30. August 2021
Kriminalisierung der kurdischen Befreiungsbewegung, Aktivisten in Straf- und Untersuchungshaft, laufende und bevorstehende PKK-Verfahren nach §§129a/b StGB (September 2021)
Ehrenwerte Verbotsverantwortliche
Wir befinden uns im 28. Jahr des PKK-Betätigungsverbots, das im November 1993 von der CDU/CSU/FDP-Regierung unter Helmut Kohl durch deren Innenminister Manfred Kanther (CDU) verfügt worden war. Dieses Verbot wurde von einem Kanzler verantwortet, der Spenden an die CDU in Höhe von rund 2 Millionen DM rechtswidrig nicht – wie im Parteiengesetz vorgeschrieben - angegeben und sich strikt geweigert hat, die Namen der Spender zu nennen. Und von einem law-and-order-Minister, der gegen das Parteispendengesetz verstoßen hat, weil er 1983 als CDU-Generalsekretär Hessens illegale Spenden über 20,8 Millionen DM heimlich in die Schweiz und nach Liechtenstein geschafft hat. Der sein Bundestagsmandat niederlegen musste und im September 2007 vom Landgericht Wiesbaden wegen Untreue zu einer Geldstrafe von insgesamt 54 000 Euro verurteilt wurde.
Innenminister mit Kriminalisierungshintergrund
In der Folgezeit sind die Innenminister aller Bundesregierungen gegen die kurdische Befreiungsbewegung und politisch aktive Kurdinnen und Kurden vorgegangen, um die ständigen Vorwürfe des NATO-Partners Türkei zu entkräften, nicht konsequent genug die PKK zu bekämpfen. Hierbei hatte die Politik insbesondere die kurdischen Medien immer wieder im Visier, um die Verbreitung von Informationen aus den kurdischen Gebieten sowie Berichte über Aktivitäten der Befreiungsbewegung zu verhindern. Hervorgetan haben sich diesbezüglich die Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Otto Schily (SPD). Deren Angriffe richteten sich u.a. gegen Zeitungsprojekte wie „(Yeni) Özgür Politika“, die Nachrichtenagentur MHA, den Presseverlag E. Xani und kurdische Fernsehsender wie ROJ-TV.
Auch Schäuble hatte „seine“ Spendenaffäre: 1994 hatte er eine Spende über 100 000 DM von dem Waffenhändler und Lobbyisten Karlheinz Schreiber angenommen, die in keinem CDU-Rechenschaftsbericht vermerkt wurde. Als Fraktions- und Parteivorsitzender trat Schäuble im Jahre 2000 ab, ein Ermittlungsverfahren wurde eingestellt, doch wo diese dubiose Spende verblieben ist, blieb ungeklärt. Seit 2017 hat Herr Schäuble das zweithöchste staatliche Amt inne, das des Bundestagspräsidenten.
Thomas de Maizière (CDU) ließ im März 2017 ein Rundschreiben an alle Landesregierungen und Strafverfolgungsbehörden versenden, in dem die Liste von Symbolen, die unter das PKK-Betätigungsverbot von 1993 fallen, ausgeweitet wurde und erstmals auch Kennzeichen der nordsyrisch-kurdischen Partei PYD und der Verteidigungseinheiten YPG/YPJ beinhaltete. Im Januar 2018 folgte ein weiteres Schreiben, in dem traditionelle Feste und Gedenktage als Termine eines vom Innenministerium so bezeichneten „PKK-Jahreskalenders“ zur Kriminalisierung preisgegeben wurden. Dazu zählen z.B. das Neujahrsfest Newroz, Gedenken an die drei durch den türkischen Geheimdienst in Paris ermordeten Kurdinnen oder auch die jährlichen internationalen Kulturfestivals. Außerdem soll das Bildnis von Abdullah Öcalan nur noch dann erlaubt sein, wenn sich Veranstaltungen auf sein persönliches Schicksal beziehen und keinen PKK-Bezug haben.
Knapp ein Jahr nach Amtsübernahme setzte de Maizières Nachfolger Horst Seehofer (CSU) nahtlos die staatliche Verbotspraxis fort und ließ im Februar 2019 den Mesopotamien Verlag und den MÎR-Musikvertrieb tagelang durchsuchen, tonnenweise Literatur und Musikprodukte beschlagnahmen und die beiden kurdischen Unternehmen verbieten. Sie sollen der Aufrechterhaltung des organisatorischen Zusammenhalts der PKK gedient haben. Die Klagen gegen diese Verbote sind noch anhängig.
Neben unvermindert laufenden Verfahren nach dem Vereinsgesetz wegen des Zeigens verbotener Symbole und Öcalan-Bilder, des Rufens von Parolen oder des Spendensammelns, werden kurdische Aktivist*innen wegen mutmaßlicher PKK-Mitgliedschaft nach §§129a/b StGB festgenommen, angeklagt und verurteilt.
Aktivisten in Haft, bevorstehende Prozesse und laufendes Verfahren
So befinden sich derzeit 10 Kurden in Bayern, Baden-württembergischen, Hessen und Rheinland-Pfalz in Haft. Von ihnen sind acht Aktivisten in Untersuchungshaft, weil noch Revisionsverfahren laufen bzw. weil sie erst vor wenigen Monaten verhaftet worden sind. Zwei Kurden befinden sich nach rechtskräftigen Urteilen in Strafhaft. Das Verfahren eines weiteren Aktivisten, der aus gesundheitlichen Gründen haftverschont ist, wird vermutlich Ende 2021/Anfang 2022 vor dem Oberlandesgericht (OLG) Koblenz eröffnet.
Der Prozess gegen den im Dezember 2020 festgenommenen Mustafa T., dem die Generalstaatsanwaltschaft München vorwirft, Mitglied in der PKK gewesen zu sein, soll voraussichtlich im Oktober vor dem OLG München beginnen.
Seit Oktober 2020 läuft der PKK-Prozess gegen den Aktivisten Kamuran Y. VESEK vor dem Oberlandesgericht Stuttgart. Nach der „Sommerpause“ wird das Verfahren ab dem 7. September fortgesetzt, und zwar jeweils dienstags und mittwochs, ab 9.00 Uhr, Olgastraße 2 in Stuttgart.
Über das Verfahren hatte Azadî mit Rechtsanwalt Alexander Kienzle gesprochen: https://www.nadir.org/nadir/initiativ/azadi/AZADIinfodienst/info213.pdf