27. Januar 2022
Bundesverwaltungsgericht in Leipzig bestÄtigt die VerbotsverFÜgung gegen den Mezopotamien-Verlag und den Musikvertrieb MIR
Am gestrigen Mittwoch bestätigte der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts das Verbot des Mezopotamien-Verlags und den Musikvertriebs MIR als Teilorganisationen der Kurdischen Arbeiterpartei PKK. Gegen das Urteil werden beide Vertriebe Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht einlegen.
Am 8. März 2018 waren das Verlagshaus und der Musikbetrieb zwei Tage lang durchsucht worden. Dabei wurde mehrere Tonnen Bücher und Musikträger beschlagnahmt. Die Begründung lautete, die Einrichtungen dienten durch ihr Verlagsprogramm der Aufrechterhaltung des organisatorischen Zusammenhalts der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), als deren Teilorganisation sie zu betrachten seien. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels und das Zentrum der Vereinigung der Schriftsteller*innen PEN übten damals harsche Kritik am staatlichen Vorgehen gegen den Verlag und sahen hierdurch die Kunst- und Literaturfreiheit in Deutschland bedroht.
Am 12. Februar 2019 erfolgten dann erneute Durchsuchungen und Beschlagnahmungen und ein Verbot des Verlages und des Musikvertriebes nach dem Vereinsgesetz durch den damaligen Bundesinnenminister Horst Seehofer. Die Anschuldigungen wurden um den Punkt erweitert, dass angeblich alle betriebswirtschaftlichen Aktivitäten ausschließlich der PKK zugutekommen würden. Diese Argumentation wurde im Laufe des Verfahrens ins Gegenteil verkehrt.
Das Leipziger Gericht sah in seinem Urteil den Vertrieb von Büchern und Zeitschriften durch den Mezopotamien-Verlag als Propagandatätigkeit für die PKK ungeachtet der Tatsache, dass sich nur ein Teil der vertriebenen Produkte überhaupt mit aktueller Politik befassten. Außerdem habe das Unternehmen von der Europaführung der PKK finanzielle Zuschüsse erhalten und sei ihr rechenschaftspflichtig gewesen. Bei dem Musikvertrieb MIR verneinte das Gericht zwar eine Propagandatätigkeit, aber hier reichten ihm schon personelle Überschneidungen mit dem verbotenen Verlag und eine gemeinsame Firmenanschrift für eine Verbotsbestätigung. Der Geschäftsführer beider Gesellschaften war nach Auffassung des Gerichts ein hoher PKK-Kader. Ein milderes Mittel, etwa das Verbot einzelner Bücher oder Musikträger, wären nach Auffassung des Senats nicht effektiv gewesen und damit das Vorgehen des Bundesinnenministeriums verhältnismäßig. Was nun mit den etwa 50.000 beschlagnahmten Büchern und dem Musikarchiv geschieht, lässt das Urteil offen. Im schlimmsten Fall droht die Vernichtung.
Bei den beschlagnahmten Büchern des Mesopotamien Verlags handelt es sich sowohl um Romane, Kinderbücher als auch Bücher zur kurdischen Geschichte und Kultur. Ebenso vertrieben wurden soziologische und politische Bücher, etwa die Werke des seit über 20 Jahren auf der Gefängnisinsel Imrali in der Türkei einsitzenden PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan. Bei dem beschlagnahmten Besitz des Musikvertriebs MIR Multimedia handelt es sich neben Tonträgern, Tontechnik und Musikinstrumenten um das weltweit größte Archiv kurdischer Musik. Ebenso wurden bei Verlag und Musikvertrieb sämtliche Geschäftsunterlagen eingezogen, was den Anwälten die Verteidigung erheblich erschwerte. Bis heute durfen die Anwälte nur die Geschäftsunterlagen und nicht die beschlagnahmten Bücher oder das konfiszierte Musikarchiv sichten.
Wir sehen als Azadi in dem heutigen Urteil ein verheerendes Signal gegenüber der kurdischen Community in Deutschland. Die Unterdrückung ihrer Sprache, Kultur und Tradition hat in der Türkei Generationen von Kurd:innen traumatisiert. In ihrem Verfolgungseifer gegen die PKK schreckt nun auch der deutsche Staat nicht davor zurück, alle Grundsätze von Kultur- und Meinungsfreiheit zu ignorieren und sich der türkischen Staatspolitik in diesem Punkt anzunähern. Mit dem Urteil aus Leipzig werden wahrscheinlich auch die letzten Menschen mit kurdischen Wurzeln ihr Vertrauen in Demokratie und Rechtsstaatlichkeit hier in Deutschland verloren haben. Bei der Vorstellung, das auf Anordnung der Bundesregierung tonnenweise kurdische Kulturgüter vernichtet werden, kann es einem angesichts der deutschen Geschichte nur übel werden.