19. Juli 2017
Business as usual:
Festnahme eines kurdischen
Aktivisten in Berlin
Ungeachtet der jüngst erneut bekräftigten Bereitschaft von Präsident Erdoǧan zur Wiedereinführung der Todesstrafe, seine Drohung, Regimekritikern „die Köpfe abreißen“ zu wollen, der zahlreichen Entlassungen in den letzten Tagen von angeblichen Gülen-Anhängern aus dem Staatsdienst sowie der Festnahme von Menschenrechtsaktivist*innen, unter ihnen auch der aus Berlin stammende Peter Steudtner, wurde am 17. Juli in Berlin der kurdische Aktivist Zahir A. festgenommen.
Trotz aller Kritik aus deutschen Regierungskreisen am Vorgehen des Autokraten in Ankara, wurde ihm mit der Festnahme eines politisch aktiven Kurden erneut ein Bärendienst erwiesen. Statt Erdoǧan angesichts der aktuellen Ereignisse und auch vor dem Hintergrund der Operationen von Agenten des türkischen Geheimdienstes MIT in Deutschland gegen Kurd*innen und andere Oppositionelle die Stirn zu bieten, setzen Politik und Justiz ihre Kriminalisierungspraxis unvermindert fort.
Wegen des Vorwurfs der angeblichen Unterstützung des Terrorismus wurden in der Türkei seit dem Putschversuch vor einem Jahr zahlreiche kurdische Aktivist*innen und Politiker*innen festgenommen und inhaftiert.
Auch Zahir A. beschuldigen die deutschen Strafverfolgungsbehörden, als Mitglied an einer „terroristischen Vereinigung im Ausland“ (§129a/b StGB) beteiligt gewesen zu sein und in der Zeit von März 2014 bis Juni 2015 den PKK-Sektor „Nord“ verantwortlich geleitet zu haben. Eine individuelle Straftat wird auch ihm – wie in allen anderen §129b-Verfahren auch – nicht vorgeworfen.
Zahir A. wurde von Berlin nach Niedersachsen verbracht. Nach der heute erfolgten Eröffnung des Haftbefehls durch den Ermittlungsrichter des Oberlandesgerichts (OLG) Celle ist der Kurde in die JVA Celle verlegt worden.
Mit Zahir A. befinden sich nunmehr 11 kurdische politische Gefangene wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in und Unterstützung der PKK in Straf- oder Untersuchungshaft.
AZADÎ erhebt schwere Anschuldigungen gegen die Verantwortlichen in Politik und Justiz. Solange auf dem Rücken von kurdischen und türkischen Oppositionellen innen-, außen- oder rüstungspolitische Interessen durchgesetzt werden, müssen sie sich eine Mitschuld an den Entwicklungen in der Türkei vorwerfen lassen.
So richtig es ist, dass die Bundesregierung den Fall des inhaftierten Journalisten Deniz Yücel vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bringen will, so falsch ist es, dass sie an einer strafrechtlichen Verfolgung von Kurdinnen und Kurden und einer diffusen Türkei-Politik festhält.
Erwähnt sei, dass seit Mai 2015 eine von Anwält*innen aus den Niederlanden eingereichte Klage vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg anhängig ist, die eine Streichung der PKK von der EU-Terrorliste zum Gegenstand hat.