23. Dezember 2022
Durchsuchungen in NÜrnberg und Hannover sowie Festnahme des kurdischen Aktivisten Tahir KÖcer
Am Morgen des 22. Dezembers 2022 durchsuchte die Polizei unter Leitung des LKA Bayern zwei Wohnungen und das Meyda Volkshaus in Nürnberg sowie eine Wohnung in Hannover. Dabei nahm sie den kurdischen Aktivisten Tahir Köcer in Nürnberg fest. Nach der Eröffnung des Haftbefehls durch den Ermittlungsrichter beim OLG München wurde Tahir Köcer in Untersuchungshaft genommen und in die JVA München gebracht. Nach derzeitigen Informationen führt die Generalstaatsanwaltschaft München ein Ermittlungsverfahren nach §§ 129a, 129b StGB wegen mutmaßlicher Mitgliedschaft in oder Unterstützung der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) gegen ihn.
Am frühen Morgen verschaffte sich die Polizei Zutritt zu den Räumlichkeiten. In eine der Privatwohnungen brach sie gewaltvoll ein, da sich die Familie bereits im Weihnachtsurlaub befand. In der anderen Wohnung traf sie nur zwei Minderjährige an und begann mit der Durchsuchung, obwohl die Erziehungsberechtigen noch nicht hinzukommen konnten. In allen Wohnungen sowie den Vereinsräumlichkeiten des Medya Volkshaus e.V. beschlagnahmte sie Unterlagen, technische Geräte und ähnliche Gegenstände.
Der festgenommene 57-jährige Tahir Köcer ist seit vielen Jahren in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) politisch aktiv für die Belange der Kurd*innen. Er ist Mitglied des Kurdistan Nationalkongresses (KNK), der weltweit Persönlichkeiten der kurdischen Gesellschaft verbindet, um über religiöse, kulturelle, sprachliche und politische Unterschiede hinweg eine gemeinsame Stimme der Kurd*innen zu finden. Bis Juni 2021 war Tahir Köcer Ko-Vorsitzender der bundesweiten Konföderation kurdischer Organisationen KON-MED und damit einer der wichtigsten Repräsentanten der kurdischen Community in Deutschland und eine Person des öffentlichen Lebens.
Für sein Engagement hat er immer wieder Repression und Schikanen erfahren. 2019 wurde er vom AG Braunschweig verurteilt, weil er auf einer Demonstration für die Freiheit Abdullah Öcalans „Bijî Serok Apo!“ (Kurdisch für: „Es lebe der Vorsitzende Apo!“) gerufen haben soll. Im März diesen Jahres stellte das LG Lüneburg ein Verfahren wegen Verstoß gegen das PKK-Betätigungsverbot gegen ihn ein. Die Staatsanwaltschaft hatte ihm vorgeworfen eine Rede auf einer Versammlung gehalten zu haben. Mehrmals wurde Tahir Köcer auch von deutschen Gerichten vorgeladen, die den türkischen Behörden Amtshilfe leisteten, um zu dem Vorwurf befragt zu, er hätte Tayyip Erdoğan beleidigt.
Aufgrund seiner persönlichen Erfahrungen mit der Kriminalisierung der kurdischen Bewegung in der BRD sprach Tahir Köcer sowohl bei einer Regionaltagung, die AZADÎ 2020 in Hannover ausrichtete, als auch bei dem Forum „28 Jahre PKK-Verbot – Jetzt reden wir!“ im Juni diesen Jahres in Berlin.
Tahir Köcer ist der zehnte kurdische Aktivist, der momentan in deutscher Untersuchungs- oder Strafhaft ist. Seitdem der BGH in einem Urteil 2010 entschied, dass die PKK als „terroristische Vereinigung im Ausland“ nach §§ 129a, 129b StGB zu verfolgen sei, ist bereits eine Anzahl kurdischer Aktivist*innen im mittleren zweistelligen Bereich wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft oder Unterstützung der PKK inhaftiert worden.
Die neuerlichen Durchsuchungen und die Festnahme Tahir Köcers bestärken die Einschätzung von AZADÎ, dass die BRD nach den Türkei-Besuchen des Generalbundesanwalts Peter Frank im Juli und der Bundesinnenministerin Nancy Faeser im November diesen Jahres die Repression gegen die kurdische Bewegung verschärfen wird.
Damit machen sich die Bundesregierung – ein Ermittlungsverfahren nach § 129b StGB setzt stets eine Ermächtigung durch das Bundesjustizministerium voraus – und die deutsche Justiz mit ihrer NATO-Partnerin Türkei unter dem AKP/MHP-Regime gemein. Denn auch das Regime in Ankara geht in den letzten Wochen wieder verstärkt gegen die Opposition und insbesondere die kurdische Bewegung vor, um sie im Vorfeld der Parlamentswahlen 2023 zu schwächen und demokratische Wahlen zu verhindern. Ohne die jahrelange Rückendeckung aus Deutschland wäre das Erdoğan-Regime längst abgewählt worden.