konkreten Tatnachweis und rechtfertigt
Telefonüberwachungen, Observationen und Durchsuchungen. Die
Grundrechte werden ausgehebelt.
Einige der Gefangenen waren wegen ihrer politischen Betätigung
bereits viele Jahre in türkischen Gefängnissen und schwerster
Folterungen ausgesetzt.
Es
ist endlich an der Zeit, alle laufenden Verfahren einzustellen
und die politischen Gefangenen freizulassen.
Das PKK-Verbot behindert alle Versuche der kurdischen Bewegung,
sich selbst zu demokratisieren und ihre politische Arbeit in diesem
Sinne zu tun.
Das
PKK-Verbot in Deutschland ermutigt vielmehr die politischen und
militärischen Kreise innerhalb des türkischen Staates,
die auf eine Fortsetzung des Krieges drängen, weil er ihnen
Profit- und Macht sichert.
Zu
Recht fordert die Bundesregierung die Türkei zu Demokratisierung,
zur Einhaltung der Menschenrechte und zur Lösung des kurdischen
Konfliktes auf.
Dann
darf sie aber nicht gleichzeitig ihre eigenen Wertmaßstäbe
mit Füßen treten. Es wäre ein friedenspolitischer
Schritt, das überflüssige PKK-Verbot aufzuheben.
Denn: Die Einschränkung von Grundrechten einer Minderheit
bedeutet immer eine Gefahr für die demokratischen Rechte
anderer. Dies gilt besonders in einer Zeit, in der Repression
und der Abbau von Rechten als vermeintliche Konfliktlösung
immer breiteren Raum einnimmt.
Mit
dem Strafrecht lassen sich keine politischen Probleme lösen.
Es ist an der Zeit, auf die kurdische Bewegung zuzugehen und Barrieren
im Denken und Handeln zu überwinden. Die Kurdinnen und Kurden
haben diesen Schritt längst getan.
Die
Kriminalisierung der Kurdinnen und Kurden muss beendet und die
politische Arbeit endlich legalisiert werden.
Das
PKK-Verbot muss aufgehoben werden !