26. Mai 2020
129b-Prozess vor OLG Stuttgart wird fortgesetzt
Das Hauptverfahren gegen fünf kurdische Angeklagte – darunter eine Kurdin – wird nach einer Aussetzung angesichts der Coronavirus-Pandemie am
Donnerstag, 28. Mai 2020, um 9.00 Uhr, OLG Stuttgart (Stammheim), Aspergerstr. 47
wieder aufgenommen bzw. fortgesetzt. Der nächste Termin ist auf den 15. Juni festgelegt. Ab Juli wird jede Woche donnerstags und freitags verhandelt.
In dem Prozess, der am 16. April 2019 eröffnet worden war, wird den Angeklagten vorgeworfen, Mitglieder einer „terroristischen Vereinigung im Ausland“ gewesen zu sein bzw. diese unterstützt zu haben. Außerdem werden sie der Freiheitsberaubung, versuchten Nötigung und gefährlichen Körperverletzung beschuldigt.
Die Anklage der Bundesanwaltschaft basiert maßgeblich auf den Aussagen eines Kronzeugen, der seinen Angaben zufolge für die PKK tätig gewesen sein soll. Während dieser Zeit hat er teilweise für die deutsche Polizei gearbeitet und sein Wissen über die Organisation offenbart. Ridvan Özdemir, der sich mit neuer Identität im Zeugenschutzprogramm des Landeskriminalamtes an einem unbekannten Ort aufhält, hat inzwischen umfänglich ausgesagt und die Angeklagten belastet. Allerdings hat sich inzwischen herausgestellt, dass der Zeuge größtenteils unglaubhafte Angaben gemacht und in wesentlichen Anklagepunkten gelogen hat.
Nicht zuletzt hat dies dazu geführt, dass der Haftbefehl der angeklagten Kurdin Evrim A. außer Vollzug gesetzt und sie freigelassen worden ist. Nicht inhaftiert ist auch Cihan A.
Befragungen des Kronzeugen durch die Verteidiger*innen waren nicht möglich, weil dieser von seinem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch gemacht hatte. Sie hatten bereits zu Prozessbeginn kritisiert, „dass das Interesse der Strafverfolgungsbehörden an der Kriminalisierung kurdischer Aktivisten“ dazu führe, „dass sie sich für die Rachegelüste eines abgewiesenen Liebhabers instrumentalisieren“ lasse.
Zur Zeit befinden sich acht kurdische Aktivisten wegen „Terrorismus“vorwurfs in Untersuchungshaft in Baden-Württemberg, Hessen, Bayern, Rheinland-Pfalz und Bremen.
Die Verteidiger*innen haben wegen des erhöhten Risikos für eine Übertragung von COVID-19 in den Gefängnissen versucht, für ihre Mandanten eine Unterbrechung der Haft zu erreichen. Unter ihnen befinden sich ältere Gefangene mit chronischen Erkrankungen, teils als Folge erlittener schwerer Folter in türkischer Haft.
Entsprechende Anträge wurden von den OLG-Senaten jedoch abgewiesen und mit Fluchtgefahr begründet. In einigen Fällen wurde den Inhaftierten allerdings erlaubt, mit ihren Familienangehörigen per Skype zu kommunizieren.
Wie die türkische Regierung, die explizit die politischen Gefangenen per Gesetz von einer Freilassung ausgeschlossen haben, beharren auch die bundesdeutschen Justizbehörden in dieser Situation auf einer Inhaftierung der Gefangenen. Obwohl die UN-Menschenrechtskommissarin, Michelle Bachelet, bereits am 25. März die Gruppe der Gefangenen als „extrem verletzliche Gruppe“ bezeichnet und die Regierungen aufgefordert hatte, Lösungen zu finden, um die vom COVID-19-Virus bedrohten Menschen – wie Alte und Kranke – aus der Haft zu entlassen.