24. November 2020
27 Jahre PKK-BetÄtigungsverbot in Deutschland
Am 26. November 1993 trat das vom damaligen Bundesinnenminister Manfred Kanther verfügte Vereins- und Betätigungsverbot für die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) in Deutschland in Kraft. Auf dieser Grundlage fanden in den letzten 25 Jahren zehntausende von Strafverfahren statt, wurden Grundrechte der in Deutschland lebenden Kurdinnen und Kurden außer Kraft gesetzt, Demonstrationen und Kundgebungen verboten. Politisches Engagement ohne jede strafrechtlichen Verstöße ist vielen Kurdinnen und Kurden ohne deutschen Pass unter Maßgaben des Ausländerrechts zum Verhängnis geworden. Einbürgerungen werden verweigert, der Asylstatus wieder aberkannt und Menschen per Ausweisungsverfügung die Aufenthaltserlaubnis und damit jede gesicherte Lebensgrundlage in Deutschland entzogen. Das Verbot hat tief in das Leben der Menschen eingegriffen und bei vielen die Erfahrung hinterlassen, der Verfolgung in der Türkei entkommen zu sein, um in Deutschland wieder in einer Falle zu sitzen.
Die kurdische Community in Deutschland soll verunsichert und entpolitisiert werden, damit sich hier kein Widerstand gegen die mörderische Politik des türkischen Präsidenten Erdoğan regt. Dafür sorgt ein dichtes Netz von Spitzeln, die vom Verfassungsschutz und dem polizeilichen Staatsschutz angeworben werden. Dafür sorgen die Verbote von Symbolen und Parolen der kurdischen Befreiungsbewegung auf Demonstrationen und Veranstaltungen. Und dafür sorgen nicht zuletzt auch die Anklagen und Verurteilungen wegen angeblicher Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung oder deren Unterstützung nach §§129a/b Strafgesetzbuch. In nahezu allen Verfahren werden den Beschuldigten keine individuelle Straftaten vorgeworfen. Allgemeine politische Aktivitäten wie etwa das Organisieren von Demonstrationen und Kulturveranstaltungen reichen aus, um die Betroffenen für Jahre hinter Gitter zu sperren.
In diesem Zusammenhang betreut AZADÎ aktuell elf politische Gefangene in deutschen Gefängnissen. Von diesen befinden sich 9 Aktivisten in U- und zwei in Strafhaft. Eine Kurdin und zwei Aktivisten sind zwar auf freiem Fuß, doch stehen sie in laufenden Prozessen vor den Staatsschutzsenaten diverser Oberlandesgerichte. Überhaupt ermöglicht werden diese Verfahren durch eine allgemeine Ermächtigung, die das Bundesjustizministerium am 6. September 2011 erteilt hat, wobei Einzelermächtigungen jederzeit verfügt werden können. Diese müssen weder begründet werden, noch kann Akteneinsicht genommen oder gegen sie geklagt werden. Seit der Bundesgerichtshof (BGH) im Oktober 2010 auch die PKK als „terroristische“ Vereinigung im Ausland gem. §§ 129a/b StGB eingestuft hat, wurden von AZADÎ bislang 44 Verfahren begleitet.
Gleichzeitig ist Deutschland nach wie vor der Hauptsponsor der aggressiven Innen- und Außenpolitik des türkischen AKP-Regimes unter Recep Tayyip Erdoğan. Die Raketen der Drohnen, mit denen die Türkei aktuell völkerrechtswidrig im Nordirak und in Rojava/Nordsyrien die Bevölkerung tyrannisiert, enthalten Zielerkennungskomponenten aus Deutschland. Auf europäischer Ebene deckt die deutsche Regierung das aggressive militärische Expansionsbestreben der Türkei, indem es wirtschaftliche Sanktionen verhindert.
Alle Bundesregierungen haben bis heute am strikten Repressionskurs gegen Kurd*innen und ihre Organisationen festgehalten und sich letztlich aus Eigeninteresse stets an die Seite türkischer Machthaber gestellt.
Obwohl die kurdische Befreiungsbewegung vor allem in den letzten Jahren weltweites Ansehen gewonnen hat, weil sie maßgeblich vor allem in Nordsyrien zur Zerschlagung des sog. Islamischen Staates beigetragen hat, verschärfte sich hierzulande kontinuierlich die Repression. Mit einem Erlass von März 2017 verbot das Bundesinnenministerium de facto auch die Fahnen der nordsyrischen Verteidigungskräfte YPG und YPJ. Mit einer weiteren Verfügung vom Januar 2018 wurden sämtliche Abbildungen des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan auf Versammlungen und Demonstrationen unter Strafe gestellt. Dessen Bücher, in denen er sich für eine konsequente friedliche Lösung der Konflikte im Mittleren Osten einsetzt, wurden bei einer Razzia im Februar 2019 gegen den Mesopotamia-Verlag lastwagenweise beschlagnahmt.
Mit dem Betätigungsverbot der PKK aber isoliert sich Deutschland zunehmend international. So befand der Europäische Gerichtshof in Luxemburg am 15. November 2018, dass die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zwischen 2014 und 2017 zu Unrecht auf der EU-Liste terroristischer Organisationen stand. Und zuletzt im Januar 2020 stellte der belgische Kassationshof höchstgerichtlich fest, dass die PKK keine terroristische Organisation ist, sondern eine bewaffnete Konfliktpartei im Sinne des internationalen Völkerrechts.
Dies sollte die Bundesregierung zum Anlass nehmen, die aktuelle Verfolgung kurdischer Aktivist*innen nach § 129b zu beenden und das PKK-Betätigungsverbot aufzuheben, um endlich den Weg frei zu machen für offene politische Diskussionen statt Repression.